
IV-Vizepräsidentin und Infineon-Österreich-Chefin Sabine Herlitschka.
©Alex Halada/picturedesk.comIV-Vizepräsidentin und Infineon-Österreich-Chefin Sabine Herlitschka über ihre Liebe zu „Star Trek“, Chancen für die Weltraumwirtschaft in Österreich, die Unterstützung der neuen Regierung für Zukunftstechnologien und den erbitterten geopolitischen Wettbewerb im Weltall.
trend: Was war die Initialzündung für Ihre eigene Weltraumbegeisterung? Bei ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher war es die Mondlandung 1969.
Sabine Herlitschka: Ich oute mich als „Trekkie“, also als „Star Trek“-Fan. Ich besitze auch das offizielle Betriebshandbuch des Raumschiffs „Enterprise“ und hab’s auch gelesen. Mich fasziniert, wie man damals in einer TV-Serie hoch wissenschaftliche Dinge detailliert aufgeschlüsselt hat und damit in die Öffentlichkeit gegangen ist. Warum hat Mr. Spock grünes Blut?
trend: Ich oute mich als „Nicht-Trekkie“. Also warum?
Weil er nicht Eisen im Hämoglobin hat, sondern Kupfer. Solche Storys zu schreiben und zu produzieren und damit so viele Leute zu begeistern, das ist ein grandioses Beispiel von Wissenschaftsvermittlung, getrieben von Begeisterung. Bei der Mondlandung ist es ebenfalls gelungen, Begeisterung für diese große Ambition zu schaffen, Mikroelektronik stand technisch im Zentrum. Das ist atemberaubend und kann uns auch heute Inspiration sein.
trend: Heute gibt es mehr Historien- als Zukunftsserien. Die Welt ist rückwärtsgewandter geworden.
Sie haben recht. Gleichzeitig haben zum Beispiel aber auch Anatomieserien die Wissenschaft der medizinischen Forensik breitenwirksam vermittelt.
trend: Ziemlich viele Leute sind nach drei Jahren Rezession mit ziemlich vielen irdischen Problemen beschäftigt. Wie sollte man sie dafür gewinnen, dass die öffentliche Hand mehr Geld für Außerirdisches ausgibt?
Ob irdisch oder außerirdisch – es geht um strategische Autonomie und Europas Position in der Welt. Viele Sicherheitsfragen, aber auch Resilienz, hängen wesentlich an Kompetenzen, die wir im Weltraum haben oder eben nicht haben. Bei den Satelliten sind wir etwa abhängig von Elon Musks Starlink. Europa ist im Krieg, da ist es nicht gut, abhängig zu sein. Infrastruktur im Space-Bereich ist deshalb zu einem geopolitisch zentralen Faktor geworden.
trend: Wo liegen für Österreichs Wirtschaft in diesem Bereich die Chancen?
Der breite sozioökonomische Nutzen der Weltraumaktivitäten wird auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Wir haben Kompetenzen in der Netzwerktechnologie, in der Livekommunikation, bei ausfallssicherer Übertragung von Daten, in der Ausrüstung und vielen weiteren Bereichen. Bei Infineon sind strahlungsresistente Chips ein großes Thema, ebenso neue Halbleitermaterialien.
trend: 240 Millionen Euro Bruttowertschöpfung und 1.300 Beschäftigte – die Weltraumwirtschaft in Österreich ist in Summe derzeit ein etwas größeres KMU. Was sind denn die Wachstumsperspektiven
Weltraum ist ein Ermöglicher von strategischen Schlüsseltechnologien, aber auch von Alltagsanwendungen, die dort erstmals zum Einsatz gekommen sind, zum Beispiel GPS, Staubsaugerroboter oder Wasserfilter. Und geopolitisch findet Wettbewerb im Hightechbereich auch im Weltraum statt, das ist völlig klar. Deshalb gehen selbst konservative Schätzungen von einem globalen Wachstum in Höhe von rund zehn Prozent pro Jahr für die Weltraumwirtschaft aus. Nicht die Größe allein ist entscheidend, sondern die strategische Bedeutung und wie viel dieser Sektor ermöglichen kann. Für Österreich ist das eine wichtige Chance.
trend: Nicht alle Player waren davon begeistert, dass der österreichische Beitrag zur ESA „nur“ auf bis zu 320 und nicht auf 400 Millionen Euro oder mehr angehoben wurde.
Dabei muss man verstehen, dass die ESA im Rahmen des Beitrags ihrer Mitgliedsländer Beschaffungen in dem jeweiligen Mitgliedsland vornehmen kann. Dieser Mechanismus ermöglicht, dass man eine viel größere Strahlkraft hat. Mir ist wichtig, anzuerkennen, dass es in Zeiten von Sparprogrammen eine Steigerung auf bis zu 320 Millionen Euro gibt. Gleichzeitig ist es wichtig, Möglichkeiten zu finden, wie man den Beitrag weiter aufstocken kann, etwa durch intelligente Kooperationen im Sicherheits- und im Verteidigungsbereich.
trend: Sie meinen Gegengeschäfte bei Heeresbeschaffungen, von denen auch die Raumfahrtfirmen profitieren könnten?
