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Besser behandeln mit Bits und Bytes

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Besser behandeln mit Bits und Bytes
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Biotech-Pionier Biogen will seine Kompetenz zur Therapie von Neuroerkrankungen nun auch mit Apps und Wearables unter Beweis stellen. Ein Booster für das digitalskeptische österreichische Gesundheitswesen.

Der Beziehungsstatus Österreich und Digitalisierung: kompliziert. Innerhalb des Gesundheitswesens überhaupt. Geht es nach dem neuesten Health-Report Österreich befürworten zwar immerhin 90 Prozent der medizinischen Fachkräfte die (ohnehin reichlich späte) Einführung eines elektronischen Rezepts. Rücken Anwendungen aber wirklich Richtung Therapie, steigt die Skepsis: Nur 34 Prozent etwa halten Pflegeroboter für eine sinnvolle Anwendung.

Vielleicht ändert sich das bald. Denn immer mehr Unternehmen erkennen die Chancen digitaler Technologien und Automatisierung im Gesundheitswesen. Wie Biogen, der schweizerisch-amerikanische Konzern und Spezialist für neurologische Erkrankungen, der eben eine neue Business Unit für digitale Gesundheitsanwendungen aufgebaut hat. Das Unternehmen hatte die Therapie von Multipler Sklerose (MS) und Spinaler Muskelathropie (SMA) revolutioniert und will seine Kompetenzen in Sachen Neurowissenschaft nun auch in andere Geschäftsfelder einbringen.

Österreich-Geschäftsführer Michael Kreppel-Friedbichler: „Jetzt ist die Zeit, um Technologie und Biologie miteinander zu verbinden. Und die Neurowissenschaft ist ein ideales Feld dafür. Es gibt mittlerweile konkrete Use Cases, die man nutzen kann, um Unsicherheiten und Skepsis zu überwinden. Und das ist dringend notwendig, Österreich ist bei Digital-Health-Anwendungen zu zögerlich. Wir sollten nicht hinter Deutschland, Estland oder nordische Länder zurückfallen.“

44 Jahre Erfahrung.

Tatsächlich hat Biogen in den vergangenen 44 Jahren viel Erfahrung bei der Behandlung neurologischer Erkrankungen gewonnen. 2004 gelang ein bahnbrechender Durchbruch in der Behandlung von Multipler Sklerose. Das Bild der Krankheit dreht sich seither nicht mehr um ein Leben im Rollstuhl, sondern um die optimale Therapie. Mittlerweile ist Biogen mit fünf Spezialprodukten Marktführer auf dem Gebiet (Konzernumsatz 2021 umgerechnet 10,6 Milliarden Euro, rund 9.000 Mitarbeiter, seit 25 Jahren mit einer Tochtergesellschaft in Österreich vertreten).

Doch das Rennen um neue bahnbrechende Innovationen ist hart, und die Konzentration auf seltene Erkrankungen ist für das börsennotierte Unternehmen wirtschaftlich durchaus riskant. Die Entwicklung neuer Blockbuster für Massenanwendungen – Biogen forscht u. a. etwa auch an Alzheimer-Therapien – ist aufwändig und komplex. In der Zwischenzeit bis zum nächsten Erfolg will sich Biogen daher auch um digitale Anwendungen kümmern.

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Erstens geht es um verstärktes Datamining. Aus der gezielten Aufbereitung vorhandener Informationen – immerhin 20 Prozent des Umsatzes von Biogen werden für Forschung und Entwicklung investiert – lassen sich eine Reihe von Benefits ableiten: etwa die Beschleunigung zukünftiger Forschungsvorhaben, eine Vereinfachung von Tests und Studien, die Reduktion von Stichprobengrößen oder die Verringerung der Probandenzahlen.

App gegen Therapielücke.

