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Steyr - die alte Industriestadt wird elektrisch

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Der langjährige Magna-Mann Johann Ecker will Steyr Automotive als eine Art "Mini-Magna-Steyr" für Nutzfahrzeuge etablieren. Trotz Troubles in den letzten Monaten registriert er Aufbruchstimmung: "Jeder will das Steyr-Fahrzeug auf der Straße sehen."
Der langjährige Magna-Mann Johann Ecker will Steyr Automotive als eine Art "Mini-Magna-Steyr" für Nutzfahrzeuge etablieren. Trotz Troubles in den letzten Monaten registriert er Aufbruchstimmung: "Jeder will das Steyr-Fahrzeug auf der Straße sehen."©trend / Michael Rausch-Schott
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Die angekündigte BMW-Investition lässt die alte Industriestadt STEYR aufatmen. Auch von anderen Betrieben gibt es nach Monaten der Unsicherheit positive Signale. Doch um die Zukunft zu stemmen, braucht es einen fundamentalen Kulturwandel.

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Auf dem Lagerplatz vor der Halle 25 ruhen Lastwagen auf Holzblöcken, wegen akuter Lieferkettenprobleme sind Lkw-Reifen derzeit Mangelware. Doch drinnen herrscht an den Montagelinien rege Betriebsamkeit. Johann Ecker, seit Anfang Juni CEO von Steyr Automotive, erklärt den Besuchern mit Begeisterung die sogenannte "Hochzeit", bei der die 1,5 Tonnen schwere Fahrerkabine mit dem Fahrwerk verbunden wird.

Die Montage des MAN-Lasters steht allerdings für die alte Welt, die nun zügig von einer neuen abgelöst werden soll. Im Vorbeigehen zeigt Ecker, langjähriger Wegbegleiter des Neo-Eigentümers Siegfried Wolf, bedeutungsvoll auf ein Chassis mit besonders üppigem Kabelbaum. Es gehört zum Volta Zero. Die Vorserienfertigung für das schwedische Elektro-Lkw-Start-up Volta hat soeben begonnen, Anfang 2023 soll die Produktion in Serie gehen, 2024 bereits 14.000 Fahrzeuge samt Aufbauten vom Band rollen. "Und dort hinten", deutet Ecker auf einen weit entfernten Bereich der Halle, "werden unsere Fahrzeuge gebaut werden."

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Bundeskanzler Bruno Kreisky bei der Grundsteinlegung für das Motorenwerk 1979.

© beigestellt

"Unsere Fahrzeuge" heißt: Busse und Lieferwagen, die nicht wie ursprünglich geplant ein russisch-österreichisches Hybrid sind, sondern 100 Prozent made in Steyr, und noch dazu mit eigenen E-Antrieben. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar, der das jähe Ende der geplanten Zusammenarbeit von Steyr Automotive mit dem russischen Autokonzern GAZ von Oleg Deripaska zur Folge hatte, musste sich das ehemalige MAN-Werk neu orientieren. Statt auf existierende GAZ-Vehikel aufzusetzen, werden nun komplette Fahrzeuge von null weg entwickelt, gefertigt und mit eigenem Logo auf die Straße gebracht werden.

Und das, ist Ecker überzeugt, habe in der alten Industriestadt einen Nerv getroffen, weil es den Stolz von Generationen anspricht: "Jeder will das Steyr-Fahrzeug auf der Straße sehen" (siehe Interview).

Josef Werndl, der Patron

Josef Werndl würde das gut finden. Er steht wie kein anderer für die Industrieerfolge der Stadt am Zusammenfluss von Enns und Steyr. Dem Gründer der Steyr Waffenfabriksgesellschaft wurde Ende des 19. Jahrhunderts ein Bronzedenkmal an der Promenade gesetzt. Es ist dem berühmten Maria-Theresien-Denkmal zwischen den Wiener Museen nachempfunden, nur dass hier der "König von Steyr" nicht von Beratern, sondern von seinen Arbeitern umringt wird. Die Inschrift unter dem von Patina überzogenen Bronzewerk lautet: "Arbeit ehrt". Das Motto hallt noch heute durch die alte Eisen-Stadt, ob in den Fabriken oder den alten Gässchen.

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Das Josef-Werndl-Denkmal an der Promenade kündet vom alten Industriestolz der Eisen-, Waffen-und Fahrzeugstadt.

