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Wirtschaft: Die Stimmung ist im Keller

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Der Austrian Business Check des KSV1870 zeigt ein schlechtes Stimmungsbild der heimischen Wirtschaft.

©IMAGO / IlluPics
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Zweimal jährlich ermittelt der Kreditschutzverband KSV1870 im Rahmen des Austrian Business Check mit breit angelegten Mitglieder-Befragungen die Stimmungslage der heimischen Wirtschaft. Das Ergebnis der jüngsten, im März 2024 durchgeführten Erhebung, ist sehr ernüchternd.

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Der Austrian Business Check

Den Österreichern, und besonders den Wienern und Ostösterreichern, wird grundsätzlich gerne nachgesagt, ein Volk der "Grantler, Nörgler und Pessimisten" zu sein. Dass auf die Frage "Wie geht es Dir?" kein "Danke, gut!", sondern ein "Geht so" oder ein "Naja ..." als Antwort kommt, überrascht hier niemand. Das Stimmungsbild, das der Kreditschutzverband KSV1870 im März 2024 im Rahmen seiner Mitgliederbefragungen für den Austrian Business Check erhoben hat, lässt sich jedoch mit dem normalen Zweck-Pessimismus nicht mehr erklären.

Zweimal jährlich wird diese Befragung durchgeführt, wobei jeweils rund 1.200 Unternehmen unterschiedlicher Größen und aus einem breiten Branchenspektrum die aktuelle Wirtschaftslage bewerten und einen Ausblick auf das nächste Halbjahr geben. In der jüngsten Erhebung sind diese beiden Parameter so schlecht, dass sie fast nur noch von jenen aus dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie unterboten werden, als allgemeine Rat- und Planlosigkeit herrschte und staatlich verordnete Lockdowns das normale Wirtschaftsleben außer Kraft gesetzt hatten.

"Massiver Druck, gleichbleibend schlecht"

Ricardo-Jose-Vybiral, CEO der KSV1870 Gruppe, der generell bemüht ist, die positiven Seiten einer Entwicklung hervorzuheben, findet bei der Präsentation der Ergebnisse des neuen Austrian Business Check daher auch kaum positive Worte, um die Lage der Nation zu beschreiben und konstatiert unter anderem:

  • "Gastronomie und Beherbergung geht es gleichbleibend schlecht."

  • "Der Handel steht unter massivem Druck und tut sich schwer, Preissteigerungen weiterzugeben."

  • "Die Jungen leiden mit, es gibt keine Aufbruchsstimmung."

  • "Die Industrie ist im Ausblick eher negativ gestimmt."

  • "Es findet eine De-Industrialisierung statt."

  • "Wir haben uns ein systemisches Risiko in der Bauwirtschaft eingefangen."

Einzig der Tiefbau könne sich noch über eine solide Auftragslage freuen, doch der hadert dafür mit einem anderen Problem - dem des Arbeitskräftemangels. "Es werden händeringend Ressourcen gesucht", sagt Vybiral.

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KSV1870 CEO Ricardo Vybiral: "Wir lassen Wirtschaftswachstum auf der Straße liegen."

© Elke Mayr

Der Arbeitskräftemangel wird zum Über-Problem

Mit dem Arbeitskräftemangel ist der Tiefbau nicht alleine. Der ist im Jahr 2024 praktisch allgegenwärtig, und das nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, im Grunde in allen Industriestaaten und das Resultat einer noch lange nicht an ihrem Höhepunkt angelangten demografischen Entwicklung.

Sechs von zehn der vom KSV1870 befragten Unternehmen fehlen Arbeitskräfte. Der Personalmangel zieht sich quer über alle Branchen und Bereiche und drückt die Produktivität. "Das ist ein sehr heikles Thema. Wir lassen Wirtschaftswachstum auf der Straße liegen. Praktisch überall müssen weniger Kräfte viel mehr leisten. Das ist eine toxische Kombination und wird für das Personal teilweise auch schon gesundheitsgefährdend."

Doch nicht nur die Gesundheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, auch die der Unternehmen selbst steht auf dem Spiel. Die daraus entstehende Abwärtsspirale hat sich bereits zu drehen begonnen. Vybiral skizziert eine Reihe negativer Auswirkungen, die diese Abwärtsspirale in Gang halten:

  • Hohe Zusatzbelastungen für bestehende Mitarbeiter.

  • Steigende Kosten, um die Mitarbeiter zu halten.

  • Unvermeidbare Umsatzeinbußen bei den Unternehmen.

  • Aufträge müssen abgelehnt werden.

  • Die Wettbewerbsfähigkeit geht verloren.

  • Die Qualität in der Produktion und der Services und Dienstleistungen sinkt.

  • Bei den Kunden steigt die Unzufriedenheit.

  • Unternehmen müssen Produkte oder Dienstleistungen aus dem Sortiment nehmen.

