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Fit for 55: Der EU-Klimaschutz-Fahrplan bis 2030

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Der "Fit for 55" Plan der EU legt den Weg fest, wie die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent reduziert werden können.
Der "Fit for 55" Plan der EU legt den Weg fest, wie die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent reduziert werden können.©Elke Mayr
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Die EU-Kommission hat mit "Fit for 55" weitreichende Vorschläge präsentiert, um den CO2-Ausstoß in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Es ist ein Zwischenschritt zum "Green Deal", dem CO2-neutralen Europa, das 2050 erreicht sein soll.

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Das"Fit for 55" Programm der EU

Das "Fit for 55"-Paket der EU-Kommission ist weltweit das umfassendste Gesetzesprojekt gegen den Klimawandel. Es ist das größte Regelwerk seit dem Vertrag von Maastricht, dem rechtlichen Rahmenwerk der die Europäischen Union selbst.

Das geplante Paket ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zu dem komplett klimaneutralen Europa, das im "Green Deal" festgehalten wurde. Die Dekarbonisierung der Europäischen Union soll bis zum Jahr 2050 erreicht werden.

Im Kern geht es bei "Fit for 55" darum, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und Gesetze zu beschließen, um die Netto-Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. "Fit for 55" ist somit ein Zwischenschritt auf dem Weg zum "Green Deal", dem klimaneutralen Europa.

Das Konzept für "Fit for 55" wurde von der EU-Kommission unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im November 2021 vorgestellt. Nun gilt es, die Rechtsvorschriften mit den Zielen für 2030 in Einklang zu bringen und entsprechende Gesetze zu formulieren. Unter anderem müssen Rahmenbedingungen für die Energienutzung, die Landnutzung, und den Verkehr sowie die Steuersysteme in den Mitgliedsstaaten entsprechend umgestaltet werden.

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Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen: "Wir wollen der nächsten Generation sowohl einen gesunden Planeten hinterlassen als auch gute Arbeitsplätze und Wachstum, das unsere Natur nicht schädigt."

© APA/AFP

Die Gesetzeswerdung für "Fit for 55"

Nun ist das EU-Parlament am Zug. Doch so klar das Ziel klar ist, so unklar ist auch der Weg, wie dieses erreicht werden soll und an welcher Stelle wie viel CO2-Treibhausgas eingespart werden soll.

In zahlreichen Ausschusssitzungen wollten die Parlamentarier zunächst bis Juni 2022 eine gemeinsame Position für das geplante EU-Klimapaket erzielen, und es zur Abstimmung zu bringen. Dieses Vorhaben ist jedoch vorerst gescheitert. Zu weit lagen die Positionen einzelner Fraktionen auseinander und eine Verwässerung der strengen CO2-Ziele wurden von progressiven Kräften im Parlament nicht akzeptiert - und auch keine Kompromisse. Zusätzlich gebremst werden die Parlamentarier durch die aufgrund des Kriegs in der Ukraine ausgelöste Energiekrise, die sich in den nächsten Monaten noch weiter zuspitzen dürfte.

Zum weiteren Prozedere: Sobald eine Einigung erreicht ist werden die dafür notwendigen Klimaschutzvorhaben im Detail ausgearbeitet. Allerdings wird eine einstimmige Einigung unwahrscheinlich. Einige Länder, die nun aufgrund des ausgerufenen Gasnotstands wieder umweltschädliche Kohlekraftwerke reaktivieren müssen - auch in Österreich gibt es diese Überlegung - könnten sich bei den Abstimmungen der Stimme enthalten.

Anvisiert ist die Finalisierung der Klimaschutzgesetze, die auch auch Investitionssicherheit schaffen soll, nun für 2023. Eventuell wird das auch erst 2024 der Fall sein. Dann bleiben jedoch nur noch wenige Jahre, um die Vorgaben bis 2030 auch umzusetzen.

Fit for 55: Die wichtigsten Klimavorhaben

Für „Fit for 55“ wurden bereits mehrere Klima-Maßnahmenpakete erarbeitet. Mit ihrer Hilfe sollen die Klimaziele bei gleichzeitiger Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft für eine gerechte, grüne und florierende Zukunft erreicht werden. In der Folge die wichtigsten davon im Überblick.

