
Kommentar. FFG-Chefin Henrietta Egerth über Verteidigung als Innovationsmotor und wirtschaftlichen Standortfaktor.
Die neue Weltordnung zwingt Europa zu einer neuen Ausrichtung. Die geopolitischen Umbrüche fordern massive Investitionen in Sicherheit und Verteidigung. 800 Milliarden Euro will die EU bis 2030 dafür mobilisieren – nicht nur als Antwort auf globale Bedrohungen, sondern auch als strategische Weichenstellung für technologische Innovation und wirtschaftliche Wertschöpfung. Viele der heute so selbstverständlichen Technologien haben ihren Ursprung in der Sicherheits- und Verteidigungsforschung. Nun bietet sich für Europa die Chance, wehrhafter zu werden und dabei neue Technologien zu entwickeln.
Verteidigung als wirtschaftlicher Standortfaktor
Jahrzehntelange Investitionen in militärische Forschung haben die USA zu einem Technologie- und Innovationsführer gemacht, weit über den Verteidigungsbereich hinaus. Von GPS bis zum Internet – viele Innovationen der letzten Jahrzehnte entstanden in diesem Umfeld. Ein zentrales Instrument dieser Strategie ist die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), die gezielt Forschungsprojekte fördert und öffentliche Beschaffung nutzt, um bahnbrechende Technologien voranzutreiben. Dabei legt DARPA besonderen Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen, die oft als Innovationstreiber agieren. Österreich und Europa hingegen haben sich in der Vergangenheit oft schwergetan, verteidigungsnahe Investitionen als wirtschaftlichen Standortfaktor zu begreifen.
Angesichts der aktuellen Sicherheitslage kann es sich Österreich nicht leisten, im internationalen Vergleich zurückzufallen. Stattdessen braucht es gezielte Investitionen in Schlüsseltechnologien und eine stärkere Einbindung heimischer Unternehmen in sicherheitsrelevante Entwicklungen. So kann Österreich auch wirtschaftlich profitieren – durch den Aufbau eigener Kompetenzen, den Zugang zu internationalen Märkten und eine schrittweisen Reduktion der Abhängigkeit von außereuropäischen Technologien.
Innovationsmotor für F&E
Es sind nicht mehr nur klassische Rüstungskonzerne, sondern auch Start-ups und Techgiganten, die bei den wehrtechnischen Innovationen in Bereichen wie Luft- und Weltraumtechnologie, künstliche Intelligenz, autonome Systeme und Quantentechnologie eine aktive Rolle spielen. Auch in Europa entwickeln hochinnovative Unternehmen bereits Verteidigungstechnologien auf Weltklasseniveau. Ein Beispiel ist das österreichische Unternehmen Schiebel, das bei unbemannten Flugsystemen führend ist, oder Frequentis, deren Technologien sowohl für militärische als auch zivile Anwendungen genutzt werden können. Derart innovative Unternehmen brauchen auch in Zukunft ein passendes Umfeld, um weiterhin erfolgreich in Österreich forschen und entwickeln zu können. Auf nationaler Ebene gibt es dazu erste wichtige Signale: Im aktuellen Regierungsprogramm werden bessere Rahmenbedingungen für die Rüstungs- und Sicherheitsindustrie als ein Ziel genannt.
Investitionsprogramm für die Zukunft
Wenn die EU ihren neuen Kurs konsequent verfolgt, kann sie nicht nur ihre Verteidigungsfähigkeit sichern, sondern auch eine neue wirtschaftliche Basis schaffen. Die globale Nachfrage nach innovativen Sicherheits- und Verteidigungssystemen wird massiv steigen. Europa muss sich die Frage stellen: Wollen wir in diesem Markt mitspielen oder weiterhin abhängig bleiben? Eine starke europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kombiniert mit einer effizienten öffentlichen Beschaffung würde uns wirtschaftlich unabhängiger machen.
Diese Transformation der europäischen Verteidigungsindustrie braucht ein Budget nach dem Vorbild des „Next Generation EU“-Pakets. Dies würde nicht nur Innovationen fördern, sondern auch wirtschaftliche Impulse setzen – insbesondere für Länder mit knappen Budgets. Denn so viel ist klar: Es wird teuer. Die Zeitenwende in der europäischen Verteidigung ist keine Bedrohung, sondern eine Chance. Eine Chance für technologische Fortschritte, für wirtschaftliches Wachstum und für Europas strategische Souveränität. Jetzt ist der Moment, in dem Europa seine technologische Zukunft selbst in die Hand nehmen muss.
Henrietta Egerth ist Geschäftsführerin der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG. Sie schreibt regelmäßig Kommentare für den trend.
Der Kommentar erschien im trend.PREMIUM vom 9. Mai 2025.