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Lehrvertrag unter der Lupe: Rechtliche Pflichten für Unternehmer vom Inserat bis zum Ausbildungsstart

In Zusammenarbeit mit ERGO Versicherung AG
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Die Suche nach Lehrlingen ist für viele Betriebe ein entscheidender Schritt in Richtung Zukunftssicherung. Doch während die Chancen groß sind, ist auch die rechtliche Komplexität nicht zu unterschätzen. Vor allem dann, wenn Jugendliche beteiligt sind, treffen Unternehmer:innen zahlreiche besondere Pflichten. Vom ersten Stelleninserat über das Bewerbungsgespräch bis hin zum Schnuppertag und schließlich zum Abschluss des Lehrvertrags gilt es, klare rechtliche Vorgaben zu beachten. Dieser Beitrag stellt die wichtigsten rechtlichen Rahmenbedingungen dar und bietet Unternehmer:innen eine praxisorientierte Orientierung.

1. Das Stelleninserat – Rechtliche Stolperfallen vermeiden

Bereits die Ausschreibung einer Lehrstelle ist nicht frei von juristischen Vorgaben. Gemäß § 17 Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) ist es unzulässig, Bewerber:innen aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, Alter oder sexueller Orientierung zu benachteiligen. Das bedeutet: Formulierungen wie „wir suchen einen jungen, männlichen Lehrling“ oder „Lehrstelle nur für Österreicher:innen“ sind unzulässig und können Schadenersatzansprüche nach sich ziehen.

Zulässig sind nur Anforderungen, die sachlich begründet sind – beispielsweise ein bestimmtes Mindestalter, wenn es für die Tätigkeit aufgrund gesetzlicher Vorschriften erforderlich ist. Ein Beispiel: Ein Betrieb, der Jugendliche im Bereich Maschinenbedienung einsetzt, darf laut Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz (KJBG) bestimmte Altersvorgaben machen, wenn die Arbeit mit gefährlichen Maschinen erst ab einem bestimmten Alter erlaubt ist.

2. Bewerbungsgespräche – zulässige und unzulässige Fragen

Das Bewerbungsgespräch ist eine wichtige Phase im Auswahlprozess. Doch auch hier gilt: Unternehmer:innen dürfen nicht alles fragen. Grundsätzlich gilt die Trennung zwischen berufsrelevanten und privaten Fragen.

Zulässige Fragen

Nach § 1157 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) schuldet der Lehrling dem Arbeitgeber seine Arbeits- und Lernleistung. Daher dürfen Fragen gestellt werden, die zur Beurteilung dieser Leistungsfähigkeit relevant sind, etwa:

  • bisheriger Ausbildungs- und Schulverlauf,

  • Kenntnisse, Fähigkeiten, Interessen,

  • gesundheitliche Einschränkungen, soweit sie den Beruf unmittelbar betreffen (§ 7 KJBG, Verbot gefährlicher Arbeiten für Jugendliche),

  • Aufenthaltsbewilligung oder Arbeitserlaubnis bei Drittstaatsangehörigen (gemäß Ausländerbeschäftigungsgesetz – AuslBG).

Unzulässige Fragen

Aufgrund des Gleichbehandlungsgesetzes (§ 17 GlBG) und des Grundrechts auf Schutz der Privatsphäre (Art. 8 EMRK) sind Fragen zu folgenden Themen unzulässig:

  • Religion und Weltanschauung,

  • politische Einstellung oder Gewerkschaftszugehörigkeit,

  • Familienplanung, Schwangerschaft oder Kinderwunsch,

  • sexuelle Orientierung,

  • gesundheitliche Fragen ohne Berufsbezug,

  • Vorstrafen, außer diese haben einen direkten Bezug zum Berufsbild (z. B. Finanzdelikte im Bankenbereich).

Jugendliche Bewerber:innen haben hier ein besonderes Schutzrecht: Sie dürfen unzulässige Fragen unbeantwortet lassen oder sogar falsch beantworten, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

3. Schnuppertage – Orientierung oder bereits Arbeitsverhältnis?

Ein besonders heikles Thema sind die beliebten „Schnuppertage“. Sie sollen Jugendlichen Einblicke in den Arbeitsalltag geben und Betrieben die Möglichkeit verschaffen, potenzielle Lehrlinge kennenzulernen. Doch rechtlich handelt es sich um ein Graubereich.

  • Zulässig: Jugendliche beobachten den Betriebsablauf oder erledigen einfache Tätigkeiten, die keinen Arbeitscharakter haben.

  • Problematisch: Werden Tätigkeiten ausgeführt, die den wirtschaftlichen Betrieb fördern, kann ein faktisches Arbeitsverhältnis entstehen. Nach § 1151 ABGB hätte der Jugendliche dann Anspruch auf Entgelt, und der Betrieb müsste Sozialversicherungsbeiträge abführen (§ 4 ASVG).

Praktische Empfehlung

Unternehmer:innen sollten unbedingt eine schriftliche Vereinbarung aufsetzen, die klarstellt, dass es sich lediglich um eine Berufsorientierung handelt. Für unter 15-Jährige ist zusätzlich die Zustimmung der Schule und der Erziehungsberechtigten erforderlich (§ 175 Schulunterrichtsgesetz). Zudem sollte der Unfallversicherungsschutz über die AUVA sichergestellt sein.

