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Wie kühn ist Karl? [Politik Backstage]

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Bundeskanzler Karl Nehammer

ZUR LAGE DER NATION Am 10. März wendet sich der Kanzler in seiner ersten Grundsatzrede ans Volk. Aber die Erwartungen werden schon im Vorfeld gedämpft.

©APA/BKA/FLORIAN SCHRÖTTER
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In der ÖVP fühlen sich Wirtschaftsliberale vom ÖAAB-Regime rund um Kanzler und Klubchef unterbuttert. Schafft Karl Nehammer mit seiner Kanzler-Rede am 10. März auch ÖVP-intern einen Befreiungsschlag?

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Die Agenda des Nationalrats bot an sich wenig Konfliktstoff. Im Vorfeld der Plenartage im Februar sollte die Klubsitzung der ÖVP-Mandatare daher routinemäßig über die Bühne gehen. Die Meinungen prallten dennoch so heftig wie schon lange nicht mehr aufeinander. Auslöser war das schwarz-türkise Wahldesaster in Niederösterreich.

Die ÖVP war am 29. Jänner in ihrer Vorzeige-Hochburg erstmals auf unter 40 Prozent abgestürzt. Ein Wirtschaftsbundabgeordneter nach dem anderen meldete sich in der ÖVP-Parlamentsklubsitzung zu Wort, um mit Nachdruck zu deponieren: Das Wahlergebnis zeige, dass es nichts bringe, die Wähler mit Geldgeschenken zu überschütten. Sowohl die Landeshauptfrau als auch der Finanzminister hätten in die Staatskasse gegriffen, um Energierechnungen und Teuerungen milliardenschwer abzufedern.

Resümee des VP-Wirtschaftsflügels: Wir sind zu großzügig, und keiner dankt es uns. Im Gegenteil: Damit verkämen die DNA der ÖVP und das Alleinstellungsmerkmal als Wirtschaftspartei endgültig. Denn: Wo sei das Prinzip Leistung und Eigenverantwortung für ÖVP-Wähler noch wahrnehmbar? "Das hat ganz nach einer konzertierten Aktion des Wirtschaftsbunds ausgeschaut", sagt ein Sitzungsteilnehmer, "das wollte der ÖAAB daher nicht auf sich sitzen lassen."

ÖAAB & Wirtschaftsbund im Clinch

Fraktions- und ÖAAB-Chef August Wöginger und ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker suchten im Gegenzug vor allem mit dem Argument zu punkten: Wenn wir nichts gegen die Teuerung tun, dann sind wir "politisch erst recht hin". Mit dem Verfall der ÖVP in der Wählergunst ist auch das einigende Band des Erfolgs zerschlissen. "Die Rivalität zwischen Wirtschafts- und Arbeitnehmerflügel wird immer deutlicher", sagt ein ÖVP-Insider. Die Tatsache, dass mit Karl Nehammer, August Wöginger und Christian Stocker die wichtigsten Säulen der noch intakten schwarzen Macht in den Händen von ÖAABlern sind, verschärft die inneren Spannungen.

Die Wirtschaftsbündler fühlen sich immer mehr an den Rand gedrängt. Vorspiel und Vollzug der jüngsten Regierungsklausur Mitte Jänner sind dort zuletzt noch lebhaft in unangenehmer Erinnerung. Auf der Wunschliste der Wirtschaftsvertreter standen wegen des chronischen Arbeitskräftemangels ganz oben steuerliche und finanzielle Anreize, um allen Arbeitnehmern mehr Überstunden schmackhaft zu machen und ältere Arbeitnehmer oder Pensionsberechtigte für längeres Arbeiten zu motivieren. Zudem sollte an klassischen ÖVP-Fronten nachgerüstet werden: Haus- oder Wohnungskauf solle durch Verzicht auf Grundsteuer und Eintragungsgebühren beim Erwerb des ersten Eigentums wieder leichter leistbar werden. Der Anreiz zur Vermögensbildung mit Aktien solle durch Befreiung von der Kapitalertragssteuer nach einer Behaltefrist erhöht werden. Diese war 2011 samt Steuerbefreiung sistiert worden.

Interner Verdacht: Wöginger und Co. benützen Grüne als Ausrede

Kein einziger dieser politischen Wünsche in Sachen Arbeit und Wirtschaft schaffte es auf die Agenda der Regierungsklausur. ÖVP-interne Begründung: Sie seien allesamt am Nein der Grünen gescheitert. In ÖVP-Wirtschaftskreisen hält sich hartnäckig der Verdacht, dass es auch am Verhandlungs-Engagement der ÖAAB-dominierten ÖVP-Koalitionshälfte gehapert habe - zumal die Ernte für die Grünen weitaus größer als die der ÖVP ausgefallen sei.

