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Marterbauer & Hattmannsdorfer: „Wir sind in einer anderen Liga“

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Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer (ÖVP) und Finanzminister Marterbauer (SPÖ)

©trend/Lukas Ilgner
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Die Reaktionen auf die Budgetrede sind geteilt. Bereits im großen trend-Doppelinterview haben Finanzminister Markus Marterbauer und Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmanndorfer die Grundlinien ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik dargelegt.

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Die Budgetrede

Das große Doppelinterview

Zwei, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: der eine Kapitalismuskritiker, SPÖ-Mitglied und tief in der Arbeiterkammer verankert. Der andere seit der Mittelschule Mitglied des Kartellverbands und danach auf der ÖVP-Karriereleiter stets aufwärts strebend, zuletzt Kurzzeitgeneralsekretär in der Wirtschaftskammer Österreich. Und doch können Finanz­minister Markus Marterbauer und Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer gut miteinander, weil sie „beide sehr pragmatisch sind und eine sehr feste ideologische Verankerung haben“, wie sie im Interview erläutern. Und vielleicht auch ein bisschen, weil beide in ober­österreichischen Industriestädten aufgewachsen sind. Die dramatische Wirtschafts- und Budgetlage zwingt die zwei Politiker jedenfalls dazu, eng zusammenzuarbeiten, um das Land voranzubringen. Sie sind in jeder Silbe um Optimismus und das Verbreiten guter Stimmung bemüht. Trotz des Betonens der Gemeinsamkeiten wird im Gespräch aber auch schnell deutlich, wo die Sollbruchstellen liegen: Rüstungswirtschaft, Aktien­kultur, Klimaschutz. Wie es die Sanierung von Standort und Budget schaffen ­will, erklärt das „gemischte Doppel“ im ­Interview mit dem trend.

trend: Sie haben die Bevölkerung kurz nach Regierungsantritt auf zwei harte Jahre eingeschworen. Nun ist das Budgetloch deutlich größer – werden es vier oder gar mehr Jahre?

Markus Marterbauer (M): Die Ausgangslage ist ernst. Wir haben im Regierungsprogramm ja vereinbart, dass die Budgetkonsolidierung Priorität hat. Heuer konsolidieren wir 6,4 Milliarden Euro, 2026 8,7 Milliarden Euro. Das wird die Bevölkerung auch merken. Danach werden wir zwar weiter etwas tun müssen, aber im Wesentlichen wollen wir ins Gestalten kommen – für den Arbeitsmarkt, für den Standort, für die Bildung.

IHS und Wifo sprechen in ihrer jüngsten Prognose von Sparnotwendigkeit über die ganze Legislaturperiode. Ändert das Ihre Einschätzung?

M: Nein.

Sollte ein Defizitverfahren, wie es sich jetzt abzeichnet, für EU-Nettozahler wie Österreich nicht ausgesetzt werden?

M: Das halte ich nicht für sinnvoll. Die Budgetpolitik zwischen den Mitgliedsländern muss ja koordiniert werden. Das bedeutet, dass man in manchen Phasen gemeinsam expansiv sein muss und in anderen Phasen darauf schauen muss, dass die Defizite nicht überhandnehmen. Würde die EU-Kommission ein Defizitverfahren erklären – wir suchen uns das ja nicht aus –, würde das angesichts des hohen Defizits 2024 und des heuer zu erwartenden Defizits klar über drei Prozent den Regeln entsprechen.

Die Drei-Prozent-Grenze beim Defizit ist für Sie sinnvoll?

M: Sie ist schwer ökonomisch begründbar. Aber das ist nun einmal die Konvention.

Wolfgang Hattmannsdorfer (H): Die Budgetkonsolidierung beschreibt zwei Dinge, für die die neue Regierung stehen möchte. Neue Ehrlichkeit und eine Politik mit Grips. Wir beide kommunizieren mit voller Transparenz, dass wir ein Budgetproblem haben. Die Leute erwarten von der Politik, dass sie nicht mit Schmäh bei Laune gehalten werden.

