
Der Luftverkehr, eine der letzten Männerbastionen, wird trotz Gegenwind aus den USA sukzessive weiblicher. trend hat mit vier Frauen gesprochen, die vom Fliegen nicht mehr loskommen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass die Jahrestagung der Internationalen Luftverkehrsvereinigung IATA Anfang Juni in Indien stattfindet. Kaum ein Markt ist in den letzten Jahren im Luftverkehr so gewachsen wie der indische, und auch in Sachen Gender Diversity haben die Inder gegenüber vielen westlichen Nationen die Nase vorne. IndiGo, Indiens größte Fluglinie, hat mit 800 Pilotinnen jetzt bereits einen Frauenanteil von rund 14 Prozent und liegt damit deutlich über dem globalen Durchschnitt von zehn Prozent. Noch heuer will die Airline mehr als 1.000 Pilotinnen in ihren Cockpits sehen.
Das Thema Diversity ist in der Luftfahrt angekommen und nimmt mittlerweile breiten Raum ein. Nahezu jede Airline, die etwas auf sich hält, hat aufwendige Programme zur Frauenförderung installiert. Bei der heimischen Airline AUA heißen diese etwa „GoAhead4LC3“ oder „NextupWoman“ für mehr Frauen im Management, die in Wien drittgrößte Airline, Wizz Air, mit Headquarter in Ungarn fährt wiederum ein „She Can Fly“-Programm, das die Quote bei Pilotinnen erhöhen soll.
Diese Programme beginnen langsam zu greifen. So berichtet die AUA, dass die Zahl der Managerinnen in den letzten zehn Jahren von zehn auf 29 Prozent angestiegen ist. Bekanntlich sitzt ja auch mit Annette Mann eine Frau im Chefsessel. Damit hat die AUA auch die von der IATA im Jahr 2019 ins Leben gerufene „25 by 2025“ mit dem Ziel, heuer 25 Prozent der Führungspositionen mit Frauen zu besetzen oder eine Verbesserung um 25 Prozent zu erreichen, bereits übertroffen.
Noch weiter ist man beim Konkurrenten Wizz Air, wo die Frauenquote im Topmanagement nach eigenen Angaben bereits bei 38 bis 39 Prozent liegt. Weltweit sprach man zuletzt von mehr als elf Prozent Frauen als CEOs und rund 20 Prozent im Topmanagement von Fluglinien. 2015 lag der Anteil bei lediglich fünf Prozent.
Frauen auf dem Vormarsch
Seit 2022 ist die gebürtige Bayerin Annette Mann die erste Frau an der Spitze der Austrian Airlines. Auch wenn die 47-jährige Lufthanseatin 2024 und auch im heurigen ersten Quartal tiefrote Zahlen präsentierte, scheint sie fest im Sattel zu sitzen. In der Air-France-KLM-Gruppe finden sich mit Anne Rigail und Marjan Rintel gleich zwei Frauen im Executive Commitee, an der Spitze des Konzerns steht mit Ben Smith aber dennoch ein Mann. Immerhin konnte die Gruppe zuletzt ihre Verluste massiv verringern. 2022 ging auch bei der türkischen Pegasus Airline mit Güliz Öztürk eine Frau an Bord. Unter ihrer Führung expandierte die Airline zuletzt stark. Die Managerin bekam für ihre Leistung in den USA sogar einen Award verliehen.
Laut Internationaler Luftverkehrsvereinigung IATA waren zuletzt immerhin rund acht Prozent der CEOs in den 100 größten Fluglinien der Welt Frauen. Sechs Jahre zuvor lag die Quote bei bescheidenen drei Prozent. Fortschritte diesbezüglich gab es nicht nur in Europa: Die israelische Airline El Al wird von Dina Ben Tal Ganacia geleitet, an der Spitze der japanischen JAL steht seit letztem Jahr mit Mitsuko Tottori die erste Frau, und bei der australischen Qantas Airways sitzt seit 2023 Vanessa Hudson. Und auch die IATA selbst hat mit Yvonne Makolo aus Ruanda eine Chefin.


