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Leadership: Agile Skalierung: die Agilität erhöhen – aber wie?

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Leadership: Agile Skalierung: die Agilität erhöhen – aber wie?
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Die agilen Arbeitsweisen und -methoden werden oft als das Zaubermittel präsentiert, um Unternehmen zukunftsfit zu machen. Unternehmensberater Georg Kraus erklärt, dass die betriebliche Praxis eine differenziertere Betrachtung erfordert.

Die agilen Arbeitsweisen und -methoden haben ihre Wurzeln fast alle in der Softwareentwicklung. Deshalb fragen sich viele Entscheider in den Unternehmen: Inwieweit ist ein Skalieren, also Übertragen der agilen Methoden auf ganze Organisationen oder weite Teile von ihnen überhaupt möglich?

Um diese Frage zu beantworten, sollte man sich zunächst vergegenwärtigen, was die zentralen Elemente bzw. Prinzipien einer agilen Arbeitsweise sind:

  1. Eine konsequente Ausrichtung der Projekt- und Alltagsarbeit auf die Bedürfnisse der Kunden.
  2. Eine weitgehende Übertragung der Entscheidungsbefugnisse auf die Mitarbeiter bzw. Teams und eine entsprechende Führung.
  3. Eine bereichs- und funktionsübergreifende Zusammenarbeit z.B. in Scrum- oder Entwicklerteams, in denen alle nötigen Kompetenzen vertreten sind, um das übergeordnete Ziel zu erreichen.
  4. Eine inkrementelle Arbeitsweise, bei der komplexe Vorhaben schrittweise geplant und den Kunden im Projektverlauf regelmäßig Inkremente, also Teillösungen, ausgeliefert werden, zu denen diese bereits Feedback geben.
  5. Ein iteratives Vorgehen, bei dem in den Prozess immer wieder Reflexionsschleifen eingebaut sind, um aus den zwischenzeitlich gewonnenen, neuen Erkenntnissen Schlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen.

Die genannten agilen Prinzipien sind nicht neu. Sie korrespondieren weitgehend mit den Maximen, von denen sich Organisationsentwickler in den Unternehmen auch in der Vergangenheit bei ihrer Arbeit leiten ließen. So wird zum Beispiel die konsequente Ausrichtung der Projekt- und Alltagsarbeit auf die Bedürfnisse der Kunden in fast allen Managementsystemen propagiert, die in den letzten Jahrzehnten en vogue waren – unabhängig davon, ob diese KVP, TQM, Kaizen, Six Sigma oder Lean Management hießen.

Ähnlich verhält es sich bezogen auf die geforderte Übertragung der relevanten Entscheidungsbefugnisse auf die Mitarbeiter und Teams, so dass diese im Arbeitsalltag eigenverantwortlich handeln können. Auch sie ist ein zentrales Element aller genannten Managementsysteme; ebenso die Forderung „Die Führungskräfte müssen sich primär als Befähiger und Ermächtiger ihrer Mitarbeiter verstehen“. Auch diesbezüglich wurden in vielen Unternehmen schon Initiativen ergriffen – wenn auch oft ohne den gewünschten Erfolg.

Diese Historie sollte man sich in Erinnerung rufen, wenn man über das Thema Agile Skalierung spricht. Sonst ist die Gefahr groß, dass man zum Beispiel im Bereich Führung und Zusammenarbeit Zerrbilder entwirft, die nicht mehr der betrieblichen Realität entsprechen, weshalb sie Widerstand erzeugen. Denn selbstverständlich wird heutzutage zumindest in den Kernbereichen der meisten Unternehmen nicht mehr rein nach dem klassischen Befehl-Gehorsam-Prinzip geführt. Zudem ist die bereichs- und funktionsübergreifende Zusammen- und Teamarbeit in den meisten Betrieben gängige Praxis, auch wenn hier oft noch viele ungenutzte Potenziale ruhen.

