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Berufseinsteiger: Die Karriere bewusst richtig starten [von Fredmund Malik]

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18 min
Personen gehen eine Treppe hinauf

Für Berufseinsteiger am Beginn der Karriereleiter gilt es vor allem, die eigenen Qualitäten und Stärken herauszufinden und auf sie zu setzen.

©Getty Images/iStockphoto
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Bereits beim ersten Job, zumeist im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, entscheidet sich die weitere Karriere. Sie kann jedem gelingen - wenn er sich die richtigen Fragen stellt. Das zu tun empfiehlt Management- und Leadership-Experte Fredmund Malik.

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Der Antritt der ersten wirklichen Stelle ist eine der einschneidendsten und eine der wichtigsten Phasen im beruflichen Leben eines jeden Menschen. Die Zeit der Ausbildung und der Praktika und die Zeit des Jobbings sind zu Ende. Der junge Mensch nimmt erstmals eine Arbeit mit unbestimmter Dauer an, ohne im voraus feststehendes Ende. Er oder sie weiß zwar, dass man wohl auf dieser Stelle nicht in Pension gehen wird, aber die Stelle ist auch nicht so terminiert wie ein Praktikum, das man in den Semesterferien macht, oder eine Lehrstelle.

Für junge Leute mit Universitätsausbildung beginnt diese Phase in ihren späten Zwanzigern, und sie haben daher wenig Zeit, die im folgenden vorgeschlagenen Erfahrungen zu machen. Für jene mit einer Berufsausbildung sind es die frühen Zwanziger. Sie haben ein bisschen mehr Zeit.

Diese erste Phase wird von den wenigsten richtig eingeschätzt und genutzt, und sie wird leider auch von den Personalabteilungen selten ernst genug genommen. Es ist die wichtigste berufliche Phase, in der die Weichen für den Verlauf der weiteren Karriere gestellt werden. In dieser Zeit sollte sehr viel Augenmerk auf das Entdecken und Entwickeln von Managementqualitäten gelegt werden. Sie sollte von folgenden Fragen dominiert werden:

  • Wer bin ich?

  • Kann ich mit Menschen umgehen?

  • Wie funktioniere ich eigentlich, und wie arbeite ich am besten?

Die Antworten auf diese Fragen findet man nicht durch Analysieren, sondern nur durch Ausprobieren. Man ist heute viel zu naiv wissenschaftsgläubig, vor allem testgläubig, und daher werden die Möglichkeiten etwa der Psychologie oft massiv über- und die Methode des Ausprobierens unterschätzt. Ich bin natürlich nicht gegen eine vernünftige Anwendung von Tests - dort, wo sie passen. Hierher passen sie aber nicht.

Ehrliche Antworten

Menschen in ihren Zwanzigern können kaum davon ausgehen, dass sie über sich selbst schon genug wissen, um sich wirklich zu kennen. Möglicherweise gilt das für das ganze Leben. Jedenfalls muss man aber in diesem Lebensabschnitt damit anfangen, systematisch mehr über sich selbst herauszufinden. Es ist wichtig für eine ganze Reihe späterer Karriere-Entscheidungen. Dasselbe gilt für die zweite Frage. Niemand kann in diesem Alter wissen, ob er wirklich mit Menschen umgehen kann. Man kann es hoffen, vermuten oder sich wünschen - aber kaum wissen.

Viele junge Leute erzählen einem mit glänzenden Augen, dass sie sich einen Beruf wünschen, in dem sie es "mit Menschen zu tun haben". Das ehrt sie und macht sie vielleicht sympathisch; es beweist aber auch meistens, dass sie nicht wissen, wovon sie sprechen. Die jungen Leute hatten es bis zu diesem Punkt ihres Lebens ja eigentlich noch nicht "mit Menschen" zu tun. Was sie kennen, sind "ihresgleichen", ihre Freunde und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen. Sie sind alle in derselben Phase ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung, sie haben alle dieselben Schulprobleme und Prüfungsängste. Sie kannten bisher Eltern und Lehrer, aber sie hatten noch nie einen Chef. Jetzt erst, nach Antritt ihrer ersten Stelle in einer Organisation, werden sie konfrontiert mit der ganzen Vielfalt der Menschen - mit den unterschiedlichsten Altersgruppen, denen man nicht mehr durch freie Wahl seines Freundeskreises ausweichen kann, weil sie Arbeitskollegen sind, mit den unterschiedlichsten Bildungsstufen und vor allem mit Vorgesetzten. Man mag die Existenz von Hierarchien und von Unter- und Überstellung beklagen oder begrüßen - noch sind das jedenfalls Realitäten, und die meisten jungen Menschen müssen sich zuerst an sie gewöhnen, was vielen gar nicht so leicht fällt.

