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"Wohlstandswehleidigkeit": Jammern auf (zu) hohem Niveau

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Andreas Lampl, Chefredakteur trend
Andreas Lampl, Chefredakteur trend©Ricardo Herrgott
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Wir werden letztlich mit deutlich teurerem Gas zurande kommen. Wenn sich Politik jetzt nicht nur mit dem Teuerungsbonus beschäftigt.

An den autofreien Tag, Anfang 1974 als Reaktion auf den Ölpreisschock temporär eingeführt, erinnert sich nur, wer mindestens Mitte 50 ist. Der Preis für ein Barrel hatte sich damals innerhalb kurzer Zeit fast ums Zehnfache auf über elf Dollar verteuert. Zwar herrschte kein Krieg in Europa, insofern war die Lage weniger dramatisch als heute. Aber es war ebenfalls ein Systembruch. Die Menschen mussten - verordnet oder nicht - mit Einschränkungen umgehen. Der Ölpreis erreichte nie wieder auch nur annähernd das frühere Niveau. Trotzdem wurde diese Krise erfolgreich bewältigt.

Heute sei das schwieriger, meint der damalige Finanzminister Hannes Androsch: nicht zuletzt wegen der grassierenden "Wohlstandswehleidigkeit". Klingt provokant, trifft aber einen Punkt. In zumutbarem Rahmen Gas einzusparen, wäre eigentlich keine Staatsaffäre. Aber selbst ein kleiner Schritt zurück übersteigt schnell unsere Toleranzgrenze. Diese Mentalität hat auch mit dem Mindset österreichischer Politiker zu tun, die fürchten, nur gewählt zu werden, wenn sie Probleme entweder gar nicht ansprechen oder so tun, als könne der Staat alles richten. Mit so einer Taktik ist das Versagen im Krisenmanagement programmiert. Da wird dann apodiktisch und völlig unhinterfragt das Primat der Privathaushalte gegenüber der Industrie postuliert. Was volkswirtschaftlich absurd ist.

Menschen, die von den hohen Energiepreisen in existenzielle Nöte getrieben werden, muss die öffentliche Hand unter die Arme greifen. Das steht außer Diskussion. Ändert jedoch nichts daran, dass ein Wohlstandsverlust unausweichlich ist. Das - schwer abschätzbare - Ausmaß hängt davon ab, wie weit Russland seine Erpressungsstrategie treibt. Ganz sicher werden Gas und Strom nie wieder zu den bis vor einem Jahr gewohnten Preisen zu haben sein. Die dadurch ausgelöste Inflation kostet Kaufkraft. Womöglich bombt uns Wladimir Putin vorübergehend auf das Wohlstandsniveau von vor zehn Jahren zurück. Auch das wäre nicht das Ende der Welt.

Österreichische Politiker fürchten, nur gewählt zu werden, wenn sie Probleme entweder gar nicht ansprechen oder so tun, als könne der Staat alles richten.

Anstatt Klartext zu reden und auf unterschiedliche Szenarien gut abgestimmte Aktionspläne vorzulegen, gaukeln Regierung und mehr noch die Opposition - die in der Verunsicherung ihre große Chance riecht - den Bürgern vor, man könne mit Antiteuerungspaketen alles Unbill aus der Welt schaffen. Von einem Schulterschluss, früher einmal in Krisen eine natürliche Reaktion, kann keine Rede sein. Von der FPÖ war nichts anderes zu erwarten. Aber auch die SPÖ spielt eine jämmerliche Rolle. Selbst die Neos beschränken sich auf parteipolitisches Geplänkel. Und die Regierung reagiert panisch, auch weil Tirol und Niederösterreich bald wählen.

Von Beispielen wie dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck ließe sich eigentlich abschauen, dass logische und offene Kommunikation nicht im Umfragekeller enden muss - im Gegenteil! Wobei es gar nicht so sehr die Inhalte sind, die den Unterschied machen, sondern die Art, wie Habeck Einschätzungen vermittelt, was geht und was nicht. Österreichische Politiker halten ihre Wähler offenbar für dümmer. Eine andere Erklärung, warum sie nach wie vor herumeiern, ist schwer zu finden.

Wenn nötig, müsste die Regierung sogar Notverordnungen in Betracht ziehen, um wichtige Investitionen durchzusetzen. Wann, wenn nicht jetzt, wäre das gerechtfertigt?

Die OMV hat kürzlich Pipeline-Kapazitäten für Gas aus Norwegen erworben. Ein erster Schritt von vielen, die möglich sind. Wir werden über einen vielleicht harten Winter und längerfristig mit deutlich teurerem Gas zurande kommen - wenn wir uns auf Technologien und neue Wege konzentrieren. Und nicht bloß auf den Teuerungsbonus.

Aber was passiert? Dieselben Landeshauptleute und Regionalpolitiker, die nach Preisdeckeln rufen, wehren sich gegen Wind- und Solarparks in ihrem Einflussgebiet. Die Grünen proklamieren Unabhängigkeit von fossiler Energie, aber von ihnen unterstützte NGOs blockieren dafür notwendige Infrastrukturprojekte. Vom Zusammenrücken in der Krise keine Spur. Politik lebt den Bürgern vor, eigenes Interesse vor Gemeinwohl zu stellen. Wenn nötig, müsste die Regierung sogar Notverordnungen in Betracht ziehen, um wichtige Investitionen durchzusetzen. Wann, wenn nicht jetzt, wäre das gerechtfertigt?

Wenn der Bevölkerung die Realität zugemutet wird, sind sozialer Friede und Demokratie weniger in Gefahr, als wenn es der Politik an Führungs-und Gestaltungswillen fehlt. Der Ex-Manager Klaus Woltron hat dazu kürzlich in der "Krone" einen klugen Satz formuliert: "In der Endphase der Demokratie wandelt sich die Obrigkeit zu einem Knecht der Öffentlichkeit und unterwirft sich dem Marktgeschrei."

Keinesfalls weiter bringt uns Lamentieren über die Sanktionen à la Wirtschaftskammer. Je weniger energisch Europa dem Kriegsherren Putin jetzt entgegentritt, desto größer das Risiko für eine geopolitische Entwicklung, in der Energiepreise zu den kleineren Problemen zählen.

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Der Kommentar ist als Leitartikel in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 29.7.202 erschienen.

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