Trend Logo

Neustart 2023: Leave it. Change it. Love it. [Essay von Andreas Salcher]

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
11 min
Neues Jahr, neuer Anfang? Wer mit seiner aktuellen Situation hadert, sollte die Optionen abwägen.
Neues Jahr, neuer Anfang? Wer mit seiner aktuellen Situation hadert, sollte die Optionen abwägen.©Elke Mayr
  1. home
  2. Business
  3. Karriere

Die zentrale Erkenntnis für einen Neubeginn ist: Wir sind für unser Denken und Handeln, unsere Sicht auf die Welt und deren Konsequenzen selbst verantwortlich. Um diese Einsicht auf die jeweilige Lebenssituation umzulegen, existieren keine für jeden gültige Lösungen.

von

Kennen Sie den am dichtesten besiedelten Ort der Welt? Nein, nicht Tokio, Mumbai, Shanghai oder Facebook sind gemeint. Es ist die Komfortzone. Jeder von uns lebt dort, kaum jemand verlässt sie freiwillig, selbst wenn er sich in ihr nicht besonders wohlfühlt. Schon Mark Twain erkannte:

Man kann die Welt oder sich selbst ändern. Das Zweite ist schwieriger.

Mark TwainAmerikanischer Schriftsteller

Zwei Fallen hindern die Menschen an einem ersehnten Neustart in ein selbstbestimmtes Leben:

  • Erstens, Rechtfertigung: Mit einer Vielzahl von Argumentationen verteidigen Menschen den Stillstand in ihrem Leben: die rasende Geschwindigkeit unserer Zeit, die hohe Arbeitsbelastung im Beruf, die psychischen Strapazen durch die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Angst vor der Geldentwertung.

  • Zweitens, Schuldzuweisung: Die schwierige Kindheit, die falschen Rollenvorbilder durch die Eltern, die mangelnde Anerkennung von den Kollegen, ein Schulsystem, das Eltern dazu nötigt, jeden Tag mit ihren Kindern zu lernen, das kapitalistische Wirtschaftssystem, die unfähigen Politiker - jeder kann die Liste beliebig fortsetzen.

Einige dieser Argumente mögen berechtigt sein. Sie haben nur einen fundamentalen Nachteil: Sie helfen uns nicht weiter. Wem es nicht gelingt, sich aus diesen beiden Fallen zu befreien, der landet in der Ohnmacht. Daraus folgt die zentrale Erkenntnis für einen Neustart im Jahr 2023:

Wir sind für unser Denken und Handeln, unsere Sicht auf die Welt und deren Konsequenzen selbst verantwortlich.

Drei Optionen: loslassen, ändern oder annehmen

Um diese Einsicht auf die jeweilige individuelle Lebenssituation praktisch umzulegen, existieren keine für jeden gültigen Lösungen. In Anlehnung an die englische Lebensweisheit "Leave it. Change it. Love it." existiert dafür eine bewährte Methode, um notwendige Entscheidungen auch gegen innere Widerstände umzusetzen. Im Zentrum steht das Abwägen von drei möglichen Optionen:

Option A: Loslassen

Wir haben keinen Einfluss darauf, ob Wladimir Putin taktische Atomwaffen einsetzt, eine Rakete irrtümlich ein Atomkraftwerk trifft oder die Börsenkurse völlig abstürzen. Das bedeutet aber auch: Wenn wir gegen eine Gefahr überhaupt nichts ausrichten können, belastet das unsere Gedanken, aber es ist kein Problem in unserem Einflussbereich. Es ist daher müßig, sich damit zu quälen.

Dann gibt es Probleme, die wir uns selbst machen. Zusätzlich zu den Belastungen der Familie und der Arbeit jeden Tag mehrere Stunden auf Facebook die Aktivitäten seiner "Freunde" zu verfolgen, Fotos von jedem Glas Wein auf Instagram zu posten, kostet viel Zeit. Im Durchschnitt wenden Menschen pro Woche einen halben Tag für diese sinnbefreiten Aktivitäten auf. Das sind 26 Tage im Jahr, in denen kostbare Lebenszeit verschwendet wird.

Wir können jederzeit damit aufhören, statt uns darüber zu beklagen, wie anstrengend das Leben durch das Internet geworden ist. Selbst absolut sinnvolle Dinge wie Diäten oder Fitnesstraining kann man bis zum Exzess treiben. Das Motiv für diese Selbstbestrafung ist die Huldigung eines Leistungsethos, um sich zu bestätigen, was man alles aushält. Nur: Irgendwann hält man es nicht mehr aus. Es gibt einen Pfad zwischen Kasteiung und Disziplin. Auf dem Wegweiser steht das Wort "Balance".

Option B: Ändern

Ist ein Thema zu relevant, um es einfach streichen zu können, dann können wir uns entscheiden, die belastenden Umstände zu ändern.

Das verlangt von Menschen, sich nach einem langen Leidensweg scheiden zu lassen oder einen unbefriedigenden Job zu kündigen. Nur wenige, die sich entschieden haben, belastende Verhältnisse grundlegend zu ändern, mussten das im Nachhinein bereuen, vor allem wenn sie davor unzählige Versuche unternommen haben, den Status quo erträglicher zu machen. Die meisten bedauern im Rückblick eher, dass sie die Entscheidung nicht schon früher getroffen haben. Doch warum haben sie so lange mit sich gerungen?

Der häufigste Grund, warum Menschen sich lange, oft zu lange, der Option "Ändern" verschließen, ist die Angst vor den Konsequenzen, die damit verbunden wären. Hilfreich in dieser Phase der Blockierung ist die Frage, was wir an einer Situation tatsächlich durch eigene Entscheidungen verändern könnten und womit wir uns abfinden müssen.