Dazu kommt aus Wirtschaftssicht: "Bei den Wögingers gelten Aktien noch immer als etwas, das nur die Reichen haben", sagt ein schwarzer Wirtschaftsmann: "Dass für die Generation der unter 40-Jährigen dank ihrer Fintech-Apps der Handel mit Aktien als persönliche Vorsorge längst zum Alltag gehört, ist auch bei vielen von uns noch nicht durch. Aktien sind längst kein Orchideenthema mehr, wie Wöginger &Co glauben." Die ÖVP könne mit Lockerungen an der Steuerschraube für Aktien endlich wieder ein Ausrufezeichen als Wirtschaftspartei setzen.

Die Hürde der türkis-grünen Koalitionskoordinierung überlebte allerdings nur eine einzige Minimalmaßnahme, eine Sanktion in Sachen 'länger Arbeiten'. Das Angebot der geblockten Altersteilzeit wird in Etappen wieder abgeschafft. Das Modell wurde zuletzt zunehmend als Turbo in die Frühpensionierung genutzt. Zurück blieb bei den wirtschaftsaffinen ÖVP-lern ein schaler Nachgeschmack: "Statt mit positiven Anreizen zu agieren, wird einmal mehr die Sanktionskeule eingesetzt, und das auch noch an einem Nebenschauplatz."

Frust wegen Bündestreit und fehlender Leadership

Der vor allem im ÖVP-Wirtschaftsbund seit Monaten aufgebaute Frust über die ungewohnte politische Abseitsposition entlud sich so jüngst im ÖVP-Parlamentklub. "Die Sitzung waren typisch für den derzeitigen Zustand der ÖVP: Die Meinungen prallen wie in alten Zeiten aufeinander. Nur dass es niemanden mehr gibt, der auch nur versucht, eine Linie vorzugeben", sagt ein ÖVP-Regierungsmitlglied. Dem Kanzler war in dem Fall kein Vorwurf zu machen, Karl Nehammer war wegen einer Auslandsreise an der Sitzungsteilnahme verhindert. Die Kunde über den heftigen Schlagabtausch wurde diesem aber umgehend überbracht. "Der Karl" wird zwar selbst von kritischen Wirtschaftsbündlern politisch nicht in Frage gestellt, denn "er ist fleißig und sehr bemüht, was weiterzubringen".

Der Vorhalt, er signalisiere zu wenig, wohin die Reise in Regierung und ÖVP gehe, begleitet den Kurz-Nachfolger aber seit Amtsantritt hartnäckig. In seiner Umgebung wurde dieser lange mit dem Hinweis abgetan, Nehammer habe bei seiner Wahl zum ÖVP-Chef in einer einstündigen Rede alle wichtigen Themen angesprochen. Das sei zuvorderst von den Medien weitgehend ignoriert worden.

Der neue und alte Kommunikationsberater der Türkisen, Ex-Kurz - und nunmehr Nehammer-Mastermind Gerald Fleischmann, legte jüngst in einem profil-Interview überraschend ungeschminkt offen, dass auch er genau da bei seinem neuen Schützling einen großen blinden Fleck sieht: "Nehammer hat bisher noch nicht gesagt, wofür er steht. Den Menschen eine Perspektive zu geben, das hat Nehammer noch vor sich."

Seit dem Jahreswechsel sucht Fleischmann, auch bei Opinion Leadern zu erkunden, welche Themen der Kanzler und wie er diese in einer großen Grundsatzrede unbedingt ansprechen sollte. Am vergangenen Wochenende ließ Karl Nehammer nun eine Art "Rede zur Lage der Nation" für die zweite März-Woche ankündigen. Das gewählte Motto, "Österreich 2030", aber auch die innerparteilichen Grabenkämpfe und die generelle inhaltliche schwarz-türkise Brachlage wecken vor allem in den eigenen Reihen große Erwartungen.

Ob sich diese Erwartungen schon am 10. März erfüllen können, ist allerdings mehr als offen. Nehammers Berater setzen im Vorfeld im Erwartungsmanagement auf Low Level. Der Kanzler werde nach einem kurzen Resümee einen Ausblick vornehmen, lässt ein ÖVP-Stratege wissen: Wo sind wir schlecht, wo sind wir gut, wo wollen wir nächstes Jahr sein?

Karl Nehammer werde "wie ein CEO" zuvorderst Ziele und Aufträge für sein Regierungsteam vorgeben. Eines werde und wolle der Regierungschefs aber auch 15 Monate nach Amtsübernahme am 10. März noch nicht liefern: einen umfassenden ÖVP-Zukunftsplan.

Die weiteren Beiträge von Josef Votzi finden Sie im Thema "Politik Backstage von Josef Votzi"

Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 24. Februar 2023 entnommen.

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