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Im Kurz-Schatten [Politik Backstage]

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Bundeskanzler Karl Nehammer: Sein Vorgänger Sebastian Kurz war in der Partei "der Chef". Nehammer ist "der Karl".
Bundeskanzler Karl Nehammer: Sein Vorgänger Sebastian Kurz war in der Partei "der Chef". Nehammer ist "der Karl".©Getty Images
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Kurz-Intima Elisabeth Köstinger drohte, Karl Nehammer mit ihrem Blitz-Abgang die Parteitag-Show zu stehlen. Der ÖVP-Chef versucht, last minute mit einem großen Personalpaket aus der Not eine Tugend zu machen. Bislang reüssierte Nehammer aber bestenfalls als bemühter Nachlassverwalter.

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Am Vorabend des Muttertags ging im Festsaal der steirischen Arbeiterkammer eine Art Generalprobe für den ÖVP-Parteitag in Graz über die Bühne. Die offizielle Kür von Karl Nehammer zum ÖVP-Chef in der Grazer Helmut-List-Halle an diesem Wochenende ist zwar als einer der kürzesten Parteitage ever inszeniert.

Der Blitz-Parteitag galt bis zuletzt aber bei einem Programmpunkt als gefährlich unberechenbar. Wer heimst bei den Delegierten den kräftigeren Applaus und mehr Begeisterung ein? Der jüngste Altkanzler, Sebastian Kurz, der nach seinem Rücktritt als Regierungschef am 6. Dezember nun auch den Job des Parteichefs übergibt, oder die neue Nummer eins in Regierung und ÖVP, Karl Nehammer?

Die Parteitagsregie hat zwar die übliche Abschiedsrede des scheidenden Parteichefs gestrichen. Statt dessen soll Kurz nur ein paar handverlesene Fragen des Parteitags-Moderators beantworten. Damit ist der Auftritt des gefallenen türkisen Jungstars zwar besser steuerbar, die Reaktion des Publikums bleibt auch in diesem Setting ein Rest-Risiko.

Wenn es nach der inoffiziellen Generalprobe vergangenes Wochenende geht, dann ist der von Dauertroubles geplagte Parteiobmann zumindest eine Sorge los: Beim Fest zum 70. Geburtstag des steirischen Landeshauptmanns Hermann Schützenhöfer war nicht nur alles geladen, was in der Steiermark in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Rang und Namen hat. Auf der Einladungsliste standen auch der alte und neue ÖVP-Chef.

Sebastian Kurz erntete bei seinem ersten großen Auftritt fünf Monate nach seinem Rückzug aus der Politik höflichen Applaus. Von den Ovationen oder gar dem frenetischem Beifall, den der türkise Wunderknabe noch bis vor Kurzem unter seinesgleichen erntete, war hier nichts mehr zu spüren.

Die Regie sah zwar - gemeinsam mit vielen anderen Gratulanten - einen kurzen Redeauftritt des 35-jährigen Kanzler a. D. vor. Kurz hat diesen aber nicht in eigener Sache benutzt, sondern seine Grußadresse an den Jubilar routiniert und unspektakulär übermittelt, berichten mehrere Teilnehmer übereinstimmend.

Karl Nehammer konnte das Geburtstagsfest für Schützenhöfer so um eine Sorge weniger verlassen. Der Ballast, mit dem Nehammer dieses Wochenende neuerlich in Graz anreist, ist dennoch nicht kleiner geworden.

Kaum zurück in Wien, kamen ihm binnen eines Tages gleich zwei Ministerinnen abhanden. Nehammer sah zwar weder Köstinger noch Schramböck auf Sicht als Schlüsselspielerinnen in seinem Team. Eine ungeplante Regierungsrochade am Vorabend seines Parteitages stand aber nicht auf seinem Wunschzettel. "Dass Köstinger fünf Tage vor dem Parteitag zurücktritt, war ein schweres Foul", sagt ein ÖVP-Spitzenmann, "offenbar haben einige noch immer nicht verwunden, dass Kurz' Abgang unvermeidlich war."

Daran, dass Margarete Schramböck auf Sicht das Handtuch werfen wird, hatte freilich die Kanzlergattin persönlich gearbeitet, erzählt man sich in der ÖVP. Das Ondit, dass Karl Nehammer mit der Tiroler Unternehmerin Martha Schultz bereits eine würdige Nachfolgerin im Talon habe, wurde bewusst gestreut. Pech für die Nehammers: Schultz ist zwar eine Freundin der Familie, aber nicht gewillt, die Firma für einen unsicheren Polit-Job im Stich zu lassen.

Den unerwarteten Rücktritt von Elisabeth Köstinger suchte Nehammer, nun zu seinen Gunsten zu nutzen. Mit einer Doppelrochade wenige Tage vor dem Parteikonvent inszenierte sich der überrumpelte Regierungschef last minute als couragierter Krisenmanager und schnürte ein nach innen und außen herzeigbares Personalpaket.

