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ÖVP-Mandatare auf der Mietpreisdeckel-Bremse [Politik Backstage]

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Gemeinsam gegen die Mietpreis-Explosion: Vizekanzler Werner Kogler (li) und Bundeskanzler Karl Nehammer geben den Mietpreisdeckel als Maßnahme gegen die Teuerung bekannt.

©APA/GEORG HOCHMUTH
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Während Karl Nehammer & Werner Kogler den Mietpreis-Deckel verkündeten, brandete im ÖVP-Klub Applaus für offene Kritik am türkis-grünen Plan auf. Warum es in Sachen Markteingriff zum ÖVP-Meinungsschwenk kam. Wie die Parteiführung die ÖVP-Widerständler ins Boot holen will.


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Im Hohen Haus am Ring herrschte Mittwoch früh jene Stimmung wie sie jeder aus Jugendtagen kennt. Wenn mit Ende der Ferien nolens volens alle wieder in die Schule einrücken, dann liegt eine Mischung aus spätsommerlichem Hochgefühl und wehmütiger Aussicht auf die Niederungen des Alltags in der Luft.

Vor allem bei den Abgeordneten der Regierungsparteien, die generell wenig Grund zu lachen hatten, drückte zudem ein Faktum sichtlich auf Stimmung. Sie wurden von den beiden größten Oppositionsparteien, SPÖ und FPÖ, frühzeitig aus den Parlamentsferien für eine Standpauke ins Hohe Haus beordert. Die erste reguläre Sitzung des Nationalrats stand erst in der dritten Septemberwoche auf dem Kalender. Andreas Babler und Herbert Kickl setzten in einer seltenen rot-blauen Allianz die Einberufung einer Sondersitzung in Sachen Teuerung durch.

Massiver ÖVP-Missmut gegen Wöginger-Maurer-Plan

Im ÖVP-Parlamentsklub, der nach acht Wochen Pause erstmals wieder zu seiner internen Sitzung zusammenkam, entlud sich nicht nur Missmut gegenüber den lästigen Minderheits-Parteien. Mehrere Abgeordnete adressierten massiv Kritik an die Partei- und Klubspitze.

ÖVP-Klubchef August Wöginger hatte seine sprichwörtlich gute Gesprächsachse mit Grünen-Klubchefin Sigi Maurer strapaziert, um den Roten und Blauen die Show zu stehlen: Bei der geplanten Abrechnung mit Türkis-Grün wegen der anhaltenden hohen Inflation und fehlenden preisdämpfenden Gegenmaßnahmen. Zumal die persönlich kaum steuerbare Preisexplosion bei Energie und Wohnen bei immer mehr Österreichern Frust, aber auch soziale Abstiegsängste auslöse.

WIFO-Schwenk Anfang 2023 Richtung Mietpreis-Bremse

Zuvorderst die Wirtschaftsexperten vom WIFO hatten ihre Skepsis gegenüber direkten Markteingriffen aufgegeben und hatten schon Anfang des Jahres empfohlen, die anstehenden und rein inflationsgetriebenen saftigen Erhöhungen bei Mieten durch Streckung der Umsetzung auf drei Jahre in ihrem Niederschlag auf die Mieter-Konten zu dämpfen.

Nach der Energiekosten-Bremse sollte eine Mietpreis-Bremse den steigenden Druck auf die heimischen Haushalts-Budgets mindern.

Einigung scheitert an Gegengeschäft in Sachen Eigentum-Turbo

Eine politische Einigung über die Mietpreisbremse scheiterte Ende Februar aber am finalen innerkoalitionären Abtauschgeschäft. Für die von den Grünen ins Spiel gebrachte Mietpreisbremse forderte die ÖVP im Gegenzug das Aus für die Grunderwerbsteuer beim ersten erworbenen Eigentumsobjekt zu privaten Wohnzwecken.

Statt mit einer direkten Preisbremse – in einem überschaubaren Ausmaß – zugleich die Inflationsrate nach unten zu drücken, öffnete Türkis-Grün einmal mehr den Budget-Hahn für eine Millionen-Geldspritze. Der Finanzminister stockte das Budget von 450 Millionen für einen Wohnkosten-Zuschuss – bei Nachweis entsprechenden Bedarfs – noch einmal um eine Viertel-Milliarde Euro auf.

Türkiser Alarm: "15 % Erhöhung bei Wohnkosten stehen wir in einem Wahljahr nicht durch"

Eine Zahl, die dann in den Sommermonaten erstmals rund um die Wohnungsgenossenschaften kursierte, ließ dann just in der ÖVP, die bisher bei Markteingriffen auf der Bremse stand, die Alarmglocken klingeln. Im kommenden Jahr, so ein ÖVP-Regierungsmann, drohe bei rund 700.000 Genossenschaftswohnungen eine Kostenexplosion von bis zu 15 Prozent. “Das ist nicht mehr erklärbar. Das stehen wir nicht durch, noch dazu in einem Wahljahr”, so ein Insider im ÖVP-Regierungsviertel.

