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Traum(a) Projekt Ballhausplatz 2.0 [Politik Backstage]

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Sebastian Kurz besucht Viktor Orbán, als wäre Kurz noch – oder schon wieder – in Amt und Kanzlerwürden.

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Was Sebastian Kurz vom Ex-Eurofighter-Staatsanwalt als Richter zu erwarten hat. Warum der gefallene Kanzler weiter an ein Comeback glaubt. Wie er sein Netzwerk weiter pflegt.

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Das Projekt läuft seit gut zwei Jahren. Die konkrete Umsetzung nahm aber erst vergangenen Sommer Fahrt auf. Mitte September ist Premiere: "Projekt Ballhausplatz" – ein Dokumentarfilm in Spielfilmlänge aus der Werkstatt des langjährigen TV-und Printjournalisten und Buchautors Kurt Langbein.

Nach dem Erfolg von "Der Bauer und der Bobo" (die Doku der spannenden Begegnung von "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk mit Bergbauer Christian Bachler läuft neuerdings auch auf Netflix) beschäftigt sich Langbein nun mit dem "Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz".

Kinofilm und Prozessstart sorgen für Schlagzeilen-Comeback

Seit Mitte August ist jetzt amtlich, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) einen Strafantrag gegen den ehemaligen ÖVP-Bundeskanzler eingebracht hat. Der Prozess startet am 18. Oktober. Der Meidlinger mit Waldviertler Wurzeln, der dieser Tage 37 Jahre alt wird, beherrscht einmal mehr die Schlagzeilen.

Schon aus Neugierde werden sich wohl auch Kurz-Fans und ÖVP-Anhänger die Film-Doku im Kino zu Gemüte führen. Ob sie dazu angetan ist, das Bild ihres gestürzten Idols zu verändern, ist frühestens nach Anlaufen des Films am 21. September absehbar.

Knapp einen Monat danach gehört die Bühne nolens volens neuerlich dem jüngsten Altkanzler. Ein Auftritt, der vor allem für seine weiteren Karriereaussichten von Belang sein dürfte. Fast zwei Jahre lang hat die WKStA Aussageprotokolle in Wort und Ton analysiert, Beweise zusammengetragen, mehr als zwei Dutzend Personen einvernommen und schließlich auch Kurz lang und spannungsreich befragt.

Provozierte falsche Zeugenaussage als Oppositionswaffe?

Schon über die Bedeutungsschwere der Anklage scheiden sich die Geister. Objektiv ist eine falsche Zeugenaussage ein ernst zu nehmendes Delikt, das für die Arbeit der Justiz von essenzieller Bedeutung ist. Im Grunde halten alle Parlamentsparteien dieses Prinzip auch in den eigenen Reihen hoch. Denn es würde parlamentarische Untersuchungsausschüsse sinnlos machen, wenn jede "Auskunftsperson" (landläufig Zeuge gerufen) hier abseits eines Gerichts ungestraft lügen könnte.

Im Fall der beiden Untersuchungsausschüsse im Gefolge des Ibiza-Skandals begannen sich freilich die Geister zunehmend zu scheiden. Die in Skandalvorwürfen versinkende ÖVP propagierte politisch und auch medial immer heftiger die Einschätzung: Die Opposition sei nur darauf aus, türkise Politiker oder ÖVP-nahe Auskunftspersonen – mangels anderer Chancen, ihnen in der Sache selbst etwas "anzuhängen" – durch ein aggressives Klima, Suggestivfragen und stundenlange Zermürbungstaktik in den Geruch einer falschen Zeugenaussage und damit vor Gericht bringen zu können.

Dieses Narrativ wurde auch dazu eingesetzt, die Erwartung an ein mögliches Verfahren gegen Kurz zu prägen, das nach einer Anzeige von zwei Oppositionsabgeordneten im Gefolge seiner Aussagen rund um die Bestellung seines einstigen Weggefährten Thomas Schmid zum ÖBAG-Chef eröffnet wurde.

Entscheidendes Glaubwürdigkeitsduell Sebastian Kurz vs. Thomas Schmid

Am 18. Oktober besteht die Chance, sich bei einer öffentlichen Gerichtsverhandlung unvoreingenommen ein Bild vom Gewicht des Vorwurfs, der Indizien und der Zeugenaussagen zu machen. Prozessprägend könnte vor allem das erste öffentliche Duell um ihre Glaubwürdigkeit zwischen "Mister Teflon" Sebastian Kurz, der von nichts so genau gewusst haben will, und "Mister 300.000 Chats", seinem früheren dienstbeflissenen Wegbereiter Thomas Schmid, sein. Kenner des Justizakts sagten bis vor Kurzem, die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung stünde 50 zu 50. Schließlich reicht nicht allein der Nachweis faktenwidriger Aussagen.

Für einen Schuldspruch braucht es auch Anhaltspunkte für einen entsprechenden Vorsatz. Entscheidend für eine mögliche Verurteilung ist:
Hat Kurz bewusst die Unwahrheit gesagt?
Oder hat er durch seine Art der Darstellung eine Falschaussage zumindest in Kauf genommen ("bedingter Vorsatz").

