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Anwältin Brogyányi zu Gleichstellung: „Andere Länder sind deutlich weiter“

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Dorda-Rechtsanwältinnen Francine Brogyányi und Magdalena Nitsche, Herausgeberinnen des neu erschienenen Buchs „Genderbias im Recht“ (LexisNexis, 238 Seiten, € 47).
 © Studio Koekart

Dorda-Rechtsanwältinnen Francine Brogyányi und Magdalena Nitsche, Herausgeberinnen des neu erschienenen Buchs „Genderbias im Recht“ (LexisNexis, 238 Seiten, € 47).

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Das Recht ist durchsetzt mit Genderbias. Das verdeutlicht das neue Sammelwerk „Genderbias im Recht“ der Herausgeberinnen und Rechtsanwältinnen Francine Brogyányi und Magdalena Nitsche. Ein Gespräch über die größten Lücken in Gesetz und Kanzleien.

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Ihr neues Buch, „Genderbias im Recht“, zeigt geschlechtsbezogene Ungleichheiten in ausgewählten Rechtsbereichen auf. Was war Ihre Motivation, dieses Buch herauszugeben?

Francine Brogyányi

Den Anstoß hat ein Gespräch mit Silvia Kaupa-Götzl gegeben, die während ihrer Tätigkeit als Vorständin bei der Österreichischen Postbus AG Mutter geworden ist. Sie wollte ihr Mandat für die Zeit des Mutterschutzes ruhend stellen, um sich von ihrer gesellschaftsrechtlichen Haftung für die Zeit des Mutterschutzes zu entbinden, ohne ihre Organfunktionen zu verlieren.

Magdalena Nitsche

Im österreichischen Recht fehlt dafür aber die entsprechende Bestimmung. In Deutschland gibt es diese Möglichkeit schon seit 2021. Führungspositionen können dort unabhängig vom Geschlecht vorübergehend niedergelegt und zum Beispiel nach einer Karenz wieder aufgenommen werden.

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Wo sehen Sie in Ihrem Spezialgebiet den größten Nachbesserungsbedarf im österreichischen Recht?

Francine Brogyányi

Im medizinischen Bereich ist der Großteil auf europäischer Ebene geregelt, deshalb sehe ich eher dort den Änderungsbedarf als im österreichischen Recht. Zum Beispiel müssen wir endlich sicherstellen, dass klinische Studien eine repräsentative Anzahl an Frauen miteinbeziehen. Es ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Einerseits will man Frauen im gebärfähigen Alter vor Versuchen schützen und schließt sie daher oft von Studien aus. Andererseits braucht man aber auch verlässliche Daten, sodass auch für Frauen wirksame und sichere Arzneimittel hergestellt werden können.

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Wäre Österreich ohne die EU eigentlich noch ungleicher?

Francine Brogyányi

Ja, die EU ist sicher ein Beschleuniger für gesellschaftlichen Wandel in Österreich. Das sieht man etwa bei der „Women on Boards“-Richtlinie (Anm. d. Red.: „Führungspositionen-Richtlinie“), die neue Quoten für Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen einführt. In Österreich ist immer noch das konservative Familienbild vorherrschend. Andere EU-Länder sind da schon deutlich weiter.

Magdalena Nitsche

Alleine dass wir uns mit anderen EU-Ländern vergleichen können und müssen, tut uns gut. Bei der Umsetzung dieser Richtlinie ist Österreich übrigens in Verzug, die EU-Kommission hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

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Im Buch wird darauf hingewiesen, dass auch durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz Diskriminierung entstehen kann. Wie können wir dem entgegenwirken, insbesondere vor dem Hintergrund, dass KI in immer mehr Lebensbereichen zum Einsatz kommt?

Magdalena Nitsche

Bei der Anwendung neuer Technologien ist es umso wichtiger, diesen unbewussten Genderbias in den Mittelpunkt zu stellen. Die KI kann nur so gut sein wie die Daten, mit denen wir die Systeme füttern. Und die sind meist auch nicht frei von Bias. Schon bei der Entwicklung von Anwendungen sollten mehr Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen eingebunden werden. Auch eine Ausweitung des AI Acts auf Anwendungen abseits von Hochrisikosystemen wäre sinnvoll.

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Die prominenteste Autorin ist Justizministerin Anna Sporrer, die in ihrem Vorwort einen Überblick über den österreichischen Weg von der Gleichberechtigung zur Gleichstellung gibt. In welchen Bereichen sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf für die Regierung?

Francine Brogyányi

Am ehesten bei den Pensionen. Wir haben in Österreich eine Pensionslücke von 40 Prozent. Dieser Bereich tut am meisten weh. Ein verpflichtendes Pensionssplitting würde schon einen riesigen Unterschied machen. Auch dass der Durchrechnungszeitraum für die Pension das gesamte Arbeitsleben miteinbezieht, ist natürlich ein Nachteil für Frauen. Und eine Frage, die sich Österreich im internationalen Vergleich schon auch stellen muss: Warum ist es so schwierig, Frauen in Vollzeitbeschäftigung zu bringen?

Magdalena Nitsche

Der Ausbau von Kinderbetreuung ist sicher ein wichtiger Punkt auf dem Weg hin zu einer höheren Vollbeschäftigungsquote. In Ländern, wo das gut funktioniert, in Frankreich, in Spanien, in Skandinavien, gibt es deutlich geringere Pensionslücken.

