
Vor dem Selenskyj-Besuch am Montag schreibt der Sonderbeauftragte der Regierung für den Ukraine-Wiederaufbau Wolfgang Anzengruber darüber, wie der Ukraine-Wiederaufbau funktionieren und welchen Beitrag Österreich dabei leisten könnte.
Die russische Aggression gegen die Ukraine ist nicht nur ein brutaler Angriff auf ein souveränes Land, sondern auf unsere gemeinsame europäische Friedens- und Werteordnung. Die Ukraine verteidigt seit nunmehr über drei Jahren ihre eigene Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität, aber letzten Endes auch die Werte und die Sicherheit eines demokratischen und friedlichen Europas.
Die Bilder der Zerstörung gehen unter die Haut – doch inmitten dieses Leids wächst auch Hoffnung. Hoffnung auf Frieden, Stabilität und eine Zukunft in Freiheit. Für mich steht fest: Unser aller Ziel bleibt ein umfassender, gerechter und nachhaltiger Frieden in der Ukraine, aber die Zukunft beginnt nicht erst nach dem letzten Schuss. Der Wiederaufbau ist bereits im Gange und nimmt mit Blick auf einen möglichen Waffenstillstand an Fahrt auf. Es geht jetzt darum, Österreich und seine Unternehmen bestmöglich zu positionieren und die Rahmenbedingungen für die Zeit nach dem Krieg zu schaffen.
Als vor Kurzem bestellter Regierungskoordinator für den Ukraine-Wiederaufbau sehe ich meine Aufgabe in drei zentralen Rollen: als Brückenbauer, Impulsgeber und Möglichmacher. Ich verstehe mich als Bindeglied zwischen Wien, Brüssel und Kyjiw, zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – in Österreich ebenso wie in der Ukraine.
Was bedeutet das konkret? Erstens geht es um Koordination. Der Wiederaufbau ist eine gewaltige Querschnittsmaterie. Es braucht humanitäre Hilfe, wirtschaftliche Investitionen, Reformpartnerschaften und Unterstützung der Ukraine auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Der im Außenministerium angesiedelte Point of Contact bildet dabei unsere operative Drehscheibe. Gemeinsam mit Partnern aus Ministerien, Bundesländern, Interessenvertretungen und der Wirtschaft stellen wir sicher, dass unsere Beiträge effizient und nachhaltig wirken.
Zweitens geht es um unsere Positionierung. Schon heute sind über 200 österreichische Unternehmen in der Ukraine tätig – viele davon mit jahrzehntelanger Erfahrung. Österreich ist sechstgrößter ausländischer Investor. Unsere Unternehmen beschäftigen rund 25.000 Menschen im Land, sie verfügen über Know-how, das gefragt ist: bei der Energieinfrastruktur, im Wasser- und Abwassersektor, bei Transport, Bildung und Gesundheit.
Instrumente wie die Ukraine-Fazilität der Exportförderung mit bis zu 500 Millionen Euro eröffnen hier konkrete Perspektiven. Ich werde dafür sorgen, dass wir diese Chancen nützen – gemeinsam, verantwortungsvoll und im Interesse beider Länder.
Drittens geht es um Partnerschaft. Wiederaufbau bedeutet nicht nur Technik, sondern auch Vertrauen. Die Ukraine baut nicht nur Häuser und Straßen neu, sie verteidigt und baut einen modernen demokratischen Staat.
Wir stehen ihr dabei zur Seite – mit Expertise, mit Projekten und mit unserem klaren politischen Bekenntnis für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine. Österreich unterstützt den Weg der Ukraine in Richtung Europa, weil wir überzeugt sind: Sicherheit, Wohlstand und Freiheit auf unserem Kontinent gibt es nur gemeinsam.
Mir ist bewusst, dass diese Aufgabe keine leichte ist. Der Krieg dauert an, die Lage bleibt volatil. Doch wir dürfen den Wiederaufbau nicht auf die Zeit „danach“ verschieben. Jeder Tag, an dem ein Kind wieder zur Schule gehen kann, ein Spital wieder Strom hat oder eine Gemeinde wieder kommunale Dienstleistungen erbringt, ist ein Sieg der Menschlichkeit über die Zerstörung.
Ich werde in meiner neuen Rolle präsent sein – in der Ukraine, in Österreich und natürlich auf europäischer Ebene. Nicht um Schlagzeilen zu machen, sondern um konkrete Fortschritte zu erzielen. Es ist eine ehrenamtliche Aufgabe, aber eine, die ich mit voller Überzeugung ausübe. Weil ich glaube, dass wir mit unserem Engagement einen Unterschied machen können. Für die Menschen in der Ukraine – und für die Zukunft Europas.
Und ja, es geht hier letztendlich um Österreich. Der Wiederaufbau ist eine Chance, nicht nur ein Kraftakt. Eine Chance, unsere wirtschaftliche Stärke, unsere Innovationskraft und unser internationales Ansehen einzubringen – für eine bessere Zukunft in der Ukraine und eine sichere, vernetzte Zukunft für Österreich.
Zur Person
Wolfgang Anzengruber war Verbund-General, ist Botschafter von CEOs for Future und seit Kurzem Sonderbeauftragter der Regierung für den Ukraine-Wiederaufbau.