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Malik on Management: Von Managern und Führern

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Aktualisiert
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17 min
Weitblick oder nur am Ruder? Was macht einen Leader aus, was unterscheidet Leadership und Management?
Weitblick oder nur am Ruder? Was macht einen Leader aus, was unterscheidet Leadership und Management?©Getty Images/iStockphoto
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Eine oft gestellte Frage lautet: Sollen in den Schlüsselpositionen einer Organisation Manager oder Führer stehen? Aber gibt es zwischen den beiden überhaupt einen Unterschied? Ist es tatsächlich so, dass die einen den Weitblick haben und die anderen nur rudern? Fredmund Malik über Manager, Leader und echte Führungsqualitäten.

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Offene Frage: Was ist Leadership?

Winston Churchill ist wohl eines der besten Beispiele zur Beantwortung der Frage, was eigentlich "Leadership" ist. Es bedurfte der Situation des Zweiten Weltkriegs und der speziellen Lage Englands in diesem Krieg, um aus Churchill einen Führer zu machen, der er nach Einschätzung der meisten Fachleute war.

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Der frühere britische Premierminister Sir Winston Leonard Spencer Churchill (1874 - 1965)

© Keystone / Getty Images / Hulton Archive 1954

Vorher hatte Churchill - abgesehen von seinen Positionen während des Ersten Weltkriegs - ein ziemlich bedeutungsloses Leben als Hinterbänkler im britischen Parlament geführt. Er war eher in der Nähe einer verkrachten Existenz, als dass Leadership bei ihm zu erkennen gewesen wäre.

Die Situation und das spezifische Handeln in dieser Situation sind es, die Leadership ausmachen. Ohne die Situation wäre das Handeln weder nötig noch möglich, noch würde es Sinn haben. Wenn man Leadership auf die Spur kommen will, so muss gefragt werden: Was war es an oder in der speziellen Situation, in die die Person gestellt war, das sie zum Leader machte, oder besser: werden ließ?

Die Situation macht Führer

Im weitaus überwiegenden Teil der Management-Literatur wird Leadership verabsolutiert. Es wird gewissermaßen nach einem "Ultimativum" der Führung gesucht, und dieses wird in aller Regel in bestimmten Persönlichkeitseigenschaften vermutet. Hier geht es mir aber zunächst um etwas anderes: Führerschaft ist etwas Relatives; sie ist nicht absolut, sondern abhängig von der Situation und nur aus einer solchen heraus verständlich und erklärbar. Ein und dieselbe Person kann sich in der einen Situation als herausragender Führer erweisen und in einer anderen wenig bis gar nichts von Führerschaft zeigen.

In diesem Zusammenhang kommt etwas Weiteres, häufig Übersehenes dazu: Im Allgemeinen glaubt man, Führerschaft sei etwas sehr Seltenes und Außergewöhnliches, und daher sucht man ja nach jenen "geheimnisvollen" Eigenschaften der "seltenen" Führer. Wahrscheinlich kommt Leadership-Verhalten - im Gegensatz zur allgemeinen Meinung - aber ziemlich häufig vor. In den meisten Fällen ist es nur so, dass die Situation, in der jemand Leadership zeigt, nicht besonders beachtenswert oder berichtenswert ist; es lässt sich zum Beispiel medial nichts daraus machen - sie ist eine Alltagssituation.

Jemand, der ein Kind aus einem Fluss oder einem brennenden Haus rettet oder bei einem Verkehrsunfall Hilfe mobilisiert, zeigt alle Merkmale von Leadership. Ob er ein Held ist, bleibe dahingestellt; aber er ist ein Leader. Mehr als eine kurze Notiz in der örtlichen Zeitung wird es darüber wohl kaum geben. Es sind die besonders berichtenswerten, aufsehenerregenden Situationen und das spezielle Handeln darin, die zu öffentlich wahrgenommener, von den Menschen als solche registrierter Leadership führen. Da solche Situationen, nicht das Leadership-Verhalten, eher selten sind, schließt man - logisch unzulässig - auf die Seltenheit und Außergewöhnlichkeit von Leadership.

