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Nouriel Roubini: "Die Party ist vorbei" [INTERVIEW]

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Nouriel Roubini

Nouriel Roubini

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Nur wenige Ökonomen haben die Finanzkrise von 2008 kommen sehen, er hatte jahrelang davor gewarnt: Nouriel Roubini. Jetzt sieht der US-Ökonom gleich zehn Bedrohungen auf die Welt zukommen. Die Krisen werden mehr und länger.

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trend: 2023 hat gerade begonnen. Was lässt sich jetzt schon mit Sicherheit über das neue Jahr sagen?

Nouriel Roubini: Die meisten Institute in den USA und Europa prognostizieren, dass es zu einer leichten, kurzen Rezession kommt. Auch bei der Inflation ist man sich allgemein darüber einig, dass der Höhepunkt überschritten ist. Es scheint alles okay, aber so ist es nicht.

Wovon gehen Sie aus?

Ich bin deutlich pessimistischer. Die Rezession wird stärker ausfallen und vielleicht auch länger als ein Jahr andauern, die Inflation wird sehr hoch bleiben, und die Zinsen werden stärker steigen müssen, weil die Inflationserwartungen steigen. Das alles wird sich mehr als erwartet auf Wirtschaft und Finanzwirtschaft auswirken.

Zuletzt gab es eine Reihe überraschend guter Nachrichten: Die Inflationsrate ist in den USA im Dezember zurückgegangen, der Arbeitsmarkt bleibt stark. In Deutschland hält sich die Industrie besser als erwartet, und China hat seine No-Covid-Politik beendet. Warum bleiben Sie so pessimistisch?

Ich glaube, dass die Zeit der kurzen Rezessionen vorbei ist und sich aktuelle Entwicklungen länger dämpfend auf die Wirtschaft auswirken werden. Der Krieg in der Ukraine wird nicht bald enden, die Probleme in den Lieferketten sind struktureller Natur, und die Preise für Energie und Rohstoffe bleiben hoch, sie könnten sogar weiter steigen. Dann steht die Europäische Zentralbank vor dem Dilemma: Erhöht sie die Zinsen, verschärft sie die Rezession und steigert den Druck auf stark verschuldete Staaten und Unternehmen. Tut sie es nicht, erhöht sich die Inflation womöglich weiter. Wie es wirklich kommt, weiß niemand genau.

Ich warne nicht vor der Invasion durch Aliens, sondern greife Fakten auf, die niemand leugnet.

Das klingt wieder sehr nach "Dr. Doom", dem Spitznamen, den Sie nicht leiden können.

Ich versuche nur, einen realistischen Blick auf die aktuellen Entwicklungen zu haben.

In Ihrem neuen Buch warnen Sie gleich vor zehn Megathreats, also zehn großen Bedrohungen. Sind alle zehn realistisch?

Ich warne ja nicht vor der Invasion durch Aliens, sondern greife Fakten auf, die niemand wirklich leugnet. Natürlich wird es jeweils darauf ankommen, wann und in welchem Ausmaß diese zehn Entwicklungen zu tatsächlichen Bedrohungen werden. Ich glaube aber, wir sollten sie kennen, um sie bekämpfen zu können.

Für Mitteleuropa war Russlands Angriff auf die Ukraine eine Zeitenwende. Als Einzelereignis spielt er in Ihrer Analyse keine große Rolle. Warum nicht?

Weil er eines von mehreren Beispielen ist, in denen die Weltordnung, wie sie der Westen nach dem Zweiten Weltkrieg gestaltete, neu definiert wird. Daran arbeiten neben Russland auch China, der Iran, Nordkorea und Pakistan, und das betrifft nie nur die politische Dimension, sondern immer auch die Wirtschaft. Wir sehen kalte Kriege zwischen China und den USA oder Israel und Iran, die immer auch das Potenzial haben, zu echten Kriegen zu werden. Experten wie der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger sprechen deshalb von einem möglichen dritten Weltkrieg.

Sie rechnen auch damit?

Ich sage ihn nicht voraus, sondern betone nur, dass Experten in diesem Feld einen globalen Konflikt zwischen großen Mächten oder Mittelmächten für möglich halten und sich Spannungen etwa auch zwischen China und Taiwan verschärfen.

Wir reden mehr über sicheren und fairen als über freien Handel, wir stellen Schranken auf.

