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Peter Brabeck-Letmathe: "Es gibt keine Wahrheit" [INTERVIEW]

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Peter Brabeck-Lethmate, langjähriger Nestlé-Chef
Peter Brabeck-Lethmate, langjähriger Nestlé-Chef©Nestlé/wildbild
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Der langjährige Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe über Auf- und Abstiege im Berg- und Berufsleben, Esoterik im Management, seine sechs Begegnungen mit Wladimir Putin, Nestlé als Lieblingszielscheibe von Globalisierungsgegnern, die Credit Suisse – und österreichische Investments.

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trend: Sie wollten als 23-Jähriger mit Kärntner Freunden den 7.708 Meter hohen Tirich Mir am Hindukusch bezwingen. Für ganz nach oben reichte von der letzten Station aus der Proviant nur noch für zwei, Sie waren aber zu dritt. Also haben Sie gepokert, wer auf den Gipfel darf. Sie haben verloren und Ihr Leben gewonnen – Ihre Freunde gingen in den Tod. Welche Rolle spielten Glück und Pech in einem Leben, das von Organisations- und Planungsdenken geprägt ist?
Peter Brabeck-Letmathe: Natürlich spielt Glück eine Rolle, aber man muss es schon auch empfangen wollen. Viele Leute hätten die Chance, nehmen sie aber aus irgendwelchen Gründen nicht wahr. Ein Beispiel: Ich bin 1973 nach einer Station als Eiscremeverkäufer bei Nestlé in Chile zurück in die Schweiz. Dort hat man gerade einen Marketingchef für Chile gesucht. Drei Leute haben abgesagt, weil niemand nach dem Pinochet-Putsch dorthin wollte. Also hat man es mir angeboten. Ich habe zugegriffen. Das war der Anfang meiner Karriere bei Nestlé. Es war mein Glück, dass andere das Glück nicht wahrhaben wollten.

Ihr aktuelles Buch heißt "Aufstiege", Sie schreiben aber, dass Abstiege mindestens so wichtig sind. Die Kräfte sind schon erschöpft, man hat nicht mehr das große Ziel des Gipfels vor sich. Ist es im Geschäftsleben auch so?
Ja. Wenn du Karriere machst, schaust du immer nach oben. Je höher du steigst, umso einsamer wirst du und umso stärker bist du dem Höhenrausch ausgesetzt: Du siehst Realitäten nicht mehr so, wie sie sind. Du glaubst, dass du es bist, der das Interesse der Öffentlichkeit erweckt, ob das jetzt Angriffe gegen dich sind oder Lob. Dabei ist es immer nur die Position, die du innehast, der die Aufmerksamkeit gilt. Und wenn die Position dann wegfällt, stürzen viele beim Abstieg in ein Vakuum ab. Deshalb passieren die meisten Unfälle am Berg beim Abstieg und nicht beim Aufstieg. Mein Credo war deshalb immer, beim Aufstieg maximal 80 Prozent der Reserven zu geben, nicht 100 Prozent.

Sie sind nach Ihrem Rückzug aus dem Nestlé-Verwaltungsrat 2017 nicht in ein Vakuum gefallen?
Bei mir war alles absolut geplant. Nach der letzten Generalversammlung bin ich nicht mehr in mein Büro zurückgegangen. Parallel hatte ich ja einige Verwaltungsratsjobs angenommen, bei der Formel 1 etwa oder bei Exxon. Für die hatte ich dann eben mehr Zeit. Ich komme ja auch jetzt gerade von einer Aufsichtsratssitzung in New York. Ich bin weiterhin voll ausgebucht.

Man muss stets offen sein für Inputs von einer ganz anderen Seite.

