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Ökostrom am Kipppunkt

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Hoffnungsträger Windkraft

Hoffnungsträger Windkraft

©Getty Images
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Der ehrgeizige Regierungsplan zum Ausbau der Erneuerbaren kommt ins Stocken. Die Stromnetzbetreiber kämpfen mit der Integration der beiden Hoffnungsträger WINDKRAFT und PHOTOVOLTAIK.

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Überrascht ist Gerhard Christiner keineswegs: "Natürlich haben wir das lange gewusst, aber hören wollte es keiner." Was der Vorstand von Austrian Power Grid (APG), Betreiber der Hochspannungsnetze in Österreich, nun immer lauter sagt, gilt der Umsetzung des ehrgeizigen Regierungsziels, die Stromversorgung bis 2030 zumindest im Durchschnitt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu bestreiten. Dabei sprühen gerade bei den beiden Hoffnungsträgern, die diese Umstellung tragen sollten, die Funken: Der Ausbau von Windkraft geht zu langsam, der von Photovoltaik (PV) dafür zu schnell. Christiner: "Wir stehen an einem Tipping Point. Denn bisher konnten wir die Erneuerbaren ins System hineinpressen, weil dieses von den Generationen vor uns mit Reserven ausgebaut wurde. Jetzt kommt es in eine eklatante Schieflage."

Sonnenstrom glüht

Tatsächlich droht hinter den offiziellen Zahlen zum Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) aus dem Jahr 2021 mit der Vorgabe von zusätzlichen 27 Terawattstunden (TWh) an Ökostrom der Kurzschluss. Beispiel PV: Die Technologie liefert Strom nur in den knappen Zeiten mit Sonnenschein (1.000 Volllaststunden pro Jahr, Wasser-oder Gaskraftwerke kommen auf 6.000 und mehr). Um dennoch ihren Anteil an der vorgegebene Strommengen übers Jahr (11 TWh) zu erreichen, braucht es dementsprechend viele und starke Paneele. Und wenn dann die Sonne scheint, glühen die Stromnetze.

Und das schon jetzt, obwohl das EAG-Ziel noch in weiter Ferne ist. In Oberösterreich gab es bereits Stromausfälle, weil kurzfristig zu viel eingespeist wurde. Kein Wunder, dass sich die Netz Oberösterreich (Energie AG) bereits gegen einen weiteren großflächigen PV-Ausbau ausspricht. Sprecher Wolfgang Denk: "Volkswirtschaftlich gesehen ist dieser PV-getriebene Ausbau nicht sinnvoll. Wir müssten die Netze für 15 Prozent der Zeit ausbauen, den Rest der Zeit wären sie hoffnungslos überdimensioniert."

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Photovoltaik-Leistung steigt heuer um 2.000 auf fast 5.000 mW.

© Innovative Energietechnologien in Österreich: Marktentwicklung 2022

Die Kollegen aus Niederösterreich wiederum hoffen schon auf eine gesetzliche Möglichkeit, die Einspeiseleistung kappen zu können. Werner Hengst, Chef von Netz Niederösterreich: "Das muss sein, wenn man den Klimaschutz wirklich ernst nimmt." Mit einer so genannte "dynamischen Leistungsregelung" soll auf 70 Prozent der Maximalleistung abgeregelt werden können. Dann könnten bei gleicher Netzinfrastruktur beispielsweise statt 160.000 gleich 250.000 Anlagen angeschlossen werden, rechnet er vor. Das würde übers Jahr gerechnet den Stromertrag sogar steigen lassen.

Das Klimaministerium unter Leonore Gewessler ist wenig erfreut über die Bedenken: "Sollten Netzbetreiber hier Einschränkungen verlangen, ist gleichzeitig auch klar, dass damit nicht die Versäumnisse im Netzausbau oder in der Netztechnik kaschiert werden können, sondern dass damit ein sinnvoller Beitrag für einen effizienten Netzbetrieb geleistet werden muss", heißt es in einer Stellungnahme grantig.

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Leonore Gewessler, Klima-Ministerin: "Wenn Netzbetreiber Einschränkungen verlangen, können nicht Versäumnisse im Netzausbau kaschiert werden."

© Lukas Ilgner

Indes wird die Lage immer prekärer. Denn bis jetzt belasten zu Spitzenzeiten erst vier bis fünf Gigawatt (GW) Leistung aus Photovoltaik das Netz. Doch um die im EAG vorgegebenen Jahresmengen bis 2030 zu erreichen, werden Paneele mit zusammen über 13 GW an Spitzenleistung benötigt. Das ist dann aber kaum mehr zu managen, sagen die Netzbetreiber, selbst wenn – so die Hoffnung – der Eigenverbrauch der Nutzer einen Gutteil der Leistung abfängt. Nur zum Vergleich, um welche Strommengen es geht: Im Sommer werden derzeit in ganz Österreich gerade einmal vier bis sechs GW benötigt. Alles, was darüber hinausgeht, wird exportiert. Doch auch die Nachbarnetze kommen immer mehr an ihre Grenzen.

