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Stanford-Professor Ilya Strebulaev: Was Innovation antreibt

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11 min

Stanford-Professor und Bestsellerautor Ilay Strebulaev

©WOLFGANG WOLAK
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Der Stanford-Professor und Bestsellerautor Ilya Strebulaev erklärt, wie Unternehmen mit einer neuen, an Chancen orientierten Einstellung außergewöhnliche Erfolge in unsicheren Zeiten erzielen – und wie Europa
in Sachen Innovation aufholen kann.

von

trend: Sie haben mit Ihrem ehemaligen Studenten Alex Dang den Bestseller „The Venture Mindset“ geschrieben, eine Art Orientierungshilfe für Unternehmer und Manager in unsicheren Zeiten. Seit Donald Trump US-Präsident ist: Spüren Sie mehr Nachfrage?

Ilya Strebulaev: Der Verkauf unseres Buchs entwickelt sich ausgesprochen positiv‚ „The Venture Mindset“ wird derzeit in über 20 Sprachen übersetzt. Der Erfolg ist aber nicht allein der wachsenden Unsicherheit durch die Trump-Administration zuzuschreiben, sondern auch der Tatsache, dass Leserinnen und Leser das Buch begeistert weiterempfehlen. Zugleich zeigt sich jedoch, dass unsere ungewisse Zeit ganz neue Herausforderungen für Wirtschaft und Politik mit sich bringt.

Was genau meinen Sie damit?

In meinen Vorlesungen zeige ich oft ein schwarz-weißes Foto von der Osterparade in Manhattan aus dem Jahr 1900. Darauf sieht man fast ausschließlich Pferdekutschen – und lediglich ein einziges Automobil. Die 13 Jahre später aufgenommene Parade zeigt ein ganz anderes Bild: Man sieht nur noch Autos auf den Straßen. Die wirtschaftlichen Umwälzungen, die mit der damaligen Verkehrswende einhergingen, waren tiefgreifend: Die Kutscher verschwanden, neue Akteure wie Ford, Buick & Co. nahmen ihre Plätze ein. Das dauerte allerdings wesentlich länger als die Disruption, die wir heute erleben. DeepSeek beispielsweise erreichte innerhalb von nur 24 Stunden eine Million Nutzer. Heute ist keine Branche mehr vor radikalen Veränderungen gefeit.

Das führt weltweit zu großer Verunsicherung. Wie kann Ihr Buch da helfen?

Eine zentrale Grundlage meines Buchs ist eine Studie, die wir an der Stanford University durchgeführt haben. Darin haben wir sämtliche börsennotierten US-Unternehmen der letzten 50 Jahre analysiert – mit Fokus auf die Rolle von Venture Capital für ihren Erfolg. Die Ergebnisse waren selbst für uns überraschend: Rund die Hälfte der Unternehmen, die in diesem Zeitraum an die Börse gingen, war überwiegend durch Risikokapital finanziert. Noch eindrucksvoller ist, dass 92 Cent jedes Dollars, der von diesen Firmen in Forschung und Entwicklung investiert wurde, von VC-finanzierten Unternehmen stammen. Damit wird deutlich: Die Venture-Capital-Industrie ist der entscheidende Motor für Innovation in den USA. Ohne sie gäbe es viele der heute prägenden Unternehmen nicht – kein Apple, kein FedEx, kein Starbucks. Unser Buch zeigt auf, wie man das VC-Denken systematisch nutzen kann, um auch in Zeiten großer Unsicherheit handlungsfähig zu bleiben.

Sie haben den Begriff des „Venture Mindsets“ geprägt. Was genau hat es damit auf sich? Risikokapitalgeber treffen Entscheidungen grundlegend anders als Vorstände traditioneller Unternehmen. Das liegt nicht daran, dass sie klüger sind oder über übernatürliche Fähigkeiten verfügen, sondern daran, dass sie kontinuierlich unter hoher Unsicherheit agieren müssen. Um in diesem Umfeld zu überleben, haben sie im Laufe der Zeit einen völlig neuen Entscheidungsprozess entwickelt. Dieser ermöglicht es ihnen, trotz unvollständiger Informationen mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit zu handeln. Die Prinzipien hinter diesem Prozess bezeichne ich als Venture Mindset.

Gibt es dazu bereits Erfahrungen außerhalb der Start-up-Welt? 

Die Prinzipien sind universell anwendbar. In den USA setzen nicht nur Techgiganten wie Google und Amazon auf sie, sondern auch zahlreiche traditionsreiche Konzerne wie 3M – die Erfinder der Post-it-Notes – oder Johnson & Johnson. Diese Unternehmen sind längst unabhängig von -Risikokapital, doch sie halten an den Grundsätzen der Venture-Capital-Denkart fest.

Warum? 

Die Alternative ist wenig attraktiv: Seit der ersten Veröffentlichung der Fortune-500-Liste im Jahr 1959 zeigt sich ein klarer Trend – die durchschnittliche Verweildauer von Unternehmen auf dieser Liste schrumpft stetig. Nur wer sich konsequent unternehmerisches Denken und ein zukunftsgerichtetes „Venture Mindset“ aneignet, kann sich in einem sich rasant wandelnden Umfeld behaupten.

Und worin liegt für traditionelle Unternehmen die größte Umstellung?