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Peter Brabeck-Lethmate: "Statt zur persönlichen und politischen Freiheit gehen wir jetzt zur persönlichen und politischen Unfreiheit." © Nestlé / Photographie Sébastien Agnetti

Eher nicht nach klassischem Muster war Ihre Reaktion auf Ihre Krebserkrankung 2014. Sie sind nach einigen fehlgeschlagenen Therapien zu einem philippinischen Heiler gegangen. Sie schreiben, dass er Sie zwar nicht geheilt, aber die Grundlagen dafür gelegt hat. Sollten sich Manager mehr für Esoterik öffnen?
Ich glaube schon. Man muss stets offen sein für Inputs von einer ganz anderen Seite. Das heißt ja nicht, dass ich glauben muss. Aber ich sollte offen sein. Es gibt keine Wahrheit. Es gibt keine Regel, die hundertprozentig funktioniert. Das gilt für die Ernährung ebenso wie fürs Management. Ich habe viel von meinem Gespräch mit dem Papst profitiert. Er hat gesagt, wir müssen einen Weg suchen, mit dem nicht mehr das Geld im Zentrum der Wirtschaft steht, sondern der Mensch. Das hat mein Leben stark verändert. Das heißt ja nicht, dass ich nicht für den Kapitalismus bin.

Sie haben als Nestlé-CEO, aber etwa auch in Ihrer Rolle als Vizepräsident von Davos jede Menge mächtiger Menschen – Staatenchefs und Wirtschaftslenker getroffen. Darunter auch Wladimir Putin. Hätten Sie ihm das, was die Welt seit Februar 2022 in Atem hält, zugetraut?
Ich habe ihn sechsmal getroffen. Wir haben immer Deutsch miteinander gesprochen. Dreimal habe ich ihn in der Öffentlichkeit moderiert, unter anderem beim ersten Wirtschaftsforum in St. Petersburg, das ich ihm geholfen habe aufzubauen. Ich war immer sehr beeindruckt von ihm, auf eine neutrale Weise: ein eiserner, rationaler Mensch, nirgendwo Raum für Emotionen. Dass er sich so entwickelt, hätte ich mir jedoch nicht erwartet. Er ist ein typischer Fall von jemandem, der den Höhenrausch hat. Er ist ganz allein da oben. Er hat den Realitätssinn verloren. Denn egal wie der Krieg ausgeht: Er hat alles verloren.

Putin hat den Realitätssinn verloren. Egal wie der Krieg ausgeht: Er hat alles verloren

Mit welchen der Regierungschefs und Wirtschaftsmagnaten würden Sie gerne auf einen Berg gehen?
Wenn ich mir jemanden aussuchen müsste: mit Wolfgang Schüssel. Das ist jemand, der nicht den Kopf verloren hat, nachdem er auf der Spitze war. Mit ihm würde ich mich wohlfühlen.

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Peter Brabeck-Letmathe beriet u. a. Kanzler Wolfgang Schüssel (oben). Mit ihm würde er auch am liebsten auf den Berg gehen. © Foreign Policy and United Nations Association of Austria (UNA-AUSTRIA).

Nestlé ist seit Jahrzehnten eine Lieblingszielscheibe von Globalisierungsgegnern und Kritikern des Wirtschaftssystems, es ging von Milchpulver über Wasserraub bis hin zu Kinderarbeit. Welche Kritik war berechtigt?
Wir sind in der Schweiz. Alles, was aus dem Meer der Mittelmäßigkeit herausragt, ist schlecht. Einzige Ausnahme: das Matterhorn. Das spiegelt sich auch im politischen System wider: Ein Präsident darf nicht länger als ein Jahr im Amt bleiben. Denn wenn er gut wäre, wäre es schlimm. Wenn dann eine Firma wie Nestlé zur größten Firma Europas wird, ist das für den Schweizer verdächtig. Wir sind viel zu groß und viel zu erfolgreich, und mit diesem Erfolg haben wir eine riesige Leinwand aufgebaut, auf die sich alle NGOs projizieren können.