1. CO2-Grenzausgleichssystem CBAM

Die EU will ein CO2-Grenzausgleichssystem CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) schaffen. Der Hintergrund: Unternehmen innerhalb der EU müssen für ihren CO2-Verbrauch durch den Kauf von Emissionsrechten zahlen. Unternehmen, die ihre Waren in die EU importieren, müssen dagegen keine CO2-Abgabe zahlen. Mit CBAM soll sich das ändern.

Es soll so funktionierten: EU-Einführer kaufen Zertifikate, die dem CO2-Preis entsprechen, der gezahlt worden wäre, wenn die Waren nach den EU-Regeln für die Bepreisung von CO2-Emissionen hergestellt worden wären. Kann jedoch ein Nicht-EU-Hersteller nachweisen, dass er bereits einen Preis für das CO2 bezahlt hat, das bei der Herstellung der eingeführten Waren im Drittland entstanden ist, kann der EU-Einführer sich die entsprechenden Kosten voll anrechnen lassen.

Zunächst soll das Grenzausgleichsystem CBAM für die Industriebereiche Aluminium, Eisen, Stahl, Düngemittel, Strom und Zement eingeführt werden. Es soll auch dazu beitragen, in diesen Industrien mit produktionstechnisch bedingten hohen CO2-Emissionen das Risiko der Verlagerung von Produktionsanlagen in Nicht-EU-Länder weniger strengen CO2-Auflagen zu verringern. Stattdessen soll die Produktion in der EU klimafreundlicher werden.

Staaten außerhalb der EU werden mit eigenen CO2-Ausgleichssystemen für Klimagase nachziehen,

glaubt Mohammed Chahim, Europaabgeordneter der Sozialdemokraten aus den Niederlanden an die Vorbildwirkung eines solchen Gesetzes. Der Parlamentarier erwartet ein gemeinsames Vorgehen der EU mit den USA, Kanada und Australien..

2. Das neue EU-Emissionshandelssystem

Einer der Eckpfeiler von Fit for 55 ist die Generalüberarbeitung des Emissionshandels. Es soll ein neues Emissionshandelssystem entstehen. Schließlich gilt der Emissionshandel auch als eines der wichtigsten Instrumente zur Senkung von klimaschädlichen Emissionen und somit im Kampf gegen die Klimakrise.

Geplant ist vor allem die Ausweitung des Emissionshandels (ETS) auf die Bereiche Gebäude und Verkehr. So sollen wirtschaftliche Anreize für die Dekarbonisierung von Gebäuden geschaffen werden. Die Einnahmen sollen besonders jenen Haushalten zu gute kommen, für die Investitionen in klimaneutrale Renovierung ihrer Häuser und Wohnungen eine große finanzielle Bürde ist.

Ein Vorschlag für ein Übereinkommen wurde jedoch im Juni 2022 vom EU-Parlament abgelehnt und zurück an den Umweltausschuss überwiesen.

Was das neue Emissionshandelssystem ändern soll

  • Neue Richtwerte. Der Emissionshandel mit sogenannten Verschmutzungsrechten soll bei CO2 um 61 Prozent bis 2030 begrenzt werden. Gleichzeitig soll der Anteil erneuerbarer Energie auf 40 Prozent steigen.

  • Straßenverkehr und Gebäude machen einen wesentlichen Anteil an den Emissionen aus und haben bislang laut EU zu wenig zur Senkung der Emissionen beigetragen. Sie sollen deshalb in das Emissionshandelssystem einbezogen werden.

  • Steuerprivilege für Luftfahrt aufheben. Der kostenlosen Emissionszertifikate für den Luftverkehr sollen schrittweise abgeschafft werden. Das Steuerprivileg für Kerosin soll fallen.

  • Schifffahrt soll für Emissionen zahlen. Auch die bisher von allen CO2-Bestimmungen ausgenommene Schifffahrt soll grüner werden. Sie soll Zertifikate für CO2 Emissionen erwerben müssen und in den EU-Emissionshandel einbezogen werden.

3. Verkehr: Aus für Verbrennungsmotoren

Eine heftige Diskussion gibt es im EU-Parlament und innerhalb der Mitgliedsstaaten die weitere Zulassung von Verbrennungsmotoren. Ein Verbot ist bereits absehbar. Die Frage ist nur noch, ob dieses 2035 oder erst 2040 in Kraft treten soll.