Der vielleicht tiefgreifendste Wandel betrifft den Umgang mit dem Scheitern. Im Venture Mindset gilt Scheitern nicht als Makel, sondern als notwendiger Bestandteil des Innovationsprozesses. In der VC-Welt ist es völlig normal, dass ein Großteil der Investments scheitert – und trotzdem lohnt sich das Modell, weil einzelne Durchbrüche den Unterschied machen. Wenn ich vor Führungskräften spreche – besonders vor europäischen – stelle ich gerne die Frage: „Was ist Ihre größte Angst als CEO?“ Die Antwort lautet fast immer: das Scheitern. Im Silicon Valley hingegen hört man das kaum. Dort ist die größte Sorge, die entscheidende Gelegenheit zu verpassen – etwa nicht in das nächste Apple oder Amazon investiert zu haben. Genau dieses Denken prägt dort die Entscheidungslogik und Risikobereitschaft.

Europa hinkt in Sachen Innovation hinter den USA her. Welche Weichen empfehlen Sie hier zu stellen?

Zunächst muss sich Europa die grundlegende Frage stellen, ob es tatsächlich bereit ist, das eigene Innovationsökosystem und das der einzelnen Mitgliedsstaaten aktiv zu fördern. Dann gibt es zahlreiche Ansatzpunkte, um dies voranzutreiben. Kapital ist in Europa reichlich vorhanden – ebenso wie große Pensionsfonds. Doch nach wie vor stehen ihnen regulatorische Hürden im Weg. Ein positives Beispiel liefert Italien: Als eines der ersten Länder hat es Ende vergangenen Jahres ein Gesetz verabschiedet, das Pensionsfonds von der Kapitalertragssteuer befreit, vorausgesetzt, sie investieren rund zehn Prozent ihres Vermögens in Venture Capital. Dieses Modell könnte als Blaupause für andere europäische Staaten dienen, in denen Pensionsfonds bislang noch zurückhaltend agieren, wenn es um die Finanzierung junger, innovativer Unternehmen geht.

Gibt es weitere Hebel? 

In den USA verfolgen viele Hochschulen längst ein dreigliedriges Modell: Lehre, Forschung und Kommerzialisierung. An Universitäten wie Stanford erlebe ich regelmäßig, dass renommierte Wissenschaftler zugleich erfolgreiche Start-up-Gründer sind. Ihre Studierenden wiederum schließen sich ihnen als erste Mitarbeitende an oder gründen selbst Unternehmen. Demgegenüber halten viele europäische Universitäten weiterhin am traditionellen deutschen Hochschulmodell des 19. Jahrhunderts fest. Dieses System mag lange Zeit gut funktioniert haben – doch in einer Welt, die sich rasant verändert, stößt es zunehmend an seine Grenzen. Darüber hinaus sollten europäische Regierungen gezielt überlegen, wie sie verstärkt große Unternehmen dazu motivieren können, mit Start-ups zu kooperieren – sei es durch Partnerschaften, Investitionen oder Übernahmen. Gerade in diesen Bereichen kann ein ausgeprägtes Venture Mindset entscheidende Impulse liefern und als Brücke zwischen etablierten Konzernen und der Innovationskraft junger Unternehmen dienen.

Welche Rolle kann hier Corporate Venturing spielen?

Corporate Venturing ist wichtig, erfordert jedoch einen gewissen Kapitaleinsatz. Deshalb kommt es vor allem für große Unternehmen in Frage. Richtig umgesetzt ermöglicht es Konzernen, disruptive Innovationen, die außerhalb des eigenen Unternehmens entstehen, frühzeitig zu erkennen. An der Stanford University haben wir weltweit Hunderte Corporate-Venture-Einheiten analysiert und festgestellt: Viele sind nicht optimal strukturiert und funktionieren daher nicht wie gewünscht.

Was sind die größten Hürden? 

Eine wichtige Erkenntnis ist: Corporate Venturing kann nicht erfolgreich innerhalb der bestehenden Unternehmensstruktur stattfinden. Eine enge Freundin von mir war Leiterin von IBM Ventures. Als sie sich aus dieser Rolle zurückzog, habe ich sie gefragt: Was war deine größte Herausforderung bei IBM Ventures? Sie antwortete, sie habe viele interessante Start-ups gefunden und mit in die IBM-Zentrale gebracht. Doch die Ingenieure, die als Sponsoren in Frage gekommen wären, hätten oft nur gesagt: „Wen hast du uns da mitgebracht? Das können wir selbst.“ Das war zwar nicht falsch, aber das jeweilige Thema stand schlicht nicht auf ihrer Prioritätenliste – und wurde deshalb nie von IBM verfolgt. Das Beispiel zeigt: Will man Corporate Venturing erfolgreich um-etzen, muss man das – wie ich es nenne – „Not invented here“-Syndrom durchbrechen.

Und welche Chancen sehen Sie für -Österreich im globalen Innovationswettbewerb? 

Ein Blick auf die erfolgreichsten Start-up-Hubs weltweit zeigt: Viele davon liegen in kleineren Ländern – etwa Singapur, Taiwan, Israel oder Estland. Aus meiner Sicht haben gerade solche Länder einen entscheidenden Vorteil. Ein Start-up aus Österreich, das den Einhorn-Status erreichen will – also eine Bewertung von über einer Milliarde Dollar –, muss von Beginn an international denken und sich global aufstellen. Der heimische Markt ist dafür schlicht zu klein. Darin liegt eine große Chance für Österreich: Wer früh global denkt, schafft die besten Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Diese Chance gilt es, entschlossen zu nutzen.

Zur Person

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Für CEOS. In Studien, Praxisbeispielen und Gesprächen haben die Autoren Ilya Strebulaev und Alex Dang die wichtigsten Entscheidungsprinzipien der Venture Capital Industrie in den USA analysiert und zeigen, wie sich diese in anderen Branchen und traditionellen ­Konzernen erfolgreich anwenden lassen.

The Venture Mindset. Ilya Strebulaev
und Alex Dang, Random, 2024, 31,99 €.

 © Verlag

Über die Autoren

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