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Omri Boehms "Rede an Europa" von stummen Protesten begleitet

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Omri Boehm während seiner "Rede an Europa"
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Ohne Eierwürfe, aber mit unübersehbaren, doch stummen Protesten ist am Dienstagabend Omri Boehms "Rede an Europa" am Wiener Judenplatz über die Bühne gegangen. In den 53 Minuten der auf Englisch gehaltenen Rede des von den Wiener Festwochen und dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) eingeladenen Philosophen, der sich vor allem mit der Bedeutung der Aussage "Die Würde des Menschen ist unantastbar" befasste, fand sich kaum wirklich Kontroversielles.

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Eingangs der Veranstaltung, die seit 2019 zwischen Holocaust-Mahnmal und dem Lessing-Denkmal die quasi inoffizielle Festwochen-Eröffnung darstellt, wiederholten IWM-Rektor Mischa Glenny und Festwochen-Intendant Milo Rau, was sie u.a. auch am Vormittag bei einem Pressegespräch klargestellt hatten: Es gehe nicht um Kontroverse, sondern um Dialog, und der erst unlängst mit dem Leipziger Preis für Europäische Verständigung ausgezeichnete Kant-Spezialist sei mit seiner Rede "der richtige Mensch an der richtigen Stelle": "Alles, was er tut, beinhaltet den Dialog", hatte Glenny versichert, während Rau meinte: "In einer Zeit, die unversöhnlich ist, provoziert der Versöhner."

Vor allem Boehms Eintreten für ein binationales Israel im Sinne einer israelisch-palästinensischen Föderation im Gegensatz zum Konzept der Zwei-Staaten-Lösung hatte Ariel Muzicant als Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses auf den Plan gerufen. "Wäre ich 30 Jahre jünger, würde ich am Dienstag hingehen - und Eier werfen", hatte er im "Kurier" gemeint. Daher hatte Rau an die rund 300 Zuhörerinnen und Zuhörer, unter denen sich auch Festwochen-Präsident Rudolf Scholten und die Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler befanden, "eine Bitte", ehe er das Rednerpult für Boehm freimachte: "Lassen Sie die Eier bitte da, wo sie hingehören."

Dem wurde auch Folge geleistet. Allerdings mischten sich schon bald, nachdem Omri Boehm an seine aus Wien stammende Großmutter Miriam erinnert hatte, Aktivistinnen und Aktivisten unter die Zuhörenden, die Kartons in die Höhe hielten: "Free Gaza from Hamas" war darauf zu lesen, "Israel = Kant, Hamas = Anti-Kant", "Der 7.10. war die versuchte Fortsetzung der Shoah. Never forget!", aber auch mit "Varoufakis, Ernaux & Co stehen auf der Seite des Terrors" auf die rund um den virtuell tätigen "Rat der Republik" der Festwochen laut gewordenen Antisemitismus-Vorwürfe Bezug nehmend.

"Ich höre euch, aber ich hoffe, ihr hört mich auch", replizierte Boehm und setzte angesichts der Tatsache, dass schon bald uniformierte Polizisten einen Kordon gezogen hatten und die Protestierenden zwar beharrlich, doch ruhig blieben, seine Rede unbeirrt fort. Er nahm auf den US-Historiker Timothy Snyder Bezug, der bei der ersten "Rede an Europa" 2019 die Europäer gemahnt hatte, sich von ihren Mythen loszusagen. Nur so könne die Europäische Union zu ihrer wahren Stärke finden und "eine Quelle der Hoffnung, vielleicht die einzige Quelle der Hoffnung für die Zukunft sein", so Snyder damals.

Nachdem sich Boehm ausführlich mit der Bedeutung der unantastbaren Menschenwürde, die in der Europäischen Menschenrechtsdeklaration und im Deutschen Grundgesetz, nicht aber in der Österreichischen Verfassung verankert sei ("Es ist aber nicht zu spät dafür!"), befasst und das Konzept von Staaten und Staatsbürgerschaften gegen jenes von Nationen gestellt hatte, machte er deutlich, dass die Europäische Union als einzigartiges Friedensprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg auch ein Zukunftskonzept für Israel sein könne.

Sei es illegitim, Israel zu raten, den Weg Europas einzuschlagen, stellte Boehm die rhetorische Frage und machte unmissverständlich deutlich, dass er jene, die die Auslöschungsabsicht der Hamas gegenüber den Juden verharmlosen, klar verurteile: Wer "From the river to the sea" skandiere, meine damit nicht "Demokratie für alle", sondern: "Frei von Juden".

"Es gibt nichts in meiner Rede, das als antisemitisch gelesen werden könnte", hatte Boehm am Vormittag angekündigt. Man könne böswillig sein Konzept der Reduzierung jüdischer Souveränität, die einen föderalen Staat voraussetze, als antisemitisch lesen - was falsch sei, aber wohl hinter den Anwürfen stehe. Dabei bleibe zu konstatieren: "Die Ursprungsidee des Zionismus war nicht staatliche jüdische Souveränität, sondern jüdische Selbstbestimmung." Die Aufzeichnung des Livestreams der Rede soll ab Mittwoch auf der Homepage der Wiener Festwochen verfügbar sein.

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