Politische Lösungsversuche, internationale Arbeitskräftesuche

In der Gastronomie und teilweise auch schon im Handel versucht man, dem Problem des Arbeitskräftemangels mit reduzierten Öffnungszeiten zu begegnen. Doch auch das ist nur bedingt möglich, schon aufgrund der hohen Miet- und Betriebskosten, die diese Unternehmen in der Regel leisten müssen.

In der Politik wird daher ebenfalls nach Lösungen gesucht, um die Problematik zu entschärfen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Kampf gegen den Arbeitskräftemangel als einen der vier wichtigsten Punkte der nächsten EU-Präsidentschaft erkoren, um Europas Wirtschaft anzukurbeln. Ein Kernpunkt der Südamerika-Mission von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher im April 2024 war, dort Werbung für Österreich zu machen und Arbeitskräfte aus Brasilien und Argentinien nach Österreich zu lotsen.

Der Weg in die Ferne ist mittlerweile notwendig, denn in den CEE-Staaten, aus denen seit den 1990er Jahren Millionen Arbeitskräfte nach Westeuropa gelotst wurden, ist der Arbeitskräftemarkt praktisch leergefegt. Der Jahrzehnte andauernde People-Drain, die Abwanderung aus diesen Ländern, hat dazu geführt, dass in der Region das Arbeitskräfteproblem noch gravierender ist wie hierzulande. Eine Entwicklung, die nun auch westliche Unternehmen zu spüren bekommen, die in den vergangenen Jahrzehnten Produktionen in diese Länder verlegt und dort große Fabriken errichtet haben.

Georg Winter, CEO des Versicherungsmaklers und Risikospezialisten Greco, erklärt dazu auch im trend. Interview: "In manchen osteuropäischen Ländern, zum Beispiel Ungarn, Ukraine, Rumänien oder Bulgarien war der Bevölkerungsschwund in den letzten 30 Jahren noch viel eklatanter als in Westeuropa. In diesen Ländern schrumpft die Bevölkerung zweistellig. Vor 10, 20, 30 Jahren gab es dort günstige Arbeitskräfte. Heute gibt es keine mehr."

Auch China ist längst kein Land mehr, in das europäische Unternehmen Produktionen verlagern könnten, weil es dort viele und günstige Arbeitskräfte gäbe. Ganz im Gegenteil: Das Land des Drachen rast als Folge der Ein-Kind-Politik und der weiter rückläufigen Geburtenrate einem demografischen Supergau entgegen. Chinas Bevölkerung überaltert dramatisch schnell. Im Jahr 2030 wird es bereits um 60 Millionen junge Chinesen weniger geben als noch im Jahr 2020 und die Zahl der Menschen über 60 gleichzeitig um 114 Millionen gestiegen sein. 2050 werden in dem Land auf einen Menschen im Pensionsalter nur noch rund 1,3 Menschen im Erwerbsalter kommen - mit allen weiteren negativen Konsequenzen.

Negative Einflüsse, schwierige Lage

Die Arbeitskräfteproblematik wird von weiteren negativen Einflüssen begleitet, die die Betriebe zusätzlich belasten. Die Inflation hat sich in den vergangenen Wochen etwas eingegrenzt, die Preissteigerungen lasten aber immer noch massiv auf der Wirtschaft. Kritische Punkte sind dabei die Energiekosten und das durch die höheren Kosten schlechtere Zahlungsverhalten, das auch die Zahl der Insolvenzen immer weiter ansteigen lässt und zu weiteren Zahlungsausfällen führt.

Es ist die Gemengelage aus unterschiedlichen negativen Faktoren, die es in allen Sektoren – Industrie, Handel, Gewerbe und Dienstleistungen – schwierig macht, erfolgreich zu wirtschaften. Produktionskosten steigen, Aufträge gehen zurück oder werden storniert. Gleichzeitig können höhere Kosten nur ansatzweise weitergegeben werden.

Digitalisierung: Hoffnung und Dilemma

Ein Mittel, das einen Ausweg aus der Abwärtsspirale darstellen kann, ist die Digitalisierung. In ihr schlummert noch so großes Potenzial, dass es Unternehmen gelingen kann, ihre Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. "Allerdings haben wir in der Breite der Unternehmen eine digitale Lethargie", attestiert KSV1870-CEO Vybiral, der daraus gleich ein nächstes Risiko für die heimische Wirtschaft sieht – und das beileibe nicht aufgrund der Entwicklung am KI-Sektor.

Das Hype-Thema Künstliche Intelligenz ist nämlich für die meisten Unternehmen noch gar kein Thema. Acht von zehn Unternehmen pfeifen der KSV1870-Erhebung zufolge noch komplett auf den Einsatz von KI-Lösungen. Wenn eine KI-Technologie zum Einsatz kommt, dann in Sparten oder Nischenbereichen des IT-Managements, der IT-Security, in Teilen des Vertriebs, Kundenservice, Prozessautomatisierung, Marktforschung, Betrugserkennung, Qualitätskontrolle oder des Logistikmanagements.