Windkraft schwächelt

Von der Papierform her könnte die Windkraft die Zielerreichung erleichtern. Die Technologie liefert öfters Strom (rund 4.000 Vollaststunden pro Jahr), ist besser planbar und speist ins Mittel-und Hochspannungsnetz ein statt ins schwache Verteilnetz, in das der Sonnenstrom in der Regel eingeleitet wird. Doch hier stockt die Entwicklung. Trotz der installierten Leistung von fast vier GW (ein Plus von rund 27 Prozent seit 2018) stagnieren die tatsächlichen Erträge auf einem Niveau von sieben bis acht TWh im Zwölf-Monate-Schnitt (siehe Grafik).

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Bei Windkraft stagniert Stromertrag überraschend seit 2019 trotz Anlagenausbau. Die Lücke zum 2030-Ziel wird größer.

© Klimadashboard

Dafür gibt es mehrere Erklärungen: Ausgerechnet aufgrund des Klimawandels weht europaweit seit einiger Zeit weniger Wind, heißt es in der Branche. Eine andere lautet, dass auch die Einspeisung der Windräder immer häufiger abgeregelt werden muss, um Überlastungen der Stromnetze zu verhindern. APG-Chef Christiner: "Wir hatte Tage, da mussten wir das Wasser in den Laufkraftwerken ungenutzt über das Wehr rinnen lassen, um den zusätzlichen Wind- und PV-Strom unterzubringen."

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Gerhard Christiner, APG: "Bisher konnten wir die Erneuerbaren ins System hineinpressen. Jetzt stehen wir an einem Tipping Point."

© APG/Häusler/Kadiec

Fakt ist jedenfalls, dass sich die Windradbetreiber durch diese Stagnation vom Zielpfad für ihre Technologie (auf insgesamt 17 TWh im Jahr 2030) immer weiter entfernen. Um den Rückstand aufzuholen, bräuchte es statt der rund 30 neuen Windrädern pro Jahr seit 2018 in Zukunft 120, berechnet die Branchenvertretung IG-Windkraft. Doch im Gegensatz zu PV werden neue Projekte, obwohl fertig geplant, nicht umgesetzt, beklagt IG-Windkraft-Geschäftsführer Stefan Moidl.

Zum einen, weil die regulatorischen Rahmenbedingungen in den Bundesländern nicht passen. Diese sind zuständig, wenn es etwa um Abstandsregeln zu Wohnhäusern geht oder um die grundsätzlich Ausweisung von Errichtungszonen. Moidl: "Es gibt wahnsinnig viele politisch Ansagen, aber nie wurde etwas konkret an den Regeln geändert." Zum anderen stellt sich nun heraus, dass die erst 2021 ebenfalls im EAG neu definierten Förderbedingungen ("Marktprämienmodell") nicht mehr passen. Dabei werden die Förderungen nur an die billigsten Produzenten vergeben, die durch eine Auktion ermittelt werden.

Eine indirekte Begrenzung der Förderhöhe sorgte aber dafür, dass bei der jüngsten Auktion im Frühjahr die Hälfte der Mittel liegen blieb, weil nur wenige Bewerber die Kostenvorgaben einhalten konnten. Die sind nämlich durch Nachfrage nach Komponenten, Lieferkettenprobleme, Inflation gestiegen. Moidl: "Ein Gutachten hat schon im Vorjahr die Notwendigkeit bewiesen, hier etwas zu ändern, umgesetzt wurde leider nichts."

Auch wenn es derzeit nicht so wichtig erscheint – schließlich sind die Marktbedingungen für Stromproduzenten derzeit mehr als zufriedenstellend –, die finanzierenden Banken bestehen auf eine Förderzusage. Moidl: "Jede will eine Absicherung für Zeiten, in denen die Erlösmöglichkeiten für die Betreiber wieder fallen. Und die wird kommen." Die Zeitspanne, die Banken im Auge haben, beträgt 20 Jahre – so lange wurden die Förderperioden laut EAG ausgedehnt.

Bedarf unterschätzt

Wenn also gleich beide Hoffnungsträger der Stromwende einmal mit zu viel und dann mit zu wenig Ertrag hadern, ist Feuer am Dach. Zumal Klimaministerin Gewessler im derzeit zur Vorlage in Brüssel neu formulierten Nationalen Energie-und Klimaschutzplan (NEKP) die Latte noch höher legen muss. Die jüngste Verschärfung der EU-CO2-Reduktionsziele hat für Österreich unter anderem zu Folge, dass die zusätzliche Menge an Ökostrom bis zum Jahr 2030 34 TWh ausmachen wird – statt der 27, wie bis jetzt berechnet wurde.

Die ministerielle Beruhigung zur Entwicklung klingt nicht vertrauenserweckend: "Das Gleichgewicht selbst, das heißt die Systemstabilität, wird dabei von einem System großteils strommarktunabhängiger technischer Regularien und Systeme gewährleistet. Insofern ist das Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch absehbar weiterhin gegeben."

Der Artikel ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 08.09. 2023 erschienen.

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