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Kunst als Inspiration für Führungskräfte: Grüße aus Venedig

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Österreich auf der Biennale. Mit dem Wiener Traditionsunternehmen Kohlmaier hat Jakob Lena Knebl einen Fauteuil in Form einer mit überdimensionalen Ringen und Armreifen geschmückten Hand entwickelt. ("Hold me now", 2021.)
Österreich auf der Biennale. Mit dem Wiener Traditionsunternehmen Kohlmaier hat Jakob Lena Knebl einen Fauteuil in Form einer mit überdimensionalen Ringen und Armreifen geschmückten Hand entwickelt. ("Hold me now", 2021.)©Podesser.net
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Diese Erkenntnis mag zunächst abstrus klingen, aber Kunst kann Führungskräften helfen, festgefahrene Annahmen, Haltungen und Denkmuster zu überwinden, betont Führungskräfte-Coach Michael Schmitz.

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Nur die Paranoiden überleben.

Michael SchmitzPsychologe, Coach & Management-Trainer

Andrew Stephen „Andy“ Grove, der 1936 in Budapest geborene und 2016 in Los Angeles verstorbene legendäre Intel-Mitbegründer, hatte uns gemahnt. Er meinte, wer als Manager und Unternehmer nicht immer wieder erahnt, was sich in der Welt verändert und wie darauf zu reagieren ist, wird schneller scheitern, als er glaubt. Vor allem, wenn er gerade auf einer Welle des Erfolgs schwimmt. Weil Erfolg dazu verführe, zu engstirnig an Konzepten festzuhalten, die Erfolge beschert haben, um dann nicht zu erkennen, welche Entwicklungen das eigene Geschäftsmodell aus den Angeln heben.

Beispiele für derartige Irrtümer gibt es zahlreiche: Kodak, Nokia, Blackberry, Blockbuster, Lehman Brothers. Allerdings bleibt die Frage: Wie ist die Wahrnehmung für sich anbahnende Erschütterungen zu schärfen, wie sind sie früher zu erkennen? Und wie könnte man selbst schneller Neues entwickeln, was weiteren Erfolg garantiert? Das ist nicht einfach. Denn wir nehmen die Welt nach Mustern war, mit denen wir bislang gut gefahren sind. Wir sehen eher, was uns bekannt vorkommt, und ordnen es in bestehende Denkkategorien ein. Was dazu nicht passt, rauscht leicht an uns vorbei. Und um selbst Neues zu denken, müssten wir in der Lage sein, neu zu denken, also aus etablierten Bahnen auszubrechen.

Voraussetzungen dazu: Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Die Bereitschaft, sich überraschen zu lassen. Der Wille, zu beobachten, ohne (vor-)schnell zu urteilen, sich Zeit zu nehmen, intensiver und genauer hinzuschauen, sich einzulassen.

Kunst kann nur sinnlich und assoziativ erschlossen werden.

Michael SchmitzPsychologe, Coach & Management-Trainer

Das gilt es, als Haltung zu pflegen. Dabei kann - es mag zunächst abstrus erscheinen -die Auseinandersetzung mit Kunst, mit Malerei, Installationen, Skulpturen helfen. Denn das verlangt, Impulse aufzunehmen, die irritieren, Ambiguität offenbaren, Intuition anstoßen, neues Empfinden.

Bildende Kunst ist nie Abbildung von Realität, sondern Gestaltung. Sie ist - auch figurativ - immer Abstraktion und Interpretation, stellt dar, wie ein Künstler/eine Künstlerin die Welt erlebt, eröffnet Betrachtern Räume, selbst neu zu leben, kreiert neue Vorstellungen, schafft so die Basis für neues Denken. Kunst kann nur sinnlich und assoziativ erschlossen werden. Indem sie Gedanken und Empfindungen stimuliert, verbindet sie Gefühle mit Kognitionen und lässt beides zur Geltung kommen. Nicht-gegenständliche Elemente lassen Farben und Formen "sprechen". Sie stoßen uns an als Gleichnisse aus dem Unbewussten, um Unbekanntes in der scheinbar bekannten und erkannten Welt zu erschließen.

All das fördert Kreativität, triggert neues Denken, stärkt die Voraussetzungen für Innovation. Methoden und Tools der Business Administration, die nur für managebar halten, was objektiv zu messen ist, schaffen es nicht. Allein damit gelingt in Zeiten des rasanten Wandels, Informationsüberflutung und zunehmender Aufmerksamkeitsdefizite kein innovatives Management. Die Erkenntnis, dass Kunsterlebnisse Leadership stärken und innovationsförderlich sein können, erreicht sogar Business Schools. Nancy Adler von McGill ist davon richtig gepackt.

Viele Manager haben zu Kunst keinen Zugang. Die Frage ist schon: Was ist Kunst überhaupt? Die distanzierte Haltung hat zu tun mit dem Kunstmarkt. Er überschüttet uns unaufhörlich mit fragwürdigen Produkten. Verquaste Theorien wollen alles Mögliche zu Kunst erklären: Müllhaufen, Sturmgewehre, Pissoirs, sogar - keine Satire! - Künstler-Kot in Dosen. Unzählige Kuratoren und Kritiker sondern dazu lange und verwirrende Auslassungen ab - in einer Sprache, die für andere kaum zu verstehen ist und sie als Ignoranten dastehen lässt. Ständig wird etwas andres gehypt. "Der Kunstmarkt bringt Shootingstars in einer Frequenz hervor, die den Produktzyklen von H&M gleicht", lästern die Kunsthistoriker Saehrendt und Kittl. Was soll man da ernst nehmen?

