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Malik on Management: Pfeifen Sie auf den Gewinn!

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Gewinnmaximierung ist kein Erfolgskriterium.
Gewinnmaximierung ist kein Erfolgskriterium.©Getty Images/iStockphoto
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Das richtige Unternehmensziel ist nicht, den Profit zu maximieren, sondern eine Leistung für den Markt und die Gesellschaft zu erbringen. Gewinn als oberstes Ziel unterminiert die Ertragskraft eines Unternehmens und führt zum Risiko des Ruins.

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Der Gewinn gehört noch immer zu den am meisten missverstandenen Elementen einer Wirtschaft. Von Managern genauso wie von einem großen Teil der Wissenschaft. In den meisten marktwirtschaftlich orientierten, ökonomischen Theorien findet sich die Denkfigur des Gewinnmotivs als Grund und Antrieb für wirtschaftliches Handeln und die These von der Gewinnmaximierung als oberstes Ziel.

Man kann natürlich prinzipiell niemandem verwehren, ein Unternehmen aus der Sicht des Gewinns zu führen und es als Mittel zur Gewinnmaximierung einzusetzen. Die diesbezüglichen Theorien erscheinen so plausibel, dass sie kaum hinterfragt werden, und wenn, dann in erster Linie aus ideologisch-politischen Gründen.

Es gibt allerdings seit langem ernst zu nehmende Kritik gerade aus dem Lager jener, die ideologisch ganz klar für eine freie Marktwirtschaft sind. Gerade dann, wenn man für ein "Free Enterprise System" ist, kann man den Gewinn in der Art, wie er heute gesehen wird, nicht als oberstes Unternehmensziel akzeptieren. Immer wieder wurde gezeigt und schlüssig bewiesen, dass sowohl das Gewinnmotiv selbst als auch die Ökonomie der Gewinnmaximierung inhaltsleer sind.

Was aber viel wichtiger ist: Sie sind irreführend, und sie sind gefährlich, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Gewinn als oberstes Ziel unterminiert die Ertragskraft eines Unternehmens und führt zum Risiko des Ruins.

Operative oder strategische Führung?

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Selbstverständlich müssen Unternehmen Gewinne machen. Die finanzwirtschaftliche Disziplin, die zu fordern ist, muss höchsten Maßstäben genügen. Das hat aber - im Gegensatz zur herrschenden Meinung - wenig mit Gewinnmaximierung als oberstem Ziel oder als Zweckbestimmung des Unternehmens zu tun.

Als Analogie: "Der Mensch muss zwar essen; das bedeutet aber noch nicht, dass sein oberstes Ziel das Essen ist." Wenn er es dazu macht, sind die Folgen in der Regel destruktiv.

  • Erstens sind die Gewinnermittlungs- und -feststellungsmethoden außerordentlich problematisch; sie sind im Kern willkürlich und lediglich durch Konventionen quasi legitimiert.

  • Zweitens können wesentliche Elemente des Werts eines Unternehmens durch die Instrumente des Rechnungswesens gar nicht abgebildet werden. Daher kann man ein Unternehmen auch mit den Mitteln der Bilanz und der Gewinn-und-Verlust-Rechnung bzw. des Rechnungswesens ganz allgemein weder beurteilen noch führen.

Führung auf Basis der Finanzkennziffern ist operative Führung. Wenn sich Unternehmensprobleme in den Zahlen des Rechnungswesens niederschlagen, ist es für deren Korrektur in der Regel zu spät. Das gilt, nebenbei bemerkt, auch dann, wenn man Cash-Flow- statt Gewinngrößen verwendet. Es braucht daher auch eine strategische Führung, die auf ganz andere Zielgrößen auszurichten ist, aber durch die finanzwirtschaftlichen Maßstäbe diszipliniert sein muss.

Ich schlage vor, Gewinn als die Folge, das Ergebnis der Geschäftstätigkeit zu betrachten, aber nicht als deren Ursache oder treibende Kraft. Gewinn ist der Maßstab für die Richtigkeit und Effektivität dessen, was das Unternehmen tut, er ist aber nicht der Grund für das, was getan wird. Gewinn und Gewinnmaximierung können niemandem sagen, was er tun soll.

