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Wer sind hier die Kickl-Macher? [Politik Backstage]

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Wer sind hier die Kickl-Macher? [Politik Backstage]
TROST UND RAT. „Einem Erwin Pröll wäre das nicht passiert“, sagt ein langjähriger ÖVP-Stratege zu den schwarzen Kalamitäten in Niederösterreich.©APA/Helmut Fohringer
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Warum Johanna Mikl-Leitner erst auf Schwarz-Rot setzte und die Anhänger von Schwarz-Blau siegten. Wie Herbert Kickl in St. Pölten Regie führte, um sich in Wien wieder ins Spiel zu bringen.

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Für die Mediengalerie ist alles gesagt: Die ÖVP habe die SPÖ nach gutem Start der Regierungsverhandlungen schlicht auflaufen lassen. Das Aufgebot mit den Blauen sei längst bestellt gewesen.

Wenn Sven Hergovich dieser Tage auf ratlose Gesichter in den eigenen Reihen trifft, dann muss der designierte SPÖ-Chef schon mehr aufbieten. Rote Bürgermeister sind im größten Bundesland nicht gerade üppig gesät und daher entsprechend verstört. Hat der neue Spitzenrote gleich seine erste Chance versemmelt? Die SPÖ-Ortschefs hatten gehofft, endlich nicht mehr nur auf ÖVP-Almosen bei der Geldverteilung angewiesen zu sein, sondern einen direkten Draht ins St. Pöltner Landhaus zu haben. Denn nach dem Absturz auf unter 40 Prozent muss die ÖVP nach Jahrzehnten der Alleinherrschaft erstmals Macht, Budget und Posten per Koalitionspakt teilen.

Für ein paar Wochen deutete vieles darauf hin, dass die vom Wähler auf Platz drei zurückgestufte SPÖ zur Nummer zwei in der Landesregierung aufrückt.

Dass nun ausgerechnet der von der ÖVP verfemte blaue Burschenschafter Udo Landbauer zum Achsenpartner von Johanna Mikl-Leitner aufsteigt, sorgt weit über St. Pölten hinaus für nachhaltige Irritationen. Das Koalitionsabkommen liest sich wie eine schwarze Kapitulationserklärung an die blauen Coronaimpfgegner und sorgt querdurch für Kopfschütteln und Proteste.

Gegenwind wie diesen sind die machtbewussten Landesschwarzen nach Jahrzehnten absoluter Macht nicht gewohnt. Zur Entlastung wurde daher umgehend der neue rote Landeschef als Schuldiger in die Auslage gestellt: Sven Hergovich habe sich am Verhandlungstisch verpokert.

Der 34-jährige Newcomer in der Spitzenpolitik kommt nicht ganz unschuldig zum Handkuss. Hergovich machte mit dem Satz Schlagzeilen: Er würde sich eher „die Hand abhacken“, als auf eines seiner fünf Musts fürs gemeinsame Regieren zu verzichten. Niederösterreichs designierter neuer SPÖ-Chef hat es der ÖVP damit leicht gemacht, ihn als rotes Greenhorn in die Auslage zu stellen, das sich im Powerplay verpokert hat.

Die Wahrheit ist weniger simpel. Die ÖVP hatte bis zum Wahltag am 29. Jänner schlicht nicht mit dem Verlust der Mehrheit in der Landesregierung und dem dringenden Bedarf nach einem fixen Koalitionspartner gerechnet.

Der Absturz unter 40 Prozent erwischte die Schwarzen unvorbereitet am falschen Fuß. Allein die Ursache des Wahldesasters stand intern umgehend fest: Zuvorderst die Corona-Maßnahmen, die Impfpflicht und last but not least der Lockdown für Ungeimpfte hätten den Blauen den rasanten Zulauf auf Kosten der Schwarzen beschert.