Nadine Renner
© Austrian AirlinesNadine Renner ist eine von 49 AUA-Pilotinnen
Nur selten erfüllen sich Kindheitsträume wie jener von Nadine Renner. Sie wuchs in der Einflugschneise des Flughafens Wien auf und wollte schon als Dreijährige „das machen, was die da oben machen“. Nämlich selber fliegen. Seit 2010 ist der Wunsch der 37-Jährigen Realität. Sie ist Pilotin, seit 2017 Flottenpilotin. Renner ist eine von 49 Pilotinnen bei der AUA. Diesen stehen 977 männliche Kollegen gegenüber. „Wenn ich beim Borden an der Cockpittür stehe, schauen mich manche Passagiere mit großen Augen an und wollen sichergehen, dass im Cockpit eh auch noch ein Mann sitzt“, erzählt Renner belustigt. Dennoch, so die Pilotin, „ist die Akzeptanz von Frauen in dem Beruf besser geworden.“ Auch als Fluglehrerin, als die Renner nebenbei tätig ist, begegnet sie immer öfter Frauen. „Ich wünsche mir mehr Kolleginnen, aber ich fürchte, ein Frauenanteil von mehr als zehn Prozent bei Pilotinnen könnte eine Challenge werden.“ Dabei würde die Airline gerade Frauen mit Familie große Flexibilität zugestehen, so Renner. Was aber gefällt ihr so daran, Pilotin zu sein? „Man benötigt ein großes Spektrum an Wissen, nicht nur technischer Natur. Das Multitasking im Cockpit ist besonders wichtig, und wenn ich mit so einem 80-Tonnen-Flieger abhebe, bekomme ich auch nach 15 Jahren Fliegen noch Gänsehaut.“ Und die wird sicher nicht weniger werden, wenn Renner in rund drei Jahren Kapitänin ist.
Kampf für die Quote
„Als ich vor etwas mehr als 20 Jahren in der Branche begonnen habe, fand man Frauen fast nur in den Sekretariaten oder als Stewardessen“, berichtet Austro-Control-Chefin Elisabeth Landrichter, die das heimische Luftfahrtbusiness wie ihre Westentasche kennt. Dies habe sich glücklicherweise in den letzten Jahren gewandelt – auch durch Role-Models wie sie oder AUA-Chefin Mann. Auch bei der Flugsicherung kämpft man dafür, mehr Frauen zu beschäftigen. Von den 350 Lotsen sind nur 20 Prozent Frauen. Mittelfristig will man auf 28 bis 30 Prozent kommen,berichtet Landrichter. Dies sei aber eine „Riesenherausforderung“, denn: „Die meisten Frauen glauben, dass sie hier vorwiegend technische Berufe erwarten. Ich sehe es als Ansporn, mit diesen Stereotypen aufzuräumen.“
Eines dieser Stereotypen ist es wohl auch, dass man in der Luftfahrt wegen der vielen unvorhergesehen Ereignisse ständig auf Stand-by sein muss und diese Jobs deshalb nur schwer mit einer Familie vereinbar sind. Nadine Renner, eine von 49 Pilotinnen bei der AUA, die auch als Fluglehrerin arbeitet, rechnet noch mit viel Überzeugungsarbeit bei der Erhöhung der Quote. Aktuell sind gerade einmal fünf Prozent in AUA-Cockpits Frauen. „Ich wünsche mir natürlich mehr Kolleginnen, aber auf über zehn Prozent werden wir wohl nur schwer kommen“, fürchtet Renner. Dabei, so die Pilotin, komme die Airline gerade Müttern streckenmäßig und zeitlich sehr entgegen.


Susanne Ebm
© Andreas HoferSusanne Ebm leitet die IT am Flughafen Wien
Mit vielen Männern hat Susanne Ebm schon früh umzugehen gelernt. Sie wuchs mit drei Brüdern auf, die Eltern behandelten alle gleich. Und auch im Studium – die Niederösterreicherin entschied sich für technische Mathematik – waren die Frauen rasch in der Unterzahl. Nach zwei Jahren bei der Uniqa landete die heute 42-Jährige am Flughafen Wien, wo sie zuerst für IT-Großprojekte verantwortlich war und 2012 schließlich die Gesamtverantwortung für die IT am Flughafen mit 150 IT-Systemen übernahm. „Es ist faszinierend, was alles zum Flughafen gehört. Eigentlich ist man für die IT einer ganzen Stadt verantwortlich“, berichtet Ebm. Von Zutrittskontrolle über Feuerwehr und digitale Werbung – überall muss die IT funktionieren. Ebm: „Wir haben es hier mit so vielen Branchen zu tun, dass es nie langweilig wird.“ Insgesamt sind der Managerin 200 Mitarbeitende unterstellt, die sie anfangs nicht alle mit offenen Armen empfangen haben. „Vor allem die älteren Mitarbeiter haben sich mit einer jungen Frau als Chefin schwer getan, aber das Flughafenmanagement hat mich stets unterstützt“, erzählt die Mutter eines Kindes. Jetzt ist sie selbst in der Position, andere zu unterstützen, weshalb sie das Frauen-Netzwerk „Die Flughäfin“ gegründet hat, wo sich all jene Frauen, die am Flughafen arbeiten, austauschen können.