Deshalb sollten Unternehmen, die ihre Agilität erhöhen möchten, zwar durchaus ihre Struktur und (Führungs-)Kultur überdenken, doch sie befinden sich diesbezüglich nicht in der „Stunde Null“.

Etwas anders verhält es sich beim Prinzip einer inkrementellen Arbeitsweise, bei der den Kunden im Prozessverlauf regelmäßig sogenannte Inkremente ausgeliefert werden. Sie ist bei komplexeren Vorhaben durchaus erstrebenswert. Doch ist eine solche Arbeitsweise in allen Branchen und Unternehmensbereichen realisierbar? Bei der Entwicklung und Produktion von Software ja. Ein IT-Unternehmen oder -Bereich kann an seine Kunden durchaus die Alpha-Version einer Software ausliefern und zu ihnen sagen: „Arbeitet schon mal damit und sammelt damit Erfahrung; die Beta-Version der Software wird dann auch die Funktionen a, b und c enthalten.“

Und wenn im laufenden Betrieb schwerwiegende Bugs auftreten? Dann ist dies in der Regel kein Problem, denn in den meisten Großunternehmen laufen beim Einführen einer neuen systemrelevanten Software die alte und die neue Software zunächst parallel, damit ein Bug nicht den gesamten Betrieb lahmlegt.

Anders verhält es sich bei einem Autohersteller. Er kann zu seinen Kunden nicht sagen: Ich liefere euch schon mal den Motor zum Ausprobieren. In drei Monaten folgen dann Kupplung und Bremse, und in sechs Monaten flanschen wir das Lenkrad dran.“ Er kann sich zudem Bugs beim Betrieb nicht leisten – zumindest wenn er teure Rückrufaktionen und Schadensersatzklagen vermeiden möchte. Ähnlich verhält es sich bei fast allen industriell gefertigten Gütern. Deshalb stellt sich bezogen auf ihre Produktion die Frage: Inwieweit ist bei ihr eine inkrementelle Arbeitsweise überhaupt möglich (und nötig)? Und wenn ja, was bedeutet ein agiles Arbeiten in diesem Kontext?

Bliebe als letztes agiles Prinzip das iterative, also schrittweise Vorgehen, bei dem bei komplexen Vorhaben in den Prozess immer wieder Reflexionsschleifen eingebaut sind, um aus den gesammelten Erfahrungen Schlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen. Auch dieses ist nicht neu! Wozu dienten denn in der Vergangenheit die Meilensteine in Projekten? Unter anderem dazu, um bei ihrem (Nicht-)Erreichen zu überprüfen: Sind wir (noch) auf dem richtigen Weg, das Ziel zu erreichen, oder sollten wir unsere Planung ändern? Ein Projektmanager bzw. Projektteam, das dies nicht tat, war entweder unfähig oder nahm seinen Job nicht wahr.

Obige Ausführungen zeigen: Es gibt zwar neue agile Arbeitsweisen, doch die agilen Prinzipien sind nicht neu. Deshalb wirkt es im betrieblichen Kontext oft kontraproduktiv im Zuge der Diskussion über die agile Transformation der Unternehmen deren Leistungsträger zum Beispiel mit der Forderung zu konfrontieren „Euer Mindset muss sich radikal ändern“, denn dies erfahren sie als Kritik an ihrer bisherigen Arbeit und produziert Widerstand.

Zielführender ist es, wenn man als Führungskraft oder Projektmanager

  • ihre bereits vorhandenen zielführenden Verhaltensweisen lobt und verstärkt,
  • sie dazu stimuliert, ihre nicht zielführenden Einstellungen und Verhaltensmuster zu überdenken, und
  • die erforderlichen Rahmenbedingungen schafft, dass sie neue, zielführendere Verhaltensweisen zeigen (können).

Hierin zeigt sich auch, ob eine Führungskraft ein Ermächtiger und Befähiger ihrer Mitarbeiter ist.