Mit der Blitzkür der neuen ÖVP-Regierungsmitglieder wollte Nehammer zudem vergessen machen, dass ihm die Kurz-Intima Köstinger fünf Tage vor seiner Inthronisierung als Parteichef die Show zu stehlen drohte. Martin Kocher hatte als parteifreier Arbeitsminister bisher weit über die ÖVP hinaus gute Figur gemacht und soll nun um die Wirtschaftsagenden aufgewertet zum Superminister werden, assistiert von Susanne Kraus-Winkler als Staatssekretärin für Tourismus. Die neue ÖVP-Hoffnungsfigur Magnus Brunner wird mit Florian Tursky als Staatssekretär für Digitalisierung bei Finanzminister-Pflichtterminen entlastet.

Das auf die Landwirtschaftsagenden abgespeckte Köstinger-Ressort übernimmt mit Ex-Bauernbunddirektor Norbert Totschnig neuerlich ein Vertrauensmann der ÖVP-Agrarlobby.

Die Personalie Schramböck & Köstinger illustrierte wenige Tage vor der endgültigen Übernahme der ÖVP den Führungsstil des neuen Regierungs- und Parteichefs. Der gelernte Offizier Karl Nehammer neigt mehr zu Hüftschüssen als zu von langer Hand geplanten Aktionen oder gar strategisch ausgetüftelten Operationen.

HOFFNUNGSTRÄGER. Der parteifreie Martin Kocher wird als neuer Wirtschaftsund Arbeitsminister gemeinsam mit Magnus Brunner jetzt eine Schlüsselrolle einnehmen.

© APA/HANS PUNZ

Mit Köstinger räumt nun zwar eine der letzten engen Weggefährt:innen von Kurz ihren Sessel im Regierungsviertel. Aber nicht deshalb, weil der neue Hausherr am Ballhausplatz einen radikalen Schlussstrich unter die Ära Kurz ziehen will, sondern weil Köstinger für sich keine Zukunft in der Nehammer-ÖVP sieht.

Mehr als fünf Monate nach Amtsantritt lässt Karl Nehammer eine breit sichtbare persönliche politische Handschrift als Kanzler nach wie vor vermissen. Beim Start gab es noch überraschendes Lob von Freund und Feind: Mit ihm sei wieder einer auf den Ballhausplatz eingezogen, der nicht nur auf seine persönliche Leibgarde höre, sondern auch das Gespräch mit den anderen Parteien, den Sozialpartnern und Experten suche.

Diese Vorschusslorbeeren sind längst am Verwelken. Die Sozialpartner sahen sich bald als Feigenblatt missbraucht. Nehammer lade zwar mit großer Geste zu Sozialpartner-Gipfeln, entscheide aber hinterher wie in alten Zeiten weiter allein. Ähnliches war bald auch über Nehammers "GECKO" zu hören. Das mit Pomp und Trara gleich nach Amtsantritt installierte Expertengremium spielt bei den jüngsten Weichenstellungen in Sachen Corona nicht einmal mehr eine Nebenrolle.

Über Sebastian Kurz, der Regierung und Partei freundlich, aber bestimmt an der kurzen Leine führte, sprachen selbst die engsten Vertrauten als "der Chef". Karl Nehammer firmiert in Regierungs- und ÖVP-Kreisen als "der Karl".

Kontrollfreak Kurz weihte so wenige Personen wie möglich in seine Pläne ein und zog diese ohne Rücksicht auf Verluste durch. Auch der Umgang mit dem grünen Koalitionspartner blieb streng limitiert: Einmal die Woche zog sich Kurz alleine mit Grünen-Chef Werner Kogler nach der Ministerratssitzung zu einem Mittagessen unter vier Augen ins Kreisky-Zimmer zurück.

Karl Nehammer ist gut beraten, keine Kindesweglegung zu betreiben. Kurz steht immer noch für bessere Zeiten in der ÖVP.Ein Kurz-Weggefährte

Karl Nehammer behielt den Jour fixe bei. Am Tisch sitzt aber nicht mehr ein konspiratives Duo, sondern ein schwarz-grünes Quartett. Zusätzlich zu Nehammer und Kogler nehmen jetzt auch die Klubchefs August Wöginger und Sigi Maurer an der wöchentlichen vertraulichen Sitzung teil. Mit Wöginger verbindet Nehammer seit ihrer gemeinsamen Zeit im ÖVP-Arbeitnehmerbund ÖAAB eine freundschaftliche Beziehung.