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Das Aus für den Verbrennungsmotor scheint unausweichlich.Diskutiert wird jedoch noch, wann das Verbot in Kraft treten soll.

© iStock

Etliche Parlamentarier plädieren für einen Null-CO2-Ausstoß und einen Verkaufsstopp für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035.

In einem gemeinsamen Papier haben jedoch Italien, Bulgarien, Rumänien, Portugal und die Slowakei die Forderung eingebracht, das Ende von Verbrennungsmotoren (Benzin und Diesel) bei Neuwagen auf 2040 zu verschieben. Als Zwischenziel soll der CO2-Ausstoß von Neuwagen bis 2035 um 90 Prozent reduziert werden.

Die Autokonzerne könnten so zumindest noch einige Verbrenner oder Hybridfahrzeuge verkaufen. Zudem wollen die fünf Länder erreichen, dass synthetische Kraftstoffe oder E-Fuels für die CO2-Ziele angerechnet werden.

4. Verbindliche CO2-Ziele für Mitgliedsstaaten

Die EU-Mitgliedstaaten sollen im Rahmen der geplanten Klimagesetze zur Lastenverteilung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Ausgangs- und Wirtschaftslagen neue, strengere Emissionsreduktionsziele für Gebäude, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und kleine Unternehmen zugewiesen bekommen.

5. Klimaneutrale Lebensmittelerzeugung bis 2035

Die EU will im Sinne des "Carbon Farming" bis 2035 eine klimaneutrale Lebensmittelerzeugung erreichen und gleichzeitig den Landverbrauch für die Lebensmittelproduktion reduzieren.

Die EU-Kommission schlägt dafür vor, dass dem Sektor Landwirtschaft zukünftig zusätzlich die bei der Erzeugung von Milch, Fleisch, Getreide, Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Gemüse, Obst, Wein und anderen Produkten anfallenden CO2-Emissionen zugerechnet werden. Dazu soll zukünftig auch die Freisetzung von CO2 beim Abbau organischer Substanz im Boden gehören, die bei Nutzung entwässerter Moorböden unvermeidbar ist. Das gilt auch bei Entwässerung für Siedlungszwecke.

Zuwächse bei der Kohlenstoffbindung in Wäldern sollen dagegen positiv berücksichtigt werden, ebenso Mineralböden, die mit Humus angereichert werden.

6. Mehr erneuerbare Energien im Energiemix

Mit dem REPowerEU-Plan will die EU-Kommission die erneuerbare Stromerzeugung massiv forcieren. Der Anteil des Ökostroms soll innerhalb von 10 Jahren verdoppelt werden.

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Der Anteil an erneuerbarer Energie soll sich nach dem Willen der EU von 2919 bis 2030 verdoppeln.

© oesterreichsenergie.at

DIE EU-PLÄNE FÜR ERNEUERBARE ENERGIEN

  • Der Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am EU-Gesamtenergiemix soll bis 2030 auf mindestens 40 Prozent steigen. Die Kommission hat nun sogar das neue Ziel von 45 Prozent ausgegeben.

  • Die Energieeffizienzziele sollen auf EU-Ebene von derzeit neun Prozent auf 13 Prozent erhöht werden. Durch freiwillige Einsparungen von Privathaushalten soll der Bedarf von von Erdöl und Erdgas in der EU um fünf Prozent sinken. Die Mitgliedstaaten sollen dafür steuerliche Maßnahmen setzen, um Energieeinsparungen zu fördern, etwa in Form ermäßigter Mehrwertsteuersätze für energieeffiziente Heizungsanlagen, Gebäudeisolierung, den Kauf energieeffizienter Geräte und Produkte.

  • Die Versorgung mit Energie soll diversifiziert werden, unter anderem durch Flüssiggas (LNG). Eine neu geschaffene EU-Energieplattform soll die günstige, gemeinsame Beschaffung von Gas, Flüssigerdgas und Wasserstoff ermöglichen. Um die Diversifizierung des Energiemixes in den einzelnen Ländern voranzutreiben werden auch neue Gesetze zu Durchsetzung nicht ausgeschlossen.

