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Wo sind die jungen Menschen hin?

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Michael Schaumann, Managing Partner Stanton Chase

Michael Schaumann ist Managing Partner bei Stanton Chase und einer der führenden Headhunter des Landes.

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Es wird immer schwieriger, nicht nur gute Mitarbeiter zu bekommen, sondern überhaupt welche. Das wird sich auch bei weniger Wirtschaftswachstum nicht ändern.

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Man muss kein Headhunter sein, um zu wissen, dass sich der Arbeitsmarkt kräftig verändert hat. Schon seit einiger Zeit klagt so ziemlich jeder Personalchef darüber, dass er keine Mitarbeiter mehr findet oder dass er bei der Suche nicht mehr entscheiden kann, ob er jetzt die Besten oder die Richtigen nimmt - was ja laut dem ehemaligen Fußball-Teamchef Josef Hickersberger ein riesengroßer Unterschied ist -, sondern jeden nehmen muss, der nach dem Bewerbungsgespräch nicht schnell genug davondribbeln kann.

Alle Branchen sind davon betroffen, so stark, dass man sich fragt: Wo sind denn die ganzen selbstbewussten jungen Menschen hingekommen, was machen diese top ausgebildeten zukünftigen Führungskräfte den ganzen Tag? Sitzen die daheim und schauen "Die Barbara Karlich Show"? Nicht falsch verstehen: Für meine Branche ist das gut, weil Firmen im Recruiting dringend unsere Hilfe brauchen. Aber für die Menschheit wäre das doch schrecklich.

Es gibt schlicht zu wenige Bewerber für zu viele freie Stellen. Eine Pensionierungswelle trifft auf geburtenschwache Jahrgänge, und das hat die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Nicht mehr die Unternehmen können sich die Mitarbeiter aussuchen, sondern es ist genau anders herum. Unternehmen müssen den roten Teppich ausrollen. Das gilt sogar in den Branchen, in denen die Bewerber früher Schlange standen wie heute nur noch vor dem Apple-Shop, wenn ein neues iPhone auf den Markt gekommen ist.

Und zugegeben: Das verstehen nicht alle. Gerade in den konservativeren Branchen hat sich das noch nicht herumgesprochen, Investmentbanken zum Beispiel fällt es schwer, zu verstehen, dass nicht mehr sie die Bewerber prüfen und quälen, sondern sie selbst gequält werden. Niemand tut es sich mehr an, in zehn Runden und 15 Assessmentcentern getestet zu werden, um dann ein Traineeship zu durchlaufen, in dem er ein paar Hundert Euro verdient.

Heute prüfen und quälen Bewerber die Unternehmen.

Michael SchaumannManaging Partner bei Stanton Chase

Menschen, die sich heute entscheiden, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, wollen gut behandelt werden, und Unternehmen müssen das akzeptieren. Wenn Kandidaten sich zu wenig wertgeschätzt fühlen, springen sie oft ab. Wo Wertschätzung beginnt, ist übrigens nicht immer gleich - es soll schon Kandidaten gegeben haben, die einen Job ablehnten, weil sie von den potenziellen zukünftigen Arbeitgebern als "Bewerber" bezeichnet worden sind. Sie wollten aber ebenbürtige Partner in einem Arbeitsprozess sein.

Dementsprechend stellen sie oft auch Forderungen, die für Altgediente etwas frech wirken: Es kommt vor, dass sehr junge Leute ohne irgendwelche Berufserfahrung gleich eine Equity-Beteiligung verlangen oder Homeoffice-Regelungen, bei denen man die Anwesenheit im Büro an einer Hand abzählen kann - im Jahr, nicht im Monat. Und es kommt vor, dass sie zumindest Teile davon bekommen.

Aber sind die goldenen Jahre für Neueinsteiger in ein Monaten nicht wieder vorbei? Wenn die Energiekrise zur Wirtschaftskrise wird und auf den Arbeitsmarkt durchschlägt? Manche hoffen das, ich würde aber nicht darauf wetten. Denn noch ist es in den Köpfen der Bewerber nicht angekommen, dass sich die Zeiten bald wieder ändern könnten. Sie verdrängen offenbar. Es ist ein bisschen wie beim Essen: Wir wissen, dass zu viel Schweinsbraten gefährlich ist, aber wir glauben so lange, dass das für uns nicht gilt, bis wir einen Schlaganfall bekommen.

Dazu kommt, dass viele jüngere Menschen auch nicht mehr den ökonomischen Druck haben wie vorangegangene Generationen. Viele sind finanziell von den Eltern abgesichert, sitzen in den Eigentumswohnungen, die die Eltern oder Großeltern für sie erwirtschaftet haben, und starten auf sehr hohem Niveau. Ein normales Einstiegsgehalt reicht da oft nicht als Motivation, es geht um die Zusatzleistungen, die Benefits. Die New Economy hat Bedürfnisse am Jobmarkt geweckt: Was Work-Life-Balance wirklich bedeuten kann, versteht man oft erst, wenn man zum ersten Mal in einem Start-up auf einen Dogsitter trifft, der während der Arbeitszeit die Hunde der Mitarbeiter bespaßt.

Damit können klassische Unternehmen natürlich nicht mit.

Der Kommentar ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 14.10.2022 entnommen.

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