Aber war die Kritik gerechtfertigt?
Es gibt einen wahren Kern. Man kann zum Beispiel darüber diskutieren, ob in den 1960er- und 1970er-Jahren die Bewerbung von Babymilch in Entwicklungsländern gerechtfertigt war. Man war sich damals allerdings nicht bewusst, dass man etwas falsch macht. Die Polemik gegen Nestlé als "Babykiller" kam vor allem aus Großbritannien. Der damalige Nestlé-CEO, ein gläubiger Mann, hat das Ganze persönlich genommen und Anzeige eingebracht – das hat die Dynamik nur noch verstärkt. Damit war der Schaden angerichtet.

Wenn eine Firma wie Nestlé zur größten Firma Europas wird, ist das für den Schweizer verdächtig. Wir sind viel zu groß und viel zu erfolgreich.

Ein Kapitel Ihres Buchs heißt "Lob des Fehlers". Was war Ihr größter Fehler?
Wir waren immer rund um den Teller präsent und nie auf dem Teller. Ich wollte das ändern, Fokus Kartoffeln, Reis, Pasta. Ich hatte allerdings nicht beachtet, dass in diesen Bereichen die Wertschöpfungskette für eine große Firma null ist. Wertschöpfung ist der Weizen, die Maschinen, die Technologie und das Wasser. Das kann ich aber nicht in einer Firma machen, die 1,8 Milliarden jährlich für Forschung ausgibt, wenn ich diese Forschung anschließend nicht einbringen kann und dadurch einen höheren Wert bekomme.

Sie waren jahrelang – bis 2014 – Vizepräsident der jetzt kollabierten Credit Suisse (CS). Was wurde dort falsch gemacht?
Ich habe schon vor einem Jahr gesagt: Eine Firma, deren einziger Wert das Geld ist, kann langfristig nicht überleben.

Unter amerikanischem Einfluss ging es bei der Credit Suisse nur noch um Geld, Geld, Geld. Daran ist die Bank zugrunde gegangen.

Gilt das nicht auch für die UBS, die jetzt die CS schluckt?
UBS hat die Kurve hingekriegt und mehr den Kunden in den Mittelpunkt gerückt. Sie müssen sich vorstellen: Ohne CS gäbe es die Schweiz nicht, das Institut hat die gesamte Industrialisierung der Schweiz finanziert. Unter amerikanischem Einfluss ist das verloren gegangen, es ging nur noch um Investmentbanking und Geld, Geld, Geld. Daran ist die Bank zugrunde gegangen.

Wann haben diese US-Einflüsse begonnen?
Vor der Finanzkrise 2008.

Sie sind in den letzten Jahren eine Reihe von Firmenbeteiligungen eingegangen. Sie haben erfolglos in eine Kaviarproduktion investiert, sind aber auch bei der Biotechfirma Moderna engagiert. Nach welchen Gesichtspunkten investieren Sie?
Je nachdem, wie ich mich persönlich einbringen kann, und ob es sich um disruptive Innovation handelt. Bei Moderna, wo ich vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie eingestiegen bin, ist es etwa die mRNA-Technologie. Dann gibt es eine Firma namens SES-imagotag, die ihr Forschungszentrum in Graz hat. Da lerne ich etwas persönlich dazu.

Wir waren optimistisch. Überzeugt, dass wir in der Welt zu einer politischen Einheit kommen können, wenn wir wirtschaftlich zusammenwachsen.

Was genau ist an der österreichischen Uhrenmarke Carl Suchy &Söhne, die Tischuhren und Armbanduhren herstellt, disruptiv?
(Lacht.) Das ist rein emotional. Ich habe nie einen anderen Pass besessen als den österreichischen, aber die Verbindung ist etwas verloren gegangen. Dennoch fühle ich mich sehr als Österreicher, und eine alte Marke zum Leben zu erwecken, ist eine sehr schöne Aufgabe.