Zum anderen geht es darum, die Patienten durch digitale Lösungen bei den eigenen Therapien besser begleiten zu können, ihnen eine Unterstützung über Apps oder Wearables zu geben, etwa bei der MS-Behandlung. So kann etwa die eigens entwickelte App Konectom das Tippverhalten auf dem Handy oder die Gehgeschwindigkeit analysieren und so Aufschluss über die motorischen Fähigkeiten geben. Die Verlaufsaufzeichnung liefert dann Hinweise auf Therapiefortschritte zwischen den Arztbesuchen und könnte helfen, Fehlentwicklungen vorzubeugen.

Einen ähnlich unterstützenden Stellenwert hat Biogens neue Virtual-Reality-Lösung (VR) bei Patienten, die sich medizinischen Verfahren unterziehen. Im Fall von SMA etwa ist die Darreichung als Spritze ins Rückenmark für viele Patienten psychisch belastend. Die technische Ausrüstung kann über eine Art geführte Meditation so beruhigend wirken, dass sich Verkrampfungen lösen und die Behandlung erleichtert wird. Ein weiteres Beispiel aus der Kategorie ist eine Übungs-App, mit der Patienten unter Anleitung ihres Physiotherapeuten angepasste Fitnessübungen durchführen können. Damit lässt sich die Anzahl der Übungseinheiten in kürzeren Zeitabständen steigern, was den Therapieerfolg verbessert.

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Der dritte Zukunftsbereich sind Digital Therapeutics, Tools, die direkt zur Behandlung eingesetzt werden. Wiederum greift Biogen etwa auf seine Erfahrung mit MS zurück, wo unkontrolliertes Stolpern zu den auffälligsten Krankheitsbildern zählt, die behandelt werden können. Forschungen haben gezeigt, dass spezielle Sensoren bestimmte Muskelkontraktionen schon erkennen können, noch bevor sie eine Irritation beim Gehen auslösen. In Zusammenarbeit mit seinem Partner MedRhythms erforscht Biogen, wie man diese Sensoren in Schuhe einbauen und den Patienten über Kopfhörer akustische Warnsignale in Form eines bestimmten Rhythmusmusters geben kann. Auf diese Weise könnten das Gehirn und die Nervenzellen gewissermaßen angestupst werden, bevor sich ein krankheitsbedingtes Stolpern manifestiert. Diese und andere Apps werden derzeit klinisch erprobt.

Geprägt von Nobelpreisträgern.

Das ist therapeutisches Neuland, doch genau das mache sein Unternehmen aus, sagt Geschäftsführer Kreppel-Friedbichler: „Wir sind ein Biotech von der Gründung weg, zwei Nobelpreisträger waren im Gründungsteam mit dabei, und das merkt man bis heute an unserem Zugang zu den Dingen, an der Neugier, sich auch in unbekannte Gebiete vorzuwagen. Wir sind die, die gerne die erste Spur im Schnee ziehen.“

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MICHAEL KREPPEL-FRIEDBICHLER, BIOGEN, über VR-Brillen, die die Patienten bei der SMA-Behandlung entspannen, und Handyapps, die den Therapiefortschritt zwischen zwei Arztbesuchen tracken: „Jetzt ist die Zeit, um Technologie und Biologie miteinander zu verbinden.“ © Trend Lukas Ilgner NEU

Das Problem dabei: Das Gesundheitswesen speziell in Österreich reagiert auf innovative Entwicklungen erst einmal mit Skepsis – anders als in Deutschland oder in den USA, wo digitale Anwendungen in größerem Umfang bereits in öffentliche Krankenkassenkataloge aufgenommen wurden. Kreppel-Friedbichler: „In Österreich kümmern wir uns in Bezug auf Digitalisierung hauptsächlich um die Basisversorgung womit weitere Innovationen hintanstehen. Es gibt gerade einmal die elektronische Gesundheitsakte, das E-Rezept oder den elektronischen Impfpass, aber vieles ist nicht einmal über Bundesländergrenzen hinweg zu nutzen, geschweige denn über andere Grenzen im Gesundheitssystem, zwischen Spitälern, zwischen niedergelassenen Ärzten oder Reha-Kliniken. Alle betrachten nur ihren eigenen Silo, und damit gehen Synergien verloren. Es fehlen die gemeinsamen Ziele.“ Biogen könnte seinen Teil dazu beitragen.

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