Es ist durchaus möglich, uns und anderen eine klare Frist setzen, bis zu der sich die belastende Situation wesentlich verbessert haben muss. Sollte das nicht passiert sein, dann fällt es uns leichter, bewusst die Veränderung zu wählen. Der Zeitraum bis zum Stichtag kann dafür genutzt werden, ein alternatives Lebenskonzept zu entwerfen, indem wir zum Beispiel neben dem ungeliebten Job eine Zusatzausbildung absolvieren, uns rechtlich über eine Trennung genau informieren oder uns eine leistbare eigene Wohnung suchen.

Option C: Annehmen

Was man nicht annimmt, kann man nicht ändern.

C. G. JungSchweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie

Annehmen ist zweifellos die schwierigste Option. Wenn wir etwas nicht aufgeben können, weil es zu bedeutsam ist oder wir die Umstände derzeit nicht ändern können, dann bleibt uns nur, die Situation, wie sie ist, anzunehmen.

Eine hohe finanzielle Abhängigkeit vom Partner, die das Wohlergehen der Kinder gefährdet, kann eine Trennung im Augenblick unmöglich machen. Ein 55-jähriger Mann mit einer gut bezahlten, aber engen Spezialqualifikation weiß, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen adäquaten Job finden wird, und entscheidet sich daher gegen eine Kündigung, auch wenn ihn sein neuer Chef schlecht behandelt und offensichtlich loswerden will.

Was können wir tun, um uns das "Annehmen" zu erleichtern?

Oft gibt es eine höhere Motivation, die uns daran hindert, Konsequenzen zu ziehen: Die Liebe zu den Kindern oder zum Partner, der Glaube an bestimmte Werte, die Möglichkeit, finanziell abgesichert seinen Interessen nachzugehen und sich zu verwirklichen. Sind wir uns dieser höheren Motivation bewusst, dann fällt es uns leichter, den belastenden Umständen nicht so viel Gewicht zu geben.

Es gibt allerdings klare Grenzen, die ein Annehmen unmöglich machen. Missbrauch und Gewalt oder schwere gesundheitliche Folgen, die mit dem Annehmen einer untragbaren Situation verbunden wären, sind inakzeptabel. In diesen Fällen kann die Entscheidung nur "Ändern" lauten. Tut man das nicht, dann wird die Demütigung oder die Gewalt zur Gewohnheit. Die Gehirnforschung zeigt, dass das Leiden irgendwann zur Sucht werden kann.

Der lange Weg zu einer Entscheidung

Die Einbildung tröstet die Menschen über das, was sie nicht sein können - der Humor tröstet sie darüber hinweg, was sie wirklich sind.Albert Camus

Die meisten Menschen sind Gewohnheitstiere, die Veränderung hassen und sich doch immer wieder danach sehnen. Auf diese paradoxe Erwartungshaltung trifft man auch in Unternehmen, ja sie lähmt derzeit ganze Staaten. Dieses Hin-und-hergerissen-Werden ist keine Verschwörung des Schicksals gegen den Menschen. Im Gegenteil, erst indem wir lernen, die Spannungen in uns auszuhalten, können wir unsere Persönlichkeit weiterentwickeln, um Entscheidungen zu treffen.

Nur unreife Menschen hängen ständig ihren inneren Bedürfnissen nach, ohne sich auf die Auseinandersetzung mit der Realität einzulassen. Manche sind talentierte Schauspieler, die anderen ihr perfektes Leben vorspielen, obwohl sie tatsächlich ungemein leiden und ihre eigenen Bedürfnisse unterdrücken. Irgendwann gelangen sie an den Punkt, an dem sie erkennen, dass das nicht das Leben ist, das sie führen wollen.

Dabei verfügen wir über ein moralisches Koordinatensystem, das uns warnt, wenn wir völlig vom Kurs abkommen. Dieses mag bei jedem etwas anders ausgebildet sein, aber die Himmelsrichtungen Anständig oder Unanständig, Recht oder Unrecht sind immer dieselben. Dieser innere Wertekompass hilft uns dann, mit den Zweifeln und widersprüchlichen Gefühlen, die uns nach einer wesentlichen Entscheidung oft überkommen, besser umzugehen.

Versuchen wir zumindest am Beginn des neuen Jahres, den allerhöchsten Gedanken von uns selbst an den Anfang zu stellen. Wir werden vielleicht am Ende des Tages nicht immer genau dort landen, wo wir ursprünglich hinwollten, uns aber von Niederlagen und Umwegen nicht entmutigen lassen. Es geht um die Bedeutung, die wir selbst unserem Leben geben und die wir uns von niemand nehmen lassen sollten.

BUCHTIPP

Die große Erschöpfung und die Quellen der Kraft

Blurred image background

Die große Erschöpfung

© Andreas Salcher

Die große Erschöpfung ist ein Phänomen unserer Zeit. Das spüren inzwischen auch viele, die sich bisher als immun dagegen empfunden haben und ihren Alltagsstress gut bewältigen konnten. Andreas Salcher entlarvt falsche Mythen, benennt Ursachen und zeigt anhand der faszinierenden Erkenntnisse des Sinnsuchers Viktor Frankl, des Glücksforschers Mihaly Csikszentmihalyi und des Benediktinermönchs David Steindl-Rast konkrete Zugänge zu den eigenen Quellen der Kraft.

  • Herausgeber: edition a; 1. Auflage (12. November 2022)

  • Umfang: Gebundene Ausgabe‎ 240 Seiten

  • ISBN-10: 3990016288

  • Das Buch hier beziehen

KommentarLeadership

Über die Autoren

Logo
Abo ab €16,81 pro Monat