Vybiral findet diesen Ansatz auch gar nicht schlecht und betont: "Bevor wir uns der KI widmen, müssen generelle Digitalisierungs-Themen angegangen werden."

Von diesen generellen Themen gibt es eine ganze Menge, was bereits zum nächsten Dilemma führt: Der immer noch unterschätzten Bedrohung durch Cyber-Angriffe. Wie massiv schädigend eine solche Attacke sein kann, zeigt das Beispiel des zur Montana-Tech-Firmengruppe von Michael Tojner gehörenden Batterieherstellers Varta, der in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar Opfer eines Hackerangriffs wurde. Alle fünf Produktionsstandorte, drei davon in Deutschland und jeweils einer in Rumänien und Indonesien, sowie die Verwaltung waren betroffen. Das Unternehmen musste seine IT-Systeme und die Produktion komplett herunterfahren und auch zweieinhalb Monate später sind die Folgen des Angriffs noch präsent. Der daraus entstandene wirtschaftliche Schaden kann immer noch nicht beziffert werden.

NIS2-Verordnung und weitere Auflagen

Tendenziell säumig sind die heimischen Unternehmen jedoch nicht nur beim Thema der Cyber-Security, sondern auch beim Implementieren und Umsetzen von EU-Vorschriften.

Eine dieser Vorschriften ist die NIS2-Cyber-Security-Richtlinie, die mit 18. Oktober 2024 in Kraft tritt. Im Grunde besagt diese Bestimmung, dass Unternehmen, die der "kritischen Infrastruktur" zuzurechnen sind, nur noch mit Unternehmen Geschäfte abwickeln dürfen, die ein entsprechendes NIS2-Zertifikat vorweisen können. Dieses Zertifikat garantiert die Einhaltung von Mindeststandards im Bereich der Cyber-Security.

"Ein Viertel der österreichischen Unternehmen ist dabei 'on fire', 'on risk'. Bei dieser Richtlinie gibt es keine Diskussion", warnt KSV1870 CEO Vybiral. Je nachdem, wie eng der Maßstab angelegt werde, seien der kritischen Infrastruktur 4.000 bis 6.000 österreichische Unternehmen zuzurechnen – Energieversorger, Banken, Versicherungen usw. Was jedoch zur Folge hat, dass ab dem Stichtag im Oktober streng genommen jedes heimische Unternehmen ein NIS2-Zertifikat vorweisen können muss. Als Partner der Wirtschaft bietet der KSV1870 mit dem eigenen Cyber-Risk-Rating eine solche Zertifizierung an.

Und NIS2 ist wieder nicht die einzige Richtlinie, die Unternehmen erfüllen müssen. In weiterer Folge gilt es unter anderem, die Bestimmungen der Lieferkettenrichtlinie, der ESG-Kriterien und des AI-Acts einzuhalten. Was für Unternehmen einen zusätzlichen Aufwand - organisatorisch ebenso wie personell - nach sich zieht. Und den Kreis zum Arbeitskräftemangel schließt: Wer soll das alles leisten?

Drohende De-Industrialisierung

Steuerentlastungen, eine Senkung der Lohnnebenkosten, eine Entbürokratisierung und eine Lösung der Arbeitskräfteproblematik, einhergehend mit einer Bildungsreform – das wären dem KSV1870 Business-Check zufolge die wichtigsten Punkte, um die heimische Wirtschaft zu entlasten und den Standort Österreich attraktiver zu machen. Andernfalls drohe eine De-Industrialisierung.

Eine solche indiziert bereits eine von Beratungsunternehmen Deloitte im Auftrag der Wirtschaftskammer im Jänner durchgeführte Befragung von rund 500 Unternehmen. 90 Prozent der befragten Unternehmer gaben darin zur Antwort, dass die Attraktivität des Standort Österreich sinkt. 41 Prozent geben an, in den vergangenen drei Jahren bereits Teile ihre Wertschöpfungskette verlagert zu haben und knapp drei Viertel sahen die reale Gefahr einer De-Industrialisierung Österreichs.

"Produktionsverlagerung ist schon gelebte Realität", meinte Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer zu den Ergebnissen der Erhebung. Für KSV1870 CEO Vybiral ist jedenfalls eines offensichtlich: Die als Folge der Lieferkettenproblematik während der Corona-Krise aufgetretene Tendenz zum "Near-Shoring", zum Zurückholen der Produktion nach Europa, ist offenbar vorüber.

"Die Herausforderungen sind seit Corona noch vielfältiger geworden. Umso mehr sind die Wirtschaftstreibenden gezwungen, Ihre Unternehmen auf Resilienz und Innovation auszurichten", resümiert Vybiral und wiederholt damit seinen Rat aus dem Februar-Interview mit dem trend: "Nach vorne blicken und das Steuerrad der Unternehmen fester in die Hand nehmen."

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