Der wichtigste Punkt aber ist, dass man in der Phase der Zwanziger herausfinden muss, wie man am besten arbeitet. Man muss die Basis für persönliche Effektivität legen. Ohne sie bleibt alles ungenutzt und daher unwirksam: Talente, Fähigkeiten, Wissen und Erfahrung. Der erste Schritt zu Wirksamkeit ist die Einsicht, dass keine zwei Menschen gleich arbeiten. Man muss in dieser Phase herauszufinden beginnen, wo man seine Stärken hat und wo seine Schwächen sind, und man muss außerdem herausfinden, welche Gewohnheiten einen daran hindern, seine Stärken voll zu entwickeln und auszuspielen. Der junge Mensch muss das im eigenen Interesse selbst tun. Sein Chef und das Unternehmen müssen ihm dabei helfen, ihm die Möglichkeiten geben, das alles herauszufinden, und ihn dazu anhalten, auf die richtigen Dinge zu achten. Welche aber sind das?

Noch mehr Fragen

Ich schlage vor, Fragen der folgenden Art in den Mittelpunkt zu stellen. Die Liste ist bei weitem nicht vollständig. Die Beispiele illustrieren aber den Typus der Eigenheiten, auf die es ankommt:

  • Arbeite ich besser allein oder im Team?

  • Kann ich Zeitdruck aushalten, oder brauche ich Ruhe und Gelassenheit, um zu guten Ergebnissen zu kommen?

  • Benötige ich Ordnung und Struktur, oder kann ich gut mit unstrukturierten, chaotischen Situationen fertig werden?

  • Brauche ich ein eher detailliertes Arbeitsprogramm, oder genügen mir ein paar grobe Anhaltspunkte?

  • Fällt es mir leicht, über längere Zeit konzentriert zu arbeiten, oder empfinde ich das als schwierig?

Viel zu viele Menschen achten auf Dinge dieser Art überhaupt nicht oder erst viel zu spät. Sie sind aber wichtig, wenn nicht überhaupt entscheidend für die erfolgversprechende Gestaltung der eigenen Laufbahn. Nur aufgrund von Kenntnissen dieser Art kann die alles entscheidende Frage beantwortet werden: Wohin gehöre ich eigentlich? In welcher Art von Tätigkeit und auf welche Weise kann ich hoffen, Leistungen zu erbringen, die über dem Durchschnitt liegen - vielleicht sogar Spitzenleistungen -, und somit die Basis für den späteren Erfolg legen?

Die Kenntnis derartiger Eigenheiten ist deshalb so wichtig, weil sich Gegebenheiten dieser Art kaum ändern lassen. Ob sie angeboren oder früh erworben sind, bleibe dahingestellt. Jedenfalls muss man im Wesentlichen mit ihnen leben und die Wahl seiner Tätigkeit und Berufsschritte an sie anpassen, und nicht umgekehrt. Diese Behauptung stößt zwar immer wieder auf Ablehnung oder Zweifel, aber sie ist - leider - sehr ernst zu nehmen. Diese Eigenschaften sind etwa vergleichbar mit Rechts- und Linkshändigkeit. Jeder Mensch weiß zweifelsfrei, ob er in die eine oder andere Kategorie gehört, und nur ganz wenige können von sich behaupten, dass sie mit beiden Händen gleichermaßen kompetent sind. Obwohl man den Linkshänder mit mehr oder weniger Gewalt und Drill dazu bringen kann, dass er rechtshändig schreibt, wird er doch alles andere ein Leben lang mit seiner linken Hand ausführen - weil es ihm eben so leichter fällt. Das Umgekehrte gilt für den Rechtshänder.