Eine Sichtweise, für die vor allem ÖAAB- und Klubchef August Wöginger und ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker mobil machten und die dabei bald auch den Kanzler an ihrer Seite wussten.

Die Mitte August von Rot & Blau initiierte Sondersitzung brachte dann Dynamik in die Causa. Ursprünglich wollte Türkis-Grün in aller Ruhe ein Mietpreisdämpfungs-Paket für den Start der politischen Herbstsaison nach allen Regeln der Verkaufskunst aufmascherln. Nun mussten die Koalitionskutscher Wöginger & Maurer blitzschnell versuchen, binnen zehn Tagen bis zur Sondersitzung den Weg für einen Befreiungsschlag freizumachen.

Für eine Bremse ist es zu spät, jetzt kommt ein Deckel

Aus der “Mietpreisbremse” wurde ein “Mietpreisdeckel”: Mit Ausnahme der frei vereinbarten Mieten in Neubauten sollen in den kommenden drei Jahren die Wohnkosten jährlich um nicht mehr als 5 Prozent steigen dürfen. Von diesem Deckel – so die Erwartung in der ÖVP – werden am meisten jene profitieren, die in Genossenschaftswohnungen leben und 2024 eine saftige Kostensteigerung von bis zu 15 Prozent zu erwarten haben.

Ein entsprechendes Gesetzesvorhaben wurde last minute auf die Tagesordnung der Sondersitzung bugsiert und soll – so der türkis-grüne Plan – noch im September im Hohen Haus endgültig beschlossen werden.

In den Reihen der ÖVP-Abgeordneten stieß das hinter den Regierungskulissen binnen zehn Tagen gezimmerte Paragraphenwerk alles andere auf entspannte Nach-Ferien-Stimmung.

Martin Engelberg erntet Applaus für heftige Kritik

Zwei Abgeordnete meldeten sich mit massiver Kritik an der Mietpreisbremse offen zu Wort. Von anderen gab es dafür demonstrativen Applaus. “Das ist Eingriff in den freien Markt”, proklamierte der Wiener Mandatar Martin Engelberg. Das habe mit den Programmen und Grundsätzen der ÖVP nichts gemein.

Engelbergs Kritik, der als ausgewiesener Fan von Sebastian Kurz 2017 als Quereinsteiger in den ÖVP-Klub einzog, kam für viele in den eigenen Reihen überraschend. Bis dahin hatte sich der Immobilien-Unternehmer und Psychoanalytiker vor allem in Fragen der Außen- und Kunstpolitik politisch profiliert.

ÖVP-Mandatarin Therese Niss wettert gegen schwarz-grüne Hinterzimmerpolitik

Ähnlich geharnischt fiel auch die Wortmeldung von Therese Niss aus: Eine derartig weitgehende Maßnahme in Sachen Eigentumsrechte “kann man nicht ohne Einbindung der Abgeordneten und des gesamten ÖVP-Klubs beschließen”.

Die ehemalige Vorsitzende der Jungen Industrie und Angehörige der oberösterreichischen Unternehmerfamilie Mitterbauer sitzt neben ihrem Nationalrats-Mandat im Vorstand der Eigentümer-Holding der Miba AG und wurde so wie Engelberg einst von Kurz für die türkise Nationalrats-Liste rekrutiert.

Beide hatten wenig Grund, aus ihren Herzen eine Mördergrube zu machen. Niss ließ intern schon wissen, dass sie nach dem Abgang von Kurz nicht neuerlich kandidieren wolle. Engelberg muss wissen, dass es für Quereinsteiger von gestern angesichts des erwartbaren zweistelligen Verlusts von ÖVP-Abgeordnetensitzen mit einer Wiederkandidatur eng werden wird.

Unmut des Wirtschaftsbunds mit ÖVP-Kurs geht weit über offene Kritiker hinaus

Dass sich der weit über Engelberg und Niss hinausgehende Unmut im ÖVP-Parlamentsklub nicht zu einem nachhaltigen Aufstand auswuchs hat mehrere Gründe.

Demnächst steht für alle Abgeordneten die Frage an, wer es angesichts künftig weniger Mandate auf einen halbwegs sicheren Platz auf der ÖVP-Liste mit dem Segen der aktuellen Parteiführung schafft. Und diese ist fest in einer Hand: Sowohl Nehammer als auch Klubchef Wöginger und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, den Nehammer gerne zu Rate zieht, haben und pflegen ihre Wurzeln im ÖVP-Arbeitnehmerbund ÖAAB. Auch der vor einem Jahr von Nehammer als ÖVP-Generalsekretär installierte Christian Stocker ist ein strammer ÖAABler.