Der Krieg in der Ukraine ließ die Energiepreise explodieren, und einige Experten rieten, dass die USA und Europa mit einer Art "Kriegswirtschaft" antworten, damit der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller geht. Wie sinnvoll sind solche Programme, die zumindest die USA auch gestartet haben?

Die Welt befindet sich geopolitisch in einer Depression, und eine Folge davon ist, dass die Globalisierung zurückgefahren wird. Wir sehen mehr Protektionismus, mehr Fragmentierung, mehr Diversifikation in den Lieferketten, mehr Sanktionen. Wir reden mehr über sicheren und fairen als über freien Handel, wir stellen Schranken auf, wenn es um Investitionen, aber auch um Migration geht. Sicherheit steht gerade über dem Schlagwort Effizienz. Das hat aber Folgen.

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Skeptischer Ökonom Nouriel Roubini: "KI-Technologien werden für sehr viele Menschen zur Bedrohung ihrer Lebensgrundlage."

© Getty Images

Es macht Produkte jedenfalls nicht billiger, dafür aber beschränkt es das Risiko, nur von einigen, wenigen Anbietern abhängig zu sein.

Diese Entwicklung schränkt das Wachstum ein und lässt die Kosten steigen, sie ist also schon für sich genommen ein Beitrag zur Stagflation, zu einer Phase von geringem Wachstum mit hoher Inflation. Man kann am Beispiel Großbritanniens beobachten, wie sich das auswirkt: Die Rezession hat das Land, das nicht mehr Teil der EU ist, das Handel und Migration stark eingeschränkt hat, viel früher erfasst und wird auch laut Prognosen der britischen Zentralbank länger andauern.

Als eine weitere Bedrohung definieren Sie die alternde Gesellschaften. Auch diese sollen die Inflation längerfristig höher halten, weil die Löhne steigen werden, wenn nur mehr relativ kleine Generationen in die Arbeitswelt eintreten. Kann die Automatisierung hier etwas helfen?

Eine alternde Bevölkerung weist ebenfalls den Charakter einer Stagflation auf: Jüngere Menschen sind produktiv und tendieren dazu, etwas zu sparen und nicht nur zu konsumieren. Ältere Menschen hingegen produzieren nichts und konsumieren mehr. Das ist aber nur ein Aspekt.

Künstliche Intelligenz wird bald auch in jenen Bereichen Menschen ersetzen, in denen es um eine gewisse Form der Kreativität geht.

Was bringt die Alterung der Gesellschaft noch mit sich?

Implizite Verbindlichkeiten. Wir wissen, dass die Kosten für Pensionen, Pflege und Gesundheit rapide steigen. Schätzungen zufolge sind sie, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in der westlichen Welt genauso hoch wie die Schulden des öffentlichen Haushalts. Für diese Ausgaben werden den Staaten die Mittel für andere fehlen. Das kann das potenzielle Wirtschaftswachstum dämpfen. In den vergangenen Jahrzehnten hat Migration aus armen in reiche Länder geholfen, diese Entwicklung auszugleichen. Das ist politisch nun oft nicht mehr erwünscht.

Sie sehen in der Automatisierung eine größere Bedrohung als die Alterung und schrumpfende Gesellschaften selbst.

Automatisierung, Roboter und künstliche Intelligenz werden so viele Jobs obsolet machen, dass ihr Effekt viel größer sein wird, als in manchen Bereichen einen gewissen Mangel an Facharbeitern auszugleichen. Die neuen intelligenten Tools wie ChatGPT3 zeigen, dass künstliche Intelligenz bald auch in jenen Bereichen Menschen ersetzen kann, in denen es um eine gewisse Form der Kreativität geht.

Und doch hängen auch hier die Antworten, die diese künstliche Intelligenz gibt, von der Qualität der Fragen ab.

Natürlich werden einige Menschen diese Technologien intelligent nutzen, aber für sehr viel mehr Menschen werden sie zur Bedrohung ihrer Lebensgrundlage. Das ist der eine Nachteil dieser Technologien, der zweite liegt darin, dass sie die Ungleichheit verschärfen. Sie vernichten nicht nur Jobs, sondern sind auch kapitalintensiv, weshalb auch hier wieder nur sehr wenige Menschen die Kontrolle darüber haben werden.

Die prominenteste Strategie, wie wir mit diesen Auswirkungen umgehen könnten, ist bisher das bedingungslose Grundeinkommen. Kann es eine Lösung sein?

