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Gerhard Bösch - Ein Jahr an der Banken-Front

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Gerhard Bösch, CEO der staatlichen ukrainischen PrivatBank
Gerhard Bösch, CEO der PrivatBank. Seine Rolle geht weit über die eines CEO hinaus: "Wenn das Land nicht überlebt, überleben auch wir nicht."©trend / Michael Rausch-Schott
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Zerstörte Filialen wieder aufbauen, Stromversorgung sichern: Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine kämpft der Vorarlberger Gerhard Bösch an vorderster Finanz- Verteidigungslinie. Ein trend-Besuch in Kiew.

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Heute früh ist etwas in Kramatorsk gelandet". Gerhard Bösch - Jeans, grauer Pullover, aufgekrempelte Ärmel - zückt sein Handy. Er spielt ein Filmchen ab, das eine Bankfiliale in der Oblast Donezk nach einem russischen Raketeneinschlag am 2. Februar zeigt. Die Druckwelle hat die Tür aus den Angeln gehoben, alle Scheiben sind geborsten, pure Zerstörung. Was mit der Filiale, einem von 1.200 Standorten der größten ukrainischen Bank, passieren wird?"Abschreiben und neu aufbauen." Bösch legt das Handy weg. Natürlich lässt er, der CEO, über die Kriegsschäden penibel Buch führen, um sie später reklamieren zu können. Doch sein Bestreben geht weit über das korrekte Erstellen von Bankbilanzen hinaus. Er hat eine Mission: "Wenn das Land nicht überlebt, überleben auch wir nicht." Das persönliche Credo des Vorarlbergers ist ident mit jenem des Bankeigentümers, also des ukrainischen Staats, und der Mitarbeiter: "Wir sind die Letzten, die gehen, und die Ersten, die wiederkommen."

Der trend besuchte Bösch im Ausweichquartier des Geldinstituts in der Kovpaka-Straße, einem funktional designten Gebäude im Kiewer Pecherskyi-Bezirk. Freundliche Sitzecken, helle, spartanische Konferenzräume, ein kahles Chefbüro, in dem nur Wasserflaschen und ein paar gerahmte Urkunden auf der Wandkommode lehnen. Die Übersiedlung war notwendig, weil der Hauptsitz nahe den Regierungsgebäuden keine Schutzräume hat; bei bis zu zehn Luftalarmen in der Woche keine akzeptable Bleibe.

Wir halten die finanzielle Verteidigungslinie aufrecht.

In einem Krieg führenden Staat ist seine größte Bank unweigerlich Teil dieses Krieges. "Wir halten die finanzielle Verteidigungslinie aufrecht", heißt es im soeben publizierten Bericht zu den vorläufigen Zahlen 2022, die einen unverändert hohen Bruttogewinn wie im Vorkriegsjahr 2021 aufweisen: umgerechnet über 860 Millionen Euro.

Bösch ist einer von zwei verbliebenen Ausländern im siebenköpfigen Privatbank-Vorstand. Er wird bald 66 Jahre alt. Eigentlich wollte er am Ende einer schönen Bankerkarriere mit Stationen bei P.S.K., Bawag und Raiffeisen noch ein starkes, aber bewältigbares Meisterstück am Rande Europas hinlegen: als CEO der früher von Oligarchen geführten, 2016 verstaatlichten Bank eine Perspektive für die Privatisierung entwickeln. Von 2021 bis Ende 2024. Nun ist er mitten in einem Krieg und in den Geschichtsbüchern gelandet.

DATENSICHERUNG.

Denn zum kaum erwarteten Erfolg des ukrainischen Widerstands nach dem russischen Überfall am 24. Februar 2022 gehört auch, dass es gelang, die kritische Infrastruktur zu schützen und am Laufen zu halten: die Versorgung der Menschen und Unternehmen mit Geld und Gelddienstleistungen. Nach wie vor werden täglich 5.000 Bankomaten der Privatbank gefüllt, dazu braucht es eine Flotte von 400 gepanzerten Fahrzeugen. 80 Prozent der Filialen sind in Betrieb. Stolz berichtet Bösch, dass "es bisher keinen Tag gab, an dem die Bank geschlossen war".

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Privatbank-CEO Gerhard Bösch (rechts) bei der Wiedereröffnung einer Filiale im rückeroberten Cherson. © Privat

Wo Gebiete durch die ukrainische Armee rückerobert wurden, warten die Menschen sehnsüchtig auf die Wiedereröffnung, erzählt der CEO, der selbst im Herbst nach Cherson und Charkiw fuhr. Eine Privatbank-Niederlassung in Cherson blieb nur deswegen von der üblichen Verwüstung verschont, weil die Invasoren sie zur Einlagerung von Gemälden nutzten, die sie davor aus Museen und Privathäusern der Gegend gestohlen hatten. Zum Einpacken und Abtransport der insgesamt 400 Kunstwerke hatten die temporären Besatzer bei ihrer Flucht dann zum Glück keine Zeit mehr.

Ich habe Stress, wenn es dem Land schlecht geht - und dieser Stress ist noch größer, wenn ich nicht hier bin.

Um der Stromausfälle Herr zu werden, hat Bösch mittlerweile fast 700 Notstromaggregate anschaffen lassen, fürs Internet Hunderte Starlink-Satellitenschüsseln. Innerhalb von zwei Monaten wurden die gesamten IT-Prozesse und die relevanten Datenbanken in eine Cloud - die Server befinden sich außerhalb des Landes - übersiedelt. Denn die größte Befürchtung am Beginn des Angriffskriegs war, dass die physischen Datenzentren zerstört würden. Diese Gefahr ist gebannt.