Mein Vorschlag, die obenerwähnten Eigenheiten genau so zu sehen wie Rechts- und Linkshändigkeit, bedeutet vor allem, dass mit den eben getroffenen Unterscheidungen absolut keine Wertung verbunden ist. Die Unterscheidungen bedeuten "anders", aber nicht "gut oder schlecht".

Viele meinen, dass heute jeder teamfähig sein müsse, unter Zeitdruck arbeiten können oder unstrukturierten Situationen gewachsen sein müsse. Vielleicht wäre es schön, wenn es so wäre. Es ist aber nicht so. Und im übrigen ist das auch gar nicht notwendig. Menschen sind verschieden, und sie sind auf je verschiedene Weisen wirksam. Es ist nicht nur unsinnig, alle über einen Kamm scheren zu wollen, es ist schädlich für Leistung und Produktivität.

Vorgesetzte sind gefordert

Wenn ich einen neuen Mitarbeiter, zum Beispiel einen Assistenten, bekomme, dann ist es meine primäre Aufgabe als sein Chef, herauszufinden, wie dieser Mensch arbeitet. Weder kann ich das seinem Lebenslauf entnehmen, noch ergibt es sich aus den Zeugnissen. Es kommt auch nicht aus den Einstellungsgesprächen heraus. Aber es lässt sich durch Ausprobieren herausfinden. Ich muss ihm zwei, drei oder vier unterschiedliche Aufgaben in relativ kurzer Folge geben und darauf achten, wie er sie angeht.

Wenn ich sehe, dass er ein Teamplayer ist, dann wird er, so gut es eben geht, für Teamarbeiten eingesetzt. Erkenne ich aber, dass er eher dazu neigt, die Dinge allein zu machen, dann ist es nicht meine primäre Aufgabe, ihn zu ändern, sondern ihm möglichst viele Aufgaben zu geben, die er allein bewältigen kann.

In den Büchern über Management, aber auch in der Praxis zeigt sich immer wieder ein gravierendes Missverständnis: Es ist nicht Aufgabe von Managern, die Menschen zu verändern; es ist ihre Aufgabe, sie so zu nehmen, wie sie sind, und das zu nutzen, was sie schon können. Viel zu viele Führungskräfte sind ständig damit beschäftigt, die Menschen zu ändern. Sie richten ihre Anstrengungen immer wieder in die falsche Richtung und beklagen sich dann darüber, dass die Erfolge nicht eintreten oder dass sie sehr kümmerlich ausfallen. Viel zu große Teile des Personalwesens und der Ausbildung sind ebenfalls in diese Sackgasse geraten.

Abgesehen von der ethisch-moralischen Frage, nämlich ob wir überhaupt legitimiert sind, andere Menschen zu ändern, stellt sich die viel praktischere und ökonomische Frage des Verhältnisses von Aufwand und Wirkung. Menschen ändern zu wollen dauert zu lange und bringt zu wenig, um es rechtfertigen zu können. Das zu nutzen, was sie schon können, ist in jeder Hinsicht der bessere Weg.

Ich mache hier nochmals auf die beiden Perspektiven aufmerksam, aus denen man diese Überlegungen verstehen muss: Der junge Mensch muss seine eigene Arbeitsweise ausprobieren und für sich herausfinden, wie er am besten arbeitet und am effektivsten ist, damit er später die geeigneten Laufbahnentscheidungen treffen kann. Das Unternehmen muss diese Erkenntnisse haben, um seine Mitarbeiter für das Unternehmen, aber auch für die Menschen richtig einzusetzen. Alles andere ist Scheinmanagement, und es ist Scheinhumanität.

Gute Kompromisse machen

Fraglos ist zu akzeptieren, dass es nie gelingen wird, eine perfekte Passung zu erreichen. Man wird ein Leben lang Kompromisse machen müssen. Man kann aber dem Ziel näher kommen.