Es gibt auch andere Vorschläge, die aber in eine ähnliche Richtung der Umverteilung gehen. Das Problem dabei ist: Menschen wollen nicht einfach nur eine Sozialleistung überreicht bekommen, sie wollen Teilhabe an sinnvoller Arbeit, sie wollen ein produktives Mitglied der Gesellschaft sein. Sind sie das nicht, werden sie darauf reagieren. Das kann dystopisch werden.

Wir müssen große Änderungen vornehmen und Verzicht üben, um das Wohl der Gesellschaft längerfristig zu sichern.

Viele Menschen erleben gerade mehrere Krisen gleichzeitig: Covid, den Krieg, die Inflation und die schon jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels. Wie geht man damit um?

Als Individuum ist der Spielraum so bei so großen kollektiven Fragen gering, aber natürlich kann man sein Verhalten ändern, seinen CO2-Ausstoß reduzieren, naturwissenschaftliche und technische Fächer studieren, sie um die zur Kritik befähigenden Fähigkeiten aus den Geisteswissenschaften ergänzen und sich möglichst flexibel halten, um nicht überflüssig zu werden. Wir brauchen aber nationale und internationale Lösungen, die alle gewisse Opfer erfordern und gleichzeitig hohe Kosten mit sich bringen. Unsere Gesellschaften sind in sich und global so gespalten, dass das wahnsinnig schwierig wird.

Schwierig, aber nicht unmöglich?

Wir müssen jetzt große Änderungen vornehmen und Verzicht üben, um das Wohl der Gesellschaft längerfristig zu sichern. Aber wir sind zu gespalten, um das zu schaffen. Ich versuche auch, zu zeigen, dass es dabei nicht die eine Lösung gibt, nicht die eine Maßnahme, sondern dass vieles zusammenwirkt. Manche sagen, dass die junge Generation das anschieben wird, weil sie Führungspersönlichkeiten wählen wird, die die längerfristige Entwicklung im Blick haben und sie in die richtige Richtung beeinflussen.

Die junge Generation ist in westlichen Industriestaaten zu klein, um Mehrheiten zu wählen.

Aber sie kann Druck machen, auch bei Unternehmen, die sie als Kunden gewinnen möchten.

Gerade der Klimawandel ist ein Thema der jungen Generation. Einige fordern, auf Wachstum zu verzichten, um den Planeten zu schonen. Sie schreiben, dass westliche Staaten aber fünf bis sieben Prozent jährliches Wirtschaftswachstum bräuchten, um diese Bedrohungen zu bekämpfen. Wie soll das gehen?

Es braucht ein Wunder.

Der Kampf gegen den Klimawandel, gegen künftige Pandemien, gegen die Folgen der Automatisierung wird große Ausgaben erfordern.

Wunder gibt es nicht.

Im Jahr 2020 gingen die Treibhausgasemissionen gegenüber 2019 nur um neun Prozent zurück, und das trotz globaler Lockdowns. Wollen wir die Netto-null-Emissions-Ziele erreichen, wird es nicht ohne Degrowth gehen, mit all den Verwerfungen, die er mit sich bringt. Eine technische Revolution wie die Fusionsenergie könnte, gepaart mit künstlicher Intelligenz, für massives Wirtschaftswachstum und gleichzeitig für ein Ende der Emissionen sorgen. Kann das in zehn Jahren gelingen? Da bin ich sehr skeptisch.

Welche Rolle können eigentlich Unternehmen bei der Bewältigung dieser Bedrohungen spielen?

Es wird momentan viel über ESG geredet, über Verantwortung gegenüber Umwelt, Gesellschaft und Mitarbeitern, allerdings ist da sehr viel Greenwashing dabei. Man kann nur hoffen, dass Unternehmen ihre Verantwortung ernster nehmen und dabei Druck von der jungen Generation und von der Politik kommt. Ich glaube, dass der private Sektor schon in die richtige Richtung geht, aber viel zu langsam. Immer noch werden viele Netto-null-Emissions-Pläne von den Kommunikationsabteilungen erstellt, nicht vom Topmanagement.

Auch für die Energiewende sind große Investitionen nötig. Der Ruf nach dem Staat ist laut. Sie warnen davor, dass die "Mutter aller Schuldenkrisen" droht. Wie groß ist der Spielraum noch?

Die Staatsausgaben werden in dieser Gemengelage weiter steigen müssen, allein schon, weil höhere Militär- und Sicherheitsausgaben gefordert werden. Der Kampf gegen den Klimawandel, gegen künftige Pandemien, gegen die Folgen der Automatisierung - all das wird große Ausgaben erfordern. Die Möglichkeiten, das über höhere Steuern zu tun, sind aber gering, denn die Steuern sind hoch.

