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Malik on Management: Gehen Sie aufs Ganze!

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Fredmund Malik: "Manager und Führungskräfte müssen den Blick auf das Ganze haben, Kathedralen bauen."
Fredmund Malik: "Manager und Führungskräfte müssen den Blick auf das Ganze haben, Kathedralen bauen."©Getty Images/iStockphoto
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Manager ist jemand nicht, weil er Rang und Status hat, Einkommen und Privilegien, Befugnisse und Vollmachten. Manager ist jemand, der das Ganze sieht, Und für Führungskräfte gehört es zu den ersten Aufgaben, den Mitarbeitern die Ganzheit vor Augen zu führen, weiß Management- und Leadership-Experte Fredmund Malik.

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Im Handeln erfolgreicher wirksamer Führungskräfte gibt es etwas, was nur mit etlicher Erfahrung zu beobachten ist: Es kommt darauf an, einen Beitrag an das Ganze zu leisten.

Dieses Prinzip empfinde ich unter allen Managementtechniken als am schwierigsten verständlich zu machen. Von allen Grundsätzen, die zu wirksamer Führung gehören, ist das der abstrakteste. Er ist gleichzeitig einer der wichtigsten. Er ist die Grundlage für die Lösung einer ganzen Reihe notorisch hartnäckiger Probleme im Management:

  • Er ist der Kern dessen, was man ganzheitliches Denken zu nennen pflegt.

  • Er ist eine der Voraussetzungen für unternehmerisches Verhalten.

  • Er eröffnet die einzige Möglichkeit, aus Spezialisten die richtige Art von Generalisten zu machen.

  • Er ist einer der wenigen Wege zu flachen, hierarchiearmen Organisationen oder jedenfalls dazu, dass vorhandene Hierarchien sich nicht störend auswirken.

  • Er ist einer der Schlüssel zu jener Art von Motivation, die dauerhaft ist.

Gründe genug also, diesen Grundsatz ernst zu nehmen und sich mit ihm zu befassen.

Die Geschichte der drei Maurer

Die Grundidee dieses Prinzips kommt am besten in der Geschichte von den drei Maurern zum Ausdruck. Auf manche wirkt sie zwar ein wenig pathetisch, aber sie ist anschaulich:

Ein Mann kommt an eine Baustelle, auf der drei Maurer fleißig arbeiten. Äußerlich ist kein Unterschied zu erkennen. Er geht zum ersten und fragt: "Was tun Sie da?" Dieser schaut ihn verdutzt an und sagt: "Ich verdiene mir hier meinen Lebensunterhalt."

Er geht zum zweiten, fragt ihn dasselbe. Dieser schaut ihn mit glänzenden Augen sichtbar stolz an und sagt: "Ich bin der beste Maurer im ganzen Land."

Dann geht er zum dritten und stellt ihm dieselbe Frage. Dieser denkt einen kurzen Moment nach und sagt dann: "Ich helfe hier mit, eine Kathedrale zu bauen ..." Wer von den dreien ist eine Führungskraft - im besten Sinne des Wortes? Diese rhetorische Frage bedarf kaum einer expliziten Antwort. Sie liegt auf der Hand, für jeden, der die Funktionsweise von Organisationen aus eigener Anschauung kennt.

Manager ist jemand nicht, weil er Rang und Status hat, Einkommen und Privilegien, Befugnisse und Vollmachten. Manager ist jemand, der das Ganze sieht, sich jedenfalls bemüht, es zu sehen, und der seine Aufgabe dann - gleichgültig von welcher Stelle und welcher Spezialisierung aus - darin sieht, einen Beitrag an eben dieses Ganze zu leisten: die "Kathedrale" zu sehen und mitzuhelfen, sie zu bauen.

Position oder Beitrag?

Das Entscheidende an diesem Grundsatz ist, dass wirksame Führungskräfte ihre Aufgabe nicht von ihrer Position her verstehen, sondern von dem, was sie mit ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen von eben dieser Position aus beitragen können. Rang, Status und Privilegien sind ihnen nicht als solche wichtig. Wichtig sind sie ihnen nur insoweit, als sie ihnen helfen, einen Beitrag zu leisten. Die Position und alles, was dazu gehört, ist für sie Voraussetzung dafür, etwas bewegen und bewirken zu können.