Vieles hängt derzeit an der Hoffnung auf Wachstum. Dass der Funken des deutschen Konjunkturpakets auf Österreich überspringt, ist ebenso unsicher wie ein Impuls aus einem Ukraine-Wiederaufbauprogramm. Dazu kommen Trumps Handelskriege. Woher soll das Wachstum kommen?

H: Die wirtschaftliche Situation ist herausfordernd. Nicht nur wegen der budgetären Lage. Die Grundlage, auf der unser Wohlstand fußt, ist gerade im Umbruch. Der internationale Handel und der Export erleben gerade, wenn ich an die USA denke, eine komplette Neudefinition in Richtung Protektionismus. China wird immer mehr vom Einkäufer zum Verkäufer. Wir verzeichnen geopolitische Blockbildungen. Für die Frage, wie Österreich wieder auf eine Wachstumsspur zurückkommt, ist die europäische Gesundung entscheidend. Deutschlands Investitionspaket und der Ukraine-Wiederaufbau, bei dem wir den Anspruch haben müssen, zu den führenden Nationen zu gehören, sind da Chancen. Neue Wachstumsmärkte könnten etwa auch die Vereinigten Arabischen Emirate sein, wo wir mit OMV-Borouge eben einen Sensationsdeal geschaffen haben. Wir bauen damit einen der größten Chemiekonzerne der Welt.

M: Dass Europa stärker wird, ist eine unserer größten Hoffnungen angesichts der weltpolitischen Situation. Wir haben das überlegene Wirtschafts- und Sozialmodell. Das deutsche Infrastruktur- und Klimapaket ist dabei ein riesiger Impuls.

Kann man auch im eigenen Land konjunkturpolitisch etwas tun, Herr Finanzminister?

M: Ich bin optimistisch, was die kommenden Jahre betrifft. Man sieht derzeit eine konjunkturelle Stabilisierung, vor allem beim Bau. Die Bevölkerung wächst, es braucht Wohnbau. Auch im Tiefbau haben wir enorme Chancen. Wir sind nicht nur vom Außenhandel abhängig. Die Konsumnachfrage ist in etwa gleich hoch wie der Export. Die gestiegenen Realeinkommen sind aber noch nicht im Konsum angekommen. Die Sparquote ist von acht auf fast elf Prozent angestiegen.

Erste-Chef Peter Bosek hat jüngst davon gesprochen, man müsse die „mentale Handbremse“ lösen. Das ist Ihr Job, oder?

M: Es ist unsere Aufgabe, die Verunsicherung zu verringern, indem wir zum Beispiel eine glaubwürdige Strategie bei der Budgetkonsolidierung, beim Standort, bei der Qualifizierung etc. entwickeln. Das kann auch die Konsumnachfrage beleben.

H: Stimmung ist ein ganz wesentliches Thema, wenn es um Wirtschaft geht. Eine Verstärkung des Jammertals bringt nichts. Da kann die Bundesregierung ein neues Kapitel der Kooperation zwischen unterschiedlichen Ideologien leisten. Wir müssen an den Standort Österreich glauben und uns auf die Stärken besinnen: Fleiß,Erfindergeist und Internationalität. Wenn wir uns auf diese drei Komponenten konzentrieren, kann viel gelingen. Wir können auch in der EU selbstbewusster sein. Wir sind der größte Binnenmarkt der Welt und treten manchmal auf, als säßen wir auf der Ersatzbank.Die Bedeutung der europäischen Politik für Österreich stärker auszuspielen, ist ein Chancenfenster, das es zu nutzen gilt.

M: Und wir sollten die grundsätzliche Stärke der österreichischen Wirtschaft ausspielen. Trotz der Probleme in den letzten zwei Jahren sind wir einer der stärksten Industriestandorte Europas. Gleisbau, Spezialstähle, Lifte – wir haben starke Firmen.

Sie haben einen besonderen Bezug zur Industrie, sind beide in oberösterreichischen Industriestädten aufgewachsen: Linz und Laakirchen. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, spricht von einer in gewissem Ausmaß unvermeidlichen Deindustrialisierung. Sollten wir dieser Realität ins Auge schauen?