Was hinter guten Ergebnissen steht

Die eigentlichen Ursachen für gute Ergebnisse sind Innovation, Marketing und Produktivität, diese müssen die Ziele bestimmen, und an diesen muss man sich orientieren, lange bevor überhaupt über Gewinn gesprochen oder dieser ermittelt werden kann.

Der Zweck des Unternehmens muss außerhalb desselben liegen, im Markt und in der Gesellschaft. In der Erbringung einer wirtschaftlichen Leistung für den Markt und für die Gesellschaft liegt die Legitimation des Unternehmens.

Sein Zweck ist die Schaffung von Kunden durch eine überlegene Marktleistung und die Transformation von Ressourcen in ökonomische Werte. Der Kunde kauft und bezahlt nicht, damit das Unternehmen einen Gewinn erzielt, sondern weil er eine Leistung erhält.

Der Gewinn ist lediglich der Maßstab dafür, ob das Unternehmen diesen Zweck richtig und gut erfüllt.

Die Grundfrage ist somit: Soll das Unternehmen nach rein finanzwirtschaftlichen oder nach realwirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden? Dies zu beantworten, in klarer Kenntnis der Konsequenzen, ist eine der konstitutionellen Kernaufgaben der obersten Unternehmensorgane.

Wo liegt das wahre Motiv der Unternehmer?

Aber ist nicht doch das Gewinnmotiv die treibende Kraft für Menschen, Unternehmer zu werden? Es mag solche Menschen zweifellos geben. Da es aber bis heute nicht gelungen ist, Motive überzeugend nachzuweisen, ist es wesentlich besser, diese Frage offen zu lassen.

Die ökonomischen Theorien unterstellen das Gewinnmotiv einfach als Prämisse; sie können aber für dessen Existenz keineswegs Evidenz vorlegen. Das Gewinnmotiv als Prämisse macht das Theoretisieren leicht und vor allem das Rechnen einfach. Das kann aber noch lange kein Grund sein, einfach ein Motiv zu postulieren, für das es keine Beweise gibt.

Jedenfalls kann den Biografien gerade von Gründerpionieren und Tycoons, aber auch Aussagen von vielen heutigen Unternehmern entnommen werden, dass sie keineswegs von einem Gewinnmotiv getrieben wurden, als sie ihre Unternehmen gründeten. Es gibt jede Menge Hinweise darauf, dass Unternehmer mindestens so häufig, wie sie angeben, Gewinne machen zu wollen, etwas ganz anderes anstreben - nämlich tatsächlich eine Idee zu realisieren, eine Leistung zu erbringen, ein Produkt zu vermarkten.

Viele haben jahrelang auf alles verzichtet, Bankrotte gemacht, wieder von vorne angefangen, immer wieder neue Wege versucht, bis sie endlich unternehmerischen Erfolg hatten, der sich überhaupt in Gewinnen messen ließ.

Es gibt Leute, die gute und gesicherte Existenzen aufgaben, um Unternehmer mit einer höchst riskanten Zukunft zu werden. Hätten sie ökonomische Rechnungen gemacht und zum Beispiel den Barwert ihres berechenbaren, weil gesicherten Einkommens ermittelt und diesen mit dem völlig unberechenbaren, und wenn, dann katastrophal negativen Barwert ihrer unternehmerischen Tätigkeit verglichen, hätten sie diesen Schritt - ökonomisch gewinnmaximierend - nie machen dürfen.

Natürlich ist es ein Leichtes, auch ihnen nichts anderes als Gewinnstreben zu unterstellen - eben nicht kurzfristig, sondern langfristig. Man kann auch zur Tiefenpsychologie greifen und ein unbewusstes Gewinnmotiv unterstellen, eines, das möglicherweise sogar verdrängt wird. Aber genau darin liegt eine der entscheidenden Schwächen der am Gewinn orientierten volks- und betriebswirtschaftlichen Theorien: Sie müssen immer wieder ausweichen - vom Kurzfristigen ins Langfristige und vom Konkreten ins Abstrakte. Damit entleeren sie sich selbst ihres Gehalts. Sie immunisieren sich gegen den Test der Wirklichkeit.