Pilotenmangel
Frauen als Pilotinnen zu gewinnen, ist den Airlines aber nicht nur aus Diversity- und ESG-Gründen ein Anliegen, sondern auch aus wirtschaftlichen. „Wir sind ein Wachstumsunternehmen. Aktuell haben wir 231 Flieger und wollen bis 2031 auf 500 wachsen. Nächstes Jahr allein kommen 50 neue Flieger dazu“, berichtet Yvonne Moynihan, ESG-Managerin bei Wizz Air. „Wir brauchen Frauen, um unser Wachstum gewährleisten zu können.“ Die Cockpits lassen sich natürlich leichter füllen, wenn auch Frauen dabei sind. Dazu benötigt die Airline sehr viele neue Mitarbeitende. Weltweit fehlen angeblich 80.000 Pilot:innen. Bei der AUA-Schwester Swiss führt dieser Mangel sogar dazu, dass die Airline diesen Sommer sogar 1.400 der im Programm befindlichen Flüge wieder streichen muss.
Einige Fluglinien wie Wizz Air mit ihrem Programm „Cabin Crew to Captain“ oder Swiss gehen nun dazu über, gezielt Flugbegleiterinnen zu Pilotinnen umzuschulen. Denn dort ist die Frauenquote mit 79,1 Prozent verhältnismäßig hoch. Diversity sieht man hier auch in der Gegenrichtung: Die Wizz Air etwa spricht gezielt Männer an, eine Karriere beim Kabinenpersonal in Betracht zu ziehen.


Yvonne Moynihan
© BeigestelltYvonne Moynihan ist bei der Wizz Air für ESG und Diversity zuständig
Es war ein Inserat des irischen Billigfliegers Ryanair mit einem Foto von Chef Michael O’Leary und dem Claim „Workaholic Wanted!“, das Yvonne Moynihan in die Luftfahrtindustrie brachte. Die Juristin fühlte sich dadurch angesprochen und verbrachte die nächsten vier Jahre bei Ryanair. Danach wechselte sie zum spanischen Diskonter Vueling, ehe sie 2022 bei Wizz Air anheuerte, wo sie für Recht, ESG und Corporate Communication zuständig ist. „Wenn man einmal in der Luftfahrtbranche arbeitet, kommt man davon einfach nicht mehr los“, erzählt die Irin. Dieses Virus verlangt einem aber auch einiges ab: „Man muss ständig erreichbar sein, weil es immer irgendwo eine Krise gibt. Sei es makroökonomisch, geopolitisch, vom Wetter her, oder es ist etwas mit den Passagieren. Die Arbeit erfordert ein hohes Maß an Resilienz“, so Moynihan.
Dennoch ist sie überzeugt: „Mit den richtigen Unternehmensstrukturen kann man Persönliches, Berufliches und Familienleben miteinander managen.“ Bei Wizz Air sei das gegeben, und es passiert auch sehr viel in der Frauenförderung. Aktuell sind bereits 38 bis 39 Prozent im Topmanagement der Airline weiblich. Nächstes Jahr werden 40 Prozent angestrebt. Die Quote weiblicher Piloten soll von fünf auf sieben Prozent erhöht werden. Moynihan: „Natürlich ist das kein Nine-to-five-Job, aber Piloten haben fixe Maximalarbeitszeiten, und es wird viel Flexibilität gewährt.