M: Die deutsche Perspektive ist anders als die österreichische. Die deutsche Industrieproduktion ist seit 2000 um 15 Prozent gestiegen, in Österreich um 75 Prozent. Wir sind in einer anderen Liga.

In Ihrem Haus, Herr Hattmannsdorfer, wird nun eine Wirtschafts- und Industriestrategie erarbeitet, die bis Jahresende fertig sein soll. Die Wirtschaftsstruktur und die Zahlen sind ja bekannt. Warum dauert das so lange?

H: Wir sollten nicht eine Politik aus der Hüfte machen, die sich nur auf die Tagesschlagzeilen konzentriert. Es braucht eine Strategie für die Industrie, die der Backbone unserer Wirtschaftsleistung ist. Und es werden ja – etwa mit unserem bereits verabschiedeten Mittelstandspaket – auch kurzfristige Maßnahmen gesetzt. Die Darstellung, dass man nicht weiter weiß und nur deshalb eine Strategie macht, gefällt mir nicht. Fachkräfteentwicklung, demografische Entwicklung etc. – dafür braucht es einen Fahrplan. Der Politik würde mehr Strategie guttun.

Ein Teil des Erfolgs der österreichischen Industrie war bis 2022 billiges russisches Gas. Derzeit wird in konservativen deutschen Kreisen der beschlossene Abschied von dieser Energiequelle hinterfragt, Russland will mit den USA über einen Neustart der Pipeline Nordstream 2 sprechen. Soll man den in Österreich paktierten Ausstieg bis 2027 wieder rückgängig machen?

H: Diversifizierung der Energiequellen ist eine Schlüsselfrage – auch im Rückspiegel. Beim Gas haben wir uns zu lange von einer Quelle, Russland, abhängig gemacht. Im Erdgasbereich haben wir erfreulicherweise mit Norwegen sowie den Flüssiggaslieferungen aus Deutschland und Italien nun neue Quellen. Wir müssen uns aber selbstverständlich auch mit der Frage auseinandersetzen, was sich im Osten tut. Das oberste Ziel der Republik ist aber der Frieden in der Ukraine und die Einbindung der Ukraine in die Verhandlungen zu einer Friedenslösung. ­Solange diese Frage nicht geklärt ist, ist auch die Frage nach russischem Gas nicht beantwortbar.

Also kein kategorisches Nein?

H: Aktuell steht das nicht zur Diskussion. Es braucht jetzt einmal eine friedliche Lösung in der Ukraine. Sobald es Frieden gibt, muss man prüfen, wie die Infrastruktur am besten für die Ukraine eingesetzt werden kann, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Durchleitungsgebühren sind dabei eine mögliche Finanzierungsquelle. ­

M: Gas ist eine Überbrückung, wir werden es auch brauchen. Aber mindestens so wichtig ist es, billigen Strom zur Verfügung zu stellen. Da müssen wir viel tun: bei den Erneuerbaren, bei Pumpspeicherkraftwerken, bei den Netzen.

Zu den Personen

Soll in Österreich künftig auch Rüstungsindustrie – einer der wenigen Sektoren, die in Europa in den nächsten Jahren mit Sicherheit boomen dürften – eine größere Rolle spielen? Auch dort werden Zulieferer gebraucht, so wie in der Autoindustrie.

H: Als Wirtschaftsminister ist meine Meinung dazu eindeutig. Ich bekenne mich zu industriellen Kooperationen. Wenn wir in Europa eine Sicherheitsarchitektur neu andenken, bedeutet das Chancen für die Wirtschaft in Österreich, die wir auch nutzen sollten. Auch das meine ich mit neuer Ehrlichkeit. Das Thema hat man immer umschifft, man wollte sich nicht dazu deklarieren.

Österreich hat mit der Eurofighter-Affäre hier ja eine problematische Historie. Im Klartext: Gegengeschäfte sollten politisch flankiert und angepackt werden?

H: Ja. Im Regierungsprogramm haben wir uns klar dazu bekannt, derartige Chancen für heimische Wertschöpfung zu nutzen, selbstverständlich innerhalb des rechtlichen Rahmens.