Staatsanwaltskollegen sprechen bislang vor allem in diesem Kontext von nur "schwammigen Vorwürfen" und einer Anklage auf "schwachen Beinen".

Ex-Eurofighter-Staatsanwalt als Richter

Die – per Zufallsverfahren – erfolgte Kür des Richters für den Kurz-Prozess hat bei Justiz-Insidern die Wettquoten deutlich in Richtung einer größeren Wahrscheinlichkeit für einen klaren Schuldspruch für Kurz verschoben. Denn angesichts der bislang bekannten Vorwürfe hänge die Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung vor allem an der Beweiswürdigung durch den Richter. Dieser bringt nicht nur eine reichhaltige Erfahrung in Wirtschaftsdelikten, sondern auch den Ruf eines sehr peniblen Juristen mit.

Michael Radasztics startete seine Karriere in einer Anwaltskanzlei, wechselte aber bald auf die andere Seite des Gerichtssaals, "weil es ihn unglücklich machte, dass er als Anwalt parteiisch sein musste", so ein Ex-Weggefährte.

Aufgrund seiner Anwaltserfahrung wurde er in der Staatsanwaltschaft (StA) Wien vor allem mit komplexen Wirtschaftscausae betraut. Die StA Wien wickelte damals auch komplexe Fälle noch im Alleingang ab. Die Gründung der 2011 von SPÖ-Justizministerin Maria Berger eingerichteten WKStA wurde daher in der StA Wien nicht von allen mit Freude gesehen. Dass Radasztics dann auch noch der von ihm jahrelang betreute Eurofighter-Akt zugunsten der WKStA entzogen wurde, um dort "erschlagen" (Ex-Sektionschef Christian Pilnacek) werden zu sollen, vertiefte dessen Zuneigung zur WKStA und vor allem zu Pilnacek nicht.

Zudem wurden dem als eigenwillig charakterisierten Anklagevertreter vom Justizministerium auch noch ein Disziplinarverfahren und ein Strafverfahren angehängt.

Urteil über WKStA oder Kurz' Kanzlerzeit?

An ihm ist es jetzt, ein Urteil in der Causa Sebastian Kurz zu fällen. Kenner von Radasztics, dem ein ausgeprägter Hang zum Zynismus nachgesagt wird, fragen sich daher sarkastisch: Wird der Ex-Staatsanwalt am Ende eher ein Urteil über die Anklagequalitäten der WKStA oder über das Agieren von Kurz als Bundeskanzler fällen?

Bei einem Schuldspruch steht Kurz jedenfalls nur noch ein Instanzenzug – ein Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht – frei.

Ab Mitte Oktober wird damit nicht nur der Umgang mit der Wahrheit in parlamentarischen U-Ausschüssen verhandelt. Kurz und seine Anhänger sehen den 18. Oktober auch als zentralen Meilenstein für dessen Comeback-Chancen in der Spitzenpolitik.

Einen Ruf der Partei an Kurz, die Nationalratswahl 2024 noch zu retten zu suchen, halten selbst eingefleischte Fans für unmöglich. Für die Zeit danach hängt viel vom Ausgang des immer wahrscheinlicheren und weitaus schwerwiegenderen Verfahrens in Sachen Inseratenkorruption ab. In diesem stünden laut Kurz-nahen Aktenkennern die Chancen für Kurz im Moment aber durchaus noch günstiger.

Kurz selbst tut derweil weiter alles, um sich weiter unübersehbar zu machen und für den Tag X bereitzuhalten. Nach Gernot Blümel, Bernhard Bonelli, Elisabeth Köstinger (und einigen anderen mehr) ist nun auch sein Ex-Sprecher und Mitverdächtiger in der Inseraten-Causa, Hannes Frischmann, in das türkise "Korsika", Kurz' Bürogemeinschaft im ehemaligen ÖAMTC-Hauptquartier am Wiener Schubertring, eingezogen.

Neues türkises Get-together bei Blümel-Hochzeit

Sebastian Kurz pflegt darüber hinaus, wo immer er kann, sein politisches und persönliches Netzwerk – zuletzt dieser Tage mit einem aufsehenerregenden Get-together mit Autokraten von Viktor Orbán bis Recep Tayyip Erdog an in Budapest – samt einem gemeinsamen Foto mit Ungarns Regierungschef vor der ungarischen und der österreichischen Fahne, als wäre er noch oder schon wieder in Amt und Kanzlerwürden. In Österreich kam die türkise Regierungspartie jüngst bei der sommerlichen Hochzeit des ehemaligen Kurz-Wirtschaftsberaters Markus Gstöttner im Stift Heiligenkreuz wieder einmal fast vollständig zusammen. Diesen Samstag steht eine neuerliche türkise Zusammenkunft bei der Verehelichung von Ex-Minister Gernot Blümel mit der Mutter seiner beiden Kinder, Clivia Treidl, an.

Teilnehmer nehmen von türkisen Klassentreffen wie diesen den massiven Eindruck mit: Über seine neue Tätigkeit als Geschäftsmann redet Kurz nüchtern routiniert. Feuer und Flamme ist er allein nach wie vor, sobald die Rede auf die Innenpolitik kommt.

Ein langjähriger Weggefährte resümiert: "Er wird erst glücklich sein, wenn er wieder in der Politik ist."

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