  • Die Infrastrukur für erneuerbare Energie soll gefördert und koordiniert werden. Dafür will die EU 300 Milliarden Euro mobilisieren, davon 72 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen und 225 Milliarden Euro an Darlehen.

  • Die Infrastruktur für das Laden von soll europaweit ausgebaut werden. Auf großen EU-Hauptverkehrsstraßen sollen künftig alle 60 Kilometer E-Ladestelleneingerichtet werden. Die Investitionskosten dafür schätzt die Kommission auf insgesamt 15 Milliarden Euro. Alle 150 Kilometer sollen zusätzlich Wasserstofftankstellen entstehen.

  • Um Genehmigungsverfahren für große Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, empfiehlt die Kommission, die Erneuerbare-Energien-Richtlinie zu ändern. Mitgliedstaaten sollten spezielle „go-to“-Gebiete für erneuerbare Energien einrichten, das bedeutet Gebiete mit geringeren Umweltrisiken und mit verkürzten und vereinfachten Genehmigungsverfahren. Die Kommission stellt dafür ihre digitalen Kartierungsinstrumente für geografische Daten zur Verfügung

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Die Ansatzpunkte für das "Fit for 55" Programm der EU.

© EU Kommission

Steuerpläne für "Fit for 55"

Die weitgehend aus 2003 stammende EU-Steuerpolitik soll überarbeitet und an die aktualisierten Ziele des Green Deals angeglichen werden.

Steuerpolitik an CO2-Ziele anpassen

Überholte Regelungen, wie sie für den Luft- und Seeverkehr galten, sowie andere steuerliche Anreize für die Nutzung fossiler Brennstoffe - Stichwort "Dieselprivileg" sollen abgeschafft und Mindeststeuersätze angepasst und stattdessen steuerliche Anreize für saubere Kraftstoffe und Einergien gesetzt werden.

Sozialfonds zur Bekämpfung von Energiearmut

Ein neuer Klima-Sozialfonds und der erweiterte Modernisierungs- und Innovationsfonds sollen zur Bekämpfung von Ungleichheiten und Energiearmut eingerichtet und eingesetzt werden.

Konsumenten und Unternehmen, die von der neuen Klimapolitik wirtschaftlich stark benachteiligt werden und sich zum Beispiel eine klimagerechte Heizungsanlage oder eine thermische Sanierung ihrer Häuser nicht leisten können, sollen Zuschüsse erhalten. Der Klimafonds soll mit 72 Milliarden Euro dotiert werden.

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Frans Timmermans, EU-Kommissar für den European Green Deal und Vizepräsident der Kommission.

© APA/AFP
  • Verdoppelung der Photovoltaik-Kapazität bis 2025. Bis 2030 sollen 600 GW installiert sein.

  • Neue öffentliche und gewerbliche Gebäude und Wohngebäude sollen gesetzlich verpflichtet werden, ein Solardach zu montieren.

  • Die Einführungsrate von Wärmepumpen und Maßnahmen zur Integration von geothermischer und solarthermischer Energie soll verdoppelt werden. In Fällen in denen sich die Bewohner die Erneuerung nicht leisten können, könnte der Sozialfonds helfen.

  • Bis 2030 sollen zehn Millionen Tonnen erneuerbaren Wasserstoff im EU-Inland produziert und 10 Millionen Tonnen importiert werden.

  • Ein Biomethan-Aktionsplan sieht eine neue Industrieallianz für Biomethan vor, ebenso finanzielle Anreize, um die Produktion bis 2030 auf 35 Milliarden Kubikmeter zu steigern.

  • Flugzeuge und Schiffe in großen Häfen oder Flughäfen sollen Zugang zu sauberem Strom haben. Nachhaltige Flugzeug- und Schiffskraftstoffe sollen gefördert und eine Obergrenze für den Energieverbrauch von Schiffen, die europäische Häfen anlaufen, festgelegt werden.

Fit for 55: Dossiers der EU-Kommission

Die EU-Kommission hat zum "Fit for 55" Programm bisher folgende Dossiers vorgelegt:

Zu folgenden Themen gibt es Gesetzesvorschläge der Kommission:

Nachhaltigkeit

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