M: Wichtig ist nur, dass man die Nebengeräusche, die uns in der Vergangenheit sehr geschadet haben, im Blick hat: Die Vermeidung von Korruption ist ein entscheidender Faktor für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts. H: Die Rahmenbedingungen müssen natürlich total transparent sein. Die Niederländer haben es uns (bei der gemeinsamen Beschaffung der C-390-Transportmaschinen mit Österreich, Anm.) vorgemacht. Sie haben industrielle Kooperationen genutzt. Wir haben sie nicht genutzt.

Sie haben jetzt sehr skeptisch geschaut, Herr Marterbauer?

M: Österreich ist nicht der stärkste Standort für Rüstungsindustrie. Im Bereich der Spezialstähle, in dem die voestalpine da und dort Weltmarktführer ist, erwarte ich mir die eine oder andere Möglichkeit. Grundsätzlich glaube ich aber, dass wir von der Klimatransformation und den sich daraus ergebenden Chancen noch stärker profitieren können. Entscheidend für die industriepolitische Strategie ist: Wo sind wir stark – und wo können wir noch besser werden? Von der KI in Oberösterreich bis hin zu Infineon.

Ein wesentlicher Teil der österreichischen Industriepolitik ist die ÖBAG. Sind Sie traurig, dass Sie jetzt nicht mehr für sie zuständig sind?

M: Ich habe so viele Zuständigkeiten, die mich ausreichend fordern, Stichwort Budgetsanierung. Ich fühle mich voll ausgelastet.

Wäre Ihnen nicht auch geholfen, wenn Sie ein paar Privatisierungen vornehmen könnten?

M: Fürs Budget sind jetzt einmal die Dividenden aus den ÖBAG-Unternehmen entscheidend. Das reicht mir vorläufig.

„Die ÖBAG wird als industriepolitischer Backbone proaktiv eingesetzt“, heißt es im Regierungsprogramm. Was genau heißt das? Sind da Zukäufe drin?

H: Ich bin seit April für die ÖBAG zuständig und werde auch sofortige Gespräche einleiten, um eine Beteiligungsstrategie für sie zu entwickeln. Ich glaube, dass die Beteiligungen in der jetzigen Struktur sehr gut gemanagt werden. Aber bei allem Verständnis für den Finanzminister: Die ÖBAG auf die Frage der Dividendenausschüttung zu reduzieren, ist mir zu wenig. Andere Länder stellen sich mit ihren Staatsbeteiligungen viel selbstbewusster auf. Gerade für ein kleines Land wäre es klug, die ÖBAG auch als Aktivposten zu sehen. Deswegen hat die Entwicklung einer aktiven Beteiligungsstrategie für mich als Eigentümervertreter Vorrang.

Die ÖBAG besitzt auch Anteile an den Casinos. Braucht der Staat eine Beteiligung an einem Glücksspielunternehmen?

H: Man kann über alles sprechen. Mir ist lieber, der Eigentümer ist die Republik, als es kommt in dem sensiblen Bereich zu irgendwelchen dubiosen Konstruktionen.

Sie wollen den Banken über die Bankenabgabe in den nächsten Jahren 500 Millionen Euro pro Jahr abnehmen. Wieso gerade den Banken? Wieso nicht zum Beispiel den Versicherungen oder großen Fondshäusern?

M: Die Banken haben enorm von der EZB-Politik profitiert, dadurch dass der Einlagenzins so hoch war. Das Spiegelbild der hohen Gewinne der Banken sind die Verluste der Zentralbanken. Das halte ich für mehr als berechtigt. Und die Erhöhung der Abgabe ist für 2025 und 2026 geplant.

H: Das ist der entscheidende Punkt. Wir sind allen dankbar, die einen Beitrag zur Budgetsanierung leisten. Die Konsolidierung muss auf breitere Schultern verteilt werden.

Wir hören, dass insbesondere der Raiffeisen-Sektor seinen Unmut darüber Ihnen gegenüber, Herr Hattmannsdorfer, eindeutig geäußert hat. Wieso konnten Sie eine Erhöhung der Bankenabgabe nicht verhindern?