Vor allem aus den Reihen der Wirtschaftsbund-Abgeordneten gibt es so zwar seit der Kür von Karl Nehammer zum Kanzler und Parteichef immer wieder mal lautes, mal verhaltenes Murren. Wöginger und Stocker suchten aber einmal mehr auch die im Klub mit Applaus bedachte Kritik an ihrem türkis-grünen Mieten-Deal mit massiver Sorge um das kommende Wahlergebnis zu erwidern. Die ÖVP sei einem ökosozialen Kurs verpflichtet und keine Partei allein der Vermieter, sondern auch der Mieter, proklamierte Christian Stocker: Die mit der SPÖ um Platz 2 in den Umfragen kämpfende ÖVP könne nur so bei den kommenden Wahlen bestehen.

Wöginger: Wirtschaftsbündler und ÖVP-Parteikassier Ottenschläger mit im Boot

Allen weiteren potentiell aufsässigen Wirtschaftsbündlern suchten Wöginger und Stocker mit einem gezielten personellen Hinweis den Wind aus den Segeln zu nehmen: Der Wirtschaftsbündler Andreas Ottenschläger habe das als Befreiungsschlag gegen den Showdown von Rot & Blau geschnürte Anti-Inflationspaket mitverhandelt.

Andreas Ottenschläger ist ein der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannter, aber durchaus gewichtiger Strippenzieher in der ÖVP. Der Geschäftsführer des familieneigenen Bauträger- und Immobilienentwickler-Unternehmens Deba startete seine Parteikarriere in der Jungen ÖVP und als Bezirksfunktionär der Wiener ÖVP, seit 2013 ist er auch Mandatar im Nationalrat. 2017 stieg Ottenschläger nach der Parteichef-Kür von Sebastian Kurz zum ÖVP-Finanzreferenten und damit zum Entscheidungs- und Geheimnisträger im skandalumwitterten Spenden- und Finanzleben der Türkisen auf.

Köder für Rot und Blau: Mietpreis-Deckel mit Verfassungs-Mehrheit absichern

In den kommenden Wochen stehen sowohl in- und außerhalb der Koalition Verhandlungen über das Groß- und Kleingedruckte beim panisch fabrizierten Mietpreisdeckel an.

Für Rot und Blau haben die türkis-grünen Regisseure vorsorglich einen Köder ausgelegt. Teile der Oppositionsführung sind noch nicht sicher, ob sie ihn als vergiftet von sich weisen oder schlucken sollen. Denn der Gesetzestext in Sachen Mietpreise enthält einige Verfassungsbestimmungen, für die es einer Zwei-Drittel-Mehrheit und damit der Zustimmung von zumindest einer der beiden großen Oppositionsparteien bedarf.

Die Kritiklawine aus der SPÖ macht es immer unwahrscheinlicher, dass die Truppe um Andreas Babler dafür zu haben sein wird. Die ersten einschlägigen Wortmeldungen aus der FPÖ bleiben ambivalent.

Die politische Absicht der Regierungsparteien ist allerdings evident: Für die Installation eines Mietpreisdeckels würde auch ein Gesetz ohne Verfassungsbestimmungen und damit allein die türkisen und grünen Stimmen reichen. “Einfach gesetzlich geht es zur Not auch. Politisch schöner ist es aber mit Verfassungsmehrheit. Es ist auch besser, die Wut der Vermieter politisch aufzuteilen”, resümiert ein ÖVP-Verhandler sarkastisch.

Nehammer macht Stimmung für Mietpreis-Deckel bei ÖVP-Widerständlern

Vollkommen überzeugt, dass das „Ja“ zum Mietpreisdeckel bei den ÖVP-Abgeordneten ausreichend gesichert sei, ist offenbar auch der ÖVP-Parteichef und Kanzler nach der offenen Kritik in der jüngsten ÖVP-Klubsitzung nicht.

Karl Nehammer konnte an der hitzigen ÖVP-Klubsitzung nicht selber teilnehmen. Er präsentierte Mittwoch kurz nach halb zehn Uhr zeitgleich mit dem grünen Vizekanzler den Mietpreis-Deckel in einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt. Ein paar hundert Meter weiter entbrannte im ÖVP-Klub da gerade eine kontroverse Debatte unter jenen Mandataren, die den Deckel nun legistisch auf die Reise schicken sollen.

Während mehr als die Hälfte der Regierungsbank bei der hitzigen Sondersitzungs-Debatte gähnend leer blieb, harrte Nehammer nicht nur dreieinhalb Stunden ob der schweren Attacken von Rot, Blau und Pink mit stoischer Miene auf seinem Sessel aus.

Im ÖVP-Klub wurde besonders aufmerksam registriert, dass Nehammer danach nicht sofort das Weite, sondern ungewohnterweise den sich ebenfalls langsam leerenden türkisen Abgeordneten-Sektor im Plenarsaal aufsuchte. Gut eine halbe Stunde widmete der Parteichef dem Gespräch mit Mandataren. Ein Thema, so der türkise Couloirfunk im Hohen Haus, dominierte die improvisierte interne Dialogtour des Kanzlers: Das Pro und Contra für die späte Liebe der Türkisen zum Mitpreisdeckel.

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