© trend / Michael Rausch-Schott

Doch welcher Art wird diese Arbeit in Zukunft sein? Den Zerfall des Steyr-Daimler-Puch-Mischkonzerns (SDP), der in der Region bis Ende der Achtzigerjahre rund 10.000 Menschen beschäftigte, haben die Nachfolgebetriebe gut aufgefangen. Das BMW-Motorenwerk, hervorgegangen aus einem 1979 gegründeten Joint Venture mit SDP zur Dieselmotorenentwicklung, zählt heute 4.400 Mitarbeiter, Steyr Automotive 2.000, der Wälzlagerhersteller SKF 1.200 und ZF, das einst für Zahnradfabrik stand, rund 500, ebenso viele wie das ehemalige Steyr-Traktorenwerk im nahen Sankt Valentin, heute Teil des italienisch-amerikanischen CNH-Konzerns.

Bis vor wenigen Wochen war wegen der großen Abhängigkeit vom alten, fossilen Antriebsstrang die Furcht vor einer Strukturkrise wie in den Achtzigerjahren groß. Man konnte Tausende Steine von Steyrer Herzen fallen hören, als am 20. Juni Kanzler Karl Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler ins BMW-Werk eilten, um eine Frohbotschaft zu verkünden: Der Münchner Autobauer wird nicht nur einzelne Teile wie bisher, sondern ganze E-Antriebe in Steyr entwickeln und herstellen, 620.000 pro Jahr sollen es ab 2025 sein.

Was bei den Diesel-und Benzinaggregaten verloren geht, so die Hoffnung, soll der E-Motor wettmachen. Das Manöver lässt sich der Autokonzern bis 2030 eine Milliarde Euro kosten. Die Beschäftigung könne so konstant bleiben, sagt Werksleiter Alexander Susanek, der sich gegen andere BMW-Standorte durchgesetzt hat. Auch ihm merkt man die Erleichterung an: "Zu einem späteren Zeitpunkt wäre es schwierig geworden, noch einmal einen Fuß in die Tür der E-Mobilität zu bekommen."

Rauchende Köpfe statt rauchender Schlote

Noch ist alles andere als sicher, ob diese Wette aufgeht. Das künftige Steyr hat wenig mit den Arbeitshandschuhen zu tun, die sich Nehammer bei der Show-Montage des ersten E-Motors überstreifte. Die Zahl der Jobs an den Fertigungslinien geht zurück, auch bei BMW - nur Entwickler wird es mehr brauchen: BMW allein 700, Steyr Automotive 150. AVL List, der berühmte Motorenentwickler aus Graz, hat vor Kurzem einen Standort in der Werndl-Stadt eröffnet. Mehr rauchende Köpfe, weniger rauchende Schlote also - dazu braucht es aber einen gewaltigen Kulturwandel.

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Bundeskamzler Karl Nehammer (l.) bei der Show-Montage eines neuen E-Antriebs von BMW in Steyr am 20. Juni 2022.

© APA/FOTOKERSCHI.AT / KERSCHBAUMMAYR

Denn Experten für Elektromagnetik oder Leistungselektronik, wie sie für die neuen Antriebe benötigt werden, gibt es schon jetzt viel zu wenig. Die Lösung kann nur eine Öffnung für Menschen von außen sein. Und genau daran hakt es.

"Wir mögen uns selbst", sagt Markus Vogl selbstironisch, wenn man ihn darauf anspricht. Er ist seit Herbst Bürgermeister, davor war er Chef des Angestelltenbetriebsrats im MAN-Werk. Fast nirgendwo sei die Denkmalschutzdichte so hoch wie in seiner Stadt, sagt er vor dem großen Gemälde im Sitzungssaal des Rathauses. Das lässt wenig Raum für Erneuerung zu, dazu kommt eine historisch bedingte mentale Unbeweglichkeit. In der Vergangenheit genügten die reichen Eisenhändler, später die wohlhabenden Gewerken der Stadt vor allem sich selbst und meinten deshalb, auf neue Verkehrsverbindungen weitgehend verzichten zu können. Jetzt aber sind mehr Firmen wie das Simulationsunternehmen ESS gefragt, nur einen Steinwurf vom Rathaus am Stadtplatz entfernt. Dort arbeiten Inder und Iraner, erzählt Vogl, "und sie wollen mit dem Zug anreisen".

Daher sind ein neuer Bahnhof und bessere Zugverbindungen ganz oben auf der To-do-Liste des SPÖ-Stadtchefs. "Wir müssen cooler werden und sichtbarer sein." Vorbild ist für ihn Villach, wo es rund um den Elektronikriesen Infineon einen ähnlichen Imagewandel gab.