Seit sechs Wochen kommt der Österreicher praktisch jeden Arbeitstag in die Kovpaka-Straße, nur eine Woche Skifahren am Arlberg hat er sich im Jänner gegönnt. "Ich bin kein Homeoffice-Worker", sagt er trocken. Kurz vor dem ersten trend-Interview Anfang März 2022 im Wiener "Café Dommayer" war er Richtung Westen geflohen, um die Rettung der Bank für den Fall zu organisieren, dass die Russen das gesamte Land überrennen. Zudem hatte ihn eine russische MiG, die tief an seinem Kiewer Domizil vorbeiflog, wenige Tage nach der Invasion kurz einmal in Schrecken versetzt.

STRENGES KALKÜL.

Es gäbe weiterhin genug Gründe, dem Land fernzubleiben. Bei einem Drohnenangriff am 17. Oktober wurde die Sommelière von Böschs Weinshop, im sechsten Monat schwanger, gemeinsam mit ihrem Mann getötet. Zu Silvester schlugen russische Geschosse im Hotel Alfavito ein, wo die Privatbank üblicherweise Gäste unterbringt. Beim Raketenangriff auf einen großen Wohnkomplex in Dnipro Anfang Jänner kamen mehrere Mitarbeiter ums Leben. Dennoch fühlt sich der Topbanker, sagt er, "nicht unwohl". Er habe "keine physische Angst", er berechne ganz einfach, "wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, von einer russischen Rakete getroffen zu werden". Mit dieser ultrarationalistischen Herangehensweise ist er zur Erkenntnis gekommen, dass es ihm besser geht, wenn er vor Ort ist, als wenn er von außen zuschauen muss: "Ich habe Stress, wenn es dem Land schlecht geht - und dieser Stress ist noch größer, wenn ich nicht hier bin."

Von seinen 20.000 Mitarbeitern sind derzeit "einige Hundert in Uniform, manche regulär einberufen, manche freiwillig". Aber insgesamt mache die Personalsituation "keine großen Probleme, wir sind gut im Improvisieren". Je größer der Nachschubbedarf an der Front, umso schwieriger könnte es allerdings werden, die Löcher zu stopfen.

Eine der großen Überraschungen in der Finanzwelt nach dem 24. Februar 2022 war, dass es keinen Bankrun gab, also massenweise Abhebungen, die zum raschen Kollaps der Bank hätten führen können. Im Gegenteil, die Liquidität stieg im Lauf des Jahres sogar an. Viele Ukrainer brachten ihr Bares in die Banken, denen sie weiterhin vertrauten.

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Kriegsalltag: Das getroffene Hotel Alfavito (l.) und "Helden der Ukraine"-Plakate entlang der Boulevards: Kiew im Dauer-Ausnahmezustand. © Global Images Ukraine/Getty Images/Benhard Ecker

In einer um 30 Prozent geschrumpften Wirtschaft legte die größte Bank des Landes, früher zu 95 Prozent eine Retailbank, zudem bei den Firmenkunden um 50 Prozent zu. "Wir hatten einen größeren Risikoappetit als Banken in ausländischem Besitz", sagt Bösch nüchtern. Die KMU- Offensive will er fortsetzen. Weil die Ergebnisse im ersten Kriegsjahr stabil blieben, kann sich der ukrainische Staat über eine gute Dividende freuen.

Dass der gesamte Banksektor bisher robust blieb, hänge mit den tiefgreifenden Reformen durch die ukrainische Nationalbank zusammen, die 2015 begannen, erklärt Bösch. Vor Ausbruch des Krieges seien die Bankbilanzen in einem besseren Zustand als je zuvor gewesen, "frei von Oligarchen-Manipulationen".

OHNE PERSPEKTIVE.

Als systemrelevant bezeichnet er auch seinen früheren Arbeitgeber in der Ukraine, die Raiffeisen Bank Aval. Raiffeisen steht derzeit wegen des Verbleibs in Russland am Pranger von Präsident Selenskyj und ukrainischen Behörden. "Die bekannten Argumente, warum es nicht möglich ist, aus Russland wegzugehen, sind in der Ukraine nicht mehr akzeptabel. Damit kann man hier niemanden überzeugen", glaubt Bösch, dass die Stunde der Entscheidung naht.

Europa beginnt nicht in Bratislava oder Hollabrunn, sondern in der Ukraine.

Mürbe, gesteht er am Ende ein, macht ihn die Perspektivlosigkeit. Denn die Wahrscheinlichkeit eines für alle Kriegsparteien akzeptablen Friedens ist heute nicht größer als vor elf Monaten. Der Gedanke an Kapitulation sei den Ukrainern trotz aller Erschöpfung fremd.

Zehn Tage nach Beginn des Krieges war er in Wien mit einer Wyschywanka erschienen, dem traditionellen ukrainischen Hemd, und einem gelb-blauen Bändchen am Arm; er verabschiedete sich mit dem Kampfruf "Slawa Ukrajini!" vom trend. Heute hat er mit Folklore nichts mehr am Hut. "Patriotismus ist mir fremd", erklärt er und legt gleich nach: "Aber das hier nehme ich sehr persönlich, denn ich lebe seit 17 Jahren in Kiew. Und es muss klar werden, dass hier Europa bedroht wird." Es ist einer der wenigen seiner Sätze, in denen Pathos mitschwingt: "Denn Europa beginnt nicht in Bratislava oder Hollabrunn, sondern in der Ukraine."

Der Artikel ist der als Teil der Coverstory "Ein Jahr Krieg" in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 10. Februar 2023 erschienen.

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