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"Parteichef Babler ist ein sehr großes Experiment" [Politik Backstage]

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Andreas Babler, lachend

The winner takes it all - auch die Last der Verantwortung: Der neue SPÖ-Parteichef Andreas Babler

©APA/HELMUT FOHRINGER
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In seiner politischen Heimat, der SPÖ Niederösterreich, eilt ihm der Ruf des eitlen "roten Besserwissers" voraus. Wie es Andreas Babler dennoch gelungen ist, Hans Peter Doskozil als SPÖ-Chef auszustechen. Warum er mit seiner Inszenierung als "Mister Underdog" einen Nerv der Zeit treffen könnte. Woran er aber schon bald scheitern könnte.

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Hans Niessl, zwei Jahrzehnte lang machtbewusster SPÖ-Landeschef im Burgenland, stellt sich am Samstag kurz nach 9 Uhr Vormittag artig, am Schalter für “Parteitags-Gäste” im Designcenter in Linz an. Der 71jährige amtiert zwar nach wie vor als Präsident der Bundessport-Organisation (“Sport-Austria”). In der SPÖ hat Niessl jedoch keine Funktion mehr und daher auch kein Stimmrecht als Delegierter. “Ich bin hier nur noch Gast, jetzt ist die nächste Generation dran”, sagt er.

Niessl ist überzeugt, dass sein ehemaliger Bürochef und politischer Zögling Hans Peter Doskozil mit dem Rückenwind von 70 Prozent der Stimmen die Führung der nächsten SPÖ-Generation übernimmt.

SPÖ-Mehrheit rechnete vor Babler-Rede noch mit Votum für Doskozil

Der rote Landesfürst a.D. ist mit seiner Erwartungshaltung eines Doskozil-Siegs nicht allein. Auch viele prononcierte Gegner des Anführers der innerparteilichen Opposition gegen Pamela Rendi-Wagner rechneten im Vorfeld nolens volens mit Doskozil als Parteichef. Nicht mit einem derart fulminanten Ergebnis wie Niessl, aber mit einem eindeutigen Vorsprung vor Andreas Babler.

Diese Erwartungs-Haltung dominierte in allen Lagern. Als Andreas Babler mit einem Best off seiner klassenkämpferischen Auftritte im Wahlkampf für die Mitglieder-Befragung den nüchternen Saal des Linzer Designcenters zum Kochen brachte, ging ein euphorisches Raunen durch die Reihen seiner Unterstützer: Das könnte die erwartete Mehrheit für den Burgenländer noch zum Kippen bringen.

Die Doskozil-Anhänger suchten aufkommende Verlust-Ängste in den eigenen Reihen mit Erfahrungen von früheren Parteitagen zu dämpfen: Das Gros der Delegierten reise mit einer fixen Wahl-Entscheidung zu Parteitagen an. Dass diese durch die Stimmung vor Ort gedreht werde, beschränke sich auf Einzelfälle.

Wie es zum Blackout der Stimmenauszähler kam

Das ist, sagen in die Abwicklung des Parteitags involvierte Rote, auch einer der Hauptgründe, für den Blackout der Stimmenauszähler: Auch bei den Babler-Anhängern in der Wahlkommission kamen vor Ort keine breiten Zweifel am verkündeten Vorsprung von Hans Peter Doskozil von knapp drei Prozentpunkten auf, sodass auch sie den Zahlensturz zuungunsten des wahren Stimmenersten ohne Re-Check durchwinkten.

13. Parteichef startet als mehrfacher Pechvogel

Dass der 13. Parteichef der SPÖ nach achtundvierzig hochnotpeinlichen Stunden Andreas Babler heißt, hatten nicht viele auf der Rechnung.

Der 50jährige startet somit als mehrfacher Pechvogel. Statt seinen nachträglichen Sieg zu zelebrieren, muss er das historische einmalige Fiasko bei der Stimmenauszählung erklären. Er fiel auch um den Stimmungsturbo einer Siegesfeier am Parteitag um.

Hans Peter Doskozil und seine Anhänger trifft die Niederlage freilich besonders bitter. Ein Wochenende lang wähnte er sich endlich am Ziel und war bereits dabei, die neue Macht personell und strukturell abzusichern.

Doskozil-Kenner: "Er ist zu Tode beleidigt"

Der burgenländische Landeshauptmann hat seine nachträgliche Niederlage zwar breit respektiert ohne Schuldzuweisungen und Selbstmitleid eingestanden. Kenner des 52jährigen sagen aber: “Doskozil ist zu Tode beleidigt. Sein erklärter Rückzug heißt nicht, dass mit ihm in der SPÖ nicht mehr zu rechnen ist.”

