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Eine Stunde der Wahrheit

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Andreas Lampl, Chefredakteur trend

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©Ricardo Herrgott
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Unsere Gesellschaft hat viel Wohlstand geschaffen, aber - quer durch - an Fähigkeit eingebüßt, mit dramatischen Krisen wie jetzt umzugehen.

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Warnungen vor einer Radikalisierung der Gesellschaft gehören heutzutage in politischen Kommentaren zum Standardrepertoire. Mit gutem Grund! Die Gewerkschaften hält diese Gefahr allerdings nicht ab, zum Demonstrieren gegen die Teuerung aufzurufen. Abgesehen davon, dass es inhaltlich ungefähr so sinnvoll ist wie Proteste gegen einen zu kalten September, lassen sie damit ihre Verantwortung jenseits eigener Interessen vermissen. Anstatt beizutragen, die Unzufriedenheit nicht eskalieren zu lassen, gießen sie noch Öl ins Feuer und tun so, als könnte man Inflation per Verordnung abschaffen.

Die Gewerkschaftsjugend skandiert, die Jungen würden wie schon bei Corona auch jetzt bei der Teuerung im Stich gelassen - um gleichzeitig vom Staat mit noch mehr Schuldenmilliarden finanzierte Förderungen zu verlangen, die ebendiese heute noch Jungen früher oder später büßen werden.

In den Metallerlohnverhandlungen wird die Tatsache, dass sich die Lage für viele Unternehmen gerade massiv verschlechtert, ohne viel volkswirtschaftliche Rücksichtnahme verdrängt. Was wenig staatstragend ist, außer man will durch eine absichtlich herbeigeführte Rezession die Inflation dämpfen. Einige Gewerkschafter fordern zusätzlich gleich noch eine Arbeitszeitverkürzung, obwohl überall eklatanter Personalmangel herrscht. Anstatt vielleicht zu sagen: "Wir wollen deutlich mehr Geld, helfen aber mit, indem wir länger arbeiten."

Wir sind kaum noch in der Lage, mit derartigen Krisen umzugehen.

An Solidarität fehlt es aber nicht nur den Funktionären der Werktätigen, die den Begriff gemäß eigener Ansicht erfunden haben. Für einen gemeinsam getragenen Kraftakt reicht es auch in "der Wirtschaft", der Politik und in Teilen der Bevölkerung nicht. In der diesmal einigermaßen dramatischen Situation, die - viel mehr noch als die Pandemie - unser Wirtschaftssystem grundlegend in Frage stellen könnte, müssen wir erkennen, dass europäische Demokratien neben allem Wohlstand, den wir geschaffen haben, kaum noch in der Lage sind, mit derartigen Krisen umzugehen. Österreich ist da keine Ausnahme. Im Gegenteil.

Laut aktuellen Zahlen sind die deutschen Erzeugerpreise im Produktionssektor um bis zu 50 Prozent gestiegen, was hierzulande ähnlich ist. Die Energiekosten sind für knappe zwei Drittel davon verantwortlich. Den Rest haben demnach die Betriebe im Windschatten der galoppierenden Inflation draufgeschlagen. Zur Beruhigung der aufgeheizten Stimmung trägt das ebenso wenig bei wie es unklug ist, dass jene Unternehmen, die massiv von den hohen Strompreisen profitieren, von sich aus keine Vorschläge zur gemeinnützigen Verwendung von Zufallsgewinnen machen. Der laienhaften Debatte, dass allein die Profite der Wirtschaft schuld an der Misere sind, würde das Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die Regierung ist Opfer ihrer eigenen PR-Politik .

Durchaus hilfreich könnte auch sein, wenn sich ein paar Superreiche aus der Deckung wagten und Beiträge zur sozialen Unterstützung anböten. Auch symbolische Aktionen können einer Radikalisierung entgegenwirken. Und von den Wirtschaftsverbänden sollte man erwarten, dass die Rufe nach staatlicher Hilfe nicht lauter sind als die Verkündung ihrer Ideen zur Problembewältigung.

Die Regierung ist Opfer ihrer eigenen PR-Politik als Retter aus jeglicher Not, der nun die geweckten Erwartungen nicht erfüllen kann. Sie rennt den zu stopfenden Löchern hinterher und findet keine Zeit für gesamthafte Strategien. Getrieben von einer Opposition, die skrupellos Emotionen schürt. Damit lukrieren SPÖ und FPÖ in Umfragen zwar ihre Windfall-Profits, agieren aber in Sachen Wirtschaftskompetenz auf dem Niveau der österreichischen Hochseeschifffahrt. Das chaotische Bild, das Politik abgibt, schafft den Nährboden für Polarisierung.

Wenn der Industrie-Präsident warnt, das böse Wort vom Wohlstandsverlust - obwohl nicht zu verhindern - auszusprechen, um Leute nicht auf die Straße zu treiben, dann muss in der Gesellschaft einiges ziemlich schiefgelaufen sein. Zumal ja keine kollektive Verarmung droht. Die realitätsferne Sicht, dass der Staat alles richten kann, wäre er nur willig, hat der einstige Finanzminister Hannes Androsch treffend als "Wohlstandswehleidigkeit" bezeichnet.

Der Chef der israelischen Innovationsagentur sagt in einem trend-Gespräch, in seinem Land, von Feinden umgeben und mit sehr wenig eigenen Ressourcen, wisse jeder: Nur solange man zu den Besten gehöre, bestehe die Chance zu überleben. In Österreich mit seinen ungleich besseren Voraussetzungen würde schon eine kleine Portion dieser Haltung reichen, um in einer Art Stunde der Wahrheit, wie sie jetzt eingetreten ist, zu bestehen. Wenn wir uns weiter auf Schuldzuweisungen beschränken, wird sich der Wohlstandsverlust in Europa tatsächlich als hartnäckig erweisen.

Ihre Meinung dazu? Schreiben Sie dem Autor: Schicken Sie eine Mail an lampl.andreas@trend.at

Der Kommentar ist als Leitartikel in der trend PREMIUM Ausgabe vom 30.9.2022 erschienen.

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