Ein Faktum sorgte jüngst medial, aber auch parteiintern für kontroverse Diskussionen: Eine zentrale Rolle als Kanzler-Flüsterer spielen Nehammers Frau Kathi und die von dieser mit ins Spiel gebrachte PR-Firma Story-Machine rund um Ex-"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann. Kathi Nehammer geht nicht nur im Kanzleramt aus und ein, um dort auch an internen Beratungsrunden teilzunehmen. Die gelernte PR-Fachfrau tauchte zur Verwunderung von Parteifreunden jüngst auch bei der Klausur von Regierungsteam und Parlamentsfraktion am Wolfgangsee auf.

Einer, der auch dort eine zentrale Rolle spielte, ist Wolfgang Sobotka. Der Parlamentspräsident referierte bei der Klausur nicht nur die jüngsten Umfragen. Sobotka gab am Wolfgangsee auch politische Kampfparolen wie diese aus: "Wir müssen jetzt zusammenhalten und den Parteiobmann vor Angriffen schützen."

"Sobotka gefällt sich unter Nehammer generell als eine Art Obergeneralsekretär der ÖVP", erzählt ein Teilnehmer. Dass Sobotka auch öffentlich im Zweifelsfall mehr den Parteisoldaten denn den überparteilichen Parlamentspräsidenten gibt, sorgt vor allem im ÖVP-Korruptions-Ausschuss für zusätzlichen Wirbel und negative Schlagzeilen.

Sobotka steht maßgeblich auch hinter den Plänen, in der ÖVP-Zentrale neben dem politischen Leichtgewicht Laura Sachslehner einen Generalsekretär zu installieren, der in der Partei auf mehr Respekt als die Wiener Jungfunktionärin stößt.

Schon bald nach dem Parteitag könnte daher der jetzige ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss und Sobotka-Protegé Andreas Hanger vor einem neuerlichen Karrieresprung stehen. Hanger, der bis vor Kurzem nur Partei-Insidern geläufig war, hatte im Auftrag von Kurz im Ibiza- Ausschuss gebetsmühlenartig und ohne Rücksicht auf Verluste gegen die WKStA mobil gemacht.

DER NEUE BAD GUY. Andreas Hanger soll in die Parteizentrale übersiedeln und dort für eine Politik mit Ecken und Kanten sorgen.

© APA/ROBERT JAEGER

Mit dem Wechsel im Kanzleramt hat auch die Strategie im neuen U-Ausschuss in Sachen ÖVP-Korruption gewechselt. Hanger zieht auch die neue Stoßrichtung schmerzbefreit durch. Intern gab er als Parole aus: "Wenn schon Hosen runter, dann Hosen runter für alle." Sprich: Wenn die Aufarbeitung von Postenschacher und Freunderlwirtschaft schon sein muss, dann müssten auch die Vorwürfe aus Zeiten der SPÖ-Kanzler wie Faymann und Kern mit auf den Tisch. Attacken wie diese tun den darnieder liegenden Egos der ÖVP-Funktionäre offenbar gut.

Mehr als Seelenmassage nach innen wird aber auch die Beförderung von Haudrauf Hanger zum Generalsekretär der ÖVP nicht bringen.

Angesichts des massiven Einbruchs der Post-Kurz-ÖVP auf dem Wählermarkt scheint Nehammer derzeit aber jeder mögliche Rettungsanker willkommen. Die 37,5 Prozent, die Kurz nach dem Ibiza-Skandal 2019 für die ÖVP eingefahren hat, sind endgültig verspielt. Die Nehammer-ÖVP ist wieder in jene Niederungen der Wählergunst abgestürzt, die es Kurz & Co einst leicht machten, Reinhold Mitterlehner in den Rücktritt zu mobben.

Besonders vorwitzige Schwarze registrieren daher dieser Tage aufmerksam, was Sebastian Kurz abseits seines neuen Jobs beim US-Milliardär und Trump-Fan Peter Thiel macht. Fakt ist: Um den Start Nehammers zu entlasten, deponierte Kurz zwar in der "Krone" einmal mehr, sein Ausstieg aus der Politik sei endgültig. Fakt ist aber auch: Der "Global Strategist" nimmt an den Niederungen der österreichischen Innenpolitik hinter den Kulissen nach wie vor auffallend rege Anteil.

Unter den vielen Kurz-Weggefährten, die unter dem bislang glücklosen Nachlassverwalter Karl Nehammer weiter mit an Bord sind, ist so noch lange nicht ausgemacht, dass Kurz der Politik für immer ade sagt. "Er wird ein Homo politicus bleiben. Weder er noch wir wissen, wie die innenpolitische Welt in ein paar Jahren aussehen wird", resümiert ein enger Kurz-Weggefährte: "Kurz steht für viele noch immer für bessere Zeiten in der ÖVP. Nehammer ist daher weiterhin gut beraten, keine Kindesweglegung zu betreiben."

Der Autor

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Josef Votzi © trend Wolfgang Wolak

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".

Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 13. Mai 2022 entnommen.

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