H: Es freut sich niemand, wenn er einen Beitrag leisten muss. Dass es dafür keinen Applaus gibt, dessen bin ich mir sehr bewusst. In der Koalition gibt es eben Punkte, die der einen Partei mehr oder weniger taugen. Entscheidend ist, dass die Maßnahme für die Banken mit zwei Jahren begrenzt wurde.

M: Von mir gibt es für die Bankenabgabe mehr Applaus. Auch in den Ministerien, die massiv einsparen müssen, ist die Begeisterung nicht gerade überschäumend. Es müssen alle rudern, um Beiträge für die Konsolidierung zu bringen.

Glauben Sie nicht, dass die Banken die Erhöhung über schlechtere Konditionen an die Kunden weitergeben?

M: Das muss nicht sein. Die Banken können das auch aus den höheren Gewinnen bedienen. Die Gewinne sind so hoch in Relation zur Stabilitätsabgabe, dass sich das leicht ausgeht.

Die Österreicher lassen in der Vorsorge viel Geld liegen, weil sie zu wenig in Aktien investieren. Wieso finden sich dazu im Regierungsprogramm keine Erleichterungen?

M: Wir hindern ja niemanden daran, in Aktien zu investieren. Warum soll der Staat das extra fördern? Jeder kann selbst entscheiden, ob er sein Geld auf ein Sparbuch legt oder Aktien kauft.

Aber der Staat sollte ja auch ein gewisses Interesse daran haben, dass die Bürger in Wohlstand leben.

M: Das überlassen wir ganz den Bürgern, wo sie ihr Geld veranlagen.

Es wird auch keine Einführung der Behaltefrist geben, wie von der letzten Regierung angedacht?

M: Der würde ich skeptisch gegenüberstehen.

H: Es finden sich im Regierungsprogramm klare Ansagen zur Attraktivierung des Kapitalmarkts wie die Weiterentwicklung der Mitarbeiterbeteiligung oder der zweiten und dritten Säule in der Vorsorge. Wir wollen die Finanzbildung fördern und ETF-Sparpläne für junge Leute vergünstigen.

Würden Sie sich wünschen, dass Österreich eine höhere Aktionärsquote hat?

H: Ich glaube schon, dass es wünschenswert wäre, mehr Risikokapital ins Land zu holen. Für Start-ups ist das Umfeld in Österreich sehr gut, aber viele Unternehmen im Scale-up-Bereich wandern dann ab in die USA oder nach Asien. Dass Europa bei großen Tech-Konzernen keine Rolle spielt, ist schon auch eine Frage des Kapitalmarkts. Wir bekennen uns ja auch zur Kapitalmarktunion.

Wieso gelten Wertpapiere in der Sozialdemokratie immer noch als Teufelszeug, Herr Marterbauer?

M: Bei wem? Bei mir nicht. Wer in Aktien investieren will, soll das tun.

Besitzen Sie Aktien?

M: Ich bin in der zweiten Säule der Pensionsversicherung. Darüber hinaus besitze ich keine Aktien.

H: Bei mir ist die Antwort wohl erwartbar: Ich besitze Aktien.

Was verbindet Sie eigentlich außer der Tatsache, dass Sie in derselben Regierung sitzen?

M: Wir sind beide bereit, klare inhaltliche Positionen zu beziehen und von denen ausgehend zu überlegen, wie wir zusammenarbeiten können. Wir haben beide Sozialpartnervergangenheit und wir arbeiten auch sozialpartnerschaftlich zusammen. Die Sozialpartner haben nie ihre ideologischen Positionen geleugnet, sondern sie haben versucht, Brücken zu bauen. H: Ich glaube, es geht nur, wenn der Finanz- und der Wirtschaftsminister ein gutes Miteinander haben. Wir sind beide sehr pragmatisch und haben eine sehr feste ideologische Verankerung. Das halte ich für ganz wichtig. Mir sind Leute mit klarer ideologischer Verankerung lieber als Leute, die gar keine ideologischen Wurzeln haben. Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit ist die Toleranz. Man muss Respekt vor den Werten haben, die den anderen prägen. Unser Job ist es ja nicht, dass wir uns gegenseitig ideologisch überzeugen.