Netzwerke
Zu den zahlreichen Frauenförderprogrammen der Unternehmen kommt verstärkt auch Eigeninitiative der in der Luftfahrt tätigen Frauen hinzu. So hat Susanne Ebm, IT-Leiterin am Flughafen Wien, vor zwei Jahren das Netzwerk „Die Flughäfin“ auf die Beine gestellt. Aktuell liegt der Frauenanteil am Flughafen bei 27 Prozent, in manchen Bereichen wie der Bodenabfertigung, die als körperlich besonders schwer gilt, liegt die Zahl aber deutlich darunter.
„Nachdem ich meine Tochter bekam, war ich ein Jahr in Karenz“, berichtet Ebm. „Bei meiner Rückkehr haben mich viele Kolleginnen gefragt, wie ich denn all das bewerkstellige.“ Das gab für die Flughafenmanagerin schließlich den Anstoß, „Die Flughäfin“ zu gründen, deren Ziel es ist, dass sich alle am Flughafen beschäftigten rund 1.300 Frauen von der Renigungskraft bis zur Juristin regelmäßig austauschen und informieren können. Im Podcast „Die Flughäfin“ werden die vielfältigen Karrieren für Frauen am Flughafen zusätzlich sichtbar gemacht. Und anlässlich des Weltfrauentags holte das Flughafenmanagement in der Marketingkampagne „Ohne Frauen fliegt hier gar nichts“ einige seiner Mitarbeiterinnen vor den Vorhang.
Auf Netzwerken und Sichtbarmachen setzt auch Austro-Control-Chefin Landrichter. „Wo es geht, entsenden wir Frauen auf Panels von Veranstaltungen. Die eigenen Mitarbeiter sind die besten Botschafter nach außen“, ist Landrichter überzeugt. Außerdem tauscht sie sich regelmäßig mit anderen Managerinnen aus der Branche wie etwa AUA-Chefin Mann aus.
Aber droht dieses zarte Pflänzchen der Gender Diversity in der Luftfahrt nicht durch gegenteilige Strömungen aus den USA wieder zertreten zu werden, bevor es überhaupt blühen konnte? Wizz-Air-ESGManagerin Moynihan glaubt das nicht: „Die EU zeigt bislang keine Anzeichen, beim Thema Diversity wieder umzukehren oder die ESG-Kriterien aufzuweichen.“ Und auch der Regulator in Ungarn zwinge die Airline nicht, etwas an den DiversityZielen zu ändern, so Moynihan. Dann kann der Vormarsch der Frauen im Luftverkehr ja ungebremst weitergehen.


Elisabeth Landrichter
© Lukas LorenzElisabeth Landrichter: Im Cockpit der Austro Control
Elisabeth Landrichter weiß, wovon sie spricht, immerhin ist sie seit mehr als 20 Jahren auf diversen Positionen in unterschiedlichen Unternehmen in der heimischen Luftfahrt tätig. „Ich finde die Komplexität in der Branche hochinteressant. Da müssen so viele Player zusammenspielen, dass es funktioniert.“ Der Player, bei dem die 57-Jährige aktuell im Cockpit sitzt, ist die Flugsicherungsbehörde Austro-Control. Davor leitete die Ökonomin die Luftfahrtbehörde, zeichnete für den Flughafenzug CAT verantwortlich und absolvierte einige Stationen am Flughafen Wien. „Frauen glauben, dass sie in der Branche vorwiegend technische Berufe erwarten. Es ist unsere Aufgabe, klar zu kommunizieren, dass das Spektrum viel breiter ist.“ So sei etwa als Fluglotse, die die Austro Control seit Jahren händeringend sucht, keinerlei Technik-Kenntnis notwendig, sondern räumliches Vorstellungsvermögen, Stressresistenz und Teamspirit – alles Fähigkeiten, die Frauen mindestens ebenso gut beherrschen wie Männer. Und dennoch liegt der Frauenanteil bei den Lotsen nur bei 20 Prozent. Aber, es gibt einen kleinen Lichtblick: Unter den Trainees lag der Anteil zuletzt schon bei 25 Prozent. „Unsere Mitarbeiter sind die besten Botschafter. Wir haben sie darauf sensibilisiert, bei Anstellungen stärker an Frauen zu denken. Die Austro-Control-Chefin ist jedenfalls überzeugt: „Jede Frau kann in der Luftfahrt einen interessanten Job finden.“
Der Artikel ist im trend.PREMIUM vom 23. Mai 2025 erschienen.