Es sind Positionen, die die Hierarchie in einer Organisation begründen. Das Wesentliche ist aber nicht die Hierarchie, sondern die Frage, ob sie hinderlich ist. Führungskräfte, die sich durch ihren Beitrag leiten lassen, machen die Hierarchie de facto bedeutungslos. Sie ist noch da, sie wurde nicht abgetragen, aber sie wirkt sich nicht aus.

Der dritte Maurer ist im einleitend verwendeten Gleichnis somit eine echte Führungskraft im besten Sinne des Wortes - auch wenn er nur ein Maurer ist, nie Prokura haben wird, nie ein schönes Büro und nie ein höheres Einkommen.

Der erste Maurer ist kein Problem. Es gibt sehr viele Menschen von diesem Typus, es wird sie immer geben, und wir werden sie auch immer brauchen. Das sind Menschen, die ihr Leben nach dem Motto führen: Für guten Lohn leiste ich gute Arbeit, für mehr Geld etwas mehr und für weniger Geld weniger. Menschen dieser Art machen selten Schwierigkeiten; sobald man weiß, wie sie denken, sind sie leicht zu führen. Man sollte gar nicht versuchen, sie zu ändern, außer es handelt sich um noch sehr junge Menschen. Junge Leute sollte man schon fragen, ob das wirklich alles ist, was sie vom Leben erwarten. Wenn das jemand aber bejaht, dann hat man seine Schuldigkeit getan.

Spezialist oder Generalist?

Ein großes Problem ist der zweite Maurer. Das ist der Typus des Spezialisten. Ein Spezialist ist nicht nur ein Mensch mit besonderen Kenntnissen oder einer besonderen Ausbildung, sondern - und das ist das Problem - mit einem darauf gestützten und aus diesem resultierenden Selbstverständnis und Weltbild. Er ist jener Typus, der zutiefst davon überzeugt ist, das Universum sei geschaffen worden, damit er seinem Spezialgebiet frönen kann. Er ist brennend - bis zur Leidenschaft - an allem interessiert, was in seinem Fach passiert - und das ist gut, es ist Berufsethos; alles andere aber interessiert ihn überhaupt nicht - und das ist Indifferenz. Er ist stolz auf seine Expertise - mit Recht; aber ebenso stolz ist er darauf, von allem anderen nichts zu verstehen - und das ist Arroganz.

Arroganz und Indifferenz sind die herausragenden Untugenden der Spezialisten, und sie sind gravierende Probleme für jede Organisation. Sie gehören auf die Liste der Todsünden wider den Geist einer guten Organisation.

In diesem Sinne falsch verstandenes Spezialistentum ist eine der, wenn nicht überhaupt die wesentliche Ursache für die so oft beklagten Kommunikationsprobleme und für die weniger häufig zitierten, aber mindestens so wichtigen Probleme des Realitätsverlustes in so vielen Organisationen. Spezialisten kennen ihre Realität, aber die Realität der Organisation interessiert sie nicht.

Damit kein Missverständnis entsteht: Ich bin selbstverständlich überhaupt nicht gegen Spezialisten oder gegen Spezialisierung. Ganz im Gegenteil: Die Geringschätzung der Spezialisierung halte ich für gefährlich für jede Art von Fortschritt und von Leistung. Und die übliche Vorstellung vom Generalisten halte ich für naiv und romantisch. Insbesondere ist die Meinung unrealistisch, dass man Generalisten bekommt, indem man Spezialisten dazu bringt, statt einem Fachgebiet deren zwei, drei oder vier zu studieren. Das ist ein völlig untauglicher Weg; hoffnungslos in zeitlicher Hinsicht, aber auch bezüglich dessen, was Menschen überhaupt leisten können.

Der Mensch denkt, so wie er denkt; anders kann er nicht denken. Man muss schon froh sein, wenn er gelegentlich richtig denkt.

Die Spezialisierung ist schon in Ordnung, und sie ist notwendig. Eine moderne Gesellschaft hat, erstens, nur noch Spezialisten; etwas anderes gibt es praktisch nur noch selten, wenn überhaupt, denn jeder ist eben auf seine Weise ein Spezialist. Zweitens, man braucht auf jedem Gebiet hoch ausgebildete Spezialisten. Anders ist Leistung heute gar nicht mehr zu haben, und vor allem wird es ohne sie keine Chance geben, konkurrenzfähig zu bleiben oder zu werden.