Doskozil wird sich für diesen Fall aber bei der Wahl seiner Methoden neu aufstellen müssen.

Gros der Wiener Delegierten für Babler

“Wir haben alle unterschätzt wie groß der Hass der Wiener auf Doskozil ist. Damit es Babler geschafft hat, müssen drei Viertel der Wiener Delegierten für ihn gestimmt haben”, sagt ein prominenter Doskozil-Unterstützer.

Im Vorfeld hatte das Lager des Burgenländers damit gerechnet, dass sich die Wiener SPÖ in etwa zwei gleich große Lager teilt.

Doskozil hatte auch in der Gewerkschaft mehr Gegner als erwartet. Das belegt nicht nur dieses Beispiel. So stimmte auch ein Spitzen-Gewerkschafter, der so wie Doskozil aus der Exekutive kommt, aus tiefer Überzeugung gegen den ehemaligen Kollegen.

Spitzen-Gewerkschafter gegen "arroganten Egomanen Doskozil"

Das Nein fußt nicht auf spät entdeckter Liebe für den neuen Hero der Parteilinken Andreas Babler, sondern aus tiefsitzender Abneigung gegen den "arroganten Egomanen Doskozil".

Als der burgenländische Polizeidirektor im Jänner 2016 als neuer Chef ins Verteidigungsministerium einzieht, weckt er bei den roten Polizeigewerkschaftern noch große Hoffnungen. Diese litten im Innenministerium nach dem Machtwechsel zu Schwarz an der Ressortspitze noch immer unter breiten Umfärbeaktionen und sahen im Ex-Kollegen einen neuen Bündnispartner.

Denn unter Rot-Schwarz war damals zur Absicherung der Machtbalance und gegenseitigen Kontrolle das Prinzip der Spiegelministerien installiert worden: Inhaltliche und personelle Weichenstellungen in einem schwarzen Ressort konnten nur im Einvernehmen mit dem roten Spiegelminister getroffen werden und umgekehrt. Im Fall des schwarzen Innenministeriums waren diese mit dem roten Heeresministerium abzustimmen und vice versa.

Als Hans Peter Doskozil im Jänner 2016 erstmals zu Regierungsehren aufstieg, hatte er vieles auf der Agenda. Eine Rolle als Fürsprecher der Polizeigewerkschaft und ein zäher Kleinkrieg mit Mikl-Leitner oder danach Wolfgang Sobotka war darin offenbar nicht vorgesehen. Er ließ die roten Personalvertreter mit ihrem Hilfeersuchen recht unverhohlen abblitzen. Sie haben ihm das auch Jahre danach nicht verziehen.

Babler suchte nach Verkündigung seines Sieges sofort das Wiener Rathaus auf

Die Episode steht für eine Serie von Affronts, die vor allem die Wiener SPÖ für unverzeihlich hielten. Geradezu als Majestäts-Beleidigung wird im Wiener Rathaus gewertet, dass Doskozil just an dem Tag ankündigte, Pamela Rendi-Wagner als Parteichefin ablösen zu wollen, als die rote Rathaus-Mannschaft auf Klausur im Burgenland weilte. Doskozil brachte damit Ludwig & Co nicht nur um Positiv-Schlagzeilen für ihre Pläne in Sachen Teuerung. Er stellte auch die Tagungs-Regie auf den Kopf.

Der Doch-noch-Parteichef Andreas Babler wurde bereits wenige Stunden nach Platzen der roten Abstimmungs-Bombe im Wiener Rathaus gesichtet.

Ludwig benutzte Babler last minute als Prellbock gegen Doskozil

Michael Ludwig, sagen Intimkenner des Wiener SPÖ-Chefs, ist politisch kein Freund des von Babler propagierten linkspopulistischen Kurses zwischen Basisdemokratie, EU-Bashing und Marxismus-Lobpreisungen.

Der in zahlreichen roten Machtkämpfen gestählte oberste Rathausmann glaubte bis zuletzt daran, Pamela Rendi-Wagner als Nummer 1 durch die Mitglieder-Befragung zu bringen. Als Hans Peter Doskozil als Nummer 1 hervorging und nun auch als Parteichef drohte, setzte Ludwig last minute auf den neuen Messias der Partei-Linken als Prellbock gegen Doskozil.

Ab sofort wurde jeder politische Schritt zwischen dem Wiener und Traiskirchner Rathaus abgestimmt. Erst sollte Doskozil mit einer Stichwahl bei den Mitgliedern verhindert werden. Als dieser Plan in einer Kampfabstimmung im Parteivorstand knapp scheiterte, mobilisierten Ludwig & Co hinter den Kulissen pro Babler für das finale Stechen am Parteitag.