Es sind somit weit mehr die Eigenschaften einer Situation - und nicht einer Person -, die Führerschaft zu verstehen und zu erklären erlauben.

Führer und Verführer

Eine Leadership-Theorie, die auch nur im Entferntesten als brauchbar oder der Befassung wert erscheinen will, muss auf jeden Fall und mindestens eines leisten: Sie muss sich dem Problem der Unterscheidung zwischen Führern und ihrem Gegenteil stellen. Das sind aber nicht die Nicht-Führer, sondern es sind die Verführer. Die Nicht-Führer sind kein Problem. Das Problem sind jene Menschen, die durchaus fähig sind, Kräfte zu mobilisieren, Gefolgschaft anzuziehen und Menschen zu bewegen, diese Fähigkeiten aber missbrauchen. Eine gute Leadership-Theorie muss eine klare Unterscheidung möglich machen, ja erzwingen. Sie muss klare und präzise Kriterien dafür liefern, wie wir die Verführer identifizieren und ausscheiden können.

Viele Autoren scheinen nicht einmal dieses Problem als solches zu sehen, ganz zu schweigen davon, dass sie Lösungsansätze dafür hätten. Sie fabulieren über irgendwelche Qualitäten und Eigenschaften, die Menschen ihrer Meinung nach haben müssen, um Leader zu sein. Sie fantasieren von Begeisterung, Inspiration, großen Visionen und Siegergestalten. Ich halte das im günstigsten Falle für romantisches Geschwätz. Manche scheinen aus ihrer Infantilität nie herauszukommen. Sie verbleiben im Trapper-Indianer-Stadium - ein bisschen Winnetou, ein Schuss Jung Siegfried, eine Prise "Go West" - natürlich global und via Internet.

Aber so wird es nicht gehen. Man wird schon angeben müssen, welche Gemeinsamkeiten, vor allem aber welche Unterschiede es gibt zum Beispiel zwischen Churchill und Hitler oder Truman und Stalin. Und man wird herausarbeiten müssen, worin über den Umstand hinaus, dass sie historisch erwähnenswert sind, die - echte oder vermeintliche - Führerschaft von Menschen wie John F. Kennedy, Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Thomas Beckett, Ignatius von Loyola, Johann Calvin, Kardinal Mindszenty, Tschu En Lai usw. bestand.

Management und Leadership

Was besonders auffällt, ist die ausgeprägte Tendenz bei den meisten, die sich mit Leadership befassen, Management und Leadership in einen krassen Gegensatz zu stellen. Um die Bedeutung von Leadership möglichst groß zu machen, machen sie jene von Management möglichst klein.

Demnach wären Manager dann bloße Administratoren, Operateure und Exekutoren, die an den gegebenen Zuständen kleben, gegenwartsorientiert sind, mit Regeln und Kontrollen arbeiten - im Kern also Bürokraten sind, während die Leader als begeisternde Visionäre und Pioniere gesehen werden.

So meint zum Beispiel der Ausbildungsleiter einer der größten Banken: "Leadership schafft den eigentlichen Wandel, während das Management nur kleine Veränderungen initiiert."

Und ein anderer unterscheidet den "transformierenden Leader" vom Manager unter anderem durch folgende Zuschreibungen:

Leader

Manager

weit

eng

tief

oberflächlich

experimentell

mechanisch

aktiv

reagierend

langfristig

kurzfristig

flexibel

starr

offen

geschlossen

Es steht selbstverständlich jedem frei, die Dinge so darzustellen. Die Frage ist nur, was damit gewonnen wird. Dass es Leute in Führungspositionen gibt, auf die die Begriffe der rechten Seite der Liste zutreffen, sagt ja überhaupt nichts über Management aus. Es beweist nur, dass es eben auch Fehlbesetzungen und schlechte Personalentscheide gibt.

