
Community-Pool im Wohnpark Alterlaa (errichtet 1970-1985)
©Zara PfeiferAm 10. Mai startete die ARCHITEKTURBIENNALE in Venedig. Im Österreich-Pavillon beschäftigt sich die „Agency for Better Living“ mit der Frage, wie besseres Wohnen und Leben zukünftig aussehen könnte. Der trend sprach dazu mit Michael Obrist aus dem kuratierenden Architekt:innen-Trio.
„Wir haben seit Jahren eine Polykrise“, kommt Michael Obrist gleich zu Beginn des Gesprächs auf den Punkt: „Neben dem Klimawandel ein Energieproblem, eine Gesellschaft, die immer älter wird, und komplette Veränderungen darin, wie wir leben und lieben. Wie Menschen sich heute kennenlernen, wann sie zusammenziehen, ob sie zusammenziehen, wie lange sie zusammenbleiben, das alles hat sich geändert. Und all das macht etwas mit Grundrissen und hat etwas mit Stadt zu tun! Neue Arbeitswelten wie neue Liebesformen brauchen auch andere Räume. Wenn man von durchdachter Architektur der Zukunft sprechen will, muss man analysieren, wer wir jetzt sind. Was haben wir für Verhaltensweisen, was für Ökonomien? Denn Städte brauchen Zeit, sich zu entwickeln.“
Obrist ist Gründungspartner von feld72 Architekten, Universitätsprofessor für Wohnbau und Entwerfen an der Technischen Universität in Wien und Teil des kuratorischen Trios, das heuer den Beitrag für den Österreich-Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig gestaltet.
Im Rahmen des Metathemas der Biennale „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“ hat er gemeinsam mit Lorenzo Romito – er lehrt aktuell in Rom und als Gastprofessor an der ETH Zürich – und Sabine Pollak – sie ist Partnerin im Büro Koeb&Pollak Architektur in Wien und lehrt an der Kunstuniversität Linz – die „Agency for Better Living“ installiert, die sich auf einer Ausstellungs- wie Diskursebene mit der Frage beschäftigt, wie wir in Zukunft zusammenwohnen wollen. Dazu stellen die Expert:innen das Modell des sozialen Wohnbaus in Wien den Praktiken der Selbstorganisation der Zivilgesellschaft in Rom gegenüber.
Schön und leistbar
Der Österreich-Pavillon lädt damit zu aktiver Auseinandersetzung mit einem Thema, das uns alle betrifft. Was macht einen guten Wohnund Lebensraum aus? Wie gestaltet man sozial ausgewogenes, leistbares Wohnen? Und welche politischen Rahmenbedingungen braucht es dafür? Fragen, die vor dem Hintergrund von Wohnraum als Spekulationsobjekt, Gentrifizierung und steigenden Baukosten auch eine neue politische Dimension bekommen haben.
Das Thema sei dabei natürlich nicht, so Wohnbauexperte Obrist, was jemand mit viel Geld macht. „Hat man die ökonomische Kapazität, ab 10.000 Euro pro Quadratmeter zu zahlen, ist das easy. Ein Großteil kann das aber nicht. Es geht vielmehr um leistbares Wohnen in qualitätsvollen Räumen und nicht darum, lieblose Lösungen möglichst billig pro Quadratmeter zu bauen. Es geht um die Organisation der vielen, nicht nur um die Selbstermächtigung der Einzelnen. Es geht um Stadt als Zusammenspiel beeindruckender Lebens- und Kulturräume.“
Während Städte wie Berlin, Paris oder London mit stark steigenden Mieten und sozialer Verdrängung ringen, gelingt es Wien seit Jahrzehnten, eine breite Versorgung mit leistbarem und qualitativ hochwertigem Wohnraum zu sichern.
Vorbild Wien
Wien gilt damit nicht nur als eine der lebenswertesten und günstigsten Hauptstädte Europas, sondern auch als weltweiter Vorreiter im sozialen Wohnungsbau.
Der Ansatz dazu wurde, wie auch der Biennale-Beitrag zeigt, schon in den 1920er- und 30er-Jahren im sogenannten „Roten Wien“ gelegt, mit einer umfassenden Strategie zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für die breite Bevölkerung. „Wien hat“, wie Kurator Obrist erklärt, „die Wohnfrage seit jeher nicht als rein funktionale, sondern als gesellschaftlich-emanzipatorische Frage verstanden.“ Und das Wiener Wohnmodell gilt immer noch als gute Basis für zukünftige Wohnbauentwicklungen und international als Vorbild. Nahezu täglich besuchen internationale Delegationen die Stadt, um das Wiener Modell des sozialen Wohnbaus zu studieren. Aktuell leben rund 60 Prozent der Wiener Bevölkerung in verschiedenen Formen sozial geförderter Wohnungen.