Teilnehmer des Parteivorstands, der die Weichen für den Parteitag stellte, haben ikonographisch noch die neuen Machtachse in Erinnerung: Die neue Achse der Doskozil-Gegner – Michael Ludwig, Doris Bures und Andreas Babler – saß in einer Reihe dicht an dicht im SPÖ-Klubsitzungszimmer.

Die Unterstützung der Wiener SPÖ reichte aber auch bei Pamela Rendi-Wagner langfristig nicht fürs politische Überleben. Bei allen vollmundigen Koalitionsansagen nach der kommenden Wahl: die ersten Koalitionen, die der neue SPÖ-Chef schmieden muss, sind die mit den vielen verfeindeten Lagern in den eigenen Reihen. Die Fronten verlaufen nicht mehr allein zwischen links und rechts, sondern querdurch.

Wiener Flächenbezirke: "Linke Träumereien helfen uns nichts"

Auch in der Wiener SPÖ hat Babler trotz Unterstützung aus dem Rathaus mächtige Genossen gegen sich. Vor allem die roten Strippenzieher in den Flächenbezirken hadern mit dem Parteitags-Votum für Andreas Babler: “Unsere Gegner hier sind die FPÖ und ÖVP. Da helfen uns linke Träumereien von der Ampel nichts.”

Nicht nur für Funktionäre in der Wiener SPÖ war "die Wahl zwischen Doskozil und Babler wie die zwischen Pest und Cholera", sagt ein Wiener Spitzenfunktionär. Sie wünschten sich jemanden Dritten, aber nicht vom politischen Zuschnitt eines Parteilinken wie Babler. “Ich war einer von vielen, der schon vor Monaten bei Michael Ludwig war und ihn dringend gebeten haben, einen Parteichef-Kandidaten abseits von Doskozil zu suchen und Pam zum Rückzug zu bewegen”, erzählt ein Wiener SPÖ-Spitzenfunktionär: “Von Hanke bis Hacker hätte es genügend mehrheitsfähige Kandidaten gegeben. Jetzt haben wir mit Babler einen Parteichef, mit dem weder Ludwig noch viele andere wirklich glücklich sein können.”

In seiner roten Landesbasis Niederösterreich hat Babler mehr Feinde als Fans

Babler-Skeptiker verweisen darauf, dass der Traiskirchner Bürgermeister in seiner roten Heimatpartei Niederösterreich weitaus mehr Gegner als Fans hat.

Als absehbar war, dass die niederösterreichische SPÖ bei der Landtagswahl Ende Jänner trotz roter Themenkonjunktur und heftigen Gegenwinds für die Landeshauptfrau-Partei eine Niederlage einfahren wird, stellten führende Parteifunktionäre rechtzeitig so die Weichen, dass am Tag nach der Wahl der junge niederösterreichische AMS-Chef Sven Hergovich und nicht der seit Jahren aufstiegswillige Traiskichner Bürgermeister den glücklosen Franz Schnabl als Parteichef ablöst. “Er hat mit seiner Eitelkeit und Attitüde, er sei der einzig wahre Sozialdemokrat viele Funktionäre in der Partei vor den Kopf gestoßen”, sagt ein NÖ-Genosse.

Weil Babler mit dem zweitbestem Vorzugsstimmenergebnis von rund 20.000 Stimmen auf der SPÖ-Liste nicht ganz zu umgehen war, sitzt er seit Anfang des Jahres auf einem niederösterreichischen Mandat im Bundesrat. Im Rückspiegel erscheint seine Vorzugsstimmen-Kampagne freilich wie ein Probegalopp für seine erfolgreiche Kampagne bei der Mitglieder-Befragung. “Er hat es in jahrelanger Arbeit geschafft eine Marke Babler aufzubauen”, resümiert ein Kenner, der ihn ansonsten sehr kritisch sieht.

Inszenierung gegen "die da oben" macht Babler für Politik-Verdrossene attraktiv

Mit seinem Auftreten im SPÖ-internen Wahlkampf und nach Übernahme der SPÖ-Führung könnte er Menschen auch außerhalb der SPÖ abholen, analysiert nüchtern ein SPÖ-Mann, der sich keinen der drei Kandidaten als SPÖ-Chef gewünscht hätte: “Mit der Attitüde gegen die da oben, seiner breit verständlichen Sprache und seiner Forderungen nach radikalen Lösungen statt kleinlichen Kompromissen trifft er den Nerv bei jenen, die von der herkömmlichen Politik die Nase voll haben. Dieses Potenzial ist sehr groß.”