Was aber gemeint sein muss, ist der Spezialist, der sich ins Ganze integriert, und das wiederum gelingt praktisch nur, indem man dem hier besprochenen Grundsatz wirksamer Führung Geltung verschafft. Es bleibt also gar keine Wahl. Man muss Spezialisten produktiv und wirksam machen. Der Nur-Spezialist ist unbrauchbar, ja er ist gefährlich. Jener Spezialist hingegen, der seinen Beitrag ans Ganze zu leisten in der Lage ist, ist die vielleicht wichtigste Ressource einer modernen Gesellschaft.

Um noch einmal das Gleichnis von den drei Maurern zu bemühen: Der dritte Maurer ist als Maurer ja genauso spezialisiert wie der zweite Maurer. Sie unterscheiden sich nicht durch ihre Kompetenz als Maurer oder ihren Spezialisierungsgrad. Sie unterscheiden sich - und das eben fundamental - durch ihre Einstellung zum Ganzen. Sie unterscheiden sich durch die je sehr unterschiedliche Regulierung ihres Verhaltens durch je ganz verschiedene Grundsätze.

Ganzheitliches Denken.

Ich sagte oben, dass der Grundsatz der Beitragsorientierung der eigentliche Kern des ganzheitlichen Denkens sei. Man hört inzwischen ja überall die Forderung nach ganzheitlichem und vernetztem Denken. Ich habe selbst etliche Jahre lang aktiv dazu beigetragen, dass diese Formulierung Verbreitung fand. In meinen früheren Schriften findet sie sich noch reichlich. Heute tue ich das nicht mehr. Denn, was ist das: ganzheitliches Denken? Was wird unter diesem Titel von den Menschen verlangt?

Der Mensch denkt, so wie er denkt; anders kann er nicht denken. Man muss schon froh sein, wenn er gelegentlich richtig denkt - im Sinne von logisch korrekt. Aber ganzheitlich? Die Forderung ist unerfüllbar. Was aber erfüllbar ist, ist eine andere Forderung: nämlich an die Ganzheit zu denken. Das ist etwas ganz anderes als "ganzheitlich denken". Es ist nicht immer leicht - zugegeben -, aber es ist möglich. Der Mitarbeiter kann es lernen. Und für Führungskräfte gehört es zu den ersten Aufgaben, den Mitarbeitern die Ganzheit vor Augen zu führen, es ihnen leicht zu machen, die Ganzheit zu erkennen.

Am besten kann man das vielleicht bei den guten Orchesterdirigenten beobachten. Jeder Musiker ist ein exquisiter Instrumentalist, und als solcher - ein sehr enger Spezialist. Er bleibt ein solcher, ein Leben lang. Der Klarinettist wird nie ein Geiger; und der Hornist wird sich nie der Oboe zuwenden. Die Musiker wer-den nicht einmal innerhalb ihrer Instrumentengruppe wechseln; daher ist es für die Praxis der Musiker völlig bedeutungslos, etwa von Blasinstrumenten oder Streichinstrumenten zu sprechen. Der Posaunist kann einer Trompete keinen brauchbaren Ton entlocken (und umgekehrt der Trompeter nicht der Posaune) - und wenn er es nach langem Üben endlich könnte, dann wäre er als Posaunist unbrauchbar. Die Violinistin kann und wird nicht auf das Cello wechseln.

Das ist für einen Dirigenten auch gar kein Problem. Er wird nie nach einem Generalisten rufen; er braucht eben diese Spezialisten, und er wird daher nie von einem Geiger verlangen, dass er auch noch Trompete spiele. Er wird aber eines tun: Die großen Dirigenten geben sich unendliche Mühe, den Musikern das Musikstück - die Sinfonie - als Ganzes verständlich zu machen, und sie verlangen von jedem Instrumentalisten, dass er sich im Hinblick auf die Sinfonie integriert. Selbst ein Solo ist Teil des Ganzen und ist für sich allein bedeutungslos. Die Virtuosität steht nicht im Dienste des Instrumentes, sondern im Dienste der Musik.

Beitrag und Motivation.