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Wie haben eigentlich Ihre männlichen Kollegen auf das Buch reagiert?

Francine Brogyányi

(Lacht.) Gut! Wir haben viel Lob von Männern und Frauen bekommen. Wir wollten mit dem Buch nicht mit dem Finger auf Männer zeigen, sondern einfach nur über den Ist-Zustand informieren und mögliche Lösungen aufzeigen. Es war auch eine bewusste Entscheidung, männliche Autoren an Bord zu holen. Es ist ja nicht so, dass Gleichstellung nur ein Frauenthema ist.

Magdalena Nitsche

Wir hoffen, dass wir für einige Aha-Momente sorgen können, die wir selbst übrigens auch hatten. Männer haben da wahrscheinlich mehr blinde Flecken, weil sie oft nicht Teil der Diskussion sind. Deswegen wollen wir auch mehr Männer ansprechen und einbinden.

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Welche Schritte unternehmen Sie in Ihrer Kanzlei, um auch die Männer in die Verantwortung zu nehmen und sie nicht nur den Frauen aufzubürden?

Francine Brogyányi

Wir ermöglichen Teilzeit und Elternkarenz für alle. Und das nehmen mittlerweile auch viele männliche Kollegen in Anspruch.

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… aber wahrscheinlich aus anderen Gründen als ihre Kolleginnen?

Francine Brogyányi

Wir fragen nicht nach Begründungen. Damit mache ich es viel einfacher für diejenigen, die Teilzeit in Anspruch nehmen wollen. Es soll kein Stigma durch Teilzeit entstehen. Derjenige, der am Freitag einen Berg besteigt, soll nicht schlechter sein als der, der seine Eltern pflegt oder Kinder betreut.

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Sie und eine weitere Kollegin sind die einzigen Frauen unter 20 Equity-Partner:innen. Das entspricht einem Anteil von zehn Prozent. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um hier etwas zu ändern?

Francine Brogyányi

Tatsächlich sind von allen Partner:innen in unserer Kanzlei rund 15 Prozent weiblich, und ich bin auch Managing-Partnerin der Kanzlei. Eine Position, die nur sehr selten von Frauen übernommen wird. Wir bieten für unsere Rechtsanwältinnen verschiedene Mentoringund Trainingsprogramme an, zum Beispiel in den Bereichen Leadership, Sales und Rhetorik. Das Ziel ist nicht, Frauen zu unterstützen, sondern ihnen einen Vorteil zu verschaffen. Wir machen seit neun Jahren das Frauenförderungsprogramm women@DORDA und beginnen jetzt, erste Erfolge zu sehen. Ich gehe also davon aus, dass der Anteil an Partner:innen bei Dorda jetzt stetig steigen wird.

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Solch ein Vorteil könnte auch eine Quote sein, wie Ihre Mitautor:innen im Buch hervorheben. Würden Sie eine Quote bei diesem Zahlenverhältnis nicht auch angebracht finden?

Francine Brogyányi

Im Gegensatz zu Vorstand und Aufsichtsrat ist die Partnerschaft auch mit einer Gesellschafter:innen-Stellung verbunden. Die Quoten in der Wirtschaft werden auch nicht auf Eigentümerebene eingefordert, das wäre schwer umzusetzen. Die Partner als Eigentümer kann ich ja nicht ersetzen, wie dies bei Vorstand und Aufsichtsrat der Fall ist, sondern nur ergänzen. Man muss jedenfalls die langfristige Perspektive im Auge behalten: Als wir 2016 mit women@DORDA angefangen haben, hat der Anteil der Rechtsanwältinnen bei uns nur 16 Prozent ausgemacht. Heute haben wir ein Verhältnis von 50 zu 50, der Österreich-Durchschnitt liegt nur bei 25 Prozent. Das heißt, dass wir in Zukunft einfach mehr Frauen im Talentepool haben, die als Partnerinnen in Frage kommen werden.

Magdalena Nitsche

Ich finde, es wäre sinnvoll, wenn der Stand über positive Anreize für Kanzleien nachdenkt, die sich besonders für Frauen einsetzen.

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Was schwebt Ihnen da konkret vor?

Magdalena Nitsche

Für Kanzleien mit ausgeglichenen Geschlechterverhältnissen könnte man zum Beispiel eine temporäre Befreiung von der Kanzleiabgabe oder der Verfahrenshilfe andenken. Weil diese Kanzleien ihren Dienst an der Gesellschaft auf eine andere Art und Weise erfüllen.

Francine Brogyányi

Die größte Macht liegt aber immer noch beim Mandanten.

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Die Nachfrage schafft also das Angebot?

Francine Brogyányi

Wenn es Mandanten ein ehrliches Anliegen ist, dann wird sich auch etwas verändern, weil sie es dann auch fordern werden. Gerade im globalen Kontext sieht man aber auch, dass es Unternehmen gibt, die sehr schnell alles über Bord werfen, wenn es nicht mehr opportun ist. Geschlechterdiversität muss man aber auch dann leben, wenn es nicht einfach ist, weil nur so wird man auch langfristig damit erfolgreich sein.

Zu den Personen

Das Interview ist im trend.LAW vom Juni 2025 erschienen.

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