Babler-Skeptiker wenden freilich zugleich ein: Von seinen Anhängern werde gerne propagiert, die Wahlergebnisse für die SPÖ in Traiskirchen (zuletzt nach wie vor knapp über 70 Prozent) zeigten, dass sich selbst in einer Gemeinde mit dem größten Flüchtlingslager des Landes mit linker Politik satte Mehrheiten erzielen lassen.

Rote Politiker-Kollegen verweisen nicht nur darauf, dass Babler die Vormachtstellung der SPÖ von seinem Vorgänger geerbt habe: “Der Andi wird nicht wegen, sondern trotz seiner linken Grundhaltung gewählt.” Begründung für diese apodiktische Urteil: “Wenn in einer Gemeinde eine Partei solange dominiert wie die SPÖ in Traiskirchen, dann wächst für die Opposition kein Gras mehr.”

Gute Babler-Nachrede bei Flüchtlingshelfern und Asyl-NGOs

Einen besonders guten Ruf hat sich Babler als Hausherr des Flüchtlingslagers bei NGOs und Flüchtlingshelfern aller politischen Couleurs erworben. Er habe seinen Spielraum als Bürgermeister selbst in der letzten großen Flüchtlingskrise 2015 zugunsten der Asylwerber ausgereizt, freilich immer darauf bedacht die Bevölkerung nicht zu überfordern.

Auch roter Babler-Skeptiker räumt ein: “Eines muss man ihm zugute halten: Er zieht das Thema Flüchtlingslager so wie sein Vorgänger Fritz Knotzer politisch immer nur im Vorfeld der nächsten Gemeinderats-Wahl hoch und adressiert seine Kritik ans Innenministerium oder die Landesregierung ohne die Asylwerber zu Sündenböcken zu machen.”

SPÖ-Insider: Parteilinker Babler muss sich personell und politisch breit aufstellen

Im Umgang mit der Macht kennt Babler aber kein Pardon, sagen Weggefährten: In der Stadtpolitik und Parteiarbeit setzt Babler ausschließlich auf engste Vertraute und hundertprozentig loyale Genossen in Ämtern und Mandaten.

“Wenn er in der SPÖ genauso agiert, dann wird das für ihn zur Achillesferse”, analysiert ein SPÖ-Insider: “Dass ein Linker wie er von der Gunst der Stunde in den Sessel des Parteichefs katapultiert wird, ist ein sehr großes Experiment. Das bekommt nur dann eine Chance, wenn er sich personell und politisch breit aufstellt.”

Bei seinem ersten Parteipräsidium Mittwochnachmittag vor dem langen Fronleichnamswochenende, fragte Andreas Babler als erstes in die Runde, ob es noch Zweifel am Wahlergebnis gäbe. Einige Präsidiumsmitglieder hatten sich zwar im Vorfeld eine lückenlose Aufklärung gewünscht, wie es dazu kommen konnte, dass die Wahlkommission – allen voran deren Leiterin und Doskozil-Anhängerin, Michaela Grubesa – noch während des Auszählungsvorgangs mitbekommen musste, dass in neun von elf Wahlurnen Babler vorne lag, aber dennoch keine Zweifel am vom Laptop ausgeworfenen Gesamtergebnis hegte.

Für Babler und die anwesende Parteiführungs-Riege ist die Causa aber erledigt. In Bablers erster Präsidiumssitzung wurden null Zweifel am Ergebnis oder Widerspruch zur gewählten Vorgangsweise zur Aufklärung und Bereinigung des Auszählungs-Fiasko angemeldet.

Wahlergebnis für neue SPÖ-Klub-Spitze erster Autoritäts-Test für Babler

Erste Kritiker seines Kurses in Sachen Ampel wie der Tiroler Georg Dornauer waren nur via Video zugeschaltet. Eine Debatte darüber kam aber nicht auf. Über seine Wunschkandidaten für das Parteimanagement und die Klubführung machte der Nachfolger von Pamela Rendi-Wagner auch im Kreis der roten Granden nicht einmal eine Andeutung. “Ich glaube, er hat noch kein fertiges Personalpaket und wird das lange Wochenende dazu nutzen, sich quer durch die Partei zu telefonieren”, sagt ein Spitzengenosse.

Läuft alles nach Plan, will Andreas Babler sein Personalpaket am kommenden Dienstag dem SPÖ-Parteivorstand zur Absegnung vorlegen.

Tags darauf tagt das Parlament. Im SPÖ-Klub könnte es dann bereits zum ersten Autoritäts-Test für den neuen roten Messias kommen: Erhält Andreas Bablers Vorschlag für die neue SPÖ Klubspitze ein sattes Wahlergebnis wie zuletzt in Traiskirchen oder ein ähnlich knappes wie am Parteitag.

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