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Serviceplan-Chef Florian Haller: „Genug Sonntagsreden zur KI“

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Aktualisiert
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13 min

©Thorsten Jochim für Serviceplan Group
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Serviceplan-CEO Florian Haller über den KI-Knall und den KI-Stress in der Kreativbranche, Führungskräfte, die über Nacht ihre Haltung wechseln, Marketing als beliebten Streichposten – und warum er trotz allem glaubt, dass wir in dem ganzen Schlamassel mit positivem Mindset besser durchkommen.

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Auf der Digitalkonferenz DLD haben Sie im Jänner argumentiert, warum „Future Positive“ die passende Einstellung für turbulente Zeiten ist. Das hört sich erst einmal paradox an. Warum ist vorwärts gerichteter Optimismus jetzt das richtige Rezept?   

Florian Haller

Naiven Optimismus pflege ich nicht, und der kann die Welt auch nicht besser machen als sie ist. Die Idee von „Future Positivity“ ist, gerade in herausfordernden Zeiten darüber nachzudenken, was wir tun können, um es besser zu machen.

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Wie bringen Sie diesen Mindset von einer Konferenzbühne ins Tagesgeschäft?

Florian Haller

Wie wir mit der KI arbeiten, ist das beste Beispiele dafür. KI kann man als große Bedrohung und Gefahr betrachten. Man kann sie aber auch als Instrument sehen, um unsere Arbeit besser zu machen und sich von gewissen Aufgaben zu trennen, auf die eigentlich eh keiner Lust hat.

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Das disruptive Potenzial der KI ist gewaltig, und den lautesten Knall hat es in der Kreativbranche gegeben.

Florian Haller

Wir sind ganz vorne mit dabei bei der Veränderung. In unserem Geschäft ist die Gestaltung kreativer Assets der Bereich, der am sichtbarsten ist. Wir produzieren schon Kampagnen mit KI für unterschiedliche Kunden, gerade eben für einen Automobilhersteller. Ein Unterschied zwischen generierten und geshooteten Bildern ist nicht mehr wahrzunehmen. Heute werden auch beispielsweise Produktdaten der Fahrzeuge direkt ins System geladen. So können die Autos in unterschiedlichsten Schattierungen und Perspektiven gezeigt werden. Ich bin überzeugt, dass die KI über weite Strecken Stockfotografie hinter sich lassen kann und auch im Videobereich beobachten wir in letzter Zeit große Fortschritte. Die Zeiten, in denen sechs Fahrzeuge für ein Shooting nach Südafrika verschifft wurden, sind vorbei.

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Den Knall haben auch die Kunden gehört. Wie reagieren die auf die Entwicklungen? Werden sie fordernder in Sachen Umsetzungsgeschwindigkeit und Kosten?

Florian Haller

Unser Hauptjob ist es zur Zeit, den Kunden zu erklären, was wirklich geht. Sonntagsreden zur KI haben sie genug gehört. Die größte Herausforderung ist, die Geschwindigkeit zu halten, und die hält man nur, wenn man sich kontinuierlich mit der Weiterentwicklung der Technologie beschäftigt und sie im Tagesgeschäft einsetzt. Natürlich erwarten sich alle Effizienzen. Woher Berater allerdings die Zahlen haben, dass „im Marketing nun alles um 20 bis 30 Prozent billiger geht“, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Mit KI werden Prozesse effizienter, das ist Fakt. Doch die Erwartungshaltung, dass diese 20 Prozent sofort zu heben sind, muss man dämpfen. Das dauert ein bisschen. Erst wenn die Modelle trainiert sind, geht es effizienter. Die Kunden sagen aber zu Recht, dass sie von diesen Effizienzen einen Teil abhaben wollen. Das sehe ich positiv.

Woher Berater allerdings die Zahlen haben, dass „im Marketing nun alles um 20 bis 30 Prozent billiger geht“, weiß ich ehrlich gesagt nicht.

Florian Haller
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Große Hoffnungen ruhen zur Zeit auf den KI-Agenten. Berechtigt?

Florian Haller

Aus meiner Sicht wird es zwei Arten von KI-Agenten geben. Auf der einen Seite die sogenannten ready-made agents: Dahinter steht oft ein ganzes Agentensystem aus mehreren KI-Agenten, die sofort einsetzbar sind und miteinander interagieren, um eine spezifische Aufgabenstellung zu lösen. Diese Art von ‚Agentic Service' bieten wir heute schon im Bereich Research, zum Beispiel für Wettbewerbsanalysen an. Das Agentensystem kann beispielsweise weltweit Kampagnen sichten und das bringt schon erstaunliche Ergebnisse. Und das innerhalb von ein paar Stunden, womit wir früher zwei Monate beschäftigt waren. Das ist ein bisschen scary.