Sie haben 2013 in der „Bezirksrundschau“ gesagt: „Ich werde immer ein Schwarzer bleiben. Ich habe eine Ideologie und Ideologie ist nicht käuflich.“ Dazu stehen Sie nach wie vor?

H: Ich sehe keinen Grund, wieso nicht.

Sie, Herr Marterbauer, haben vor einigen Monaten im „Falter“ von „konservativen Kräften“ geschrieben, „die unter der Überschrift von Wettbewerbsfähigkeit und Entbürokratisierung den fundamentalen sozialen und ökologischen Fortschritt verhindern wollen“. Wettbewerbsfähigkeit und Entbürokratisierung sind eigentlich Leitbegriffe von Herrn Hattmannsdorfer …

M: Aber nicht auf Kosten des Sozialstaates oder der Ökologie. So habe ich ihn noch nie gehört.

Würden Sie das heute auch noch so formulieren?

M: Auf jeden Fall. Österreichische Unternehmen sind nicht primär deshalb wettbewerbsfähig geworden, weil sie überall Kosten reduziert haben, sondern weil sie die Produktivität erhöht haben. Das ist das Entscheidende. Ich wehre mich dagegen, die Kosten zu drücken, um wettbewerbsfähig zu sein, denn das heißt: Irgendwer verliert. H: Es gibt genügend Punkte, wo wir diametral auseinanderliegen. Darüber können wir am Abend bei einem Glas Wein oder Bier auch streiten, aber das hat in der Regierungsarbeit nichts verloren. Wir sind die „Miteinander-Regierung“.

Herr Hattmannsdorfer, Ihr CV-Name ist „Cäsar“. Wie kam es dazu?

H: Ich bin mit 14 Jahren zur Verbindung gekommen, und damals haben wir im Geschichtsunterricht Cäsar durchgenommen. Daher der Name.

Herr Finanzminister, haben auch Sie Spitz- oder Codenamen?

M: Nicht dass ich wüsste.

Von Herrn Hattmannsdorfer weiß man mittlerweile, dass er gerne wäscht, bügelt und Fenster putzt. Welche Hausarbeiten machen Ihnen Spaß, Herr Marterbauer?

M: Ich bin bei uns für das Geschirr zuständig. Spaß macht mir das aber nicht. Und ich mache bei uns das Frühstück. Bei uns gibt es warmes Frühstück.

Was tun Sie beide persönlich, um Ihren CO2-Fußabdruck besonders klein zu halten?

M: Ich bin stolzer Klimaticket-Besitzer und auch sehr viel mit der Bahn unterwegs. Ich habe schon fast 20 Jahre kein neues Auto mehr gekauft, meines, ein Xsara Picasso mit dem Baujahr 2006, hat bereits 263.000 Kilometer am Buckel. H: Ich habe auch ein Klimaticket.

M: Schon wieder eine Gemeinsamkeit.

Aber Sie fahren vermutlich keinen Xsara Picasso, Jahrgang 2006, wie Ihr Regierungskollege?

H: Nein, einen BMW X3. Ich denke aber auch, dass wir in der Politik viel für Klimaschutz machen können, etwa durch die Beschleunigung der Verfahren im Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber Maßnahmen wie der Klimabonus, wo Geld mit der Gießkanne verteilt wird, bringen sicher nichts. Ich finde es schade, dass Klimapolitik in den letzten Jahren stark mit der Aktionismus-Brille gesehen wurde. Es sind zu viele aktionistische Maßnahmen gesetzt worden, die die Wirtschaft massiv belasten und null Beitrag zum Klimaschutz geleistet haben.

M: Ich denke, der Klima­schutz ist eine der entscheidenden Fragen für unsere Zukunft. Deshalb finde ich es gut, dass die frühere Regierung dort einen Schwerpunkt gesetzt hat. Es geht jetzt darum, welche Instrumente wir dafür einsetzen wollen in einer Zeit, in der es nicht mehr heißen kann: Koste es, was es wolle.

Das Interview ist im trend.PREMIUM vom 4. April 2025 erschienen.

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