Eine Involvierung der Landesverteidigung ist bei diesem Thema in jedem Fall zu diskutieren.
trend: Deutschland hat jetzt ein eigenes Ministerium für Raumfahrt. Ist die österreichische Regierung das Thema in den Regierungsverhandlungen zu defensiv angegangen?
Bedeutung bemisst sich am Budget, das für etwas bereitgestellt wird. Das Thema ist im Portfolio von Bundesminister Peter Hanke. Klar ist, dass Österreich das Thema ernst nimmt.
trend: Es gibt 40 Millionen Euro für ein Aquarium im Tiergarten Schönbrunn, und bei den ESC-Kosten werden wohl auch am Ende alle mitzahlen. Bräuchte es mehr politische Leadership, um in Österreich neben Zoos und Showbühnen auch Zukunft zu fördern?
Wir müssen jenseits des Hin-und-her-Jonglierens deutlich auf wichtige Zukunftsthemen setzen, da gebe ich Ihnen Recht. Ein Aquarium mag wichtig sein, aber es gibt eben auch Dringlichkeiten. Wenn unsere strategische Autonomie, letztlich unsere liberale Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf dem Spiel stehen, sollte man auf Dinge setzen, die dringlicher sind. Wir als Interessenvertreter müssen das aufzeigen, die Politik hat Entscheidungen zu treffen.
trend: Die Politik zögert vielleicht auch deshalb, weil Dual Use gefährlich klingt, also die zivile und militärische Nutzung in einem. Das ist bei Weltraumtechnik der Fall. Ein Satellit, der Wetterdaten liefert, kann auch feindliche Truppenbewegungen melden. Hilft Österreich jetzt mit, eine Rüstungsindustrie fürs Weltall aufzubauen?
Die Neutralität ist ein hohes Gut, aber wir haben Krieg in Europa. Die Welt bleibt nicht vor unseren Grenzen stehen. Auch wir müssen reagieren. Dual Use sollte man nicht hochstilisieren. Ein Küchenmesser ist auch Dual Use, es kann zum Gemüseschneiden verwendet werden, aber auch großen Schaden anrichten. Die Augen vor der Realität zu verschließen, ist extrem gefährlich.
trend: Bedeutet in diesem Sektor strategische Autonomie auch, sich à la longue stärker von den USA abzukoppeln?
Es gibt eine Menge Leute, deren Aufgabe es ist, sich genau darüber Gedanken zu machen. Strategische Autonomie bedeutet jedoch niemals Abschottung, sondern Fokus auf die eigenen Stärken und Allianzen mit gleichgesinnten Partnern. Deshalb sollte sich Europa seiner großen Stärken bewusst sein und sie mit Weitblick ausbauen. Erfolgreiche Zusammenarbeit gelingt nur aus einer Position der Stärke heraus. Wir sind von anderen abhängig, andere sind von uns abhängig.
trend: Das ist doch eine sehr diplomatische Antwort auf meine Frage.
Die Entscheidung, mit wem staatliche Allianzen gebildet werden, ist eine politische. Josef Aschbacher ist von den ESA-Mitgliedsländern ermächtigt worden, Gespräche mit anderen Blöcken zu führen. Hochinteressant finde ich, dass zum Beispiel Indien an einer Zusammenarbeit interessiert ist. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass die NASA in den USA vor weiteren Budgetkürzungen steht. Da kann sich eine neue Chance für Europa auftun. Es gibt dieses Bild der „Coopetition“, einer Mischung aus Kooperation und Wettbewerb. Im Kern geht es um die Wettbewerbsfähigkeit Europas, das ist auch Teil der strategischen Autonomie.
trend: Auch Innovationspolitik braucht Missionen wie einst die Mondlandung, das hat die Ökonomin Mariana Mazzucato in den letzten Jahren herausgearbeitet. Zuletzt war das vor allem der Klimaschutz, der gerade etwas in der Defensive ist. Braucht es neue Missionen, zu welchen Planeten auch immer
Die missionsorientierte Innovationspolitik gibt es seit Langem. Es geht darum, dass man Instrumente einsetzt, um gewisse politische Ziele zu erreichen. Neudeutsch formuliert: Es geht um Purpose-Orientierung. Natürlich braucht es Grundlagenforschung, aber auch Zielgerichtetheit auf große gesellschaftliche Fragen wie die grüne Transformation. Weltraumforschung und -aktivitäten verbinde ich mit der Mission der strategischen Autonomie, der Resilienz und der Sicherheit Europas. In dieser Sicherheit dürfen wir als Europa keinesfalls von anderen abhängig sein.
trend: Zusammengefasst: Es darf ruhig ein bisschen mehr Raketenwissenschaft in Zukunft statt finden, auch in Österreich?
Raketenwissenschaft mit Purpose.
Das Interview ist im trend.PREMIUM vom 6. Juni 2025 erschienen.