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… da muss man „Future positive“ bleiben.

Florian Haller

Auf der anderen Seite bauen wir Agenten, die maßgeschneidert für bestimmte Probleme des Kunden sind: CRM, Websites, Content und unterschiedliche Assets sichten, und daraus Marketingempfehlungen erzeugen. Das funktioniert aber nur, wenn sie mit den konkreten Daten des Kunden trainiert werden. Das ist dann ein proprietärer Agent.

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Sind die denn schon brauchbar?

Florian Haller

Diese Agenten arbeiten wirklich beeindruckend. Für einen Reiseanbieter bauen wir einen Agenten, der Bild- und Preisdaten zusammenbringt und Menschen damit eine maßgeschneiderte Reise anbieten kann. Noch sind wir in einer Phase, wo das überraschend gut funktioniert. Wir müssen aber in die Phase kommen, in der das verlässlich gut funktioniert. Wir machen im Halbjahresrhythmus große Sprünge nach vorn. Das war noch mit keiner Technologie so schnell wie mit der KI.

In anderen Bereichen der Agenturgruppe haben wir Herausforderungen mit vielen Ein- und Ausgangsrechnungen. Das ist enorm wichtig, aber nichts, was besonders Spaß macht. Und auch bei dieser Tätigkeit, werden uns künftig Agenten helfen können.  Hier kann man Kapazitäten einsparen, die man in anderen Bereichen einsetzen kann.

Noch sind wir in einer Phase, wo das überraschend gut funktioniert. Wir müssen aber in die Phase kommen, in der das verlässlich gut funktioniert.

Florian Haller

Führung muss KI-Stress managen

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Welchen Preis hat diese enorme Geschwindigkeit?

Florian Haller

Der Preis ist ein hoher Druck auf alle Beteiligten, also erstmal ein psychologischer. Wir haben nicht lange Zeit, um uns auf das Thema einzustellen und in Ruhe darüber nachzudenken. Wir sind alle ein bisschen gehetzt und getrieben von den Entwicklungen. Das erhöht den Stress. Das gut zu managen ist eine wichtige Führungsaufgabe. Wir müssen das unbedingt ernst nehmen und die Kollegen und Kolleginnen dabei begleiten und weiterbilden. Der zweite Preis ist, dass bei allem, was schnell passieren muss, auch Fehler passieren können. Da muss man sich - auch die Kunden - auf diese Beta-Logik einlassen. Das widerspricht natürlich dem deutschsprachigen Wesen, auf ausgereifte Entwicklung zu setzen.

Viele Agenturen arbeiten mit externen AI-Tools wie Midjourney – das überrascht mich. Denn mit hochsensiblen  Kundendaten ist das nicht sicher. Deswegen haben wir ein eigenes GenAI-Tool gebaut, das auf existierenden LLMs basiert, aber einen Aufsatz für uns hat, dass Daten nicht ins Open Web gehen.

Wir sind alle ein bisschen gehetzt und getrieben von den Entwicklungen. Das erhöht den Stress. Das gut zu managen ist eine wichtige Führungsaufgabe.

Florian Haller

Haltung bewahren bei Gegenwind

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Kreative Sicherheit und Autonomie sind sicher Assets. Wie wichtig ist die Unabhängigkeit aus unternehmerischer Sicht?

Florian Haller

Dass wir selbst entscheiden können, und nicht erst nach New York telefonieren müssen, ist gerade bei KI von großem Vorteil. KI ist ein Millioneninvestment bei uns. Wir müssen aber keinen Businessplan vorlegen, in dem in zwei Jahren ein Payout vorgesehen ist. Wir stechen in See und sind mutig, probieren Neues aus und müssen uns nicht nach Quartalsergebnissen richten. Wir können so auch mal auf weniger Marge gehen, wenn wir es für richtig halten.

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Ihr Unternehmen ist weltweit vertreten, ein Innovationslabor auch in Kalifornien. Schlägt sich der radikale Kurswechsel im Weißen Haus auf Ihr US-Geschäft nieder?