Es gibt viele andere Eigenheiten vergleichbarer Art, die man erwähnen könnte:

  • Bin ich ein detailorientierter, vielleicht sogar detailverliebter Mensch oder einer, der sich eher an den großen Zügen orientiert?

  • Bin ich stark im Konzeptionellen oder eher in der Umsetzung?

  • Habe ich ein gutes Zeitgefühl, oder fällt es mir schwer, mit der Zeit hauszuhalten?

  • Kann ich Ordnung in meinen Dingen halten und mich organisieren, oder habe ich damit Schwierigkeiten?

  • Kann ich Termine einhalten oder nicht?

  • Bin ich in der Lage, mich einigermaßen verständlich auszudrücken und klarzumachen, was ich meine, oder hinterlasse ich eher Konfusion?

  • Bin ich besser im mündlichen Ausdruck oder im schriftlichen?

  • Bin ich eher ein Leser oder ein Hörer?

  • Sind es Texte, auf die ich anspreche, oder Zahlen und Tabellen oder Grafiken?

Wie ich schon oben sagte: Jeder weiß zweifelsfrei, ob er Rechts-oder Linkshänder ist, und er setzt seine Hände richtig ein. Aber nur wenige können mit derselben Sicherheit die hier aufgeworfenen Fragen beantworten - nicht weil sie schwieriger wären, sondern weil man nicht gelernt hat, sie zu beachten. Daher setzen auch nur wenige ihre diesbezüglichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, Eigenarten und Besonderheiten richtig ein.

Weit eher ist es so, dass man viel zu lange - oft ein Leben lang - gegen die "Umstände" kämpft, nur weil man sich ihrer nicht bewusst ist und weil einem niemand sagt, dass man darauf achten muss und darf. Bildhaft gesprochen, ist es, wie wenn ein unmusikalischer Mensch ergebnislos, aber umso verzweifelter versucht, ein Musikinstrument zu spielen, nur weil ihm niemand gesagt hat, dass man auch unmusikalisch sein darf und dass das etwas ganz Normales ist.

Empfehlung: Häufiger Jobwechsel

Eine Möglichkeit, das alles auszuprobieren, ist rasche Job-rotation. In dieser Entwicklungs- und Laufbahnphase ist sie angezeigt und in Ordnung. Das zu organisieren und zu realisieren ist andererseits wieder gar nicht so einfach. Es ist aber keineswegs notwendig, junge Menschen in rascher Folge durch verschiedene Stellen zu schleusen. Man kann ihnen auch Aufgaben verschiedener Art auf ein und derselben Stelle und in ein und derselben Abteilung geben. Es müssen keine großen und spektakulären Aufgaben sein. Wichtig ist, dass sie es ermöglichen, wenigstens ansatzweise die vorgeschlagenen Fragen zu beantworten, und die beste Methode ist es, die jungen Leute dabei zu beobachten, wie sie an eine Sache herangehen.

Das kostet - zugegeben - etwas Zeit, von der Führungskräfte immer zuwenig haben. Es kostet aber vor allem Aufmerksamkeit und Interesse an der Entwicklung junger Menschen. Diese sind wir ihnen schuldig, wenn wir die Aufgabe der Entwicklung von Menschen auch nur ansatzweise ernst nehmen und es nicht bei vollmundigen Lippenbekenntnissen bewenden lassen wollen.

Ob man Dank dafür bekommt, sollte man nicht fragen. Selten wird man ihn sofort bekommen, später dafür umso sicherer. Aber das darf nicht das Wesentliche sein. Wesentlich ist, jenen jungen Menschen, die sich bemühen, die Chance zu geben, sich in diesem Sinne zu erproben - jenen, die wollen. Es wird immer auch solche geben, die nicht wollen. Für diese wird man sich nur sehr limitiert einsetzen. Vielleicht geht ihnen etwas später doch noch "der Knopf auf". Wichtig sind jene, die wollen und sich ernsthaft bemühen.

Weitere Management-Tipps von Fredmund Malik finden Sie auf der Themen-Seite "Malik on Management"

Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.

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