Was bleibt als Alternative?

Es ist verlockend, noch mehr Geld zu drucken und auf die Inflationssteuer zu setzen, also darauf, dass die Inflation die Schuldenlast reduziert. Staaten, dich sich in Fremdwährungen verschulden, werden dann bankrott gehen. Für die anderen ist die Versuchung, Geld zu drucken und die Inflation anzuheizen, aber groß.

Das ist einer der Hauptgründe, warum Sie davon ausgehen, dass es jetzt mittelfristig nicht einfach wird?

Wir sind einfach mit zu vielen Krisen konfrontiert. Als die Ölkrise in den 1970er-Jahren zu hoher Inflation führte, war die Situation eine völlig andere: Die Staatsschulden waren niedrig, der Welthandel wurde gerade freier, der Finanzmarkt war gut reguliert, und auch die liberale Demokratie als Staatsform wurde gerade stärker und beliebter und Autokratien waren stabiler. Mich erinnert die Situation aktuell eher an die Zeit zwischen 1914 und 1945: die industrielle Revolution und die Globalisierung konnten den Ersten Weltkrieg nicht verhindern, es folgten Krise um Krise, Arbeitslosigkeit, Hyperinflation, der Aufstieg der Nazis und Faschisten.

Wie halten wir dagegen?

Mit massiven technologischen Innovationen und mehr Wachstum, fairen Transferzahlungen, der Wahl langfristig denkender Politiker, die sich um die echten Herausforderungen kümmern. Die Party der vergangenen Jahre ist vorbei. Wir dürfen nicht schlafwandelnd in die Zukunft gehen.

ZUR PERSON

Nouriel Roubini, 64, ist einer der bekanntesten Ökonomen der Welt. Dass er die Finanzkrise von 2008 prognostizierte, hat ihm den Beinamen "Dr. Doom" eingebracht. Er wurde in der Türkei geboren, wuchs im Iran, in Israel und Italien auf, für das Doktoratsstudium ging er nach Harvard. Er startete eine akademische Laufbahn, wurde Berater von US-Finanzminister Lawrence Summer (Demokraten) und gründete danach sein eigenes Beratungsunternehmen.

Nouriel Roubini "Megathreats"

In seinem neuen Buch definiert NOURIEL ROUBINI die Entwicklungen, die die Weltwirtschaft bremsen können.

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© Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Es ist kein optimistisches Bild, das der US-Ökonom Nouriel Roubini von der Zukunft entwirft. Er sagt, dass dafür zu viele Krisen schon in der Gegenwart angelegt seien. Kurz zusammengefasst lautet seine These: Die Krisen nehmen in Zukunft zu, die große Stoßrichtigung sind Deglobalisierung und Stagflation, und den Staaten fehlt es aufgrund der hohen Schulden an Mitteln, den Herausforderungen gut zu begegnen. Als Ausgangspunkt nimmt er die hohe Schuldenlast von Staaten, aber auch Privatpersonen und Unternehmen. Sie schränke den Handlungsspielraum für die Bekämpfung der weiteren Herausforderungen ein. In den vergangenen Jahren habe das nur mit Hilfe der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken geklappt, die das Bedienen der Schulden einfacher machte. Nicht nur Schwellenländern, sondern auch vielen Unternehmen drohe jetzt der Kollaps. Die hohen Schulden und die lange Niedrigzinspolitik würden ihm zufolge auch neue Finanzkrisen ermöglichen, weil via Schattenbanken, aber auch Kryptowährungen, Blasen entstanden seien. Die demografische Entwicklung hin zu alternden Gesellschaften sei eine weitere Herausforderung, die ebenfalls eine längerfristige Stagflation begünstige. Große Ausgaben für Pflege, Gesundheit und Pensionen seien zudem in den wenigsten Budgets gut erfasst. Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Automatisierung hält Roubini für unterschätzt. Nicht zuletzt spielten geopolitische und generell politische Themen eine Rolle, genauso wie der große Kampf gegen den Klimawandel, der seiner Ansicht nach viel zu heuchlerisch geführt wird.

Nouriel Roubini, Megathreats

10 Bedrohungen unserer Zukunft und wie wir sie überleben.

Verlag Ariston, 384 Seiten

Preis: € 24,70

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Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 13. Jänner 2023 entnommen.

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