Gewinn, ein Maßstab für die unternehmerische Qualität

Was also das Motiv ist, weiß man nicht, und man sollte das daher auch eingestehen. Einige mögen ihre Gewinne maximieren wollen, andere ein Lebenswerk schaffen und wieder andere berühmt oder mächtig werden. Man weiß es nicht - und die meisten dürften es nicht einmal selbst zweifelsfrei wissen.

Es hat daher auch keinen Sinn, mit Motiven zu operieren. Wesentlich ist etwas anderes, nämlich auf das zu achten, was die Leute tun, nicht, warum sie es tun. Dabei wird man leicht feststellen, dass selbst zahlreiche jener Unternehmer und Manager, die die Rhetorik der Gewinnmaximierung verwenden, sich tatsächlich überhaupt nicht gewinnmaximierend verhalten.

Selbstverständlich muss sich jemand dann, wenn er ein Unternehmen gegründet hat, der Disziplin ökonomischer Gesetzmäßigkeiten unterwerfen. Er muss das, was er tut, letztlich gewinnbringend tun, aber das bedeutet noch lange nicht, dass er es wegen des Gewinns tut. Gewinn ist eine notwendige Bedingung unternehmerischer Existenz, aber er ist bei weitem keine hinreichende Bedingung für das, was das Unternehmen tut. Man kann aus dem Gewinn heraus daher auch gar nicht erklären, was das Unternehmen in der Vergangenheit getan hat und warum. Ebenso wenig lässt sich aus dem Gewinn ableiten, was das Unternehmen in Zukunft tun wird und warum.

Mein Vorschlag ist also, Gewinn als Ergebnis und Maßstab für die Qualität unternehmerischen Handelns zu sehen. Er ist der Test für die Richtigkeit der meist unausgesprochenen Prämissen und Theorien, die unternehmerischem Handeln zugrunde liegen, aber nicht der Grund für ihr Zustandekommen.

Gewinnmaximum und Gewinnminimum

Wie viel Gewinn braucht man wirklich? Eine der Schlüsselfragen in Zusammenhang mit dem Gewinnmaximierungsprinzip ist: Welchen Gewinn meint man? Im Grunde sollte man aus der Perspektive der Führung eines Unternehmens gar nicht von Gewinn sprechen, sondern nur von Kosten. Sobald man dies tut, sieht man sofort, dass auch das modernste Rechnungswesen nur einen Teil der wirklich relevanten Kosten zu erfassen erlaubt, und was es daher als Gewinn ausweist, nämlich den Unterschied zwischen Ertrag und Aufwand, ist entweder falsch oder irreführend.

Es gibt zwei Arten von Kosten: die Kosten des laufenden Geschäfts und jene Kosten, die erforderlich sind, um im Geschäft zu bleiben. Das sind nicht etwa Kosten der Zukunft, sondern es sind heutige Kosten; Kosten, die schon angefallen sind, lediglich noch nicht zu bezahlen waren. Sie sind das, was man als "deferred" oder "accrued costs" bezeichnen kann.

Die Schlüsselfrage, die daher zu stellen ist, lautet nicht: Wie groß ist das Gewinnmaximum? Bemerkenswerterweise hat die gesamte Betriebswirtschaftslehre darauf bis heute keine Antwort zu geben gewusst. Die entscheidende Frage muss auf das Gegenteil gerichtet sein, nämlich auf das Gewinnminimum. Sie muss lauten: Welches Gewinnminimum benötigt das Unternehmen, um auch morgen noch im Geschäft zu sein?

Die Orientierung am Minimum an Gewinn hat gar nichts mit Gewinnfeindlichkeit zu tun, ganz im Gegenteil. Wer immer diese Frage gründlich und gewissenhaft durchdenkt, wird zum Ergebnis kommen, dass das so verstandene Minimum erheblich oberhalb dessen liegt, was die meisten Leute als Gewinnmaximum zu akzeptieren bereit sind.

Das Minimumerfordernis finanzwirtschaftlicher Disziplin ist selbstverständlich die Deckung der Kosten des Kapitals, und zwar des Gesamtkapitals. Das Problem eines Unternehmens ist daher nicht die Gewinnmaximierung, sondern es besteht darin, genügend Gewinn zu erzielen, um die Kosten des Kapitals zu decken und die Risiken der zukünftigen, ökonomischen Aktivität zu finanzieren. Gewinn ist die einzige Quelle, aus der ökonomische Risiken finanziert werden können, und zwar jene des Unternehmens selbst und jene der Gesellschaft als Ganzes.

