
Marcel Haraszti, Vorstand Rewe International, kennt beim Thema Vollspaltenböden „kein Wenn und Aber".
©FOTO: LUKAS ILGNERDer Chef der Rewe-Gruppe mit Billa, Bipa und Penny über Personalrochaden an der Konzernspitze, teure Lebensmittel und den Streit mit der Landwirtschaft um Tierwohl und AMA-Gütesiegel.
von
TREND: Wegen einer neuen Verkaufsfläche in einem kleinen Shoppingcenter hat die Rewe-Gruppe gerade eine saftige 70-Millionen-Euro-Strafe kassiert – aus formalen und präventiven Gründen, sagt die Wett bewerbsbehörde. Und dennoch wollen Sie jetzt weitere 1,5 Milliarden Euro in Österreich investieren. Mutig.
HARASZTI: Tatsächlich haben wir eine Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Das Urteil ist unverständlich, da in erster Instanz wegen Geringfügigkeit gar keine Strafe festgesetzt wurde. Vor allem aber hat das schon sehr negative Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort – Österreich ist europäisches Schlusslicht beim Wachstum und im dritten Jahr einer Rezession. Aber ja, das wird uns nicht von unseren Investitionen abbringen.
Die jedenfalls sind beträchtlich. Ich dachte eigentlich, der Flächenwettkampf zwischen den Supermärkten wäre vorbei? Das stimmt. Es geht auch nicht um neue Filialen, sondern um Modernisierung, Logistik, E-Commerce und Großhandel. Und dann gibt es noch das Projekt Alpha, die größte Einzelinvestition, die Rewe je an einem Standort in Europa gemacht hat, ein neues Zentrallager in Wiener Neudorf. Das allein kostet 600 Millionen Euro. Und da geht es wirklich darum, dass wir langfristig die Versorgungssicherheit ganz speziell für Ostösterreich sicherstellen wollen.
Die Versorgungssicherheit war gefährdet? Unser altes Zentrallager ist nach rund 30 Jahren nicht mehr am technischen Letztstand, das geht schon viel effizienter, etwa durch eine optimierte Schlichtung, damit die Waren in den Filialen leichter ausgeräumt werden können. Und dann führen wir zwei Lager hier am Standort zusammen. Wir können unser wachsendes Sortiment bündeln, sind effizienter und nachhaltiger. Dabei arbeiten wir eng mit den deutschen Kollegen zusammen, die diese Technik schon im Einsatz haben.
Wie groß ist denn der Einfluss der deutschen Muttergesellschaft sonst noch? Seit den jüngsten Umstrukturierungen müssen Sie zusätzlich zu Österreich ja auch alle osteuropäischen Beteiligungen betreuen? Bisher war Espen Larsen bei Rewe International für CEE zuständig, er hat auf eigenen Wunsch das Unternehmen verlassen. Wir haben das mit dem Aufsichtsrat länger diskutiert und für richtig befunden, Österreich und CEE zusammenzulegen. In den letzten Jahren haben wir uns in Österreich sehr gut aufgestellt und dabei gesehen, dass es viele Synergien gäbe.
Eine Einsparungsmaßnahme? Die Entscheidung erfolgte weniger aus Kostengründen, sondern weil es inhaltlich Sinn macht, diese zwei Ressourcen zusammenzuführen. Umso besser, wenn es zusätzlich Einsparungen bringt: Das halte ich immer für gut. Das haben wir auch bei der Zusammenführung von Billa und Merkur gesehen.
Klingt aber nach Mehrarbeit für Sie. Deswegen haben wir uns auch sonst anders aufgestellt. Bis dato hatten fünf Billa-Vorstände direkt an mich berichtet. In Zukunft wird das nur Erich Szuchy als neuer Billa-Vorstandsvorsitzender tun. Auch bei Bipa wird nur Markus Geyer als CEO Bipa International an mich direkt berichten, Andreas Persighel wird nach Deutschland zurückgehen, und Einkaufsleiterin Daniela Reumann wird in die Geschäftsführung wechseln. Ich glaube, dass wir damit sehr gut aufgestellt sind. Meine Frau und meine Kinder werde ich genauso häufig sehen wie früher – wenn sie mich sehen wollen.
… Gerade die Modernisierungsoffensive wird Sie doch zu einigen Geschäftsreisen zwingen. Warum haben Filialen ständig Renovierungsbedarf? Das täuscht. In Wirklichkeit werden sie im Schnitt nur alle zwölf Jahre umgebaut. Aber da die massiven Expansionen tatsächlich vorbei sind, sehen wir, dass die intelligenteste Investition ohnehin die in den Bestand ist, und dort, wo möglich, in mehr Verkaufsfläche.
