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Bereits direkt nach dem Urteil im Wiener Justizpalast, wo das Oberlandesgericht Kurz' achtmonatige, bedingte Haftstrafe aufgehoben und ihn von den Vorwürfen, im Ibiza-U-Ausschuss falsch ausgesagt zu haben, freigesprochen hatte, kündigte er an, noch "ausführlich" Stellung beziehen zu wollen. Für ihn seien die letzten vier Jahre ein "sehr belastende Zeit" gewesen, und das obwohl er in einer "sehr privilegierten" Situation sei, in der er familiären Rückhalt genieße und die finanziellen Mittel für ein Strafverfahren habe. Wer das nicht habe, zerbreche oftmals an so einem Verfahren. "Es ist gar nicht so sehr das Delikt selbst oder die Strafdrohung, die ja keineswegs lebensverändernd wäre, es ist viel mehr der unglaubliche Aufwand der hier betrieben wird. Es ist das vorgeführt werden, es waren die zwölf Verhandlungstage im großen Schwurgerichtssaal, wo sonst Mörder und Schwerverbrecher sich verantworten müssen", sagte Kurz am Dienstag.
So sei sein Verfahren nicht verhältnismäßig gewesen, bemängelte Kurz. "Wir sprechen von tausenden Seiten, 30 Zeugen, zwölf Verhandlungstagen und nationalen und internationalen fast 10.000 Berichten". Man müsse nicht jede "Anzeige aufblasen wie einen Heißluftballon", weil damit "Druck aufgebaut" werde, auch auf die Ermittler selbst, "das am Ende ja etwas rauskommen muss, sonst ist ja all dieser Aufwand am Ende gar nicht zu rechtfertigen".
Es sei eine "Schieflage" bei der politischen Kultur eingetreten, meinte Kurz. So gehe es nicht mehr um den Wettbewerb der besten Ideen, sondern "um den nächsten Skandal und die nächste Anzeige". Das führe "zu einer Verarmung der politischen Debatte, zu einem unangenehmen Klima in der Politik und es zerstört das Vertrauen in die Politik". Dass auch Kurz und sein Team in seiner Zeit als Politiker zu dieser Situation beigetragen hätten, verneinte er auf Nachfrage: "Ich glaube ich habe in meiner Zeit versucht, es immer positiv anzulegen und andere nicht anzugreifen", proklamierte er einmal mehr den von ihm forcierten "neuen Stil". "Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo wir andere untergriffig angegriffen hätten", meinte Kurz, sagte aber auch. "Wir haben vieles richtig und einiges falsch gemacht."
Unabhängig von seiner Person hätte man in den letzten Jahren den Eindruck bekommen, dass drei der letzten fünf Finanzminister korrupt gewesen seien: "Löger, Blümel, Pröll (alle ÖVP, Anm.)". Aber auch gegen Norbert Hofer, Mario Kunasek (beide FPÖ) und Christoph Chorherr (Grüne) seien ewig lange Verfahren geführt worden, ohne dass am Ende etwas herausgekommen sei. Ermittlungsverfahren würden "zu oft, zu lange, und mit einer überbordenden Intensität" betrieben, wodurch Rechtsstaat und Demokratie leiden würden.
Kritik an der langen Verfahrensdauer äußerte am Montagabend in der ZiB 2 auch der Vorstand des Instituts für Wirtschaftsrecht der WU Wien, Robert Kert: "Das wird normalerweise in wenigen Stunden aufgearbeitet und braucht nicht vier Jahre. Der Aufwand ist enorm. Man fragt sich, ob es gerechtfertigt ist, nur weil der Angeklagte so prominent ist, so einen Aufwand zu betreiben". Den Freispruch verstehe er.
Überrascht zeigte sich im Ö1-Morgenjournal hingegen die ehemalige Höchstrichterin und Politikerin Irmgard Griss (NEOS). Das Zweitgericht stützte sich ausschließlich auf die Ja-Nein-Frage im U-Ausschuss, ob Kurz in die Bestellung des Öbag-Aufsichtsrates eingebunden war. Diese beantwortete er mit Ja und damit richtig. "Ich weiß nicht, das ist sicher gewöhnungsbedürftig und eine Herangehensweise, die möglich ist, aber es gibt eben da auch andere Möglichkeiten, das zu sehen", meinte Griss. Sie selbst hätte als Richterin vielleicht anders geurteilt, könne das ohne den ganzen Akt zu kennen aber nicht sagen. Den Schuldspruch und die sechs Monate bedingte Haftstrafe für seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli verstand Griss, da es dabei um eine andere Frage ging.
Ein Comeback in die Politik schloss Kurz mit Verweis auf seine unternehmerischen Tätigkeiten und seinen vergangene Woche geborenen zweiten Sohn erneut aus. Dennoch werde er seine Meinung auch in Zukunft kundtun und sich "in Debatten einbringen". So richtete er zum Abschluss der Pressekonferenz auch einen "Appell" an die Verantwortungsträger, "nicht wegen mir und meines Verfahrens, sondern allem, was in den letzten Jahren stattgefunden hat", eine "offene und mutige" Debatte zu führen. Konkrete Ideen oder Vorschläge nannte er aber auch auf Nachfrage nicht. Es sei nicht nur eine Frage der Bundesregierung, sondern gäbe "ganz ganz viele, die einen Beitrag am Diskurs leisten können".
Gegen Kurz laufen freilich noch weitere Ermittlungen in der ÖVP-Inseratenaffäre - und zwar seit dem Jahr 2021. Nach Bekanntwerden dieser Vorwürfe (Stichwort: Beinschab-Tool) war Kurz im Oktober 2021 als Kanzler zurückgetreten und wechselte als Klubchef in den Nationalrat, im Dezember desselben Jahres zog er sich dann komplett aus der Politik zurück. Der Vorwurf lautet hier im Kern, dass mit Steuergeld aus ÖVP-geführten Ministerien Umfragen bezahlt worden und in Medien platziert worden sein, von denen Kurz und die ÖVP profitiert haben sollen. Auch dieses Verfahren werde nicht mit einem Schuldspruch für ihn enden, gab sich Kurz überzeugt: "Es gibt immer noch mehr und mehr an Vorwürfen, aber das Ergebnis wird sein wie dieses, es wird am Ende alles in sich zusammenfallen".