Unternehmen befassen sich meist erst mit dem Thema Skalierung der agilen Methoden, wenn in ihrer Organisation bereits ein, zwei Bereiche – zum Beispiel die IT oder Forschung – positive Erfahrungen mit dieser Arbeitsweise gesammelt haben. Der Vorteil hiervon ist: Dann existieren schon Mitarbeiter, die ihren Kollegen von ihren Erfahrungen mit den agilen Methoden berichten und ihnen erläutern können, warum eine Beschäftigung mit ihnen auch für andere Bereiche oder gar die gesamte Organisation sinnvoll sein könnte.

Ein erster Schritt in Richtung Agile Skalierung kann es dann sein, Workshops mit den Entscheidern in den relevanten Bereichen durchzuführen. Diese können wie folgt konzipiert sein: Zunächst erläutern Vertreter des Managements, warum sich das Unternehmen mit dem Thema Agile Skalierung befasst und was es sich von einer Steigerung der Agilität verspricht. Danach erläutern Experten an Praxisbeispielen die Prinzipien einer agilen Arbeitsweise, bevor Kollegen aus den Bereichen, die bereits agil arbeiten, über ihre Erfahrungen mit den agilen Methoden berichten.

Wurde so ein agiles Bewusstsein geschaffen, kann mit den Vertretern der Bereiche ermittelt werden:

  • Inwieweit in ihren Bereichen das Einführen agiler Arbeitsweisen überhaupt möglich und zielführend wäre?
  • Wenn ja, worin würde sich die gewünschte Agilität im Arbeitsalltag zeigen?
  • Welche Veränderungen wären hierfür auf der Kultur- und Strukturebene nötig? Und:
  • Auf welche Initiativen in der Vergangenheit könnte aufgebaut werden, um das angestrebte Ziel zu erreichen?

Letzteres ist wichtig, um den Mitarbeitern die lähmende Angst zu nehmen, alles muss und wird sich ändern. Dies ist in der Praxis meist nicht der Fall.

Bezogen auf die weitgehend automatisierte Produktion eines Massengüterherstellers kann die zentrale Erkenntnis eines solchen Workshops auch sein: Ein Einführen der agilen Methoden in unserer Produktion lohnt sich nicht, weil es in ihr weitgehend darum geht, zuverlässig ein- und dasselbe Produkt zu produzieren, das den Kundenanforderungen entspricht. Stattdessen sollten wir die bereits ergriffenen Initiativen im KVP- und Lean-Bereich forcieren, die darauf abzielen, die Qualität der Leistung kontinuierlich zu verbessern.

Zudem sollten wir unsere Führungskräfte zu Kata Coaches ausbilden, die die Kompetenz ihrer Mitarbeiter, eigenständig Probleme zu erkennen und zu lösen, mit System erhöhen. Darüber hinaus sollten wir jedoch das Bewusstsein der Mitarbeiter dafür schulen, warum ein agiles Denken und Verhalten in unserem von rascher Veränderung geprägten Markt nötig ist, damit sie zum Beispiel mehr Verständnis dafür haben, dass die Vertriebsmitarbeiter sie immer wieder mit Sonderwünschen kontaktieren.

Die obigen Ausführungen sollen zeigen: Wenn es um das Thema „agile Skalierung“ geht, ist es wenig sinnvoll, die betreffenden Methoden sozusagen mit der Gießkanne über die gesamte Organisation auszuschütten.

Vielmehr gilt es, ein abgestimmtes Gesamtkonzept zu entwerfen, das ausgehend vom übergeordneten Ziel „Wir wollen als Unternehmen agiler im Markt agieren“ die Arbeit in den einzelnen Bereichen sowie ihre Kooperation gezielt entwickelt – und hierbei können die agilen Methoden eine unterschiedliche Rolle spielen.

Zum Autor

Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

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