Auf Online auszuweichen, ist auch keine Lösung. Außerhalb Wiens musste die Hauszustellung wieder aufgegeben werden … So kann man das nicht sagen. Wir haben drei Säulen. Unser klassisches Zustellgeschäft im Großraum Wien. Es rechnet sich auch hier nicht wirklich, aber macht in einem Ballungsgebiet von drei Millionen Menschen doch mehr Sinn. Zweitens das zukunftsweisende Click & Collect, online bestellen und selbst abholen. Und als dritte Säule haben wir Foodora in vielen Landeshauptstädten als Partner für Quick Commerce. In Summe machen wir online rund 100 Millionen Euro Umsatz. Doch natürlich müsste das erst einmal richtig ins Rollen kommen.
Die Dichte stationärer Standorte ist jedenfalls nicht mehr steigerbar? Das ist so. Jetzt geht es um Photovoltaik, Begrünung, Energieeffizienz, neue Kassensysteme, elektronische Preisauszeichnung. Oder um eine neue Flächenverteilung in den Shops, ganz wichtig. Wir sehen, dass tendenziell Frischeartikel gewinnen, also Obst und Gemüse, Molkereiprodukte, natürlich auf Kosten von Non-FoodProdukten.
Selbst Diskonter Hofer hat im Vorjahr seinen legendären Anteil an Non-FoodArtikel reduziert. Dazu kann ich nur Ferndiagnosen stellen, bei uns sehen wir fix die stärkere Nachfrage nach mehr Sortiment im Frischebereich, im Regionalitätsbereich, im Biobereich, aber auch ganze stark nach heimischem Fleisch. Auch das führt dazu, dass wir das klassische Non-Food eingeschränkt haben – und ehrlich gesagt: Wir sind einfach Spezialisten für Lebensmittel, und darauf fokussieren wir uns.
Die hohen Investitionen werden das ohnehin oft kritisierte Preisniveau für Lebensmittel – siehe etwa die Arbeiterkammer – allerdings auch nicht wirklich sinken lassen. Dazu zwei Dinge: Zum einen wird die Preisdiskussion verzerrt geführt, von manchen wohl wider besseres Wissen. Bei einem Aktionsanteil von 40 Prozent ist der Regalpreis lange nicht das, was unsere Kunden zahlen. Zudem hat die Arbeiterkammer mittlerweile auch erkannt, dass der „Österreich-Aufschlag“ von den Markenartikelherstellern verrechnet wird, das heißt, dass wir als Händler in Österreich idente Produkte teurer einkaufen müssen als in Deutschland, was von Fairness weit entfernt ist. Die Bundesregierung will diese unfairen Praktiken nun auf EU-Ebene bekämpfen. Das begrüßen wir.
Und zweitens? Wenn wir investieren und Filialen so umbauen, dass es mehr den Kundenwünschen entspricht, machen wir zwischen zehn bis 30 Prozent mehr Umsatz, bei Erweiterungen sogar bis zu 50 Prozent mehr, das senkt die Preise durchaus.
Bleiben wir bei den Trends: Was kaufen die Österreicher derzeit am liebsten ein? Auf der einen Seite haben wir einen starken Trend zum Preiseinstieg. Der Umsatz der knapp 900 Artikel unserer Preiseinstiegsmarke Clever etwa steigt überproportional, genauso wie der Anteil unserer Preisaktionen generell, da droht eine Überhitzung am Markt. Zum anderen wächst Bio weiter. Das Segment legte etwa bei Billa sechs Prozent zu, deutlich mehr als der Markt.
Es sind bereits Klagen aufgetaucht, dass die Bioware knapp werden könnte, auch weil der deutsche Bioverband Naturland heimische Biobauern abwirbt. Wir haben genug, weil wir seit 30 Jahren langfristige Verträge mit unseren eigenen Landwirten abschließen. Ohne diese Partnerschaften würde es immer schwieriger. Aber es ist ja auch eine Wertschätzung. Dass Bio knapper wird, heißt ja, die Leute machen sich schon sehr viele Gedanken, was sie essen.
Die Landwirtschaft drängt speziell darauf, noch mehr Artikel aus Österreich zu platzieren, und nimmt Ihnen übel, dass Sie bei Ihrer Billigmarke Clever just das AMA-Gütesiegel von der Verpackung entfernt haben. Es sind noch immer die gleichen Produkte zu den gleichen Bedingungen aus Österreich, wir verzichten nur auf das Label.