Ich mache daher einen ganz anderen Vorschlag: Wenn wir hoffen wollen, das wirklich Wesentliche an Leadership zu erkennen, zu analysieren und es möglicherweise sogar, falls das überhaupt geht, zu lehren und zu lernen, dann muss man von einem möglichst positiv verstandenen Bild von Management ausgehen und von dort aus dann fragen, was Leadership darüber hinaus noch zusätzlich bedeutet. Tut man das nicht, dann wird einfach alles Schlechte als Management bezeichnet und alles Gute als Leadership. Damit hat man aber über Leadership nichts gelernt, sondern nur Begriffe ausgetauscht und Wörter herumgeschoben.

Es gibt zahlreiche Führungskräfte, die sehr wohl zukunftsorientiert sind, Weitsicht haben, Innovatoren sind und allen Kriterien von positiv verstandenen Führern entsprechen; sie sind als Menschen aber viel zu bescheiden, um sich jemals als Leader zu bezeichnen oder bezeichnen zu lassen. Das würde ihnen als Anmaßung erscheinen. Es genügt ihnen, als gute Manager gesehen zu werden.

Zuerst muss also zwischen schlechten und guten Managern unterschieden werden, und dann erst kann sinnvoll gefragt werden, was den Leader vom guten Manager unterscheidet und wo der Leader noch über den guten Manager hinausgeht. Und von dort aus muss dann noch die Arbeit geleistet werden, die Leader von den Misleadern zu trennen.

Mystifizierung von Eigenschaften

Der möglicherweise am weitesten verbreitete Fehler ist die Mystifizierung von Führern - vermeintlichen oder echten - und ihre Glorifizierung, jedenfalls der als positiv wahrgenommenen Personen; die anderen werden - zu Recht oder zu Unrecht - verteufelt. Diese Überhöhung erfolgt über die Zuschreibung von Eigenschaften, in denen die besonderen Leadership-Qualitäten gesehen werden und die daher auch als Grund, Ursache oder Ursprung von Führerschaft gesehen werden. Ich glaube, dass hier ein besonders gravierendes Missverständnis vorliegt und - für jene, die Personalentscheidungen zu treffen haben - eine Quelle der Irreführung.

Es gibt eine so große Zahl von Beispielen dafür, dass Menschen hervorragende Führungsleistungen erbracht haben, ohne auch nur eine einzige der immer wieder geforderten Eigenschaften zu besitzen, dass damit die gesamte Eigenschaftstheorie wertlos wird.

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US Präsident Franklin Delano Roosevelt (rechts) (1882 - 1945) mit seinem Vizepräsident und Nachfolger Harry S. Truman (1884 - 1972)

© Getty Images / Hulton Archive 1944

Weder der amerikanische Präsident Harry S. Truman (1945-1953) noch General George C. Marshall - beide gehören nach meiner Auffassung zu erstrangigen Kandidaten unter den echten Führern des 20. Jahrhunderts - hatten besondere Eigenschaften. Truman ist vielleicht ein speziell gutes Beispiel, aber keineswegs das einzige. Das Wesentliche an ihm ist nicht einmal die Tatsache, dass er US-Präsident war und dass er als solcher eine Reihe von schwierigen, wichtigen, richtigen und auch weitsichtigen Entscheidungen traf (auch ein paar falsche, das sei nicht zu übersehen). Das Wesentliche für die Erklärung seiner Leadership besteht darin, dass er dies ohne eine einzige jener Voraussetzungen wurde und tat, die üblicherweise als wichtig angesehen werden. Wenige Menschen haben aus einer so schlechten Startposition heraus in so kurzer Zeit so bemerkenswerte Leistungen erbracht wie Truman.

Truman hatte keine auffallenden Eigenschaften, schon gar nicht jene, die in der einschlägigen Literatur immer gefordert werden. Er war ein einfacher, schlichter und sehr provinzieller Mensch. Niemand hätte von Trumans Persönlichkeitsstruktur auf seinen späteren politischen Erfolg schließen können. Wahrscheinlich wäre er bei allen Leadership-Tests durchgefallen. Truman hatte nur ein paar Grundsätze, die ihm geholfen haben, auch in schwierigsten Situationen klaren Kopf zu bewahren, vor allem in jenen Lagen, in denen er ob der Last der Aufgaben eher der Verzweiflung nahe war und sich nichts sehnlicher wünschte, als dass ihm das Schicksal dieses schwierige Amt erspart hätte. Er fühlte sich häufig überfordert und weit über seine Fähigkeiten hinaus beansprucht. Da gab es nichts von einem "strahlenden Helden" - im Gegensatz zum Beispiel zur Figur eines seiner "Gegenspieler", General Douglas MacArthur.