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"Wir müssen cooler werden und sichtbarer sein", sagt der Bürgermeister von Steyr, Markus Vogl, selbst früher bei MAN beschäftigt.

© trend / Michael Rausch-Schott

Durch die Demografie spitzt sich die Lage zu. In den letzten 20 Jahren ist die 38.000-Einwohner-Stadt um fast 2.000 Einwohner geschrumpft, auch inklusive des Umlandbezirks wächst sie weniger dynamisch als die meisten anderen Teile Oberösterreichs. Ohne Zuzug ist der Wandel folglich nicht zu schaffen. "Wir brauchen mehr Internationalität", sagt auch der neue BMW-Steyr-Entwicklungschef Josef Honeder.

Stadt mit Geschichte im Wandel

In der berühmten HTL der Stadt, die Ende des 19. Jahrhunderts von Alfred Musil - Vater des Jahrhundertschriftstellers Robert Musil - geleitet wurde, ist die Botschaft längst angekommen. Schon vor der Pandemie, erzählt Direktorin Sandra Losbichler, gab es Pläne, Jugendliche aus von hoher Arbeitslosigkeit geprägten Regionen Spaniens nach Steyr zu holen und ihnen eine Ausbildung "von der HTL bis zum Ingenieur" zu ermöglichen. Die beteiligten Unternehmen hätten sich das pro Ausbildungsplatz rund 40.000 Euro kosten lassen.

Ob solche Initiativen nun wieder aufgegriffen werden, ist offen. Losbichler, seit 1. Juli im Amt und erste Frau an der Spitze der Institution, hat jedenfalls alle Hände voll zu tun. Die Schule war stets verlässliche Lieferantin von Personal für die großen Unternehmen der Region. Doch für nächstes Schuljahr hat der Zweig Fahrzeugtechnik so wenige Anmeldungen wie noch nie, man überlege eine Umbenennung, sagt die Direktorin. Fahrzeugtechnik klingt in den Ohren vieler Heranwachsender entschieden zu fossil: "Dabei bieten wir hier auch alles für den neuen Antriebsstrang."

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"Unsere Schule wurde von der Wirtschaft gewollt." Neo-Direktorin Sandra Losbichler und ihr geschichtekundiger Vorgänger Franz Reithuber in einem Nachbau des berühmten Wagens von Siegfried Marcus, dem Automobilpionier. Die Replika wurde in zwölf Jahren Bauzeit an der HTL Steyr erstellt.

© trend / Michael Rausch-Schott

Das Alumni-Netzwerk kann noch immer bedeutende Türen öffnen. HTLAbsolventen sitzen an Schlüsselpositionen großer Fahrzeughersteller und Industriebetriebe, Palfinger-Chef Andreas Klauser gehört ebenso dazu wie Bürgermeister Vogl und Robert Hammelmüller, bis vor Kurzem SKF-Chef in Steyr. "Unsere Schule wurde von der Wirtschaft gewollt", erzählt Losbichlers Vorgänger Franz Reithuber, ein wandelndes Lexikon. Er verweist auf Musils Analyse in einer Festschrift aus dem Jahr 1884, wonach die Steyrer Betriebe faul geworden seien und den technologischen Anschluss verpasst hätten. Die Gründung der HTL war eine Reaktion auf diese Trägheit.

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Logistikexperte Franz Staberhofer: "Wenn die Welt nicht in Steyr ist, müssen wir mit unserem Know-how Steyr in die Welt bringen".

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Diese Fähigkeit, Krisen zu meistern, lässt auch den Steirer Franz Staberhofer die Dinge entspannt sehen. Er wohnt in Steyr und leitet den Studiengang Logistik- und Supply-Chain-Management an der Fachhochschule. "Internationaler Hotspot sind wir nicht gerade", spöttelt er, dessen Studiengang Start-up-Größen wie Florian Gschwandtner vom Fitnessportal Runtastic und Franz Humer vom Robotikspezialisten Agilox besucht haben. Die Expertise der Steyrer Logistiker ist zusehends auch für akute politische Themen wie Versorgungssicherheit gefragt. Der Professor sieht Öffnung deshalb nicht als Einbahnstraße: "Wenn schon die Welt nicht in Steyr ist, dann müssen wir mit unserem Know-how Steyr eben in die Welt bringen."

Josef Werndl, so viel kann vorausgesetzt werden, würde das gut finden.