Kunst muss berühren. Gelingen kann das nur in persönlicher Begegnung mit Kunst.

Michael SchmitzPsychologe, Coach & Management-Trainer

Die britische Künstlerin Jeremy Deller antwortete auf die Frage, woran man überhaupt erkennen könne, dass etwas Kunst sei: "Am Preis!" Der Markt ist zum Spielplatz für Zocker geworden. Damien Hirst ist Künstler und Markt-Experte. Gepusht vom Galerie-Mogul Larry Gagosian verkauft er tote Tiere in Formaldehyd oder Viagra-Pillen in Schaukästen für stramme Millionen-Beträge. Sein Kommentar zum Kunstmarkt: "Cunts sell shit to fools."

Kunst muss berühren. Gelingen kann das nur in persönlicher Begegnung mit Kunst. Ohne sich von Markt-Notaren, Auktions-Akrobaten und Mainstream-Schwadroneuren abschrecken zu lassen. Durch unbefangene Besuche von Museen, Galerien, Biennalen.

So wäre die Biennale Venedig als Seismograph der aktuellen Entwicklung in der bildenden Kunst und der sonstigen Welt zu erleben. Dieses Jahr bietet sie eine Schau des globalen Wandels, von Diversität und Inklusion, voller Spannungen. Feinfühlig reflektiert werden Veränderungen, die uns überall betreffen. Künstlerinnen dominieren die Schau. Zu sehen ist große ethnische Vielfalt, LGBD, immer wieder Bezüge zu indigener Kunst. Die Kuratorin Cecila Alemani thematisiert so zeitgemäß "Identität", die - ebenso wie Authentizität - keine fixe Größe ist, sondern aus fluiden und hybriden Eigenschaften besteht. Das passt zu einer sich rasant und dramatisch verändernden Welt, in der auch wir uns ständig verändern.

Leben soll Freude machen und Sinn stiften. Fluide Identitäten werfen alte Konzepte von Beschäftigung, People Business und Employer Branding auf den Müll.

Michael SchmitzPsychologe, Coach & Management-Trainer

Da mitzuhalten, ist für Recruiter und Vorgesetzte in Unternehmen zur ständigen Herausforderung geworden. Fluide Identitäten werfen alte Konzepte von Beschäftigung, People Business und Employer Branding auf den Müll. Viele Menschen, zumal die jüngeren, sind nicht mehr orientiert auf stetes Wirtschaftswachstum, Full-time-Jobs und steile Karriere. Leben soll Freude machen und Sinn stiften. Erst recht seit Corona. Für Unternehmen, die den Mentalitäts-Wandel ignorieren, sind junge Talente unerreichbar.

Die Kuratorin Alemani will - trotz der Krisen, die uns überziehen - keine "Weltuntergangsstimmung" verbreiten. Sie möchte - wie es die Feministin Silvia Federici benannt hat - eine "Wiederverzauberung" fördern. Etwa durch eine Beziehung von Mensch und Natur, die "nicht ausbeuterisch, sondern symbiotisch, überraschend und magisch" ist. Ein Thema, das auch das Weltmuseum Wien mit der Ausstellung "Oceans. Collections. Reflections." aufgreift. Zu sehen sind Arbeiten des Maori-Künstlers George Nuku, der eigene Werke vereint mit Sammlungen aus dem Naturhistorischen Museum Wien und dem Weltmuseum, uns so transkulturelle Perspektiven eröffnet und zugleich einen großen historischen Bogen spannt. Ermöglicht wird so ein neuer Blick auf uns selbst, unser Verhältnis zur Welt, auf die Verhältnisse, die wir selbst schaffen.

Die Biennale Venedig zielt auch auf die "Vermittlung und Rettung uns fremder Mythen, Legenden und Geschichten". Denn sie mahnen uns, dass die industrielle Vorstellung, der Mensch möge sich die Natur unterwerfen, immer größere Probleme schafft wie Klimawandel und Artensterben. Indigene Kunst mit ihrer Welt-Sicht, ihren Symbolen, Geistern, Fabelwesen, fluiden Kreaturen stellt technokratische Denk-und Handlungsmuster infrage, die sich in Industrie-Gesellschaften verfestigt haben und zu immer komplexeren Problemen führen, wiewohl sie gerade beanspruchen, Probleme zu lösen.

Kunst kann uns helfen, festgefahrene Annahmen, Illusionen, Haltungen, Denkmuster zu überwinden.

Michael SchmitzPsychologe, Coach & Management-Trainer

Energiekrise und Putins Kriege sind Miseren, die wir uns zu einem Großteil selbst zuzuschreiben haben. Eingefahren sind wir mit starrem Denken und blöder Zuversicht, mit Aufmerksamkeitsdefiziten, anhaltenden Wahrnehmungsstörungen, mit denen uns nichts mehr irritiert hat, mit verkümmerter Intuition und mangelnder Kreativität-Haltungen, die bei Auseinandersetzung mit Kunst aufgebrochen werden.

Komplexe Probleme können wir schwerlich ein für alle Mal lösen. Der industrielle Optimismus ist Illusion. Aber wir können Probleme besser angehen und sie so - wie der Philosoph Anders Indset sagt -"zu besseren Problemen" machen.

Kunst kann, wenn wir uns neugierig auf sie einlassen, uns helfen, festgefahrene Annahmen, Illusionen, Haltungen, Denkmuster zu überwinden, die uns in pseudorationalen Trugschlüssen gefangen nehmen. Kunst sensibilisiert das Empfinden und stimuliert den Geist. Das ist genau das, was Leadership braucht.

Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 29.7.202 entnommen.

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