Als „Fürsorgestadt in einem Wohlfahrtsstaat“ verortet der Wohnbauexperte Wien. „Die teilweise günstigen Mieten im geförderten Wohnungsbau sind für andere Städte unvorstellbar. Der Staat unterstützt nur unter einer bestimmten Einkommensklasse, aber die ist in Wien extrem hoch angesetzt. Ein radikales Grundbekenntnis, das auch dazu geführt hat, dass es in Wien keine Ghettos und sozialen Brennpunkte wie in anderen europäischen Hauptstädten gibt.“
Neue Quartiere
Errungenschaften einer über 100-jährigen Geschichte des sozialen Wohnbaus, die man konsequent weiterzuentwickeln versucht. So sind in den letzten 15 Jahren mit Hauptbahnhof oder Nordbahnhof auf riesigen innerstädtischen Arealen neue Wohnquartiere entstanden, mit jeweils unterschiedlichen Formen von Urbanität, Ökologie oder Gemeinschaft.
Dabei wird auf gute soziale Durchmischung, kurze Wege zu Bildungseinrichtungen, öffentlichem Verkehr und Nahversorgung sowie großzügige Grünund Freiräume Wert gelegt, auf Rückzugszonen wie Community-Spaces, also „Räume, wo man Gemeinschaft leben kann und sich neue Zyklen von Nachbarschaft entwickeln können“, wie Obrist präzisiert: „Stadtluft macht frei, hieß es früher, und das ist nicht nur juridisch gemeint. Es geht um Räume, wo Menschen einander über den Weg laufen. Durch Zufall. Also das genaue Gegenteil von einer sozialen Bubble in den sozialen Netzwerken, die nur Echoverstärker ist. Neue Lebensweisen wirken sich auf die architektonischen Formen aus. Multifunktionale Räume geben Ermächtigung. Wir betonieren im wahrsten Sinne des Wortes Verhältnisse ein.“
Moderne Lebensräume
Die Ansprüche und Fragestellungen, die auch im Rahmen der Biennale-Präsentation für ein „Better Living“ zur Sprache kommen, gelten allerdings nicht nur für Neubauten, wie Michael Obrist weiter ausführt, sondern es geht auch darum, den architektonischen Bestand aus den 1950er-, 60er- und 70er-Jahren zukunftsfit zu machen und auf den neuesten Stand zu bringen. „Da sind noch die klassischen Rollenmodelle eingeschrieben: Mann, Frau, zwei Kinder, alles in Beton gegossen und isoliert gedacht. Gebaute Langeweile“, wie der Architekt nachsetzt.
„Die Per-Albin-HanssonSiedlung am Südhang des Laaer Berges in Favoriten ist gleich groß wie Eisenstadt. Die Frage ist nun: Kann man die Per-Albin-Hansson-Siedlung wie eine Stadt aufrüsten? Kann sie in moderne, nachhaltige Lebensräume umgewandelt werden, so dass neues Arbeiten, neues Community-Building möglich ist? Dass all diese Räume dynamische Räume werden, wo man am Wochenende gerne hingehen würde, dass sich über die Generationen hinaus neue Lebensweisen formieren, und man gemeinsam auch mit weniger Geld etwas umsetzen kann?“ Denn Wohnen darf, so der Experte, weiter „kein Privileg, sondern muss ein Grundrecht für alle sein. Wir brauchen leistbaren Wohnraum. Die wesentliche Frage ist: Produzieren wir dabei Stadt oder öde Schlafgegenden?“
Der Artikel ist im trend-Premium vom 9. Mai 2025 erschienen.


Das kuratierende Architekt:innen-Trio des Österreich-Beitrags: Lorenzo Romito, Sabine Pollak und Michael Obrist (von links)
BIENNALE ARCHITETTURA 2025
Das von BiennaleChef Carlo Ratti vorgegebene Metathema „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“ wird in den nationalen Pavillons sehr unterschiedlich weitergedacht. Für Österreich gestaltet das kuratierende Architekt:innen-Trio Romito/Pollak/Obrist als „Agency for Better Living“ den Pavillon zu einem Raum der Auseinandersetzung mit den aktuellen wie zukünftigen Herausforderungen des Wohnens. Dauer der Biennale: Bis 23. November, www.labiennale2025.at