Genau deswegen die Aufregung. Ich kann sie nicht nachvollziehen. Grundsätzlich machen wir bereits 55 Prozent unseres Umsatzes mit Artikeln aus österreichischer Erzeugung oder Herkunft. Bei Billa und Penny bedeutet das gemeinsam eine österreichische Wertschöpfung von 2,7 Milliarden Euro. Billa bezieht 100 Prozent des Frischfleisches aus Österreich, das macht uns keiner nach. Die größte Herausforderung war Geflügel. Das hat uns jahrelang einiges an Spanne gekostet, weil wir nicht wie unser Mitbewerber in der Slowakei oder Polen eingekauft haben. Also klares Bekenntnis zu Österreich. Nur, liebe Bauern, die rot-weiß-rote Herkunft kompensiert nicht Mehrpreise oder nicht mehr zeitgemäße landwirtschaftliche Praktiken. Wenn man Trends verschläft, kann das auch kritisch sein.
Was meinen Sie konkret? Nehmen wir die nicht artgerechten Vollspaltenböden in der Schweinehaltung trotz AMA-Gütesiegel. Da hat die Landwirtschaft sehr lange Übergangsfristen durchgesetzt und die Kundenwünsche ignoriert. Das halte ich für sehr, sehr bedenklich, auch für das Image der Bauern. Unsere Kunden wollen nicht, dass die armen Tiere bis 2034 auf Vollspaltböden vegetieren müssen, die Umstellung soll so schnell wie möglich passieren, sonst sind die Umsätze verloren. Es muss ein Argument für österreichische Produkte geben, eines der wichtigsten wäre Tierwohl. Die nächste Generation wird sonst gar kein Fleisch mehr kaufen.
Konsumenten sprechen sich immer für mehr Tierwohl aus – aber mehr bezahlen wollen sie dafür nicht. Das stimmt so nicht mehr. Bei Billa kommen mehr als 50 Prozent des Fleischumsatzes aus dem Tierwohlsegment. Und bei Tierwohl darf es auch keine irgendwie verschleiert benannte Grauzone geben. Abschaffung der Vollspaltböden ohne Wenn und Aber. Wenn man sich einen Biohof angeschaut hat im Vergleich zum Vollspaltboden, wird jeder Konsument für mehr Tierwohl sein.
Da rufen Sie nach politischen Eingriffen, anderswo gehen sie Ihnen viel zu weit. Ja, vor allem wenn es um zusätzliche Bürokratie geht. Man muss sich einmal vorstellen, was so eine Entwaldungsrichtlinie oder ein Lieferkettengesetz für Unternehmen bedeutet. Schon die Ankündigung reicht, samt drakonischen Strafandrohungen. Da müssen wir einen Stab an Leuten aufbauen, die sich damit beschäftigen. Da wird in der EU auch oft nicht nachgedacht, welchen Rattenschwanz an Konsequenzen solche Verordnungen für die Wirtschaft nach sich ziehen. Es bindet finanzielle und personelle Ressourcen und nimmt Zeit, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren.
Auch im Regierungsprogramm gibt es einige Gesetzesvorhaben, die den Lebensmittelhandel massiv betreffen, etwa eine angekündigte Marktpreisüberwachung im Supermarkt. Ich bin nicht überrascht. Die Frage ist immer Aufwand versus Nutzen, die sollte man der Regierung mal stellen. Und dann sollte man uns erklären, was damit gemacht wird. Und wenn da eine plausible Antwort kommt, dann können wir vielleicht auch die Sinnhaftigkeit nachvollziehen.
Stattdessen wird die Bürokratie immer stärker? Ja, voll. Was mich besonders ärgert, ist der Föderalismus mit seinen Auswüchsen. Neun verschiedene Bauordnungen kann keiner ernsthaft erklären. Dazu kommen noch viel zu lange Verfahrensdauern. Auch die Mietvertragsvergebührung ist so ein absurder administrativer Aufwand. Und wenn jetzt ein Staatssekretär für die Deregulierung mit fünfLeuten ausgerechnet im Außenministerium sitzt, ist das ja wieder die österreichische Version von Reform. Ehrlich gesagt: Entbürokratisierung müsste Teil der DNA der Regierung sein. Jedes Ministerium sollte die unnötigsten Hürden für Bürger abschaffen und ein Jahr darauf verzichten, neue Gesetze zu schaffen.
Das gilt auch für ihr Lieblingsthema, die Öffnungszeiten? Ja, auch hier kann mir die jetzigen Beschränkungen niemand erklären. Es geht nicht um die Arbeitszeiten, die sind mir heilig. Aber ich will eine Verlängerung der Öffnungszeiten, und es ist unser Problem, ob wir die zusätzlichen Leute finden. Etwa die 10.000 Studenten, die gerne bei uns arbeiten, weil sie am Wochenende das Doppelte verdienen. Es wird in jeder Branche wohl ähnlich sein: Die Politik schaffte bisher kein Klima des Ermöglichens, sonst würden sie uns nicht ausgerechnet dann bremsen, wenn wir den Umsatz machen wollen – und könnten.
Das Interview erschien erstmals in der trend.PREMIUM-Ausgabe vom 18.7. 2025.