Beizutragen zu einem größeren Ganzen ist es auch, was jene Motivation bewirkt, die man in einer Organisation wirklich braucht. Motivation nämlich, die unabhängig ist von irgendwelchen Incentives oder motivierenden Verhaltensweisen durch Vorgesetzte. Die Kenntnis des Ganzen, der Dienst am Ganzen, das Bewusstsein, etwas Wichtiges zu seiner Entstehung, Erhaltung und zu seinem Erfolg beizutragen, sind vom Wechselspiel der täglichen Motivationskünste völlig unabhängig. Auf dieser Basis entsteht eine viel stabilere und größere Motivation, als sie von den meisten anderen so genannten Motivatoren herbeigeführt werden kann.

Dass man diese Einstellung nicht von allen Menschen verlangen kann, liegt auf der Hand. Man muss sie aber von Führungskräften verlangen, und man muss sie daraufhin ausbilden und erziehen. Sie ist den meisten Managern nämlich keineswegs klar, geläufig und bewusst. Wenn ich mit Führungskräften zu arbeiten habe, frage ich zu Beginn immer, was sie in der Firma tun. Jeder nennt dann seine Tätigkeit. Aber wie tut er das?

Beitrag statt Titel.

Zum Beispiel sagt der Erste, er sei Leiter der Marktforschung in der XY-Firma. Der Zweite berichtet, dass er Direktor der Sowieso-Bank sei. Der Dritte ist Chef der Qualitätssicherung, und der Vierte sagt, er sei Werksleiter für das ABC-Unternehmen. Sind das Antworten auf meine Frage, auf die Frage nämlich: Was tun Sie? Nein, es sind Antworten auf die Frage: Wer sind Sie? Die Leute antworten mit den Überschriften ihrer Stellenbeschreibungen oder ihrer Dienstverträge - sie antworten mit ihren Titeln. Das ist es aber nicht, worauf es ankommt, und das ist es nicht, wonach gefragt wurde. Dass jemand den Namen, die Bezeichnung seiner Stelle nennen kann, darf vorausgesetzt werden. Damit ist aber überhaupt nicht gewährleistet, dass er weiß, worum es dort geht, was das Ganze ist und was er dazu beizutragen hat.

Wenn man an Wirksamkeit von Management interessiert ist, dann kann man es dabei nicht bewenden lassen, sondern man muss dafür sorgen, dass möglichst viele Mitarbeiter in der Organisation - und darunter ganz besonders die Manager - die "Kathedrale" sehen, also größtmögliche Klarheit über das Ganze haben.

Wie geschieht das? Im Grunde ist es einfach. Man muss in regelmäßigen Zeitabständen seinen Mitarbeitern die Frage stellen: "Worin besteht Ihr Beitrag?" Das ist die höfliche Form der Fragestellung - und sie ist daher auch ein bisschen blutleer. Besser, präziser, etwas weniger höflich und dafür umso wirksamer: "Wieso stehen Sie eigentlich auf der Lohnliste dieser Firma ...?"

Man wird erstaunt sein, wie selten man eine brauchbare Antwort bekommt. Die Leute können mit der Frage zunächst nichts anfangen, nicht zuletzt deshalb, weil sie ihnen nie gestellt wird. Man muss darauf hinarbeiten, dass sie Antworten eines ganz bestimmten Typs zu geben lernen. Was sie sagen, darf nicht beginnen mit: "Ich bin ...", sondern mit: "Ich sorge in dieser Organisation dafür, dass ..."

Ich schlage vor, niemals davon auszugehen, dass die Mitarbeiter einer Organisation sich dieser Dinge bewusst sind. Man meint, sie seien klar, oder sie müssten doch klar sein. Sie sind es nicht - das muss die Leitprämisse sein, und dementsprechend ist es eine Managementaufgabe, dafür zu sorgen, dass das alles klar wird.

Ich will es zum Schluss auf den Punkt bringen: Wenn man einen Musiker nach einem Konzert fragt: "Was haben Sie gespielt", und er daraufhin die Achseln zuckt und meint: "... keine Ahnung, ich habe Trompete geblasen ...", dann ist in diesem Orchester etwas schief gegangen. Man muss dafür sorgen - und die guten Orchesterführer tun genau das -, dass der Trompeter sagt: "Heute? Heute haben wir Beethovens Dritte wie noch nie zuvor aufgeführt; und dabei war ich erster Trompeter."

Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.

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