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Wer aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommt und in der EU einen Asylantrag stellt, kann schneller abgelehnt werden. EU-Länder können selbst bestimmen, welche Staaten sie als sicher ansehen. Der EuGH legt in seinem Urteil nun fest, dass diese Einschätzung aber überprüfbar sein muss.
Außerdem dürfen dem Urteil nach Mitgliedstaaten - zumindest bis zum Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung - einen Drittstaat nicht als "sicheren" Herkunftsstaat bestimmen, wenn bestimmte Personengruppen, etwa homosexuelle Menschen, dort nicht sicher sind.
In dem Verfahren ging es um Italiens umstrittenes "Albanien-Modell" für schnelle Asylverfahren im Ausland. Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung, um das Modell umsetzen zu können.
Die Entscheidung des EuGH wurde am Freitag von der italienischen Regierung kritisiert. Diese schwäche die Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Massenmigration und zur Verteidigung nationaler Grenzen, protestierte sie. "Erneut beansprucht die Justiz - diesmal auf europäischer Ebene - Zuständigkeiten, die ihr nicht zustehen, und greift damit in politische Verantwortungsbereiche ein", hieß es in einer Presseaussendung der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
"Der Europäische Gerichtshof überträgt die Entscheidung nicht auf Einzelfälle, sondern an einen beliebigen nationalen Richter - und zwar bei einem sensiblen Aspekt der Migrationspolitik: Bei den Regeln zu Rückführungen und Abschiebungen von irregulären Migranten. So wird etwa bei der Einstufung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten die Entscheidung des nationalen Richters gegenüber den Ergebnissen der aufwendigen Ermittlungen der zuständigen Ministerien und der Bewertung durch das souveräne Parlament bevorzugt", hieß es.
"Dies ist ein Beschluss, der alle - auch die politischen Kräfte, die heute das Urteil feiern - beunruhigen sollte. Denn er schränkt den ohnehin schon begrenzten Handlungsspielraum der Regierungen und Parlamente in der gesetzlichen und administrativen Steuerung der Migration weiter ein", so die Regierung in Rom.
"Bemerkenswert ist, dass dies nur wenige Monate vor dem Inkrafttreten des neuen EU-Pakts zu Migration und Asyl geschieht - eines Pakts, der strengere Regeln vorsieht, auch in Bezug auf die Kriterien zur Bestimmung sicherer Herkunftsländer. Dieser Pakt ist das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit von Kommission, Parlament und Rat der Europäischen Union", hieß es im Text weiter.
Die italienische Opposition kritisierte Meloni nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs. "Die Regierung Meloni soll Verantwortung dafür übernehmen, dass sie die italienischen und europäischen Gesetze nicht gelesen haben und eine illegale Entscheidung getroffen haben. Die Regierung hat unmenschlichen Zentren in Albanien errichtet, die die Grundrechte von Migranten und Asylsuchenden mit Füßen treten, wofür sie mehr als 800 Millionen Euro der Italiener verschwendet haben", kommentierte die sozialdemokratische Parteichefin Elly Schlein.
Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) betonte nach dem Urteil in einer Stellungnahme: "Straffällige abzuschieben muss rechtlich möglich sein." Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) unterstrich seinerseits: "Wir werden auch weiterhin alle Maßnahmen ergreifen, um Abschiebungen umzusetzen - vor allem wenn es sich um Straftäter und Gefährder handelt." Er erinnerte daran, dass Österreich als erster EU-Staat seit Jahren wieder begonnen hat, nach Syrien abzuschieben.
Das Innenministerium teilte ergänzend mit, dass sich für Österreich durch das EuGH-Urteil "keine unmittelbaren Änderungen und Auswirkungen" ergeben, "da die Grundlage für das Urteil die italienische Rechtslage betrifft". Weiter hieß es: "Durch die Umsetzung des Asyl- und Migrationspakts werden ab Juni 2026 die Regelungen für sichere Herkunftsstaaten überarbeitet, wobei die EU-Kommission bereits einen Vorschlag für die Änderung vorgelegt hat. Dadurch wird es leichter, Herkunftsstaaten als sicher einzustufen und schnellere Rückführungen zu ermöglichen."
In Österreich gelten Bosnien-Herzegowina, der Kosovo, die Mongolei, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Albanien, Ghana, Marokko, Algerien, Tunesien, Georgien, Armenien, Benin, Senegal, Namibia, Südkorea und Uruguay als sichere Herkunftsstaaten für Asylsuchende.
Die FPÖ-Europaabgeordnete Petra Steger kritisierte das Urteil. "Der heutige Entscheid des EuGH ist ein klarer Rückschritt für jede wirksame Migrationspolitik", so Steger in einer Aussendung. "Die ohnehin schon schwer durchsetzbaren Abschiebungen werden damit endgültig zum juristischen Glücksspiel. Es reicht künftig nicht mehr, wenn ein Herkunftsstaat im Allgemeinen als sicher gilt - jetzt muss auch für jede mögliche Minderheit absolute Sicherheit garantiert sein. Das ist realitätsfremd und brandgefährlich!"
Besonders bedenklich sei laut Steger, dass die Definition sicherer Herkunftsstaaten nun de facto an eine "völlige Gefahrenfreiheit für sämtliche gesellschaftlichen Gruppen" geknüpft werde. "Was bedeutet das in der Praxis? Dass kein einziges Land der Welt je als sicher gelten wird - denn irgendwo findet sich immer eine benachteiligte Gruppe. Damit wird das Konzept sicherer Herkunftsstaaten ad absurdum geführt."
Im konkreten Fall, der dem EuGH-Urteil zugrunde liegt, klagten zwei Personen aus Bangladesch gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge, weil ihr Herkunftsland von Italien als sicher eingestuft wird. Sie gehörten zu denjenigen Migranten, die von Italien in Lager nach Albanien gebracht wurden.
Grundidee des "Albanien-Modells" ist es, Asylanträge von männlichen erwachsenen Migranten, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, in Schnellverfahren im Ausland zu prüfen. Dazu schloss Italien ein Abkommen mit Albanien zum Aufbau von zwei Lagern auf albanischem Territorium.
Es ist das Prestigeprojekt von Italiens rechter Regierungskoalition von Ministerpräsidentin Meloni, liegt aber wegen Widerstands in der italienischen Justiz derzeit auf Eis. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation ActionAid und der Universität Bari waren die Zentren 2024 effektiv nur an fünf Tagen in Betrieb - und das bei sehr hohen Kosten.
Die zwei Geflüchteten aus Bangladesch kamen später nach Italien und zogen dort vor Gericht. Weil das italienische Gericht nicht sicher war, ob die Liste der sicheren Herkunftsländer der italienischen Regierung mit EU-Recht vereinbar ist, wandte es sich an den EuGH.