Das Politbeben bringt auch zwei Monate danach viele Schwarze aus der Fassung: Künftig stehen in der spielentscheidenden Landesregierung vier schwarzen Landesräten drei blaue und zwei rote gegenüber. Die gewohnte bequeme Mehrheit unter den „Regierern“, wie die Landesräte intern salopp gerufen werden, ist dahin. Die ÖVP muss eine der beiden Parteien fix an sich binden, um bei Bedarf nicht ständig eine Mehrheit gegen sich zu haben.

Die zwei ÖVP-Denkschulen

In der niederösterreichischen ÖVP gab es als Konsequenz zwei Denkschulen: das jahrzehntelang österreichweit erprobte Bündnis zwischen Schwarz und Rot nun erstmals auch in Niederösterreich einzugehen. Oder eine Neuauflage der jüngst im Bund krachend gescheiterten Liaison Schwarz-Blau zu wagen.

Johanna Mikl-Leitner setzte von Anfang an auf die aus ihrer Sicht berechenbarere Variante Schwarz-Rot. Die Anhänger einer Koalition mit den Blauen behielten ihren Haupteinwand da noch weitgehend für sich: „Wenn wir mit den Roten regieren, dann haben wir drei Blaue fünf Jahre lang als Fundamentalopposition mit am Regierungstisch.“

Je länger und härter die Roten um Macht und Einfluss pokerten, desto mehr gewannen die Anhänger von Schwarz-Blau an Gewicht: Allen voran der langjährige ÖVP-Klubobmann und Wiener Neustädter Bürgermeister Klaus Schneeberger, der gemeinsam mit seinem designierten Nachfolger als Fraktionsführer für die ÖVP ein letztes Mal die Koalitionsverhandlungen führte.

Schneeberger hatte 2015 die rote Trutzburg Wiener Neustadt im schwarzen Kernland Niederösterreich mithilfe einer bunten Koalition politisch umgedreht, in der die Blauen eine tragende Rolle spielten.

Seit damals hat Schneeberger einen guten Draht zum Wiener Neustädter FPÖ-Spitzenmann Udo Landbauer, eine Zeit lang auch Stadtrat im mit blauer Hilfe umgefärbten schwarzen Wiener Neustadt. Als Schneebergers Vizebürgermeister fungiert nach wie vor FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Johanna Mikl-Leitner war freilich noch bei der Verkündigung von Schwarz-Blau anzusehen, dass sie alles andere als erfreut ist, künftig die Macht ausgerechnet mit Udo Landbauer teilen zu müssen.

Zum einen steht sie bei der FPÖ bis heute im Verdacht, Landbauer in ihrem ersten Wahlkampf 2018 höchstpersönlich mit der Liederbuch-Affäre politisch abgeschossen zu haben. Zum anderen hätte sie eine Koalition bevorzugt, die prima vista weitaus weniger Zores versprach als eine mit den politisch verhaltensauffälligen Blauen.

SPÖ glaubte nicht an blaue Karte

Mit dem Sager vom „Handabhacken“ lieferte Neo-SPÖ-Chef Sven Hergovich nicht nur den Schwarz-Rot-Skeptikern der ersten Stunde in der ÖVP ein schlagendes Argument für den Ausstieg. Schon Tage davor ging in ÖVP-Verhandlerkreisen die Erzählung um: Die junge SPÖ-Truppe um Sven Hergovich sei bis zuletzt überzeugt gewesen, dass FPÖ-Chef Kickl seinem NÖ-Statthalter Landbauer untersagt habe, der jahrelangen blauen Intimfeindin Johanna Mikl-Leitner die Mauer zu machen.

Als der VP-Co-Verhandlungsführer Jochen Danninger dann bei der SPÖ telefonisch das Aus der Verhandlungen avisierte, vernahm er bei diesem Telefonat im Hintergrund nur schallendes Gelächter. Verbunden mit der kecken Ansage: „Meldets euch dann halt, wenn’s wieder weitergeht.“ Nicht nur in der SPÖ hielt sich hartnäckig der Glaube: Die FPÖ werde Mikl-Leitner in Koalitionsgesprächen nur als willfährig vorführen, am Ende aber spektakulär fallen lassen.