4. Der Lehrvertrag – rechtliche Grundlage der Ausbildung

Kommt es nach erfolgreicher Bewerbung zum Vertragsabschluss, gelten die Bestimmungen des Berufsausbildungsgesetzes (BAG). Der Lehrvertrag ist ein befristeter Arbeitsvertrag, in dem die Ausbildungspflichten geregelt sind.

Formvorschriften

  • Der Vertrag muss schriftlich abgeschlossen werden (§ 12 BAG).

  • Bei minderjährigen Jugendlichen ist die Unterschrift der Erziehungsberechtigten erforderlich (§ 21 ABGB iVm § 12 BAG).

  • Innerhalb von drei Wochen ist der Vertrag bei der zuständigen Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer zu registrieren (§ 13 BAG).

Pflichtinhalte

Nach § 12 Abs. 2 BAG muss der Lehrvertrag mindestens enthalten:

  • Name und Anschrift von Lehrling, Ausbildner:in und Erziehungsberechtigten,

  • Bezeichnung des Lehrberufs, Beginn und Ende des Lehrverhältnisses,

  • Dauer der Lehrzeit,

  • Höhe der Lehrlingsentschädigung (gemäß Kollektivvertrag),

  • Hinweis auf Berufsschulpflicht,

  • Bestimmungen zur Auflösung des Vertrags.

Zusätzlich ist ein Dienstzettel auszustellen (§ 2 AVRAG), da im Lehrvertrag nicht alle Details erfasst sind (z. B. kollektivvertragliche Grundlagen, Mitarbeitervorsorgekasse).

5. Arbeitszeitrechtliche Bestimmungen im Lehrverhältnis

Jugendliche unter 18 Jahren genießen besonderen Schutz nach dem Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz (KJBG).

Arbeitszeit (§ 11 KJBG)

  • Maximal 8 Stunden täglich, 40 Stunden wöchentlich.

  • Ungleichverteilung ist zulässig (z. B. 9 Stunden Montag–Donnerstag, 4 Stunden Freitag).

  • Einarbeiten von Fenstertagen bis zu 45 Stunden wöchentlich möglich.

  • Berufsschulzeiten gelten auf die Arbeitszeit angerechnet (§ 9 BAG).

Ruhepausen (§ 15 KJBG)

  • Ab 4,5 Stunden Arbeit: mindestens 30 Minuten Pause.

  • Spätestens nach 6 Stunden Arbeitszeit einzulegen.

Ruhezeiten (§ 16 und § 19 KJBG)

  • Tägliche Ruhezeit: 12 Stunden (unter 15-Jährige: 14 Stunden).

  • Wöchentliche Ruhezeit: 2 zusammenhängende Kalendertage, einschließlich Sonntag.

Überstunden (§ 12 KJBG)

  • Nur ab dem 16. Lebensjahr möglich.

  • Höchstens 0,5 Stunden pro Tag, 3 Stunden pro Woche.

  • Zulässig nur für zwingende Vor- oder Abschlussarbeiten.

  • Entlohnung: Zeitausgleich 1:1 oder Zuschlag von 50 %.

Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit (§§ 17–18 KJBG)

  • Grundsätzlich verboten zwischen 20:00 und 06:00 Uhr.

  • Sonn- und Feiertagsarbeit verboten, Ausnahmen nur für bestimmte Branchen (z. B. Gastronomie, Gesundheitswesen).

6. Sozialversicherung und Begünstigungen

Lehrlinge sind voll in die Sozialversicherung nach dem ASVG einbezogen: Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung (§ 4 Abs. 2 ASVG).

Besondere Begünstigungen für Arbeitgeber:

  • Kein Unfallversicherungsbeitrag (§ 51 Abs. 1 ASVG),

  • Reduzierter Krankenversicherungsbeitrag (1,68 % für Arbeitgeber),

  • Kein IESG-Zuschlag (§ 3 Abs. 3 IESG),

  • Reduzierter Arbeitslosenversicherungsbeitrag (2,4 % statt 6 %).

7. Fazit

Der Bewerbungsprozess mit Lehrlingen ist für Unternehmer:innen eine anspruchsvolle Gratwanderung zwischen Chancen und rechtlichen Pflichten. Besonders die Einhaltung der Schutzbestimmungen des KJBG und die korrekte Abwicklung von Schnuppertagen sind entscheidend, um ungewollte Arbeitsverhältnisse oder Strafen zu vermeiden. Rechtssicherheit beginnt nicht erst mit dem Lehrvertrag, sondern bereits beim ersten Inserat.

✅ Checkliste für den Bewerbungsprozess mit Lehrlingen

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Die ERGO Versicherung AG ist mit ihrer weit über 100-jährigen Erfolgsgeschichte eines der führenden Versicherungsunternehmen auf dem österreichischen Markt. Als Tochtergesellschaft der ERGO Austria International AG ist sie Teil der ERGO Group und somit der Munich Re, einem der weltweit führenden Rückversicherer und Risikoträger. Im Rahmen strategischer Kooperationen mit den Partnern UniCredit/Bank Austria und Volksbanken sowie über den eigenen Außendienst, angeschlossene Makler, Agenturen und den Direktvertrieb bietet sie ein kundenorientiertes, bedarfsgerechtes Produktsortiment an Lebens-, Kranken- und Schaden-/Unfall- sowie Rechtsschutzversicherungen für den privaten sowie betrieblichen Bereich an.

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