Führungsfehler durch Gewinnmaximierung

Wie auch immer die Theorie sein mag, die Praxis der Führung eines Unternehmens nach dem Gewinnmaximierungsprinzip führt zwangsläufig zu kurzfristig orientiertem, rein finanziell ausgerichtetem Handeln. Das lässt sich nicht vermeiden.

Corporate Governance bedeutet in erster Linie, zu entscheiden, nach welchen Gesichtspunkten, Zielen und Maßstäben ein Unternehmen zu führen ist. Wie einleitend erwähnt, steht es jedem Unternehmen frei, sich für die Gewinnmaximierung zu entscheiden. Man sollte das aber wenigstens in Kenntnis der Argumente und Bedenken tun, die dagegen vorgebracht werden können.

Wenn man sich dafür entscheidet, dann muss man es im vollen Bewusstsein dessen tun, dass man damit dem exekutiven Management eine vergleichsweise leichte Aufgabe stellt, und man muss sich der Konsequenzen dieser Entscheidung bewusst sein. Es ist keine Kunst, die Gewinne eine Zeit lang, durchaus einige Jahre, drastisch zu erhöhen, und die Börse wird das honorieren. Die wesentliche Frage ist, auf welchem Wege das gemacht wird und welche Konsequenzen es hat.

In aller Regel wird man feststellen, dass die Voraussetzungen des Gewinns, die Ertragspotenziale des Unternehmens, dadurch nachhaltig geschädigt werden. Es wird eine starke Versuchung bestehen, beispielsweise Investitionen in die Marktstellung zurückzunehmen oder jedenfalls nicht forciert zu tätigen, bei Forschung und Entwicklung zu bremsen und bei der Entwicklung des Humankapitals.

In Wahrheit gibt man dem Management damit einen Freipass, die langfristige Gesundheit des Unternehmens erodieren zu lassen zugunsten kurzfristiger Gewinne. Und man muss damit rechnen, dass es dann, wenn die zunächst unsichtbare Erosion der Gewinnpotenziale sich in den Zahlen des Rechnungswesens niederschlägt, zu spät ist, um die Entwicklung zu korrigieren.

Zerstörerischer Gewinn

Gewinn als oberstes und einziges Ziel und a fortiori Gewinnmaximierung zerstören die Leistungskraft des Unternehmens.

Mit der Auffassung, die ich hier vertrete, befindet man sich übrigens in guter Gesellschaft. Pioniere dieser Denkweise waren in Deutschland zum Beispiel Emil Rathenau, der Mann, der in den zwanziger Jahren die AEG gegründet hatte und einer der großen Köpfe der Weimarer Republik war; außerdem war es die Auffassung von Hermann Josef Abs, dem langjährigen Vorstandssprecher und späteren Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank. In den USA war es Peter F. Drucker, der seit seinem Buch "The Practice of Management", das 1954 erstmals erschien, konsequent diese Sichtweise vertrat. Bob Lutz von General Motors gehört dazu, ebenso Jack Welch von GE und Helmut Maucher von Nestlé.

Es könnten zahlreiche andere genannt werden. Viele Unternehmensführer sehen die Dinge sehr ähnlich, nur waren sie in den letzten Jahren gezwungen, Lippenbekenntnisse - oft bis zur Selbstverleugnung - gegenüber den Finanzanalysten und den Börsenmedien zu machen. Auf jeden, der nicht in dasselbe "Börsen"-Horn stieß, ist eine Hetzjagd gemacht worden, die mittelalterlich-inquisitorische Züge trug.

Die Gewinnmaximierungsthese hat wegen ihrer vordergründigen Plausibilität und scheinbaren Richtigkeit immer große Anziehungskraft gehabt, vor allem auf Leute, die selbst nie eine Bilanz zu vertreten hatten und daher die wirkliche Wirklichkeit des Wirtschaftens nie erfahren haben. Umso dogmatischer haben sie ihre eingeschränkte Sicht vertreten.

Weitere Management-Tipps von Fredmund Malik finden Sie auf der Themen-Seite "Malik on Management"

Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.

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