Berge und Uhren geben Orientierung. Rundherum ist allerdings die große Desorientierung eingetreten: Brexit, Trump, Pandemie, Krieg in der Ukraine usw. Waren wir über Jahrzehnte der Globalisierung hinweg zu naiv?
Nein, wir waren optimistisch. Wir waren davon überzeugt, dass wir in der Welt zu einer politischen Einheit kommen können, wenn wir wirtschaftlich zusammenwachsen. Deshalb haben wir Multilateralismus angestrebt. Das Credo war erst wirtschaftliche Freiheit, dann persönliche Freiheit, dann politische Freiheit. Globalisierung auf Weltebene heißt höhere Effizienz, niedrigere Preise, wenig Inflation, billiges Geld. Das ist eine Zeit lang gut so gegangen, jetzt fällt das ganze Gerüst gerade zusammen. Jetzt befinden wir uns in der Deglobalisation. Daher werden die Preise in die Höhe gehen, das hat nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Geld kostet wieder etwas. Wenn die Kosten in die Höhe gehen, müssen die Löhne in die Höhe gehen.

Die Globalisierung hat doch auch viele Menschen auf der Strecke gelassen, Stichwort amerikanische Stahlarbeiter?
Die Globalisierung hat Milliarden von Menschen geholfen. Wenn die Amerikaner besser gewirtschaftet hätten, wären die Stahlarbeiter noch immer dort. Die amerikanischen Autos sind ja nicht wegen der Globalisierung so schlecht geworden.

Wie lange wird das Pendel zurückschwingen?
Das wird zehn oder 20 Jahre so gehen. Statt zur persönlichen und politischen Freiheit gehen wir jetzt zur persönlichen und politischen Unfreiheit.

ZUR PERSON

Peter Brabeck-Letmathe, 1944 in Kärnten geboren, war von 1997 bis 2008 CEO und von 2005 bis 2017 Präsident des Verwaltungsrates von Nestlé, er hielt Verwaltungsratsmandate u. a. bei Roche, Credit Suisse, L'Oréal und Exxon und ist nach wie vor im Board der F1 Group. Derzeit promotet er seine Autobiografie "Aufstiege."

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Brabecks Beteiligungsnest

Von Kaviar bis Uhren - in welchen START-UPS sich der Topmanager engagiert.

DER ERSTE VERSUCH war eine Pleite. 2015 investierte Brabeck-Letmathe in die Störzucht Kasperskian. Entwickelt wurde eine Methode, Kaviar herzustellen, ohne die Fische töten zu müssen – laut Brabecks Darstellung waren Händler, Konsumenten und Wirte aber nicht bereit, den entsprechenden Aufpreis zu zahlen. 2019 meldete die Firma mit Sitz in der Schweiz Konkurs an.

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EDEL. Mit der "Belvedere" will Carl Suchy & Söhne einen sportlichen Eindruck im umkämpften Luxusuhrenmarkt machen. Für Brabeck-Letmathe ist das Investment Österreich-Nostalgie. © Carl Suchy & Soêhne

Seitdem investiert der ehemalige Topmanager unbeirrt weiter in Projekte, die ihn interessieren und bei denen er sich sinnvoll einbringen kann. Dazu zählt die Wiederbelebung der österreichischen Uhrenmarke Carl Suchy & Söhne, früher am kaiserlichen Hof präsent. Tischuhren – das Stück für über 30.000 Euro -werden in Wien, Armbanduhren in der Schweiz gefertigt. 2023 werden rund 150 Stück hergestellt, sagt CEO Robert Punkenhofer. Soeben wurde die sportlich-robuste Armbanduhr "Belvedere" präsentiert.

Die Uhren sind eher profunder Österreich-Nostalgie geschuldet, daneben setzt Brabeck auf Innovation. So hat er bereits vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Moderna Therapeutics investiert, den späteren mRNA-Impfstoffentwickler aus den USA. Unter den vielen weiteren Beteiligungen sind die Agritech-Company Indigo mit Sitz in Boston sowie SESimagotag, eine französische Firma, die Händlern Technologie zur Automatisierung und Datenorientierung ihrer Geschäfte anbietet. Das Forschungszentrum befindet sich in Graz.

Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 7.4.2023 entnommen.

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