Florian Haller

Mit der neuen Regierung ist schon ein bemerkenswerter Wandel in der Einstellung gekommen. Ich bin verblüfft, dass es so viele Konzernverantwortliche gibt, die noch vor einem dreiviertel Jahr über Nachhaltigkeit gesprochen haben, und jetzt plötzlich nicht mehr. Ich bin fassungslos, dass sich eine große Bank von Nachhaltigkeitsaspekten verabschiedet, DE&I-Programme beendet werden und sich ein Tech-Milliardär mit Goldkette hinsetzt und sagt, er wolle jetzt mehr maskuline Power. Wir möchten mit unserem Unternehmen einen Zugang zu einer offeneren Welt und mehr Toleranz beitragen. Das ist uns ein ernstes Anliegen.

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Was werden Sie tun, wenn Kunden in den USA einschlägig Druck machen? Geht Ethik vor Umsatz?

Florian Haller

Das ist schwierig, klar. Wenn ein Kunde uns so unter Druck setzen würde, dass er nicht mehr mit uns arbeiten würde, müssten wir das akzeptieren. So wie wir für gewisse Branchen oder Produkte keine Werbung machen. Ich finde es hanebüchen, wie Unternehmen reihenweise ihre DE&I-Programme abstellen. Da hat man Hunderttausende Mitarbeitende und klare Ziele und wirft diese komplett über den Haufen, wenn aus Washington ein anderer Wind weht. Das ist keine Haltung.

Da hat man Hunderttausende Mitarbeitende und klare Ziele und wirft diese komplett über den Haufen, wenn aus Washington ein anderer Wind weht. Das ist keine Haltung.

Florian Haller
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Apple-Chef Tim Cook hält dem scharfen Wind Stand, noch. Aber Teile seiner Aktionäre machen bereits Druck.

Florian Haller

Cook ist ja selbst ein Beispiel für einen Mann, der von diesen gesellschaftlichen Veränderungen profitiert hat. Dass ein paar Sachen überzogen waren, gerade in den USA, ist ein anderes Thema. Jetzt sind sie im anderen Extrem zurück. Da wollen wir nicht mitmachen. Das Thema muss man auch Bottom-up betrachten. Wir haben weltweit ein Team in der Serviceplan Group, das zu Recht eine Erwartungshaltung hat. Wenn du ernst genommen werden willst, kannst du Dinge nicht einfach ändern.

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Ihre Gruppe erzielte im Jahresvergleich zehn Prozent mehr Umsatz. Marketing- und auch Medienbranche sind Seismographen einer angespannten Wirtschaftslage, spüren das früh. Womit rechnen Sie für das laufende Jahr?

Florian Haller

Im deutschsprachigen Raum wird Marketing gern als Kostenfaktor gesehen. Wenn Kosten runter müssen, ist das Marketing ein beliebter Streichposten. Im angelsächsischen Raum wird Marketing eher als Investment gesehen, ein Return on Investment. Das ist eine andere Denke.
Die aktuelle Lage spüren wir vor allem in zwei Bereichen: Wir sehen, dass Digitalprojekte zurückgestellt werden. Wir hören öfter, dass „…das neue Adobe-Frontend kann man in einem Jahr erst machen und die Salesforce-Einführung strecken wir nochmal nach hinten.“ Die Mediaspendings der Bestandskunden haben teilweise deutliche Rückläufe. Aktuell können wir das mit Neukunden kompensieren.

Im angelsächsischen Raum wird Marketing eher als Investment gesehen, ein Return on Investment. Das ist eine andere Denke.

Florian Haller
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Wo kommt das neue Geschäft her?

Florian Haller

In der MENA-Region gibt es hohe zweistellige Wachstumsraten. Die Region boomt stark. Bei der Konsolidierung auf Kundenseite hilft unser House-of-Communication-Konzept. Wir können Kreativ, Media und Technologie aus einer Hand anbieten, und das können wenige. Wenn ich als Kunde das Gefühl habe, zu viele Schnittstellen und Partner zu haben, helfen wir dem Kunden mit unserem integrierten Agenturkonzept. Das spart Geld, weil wir effektiv mit weniger Schnittstellen arbeiten können.  

Viele Führungskräfte vergessen, dass sie über eine gute Marke Geschichten nach innen und nach außen erzählen können. Diese starken glaubwürdigen Geschichten sind in einer komplexen Welt, meiner Meinung nach, mehr gefragt denn je.

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