Kickl dirigierte blaue NÖ-Verhandler

Udo Landbauer, der jeden Schritt nur in enger Absprache mit Herbert Kickl tat, nutzte die schwarz-rote Hängepartie für eine Doppelstrategie: Auf Sachebene fanden Schwarz und Blau rasch und weitgehend friktionsfrei zueinander. Bei einem an sich bundespolitischen Thema reizten die Blauen ihr Blatt aber ultimativ aus. Denn Herbert Kickl sah in Niederösterreich die Chance, die Corona-Dividende auf offener Bühne ein zweites Mal einzukassieren.

Bei der Wahl in Niederösterreich hatte er von seiner Inszenierung als „Mister Anti-Corona“ profitiert. Nun diktierte er der ÖVP ein „Mea culpa“ ins Koalitionsabkommen, das auf jeder Anti-Corona-Demo frenetischen Applaus ernten würde.

„Noch nie wurde in Niederösterreich aus den Parteizentralen derart entscheidend Regie geführt“, sagt ein VP-NÖ-Insider. Er meint damit freilich nicht seine eigene Partei, sondern die Blauen. Ins FPÖ-Verhandlungsteam rückte nicht nur der Bürochef von Herbert Kickl, Reinhard Teufel, ein.

Dieser saß bereits für die FPÖ im niederösterreichischen Landtag und steigt nun zum Klubobmann auf. Der FPÖ-Chef kommandierte auch seinen Klubdirektor im Parlament, Norbert Nemeth, kurzzeitig nach St. Pölten ab. „Für die Hanni ist es jetzt nicht einfach, für Landbauer wird es noch schwierig. Denn beim Regieren wirst du Sachzwängen unterworfen. Bis jetzt hat es über kurz oder lang die FPÖ deswegen noch jedes Mal zerrissen“, resümiert ein blau-gelber Insider nüchtern.

Ein langjähriger ÖVP-Stratege im Bund sieht die größte Herausforderung freilich aktuell bei den entzauberten niederösterreichischen Schwarzen: „Mikl-Leitner hat sich schon im Wahlkampf als schwach erwiesen. Einem Erwin Pröll wäre das alles nicht passiert. Die VP Niederösterreich steht nach einer verlorenen Wahl neuerlich vor einem unerfreulichen Ergebnis und einem Kommunikationsdesaster.“

Kampf um Kickls Gunst im Bund eröffnet

Das heißt das alles für den Koalitionspoker nach der Nationalratswahl? Mit der Aufhebung der Bannmeile für Herbert Kickl in Niederösterreich könnten nun auch im Bund alle Dämme brechen. Der Paria Kickl, an dem bis vor Kurzem niemand politisch anstreifen wollte, ist über den Umweg St. Pölten dabei, österreichweit ein begehrter Partner zu werden.

In der ÖVP geht bereits seit Monaten auch in Wirtschaftskreisen folgendes Szenario um: Wenn Hans Peter Doskozil – wie dort vielfach erwartet – das Rennen in der SPÖ macht, würden auch in der SPÖ die letzten Berührungsängste gegenüber Kickl fallen. Und Doskozil mit Hilfe der Blauen die ÖVP auf die Oppositionsbank verbannen.

Trotz nach wie vor weit verbreiteter Vorbehalte gegen die Person Herbert Kickl erwarten daher nun immer mehr VP-Spitzenleute von ihrem Parteichef: Will Karl Nehammer politisch überleben, dann muss er alles tun und die FPÖ rechtzeitig erfolgreich für eine Neuauflage von Schwarz-Blau im Bund umgarnen.

Der Artikel ist der trend. edition+ Ausgabe vom März 2023 entnommen.

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