"Extrem hohe emotionale Bindung"

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"Extrem hohe emotionale Bindung"

Johann Ecker, CEO Steyr Automotive

© trend / Michael Rausch-Schott

INTERVIEW: Johann Ecker, CEO von Steyr Automotive, über den Wegfall der Russland-Fantasie, neue Aufträge und den Steyrer Industriestolz.

Die Russland-Fantasie von Steyr Automotive hat sich nach dem 24. Februar völlig in Luft aufgelöst, oder?

Johann Ecker

Ja. Da kann es keine Kompromisse geben. Es war ein harter Schnitt notwendig. Davor hatten wir geplant, existierende Fahrzeuge von GAZ zu elektrifizieren. Jetzt müssen wir eben Fahrzeuge komplett von null auf selber entwickeln und hier fertigen. Das verändert unseren Zeitplan, und die erwartete Delle 2023 wird wohl etwas größer werden.

Was bedeutet die Delle 2023? Werden Sie Ihren Mitarbeiterstand von derzeit 2.000 Beschäftigten halten können?

Johann Ecker

Mittelfristig ja, idealerweise werden es sogar mehr. Wie stark es 2023 runtergeht, kann ich aber noch nicht beziffern. In diesem Jahr werden sicher die Effekte des letztes Jahr vereinbarten Sozialplans am stärksten zum Tragen kommen. Aber es läuft auch Anfang des Jahres unsere Fertigung für den vollelektrischen Volta Zero an.

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Mit dem Zuschlag für die "Voltabox" für den "Volta-Truck" kann CEO Johann Ecker weitere 180 Jobs bei Steyr Automotive sichern.

© Richard Parsons

Das aktuelle Auftragsvolumen beinhaltet eine Jahresproduktion von rund 14.000 Stück Lkw in 2024, die Sie für die schwedische Firma bauen. Wie viel Beschäftigung sichert das?

Johann Ecker

510 Arbeitsplätze. Und jetzt kommen noch einmal 180 dazu, da wir soeben den Auftrag für die Aufbauten - die sogenannte Voltabox - bekommen haben. Derzeit bauen wir ganze Funktionen, etwa den Einkauf oder Sales, neu auf. Unter MAN war Steyr ja verlängerte Werkbank.

Sie haben ja selbst bei Magna Steyr in Graz-Thondorf gearbeitet. Ihr neues Geschäftsmodell sieht sehr nach "Mini-Magna-Steyr" aus.

Johann Ecker

Ja, aber wir konzentrieren uns auf Nutzfahrzeuge in Verbindung mit batterielektrischem und Brennstoffzellen-Antrieb. Wir werden Busse für den öffentlichen Personennahverkehr, aber auch Fahrzeuge der Kategorie LCV (Light Commercial Vehicles) unter der eigenen Marke Steyr Automotive fertigen.

Damit machen Sie Ihren Kunden im Entwicklungsbereich auf der Straße Konkurrenz - anders als Magna.

Johann Ecker

Der Markt ist groß, denken Sie an die politischen Vorgaben für Zero-Emission-Fahrzeuge in den Innenstädten. 2024 wird der erste Steyr-Automotive-Lieferwagen auf der Straße fahren, da bin ich zuversichtlich.

Wie viele zusätzliche Entwickler werden Sie brauchen, um die Transformation wie geplant zu bewältigen?

Johann Ecker

Wir haben derzeit 130, und es sollen noch weitere 20 dazukommen. Der Aufbau der vereinbarten Entwicklungsgesellschaft mit Hilfe von Bund und Land hängt aber derzeit irgendwo. Grundsätzlich sind 30 Millionen an Förderungen vorgesehen. Bedenken Sie, dass die Neuentwicklung eines Fahrzeugs kaum unter 100 Millionen Euro möglich ist.

Kann Ihnen die Belegschaft bei allen Unsicherheiten der letzten Zeit noch folgen?

Johann Ecker

Neuer Investor, Russland, Lieferketten, Kurzarbeit Es herrscht Aufbruchstimmung! Es gab sehr viel positive Resonanz darauf, dass wir nach Kriegsausbruch so schnell reagiert haben. Der Industriestolz ist in Steyr sehr wichtig, es gibt eine extrem hohe emotionale Bindung an die Unternehmen und die Produkte. Und jetzt will jeder das Steyr-Fahrzeug auf der Straße stehen.

Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 8. Juli 2022 entnommen.

Reportage

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