Sein Vorgänger, Präsident Franklin D. Roosevelt, hatte Truman auch gar nicht wegen dessen Leadership-Qualitäten zum Vizepräsidenten gemacht, sondern - ganz im Gegenteil - wegen deren weitgehenden Fehlens. Nach allem, was man über Truman wusste, konnte er für Roosevelt niemals ein Konkurrent werden, und das war - abgesehen von gewissen parteipolitischen Kompromissen - der Hauptgrund für Roosevelt, Truman die Vizepräsidentschaft anzutragen.

Am Beispiel Trumans sieht man auch sehr gut, wie entscheidend die Situation als Element von Leadership ist. Es bedurfte des zum ungünstigsten Zeitpunkt kommenden Todes Roosevelts am 12. April 1945, um Truman zu einem der Führer des 20. Jahrhunderts zu machen. Ohne dieses - zufällige - Ereignis wäre er eine Fußnote der Geschichte geblieben.

Truman hatte, wie gesagt, als Mensch ein paar Prinzipien, übrigens solche, die ihn in den Augen der meisten Leadership-Experten eher disqualifizierten. Und er hat sich in der historisch bedeutsamen Situation, in die er gestellt war, auf eine bestimmte Weise verhalten. Das war es, was ihn zum Leader machte.

Keine Gemeinsamkeiten

In Wahrheit gibt es überhaupt keine Gemeinsamkeiten in den Eigenschaften von Menschen, die man typischerweise als Leader ansieht. Manche sind außerordentlich intelligent, andere sind geistig nichts Besonderes, eher mittelmäßig. Manche sind "nette Burschen", umgänglich und locker; andere sind unnahbar, zurückhaltend und spröde, von strenger Disziplin, vielleicht von Askese geprägt. Manche sind Draufgängertypen und "Machos"; andere sind kultivierte Menschen, leise und vornehm. Manche lieben Luxus und Show; andere können das nicht ausstehen.

Es sind, wie gesagt, ganz bestimmte Verhaltensweisen in ganz bestimmten Situationen - nicht persönliche Eigenschaften -, die die Führerschaft einer Person erklären und begründen und die vor allem eines bewirken: Gefolgschaft, Glaubwürdigkeit und Vertrauen - und nicht nur Kumpanei.

Eigenschaften sind nicht kausal für Führerschaft. Wenn man der Sache auf den Grund geht, zeigt sich praktisch immer, dass hier ein logischer Fehler ganz besonderer Art vorliegt: Es ist der Fehlschluss vom Späteren auf das Frühere. "Danach - also deswegen", ist die irrige und irreführende Schlussfolgerung.

Sobald sich Führerschaft herauskristallisiert und daher so etwas wie Gefolgschaft entsteht, steht die betreffende Person naturgemäß im Mittelpunkt des Interesses und der Aufmerksamkeit ihrer unmittelbaren Umgebung und, seit es Massenmedien gibt, vor allem im Zentrum des Medieninteresses. Dann - und meistens nicht vorher - fallen den Leuten alle möglichen Eigenschaften auf, die der Führer tatsächlich oder vermeintlich hat (manchmal mögen es auch nur Projektionen sein), die vorher aber im Grunde niemand für beachtenswert gehalten hat.

Dann wird der Schluss gezogen, der Führer habe wegen dieser Eigenschaften Führerschaft erlangt. In aller Regel ist es aber genau umgekehrt: Diese Eigenschaften gelten als bemerkenswert, weil er Führerschaft erlangte. Zuerst war die Führerschaft da, und dann erst - und deswegen - werden Eigenschaften überhaupt bemerkt.

Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.

Take Aways

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