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Ringen um die Chip-Milliarden

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Adolf Winkler
ADOLF WINKLER war jahrelang Wirtschaftschef und Chefredakteur-Stellvertreter der "Kleinen Zeitung Kärnten".©beigestellt
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Gebannt blickt die Halbleiterbranche nach China und Taiwan - und auf den Geldtopf für einen Befreiungsschlag aus der fernöstlichen Chip-Abhängigkeit: den European Chips Act. 43 Milliarden Euro werden allerdings nicht reichen - wenn sie denn endlich fließen.

Baupläne für Fabriken und Forschungsprojekte liegen bereit. Nur müssen EU-Kommission, die Industrieminister der Mitgliedstaaten sowie EU-Parlament endlich liefern: Mit 43 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investments in neue Halbleiterfabriken und Entwicklung soll mit dem European Chips Act (ECA) die asiatische Umklammerung durchbrochen werden. Ob das für das Erreichen der Augenhöhe genügt, ist fraglich. Zeitlich ist man schon mächtig in Verzug. Es geht um weitaus mehr als um eine Schlüsselindustrie. Europa kämpft um die industrielle und digitale Souveränität. Und um den Hebel für die Dekarbonisierung.

2021 wurden weltweit eine Billion Chips erzeugt, doch nur zehn Prozent davon in Europa. Nach dem Plan der für die Innovationsstrategie zuständigen EU-Kommissarin Mariya Gabriel soll der Anteil in zehn Jahren auf 20 Prozent anwachsen. Weil sich der globale Chipbedarf bis dahin verdoppeln wird, bedeutet das eine Vervierfachung der Chipproduktion in Europa. Ein Kraftakt für Europas Selbstbestimmung zur wenigstens teilweisen Behebung des Mangels, der während der Coronapandemie ganze Industrien lahmgelegte - und noch immer schmerzhaft einbremst, weil keine Chips verfügbar sind. Sollte der Konflikt zwischen China und Taiwan, das 80 Prozent des globalen Chipbedarfs erzeugt, eskalieren, droht zudem eine globale Chipkrise, welche die Energiekrise noch weit in den Schatten zu stellen droht.

Vorreiter der Deglobalisierung

Von den CEOs der drei großen Halbleiterhersteller Europas vernimmt man eine einhellige Forderung nach einem Fair Global Playing Field, zuletzt auf der electronica 2022 in München auf einem Gipfel der Schwergewichte. Jochen Hanebeck, Vorstandsvorsitzender von Infineon, Kurt Sievers, CEO von NXP Semiconductors, und Jean-Marc Chery, CEO von STMicroelectronics, bringen 135.000 Beschäftigte und über 40 Milliarden Euro Umsatz auf die Waage. "Das Wichtigste ist, dass alle mit den gleichen Spielregeln spielen und mit den gleichen Waffen kämpfen", fasst Hanebeck zusammen.

Von den EU-Industrieministern ist Eile gefragt, denn die Amerikaner gingen mit einem 52 Milliarden US-Dollar schweren US Chips Act für Fabs sowie mit weit darüber hinausgehenden Steuer-Incentives für Forschung steil in Vorlage. So baut jetzt der niederländische Konzern NXP eine Fabrik in Arizona. Sievers muss das für seine Kunden tun, wie er beteuert. Die Mikroelektronik war einst ein Showcase der Globalisierung. Jetzt manifestiert sich in der Chipbranche eine neue Ära der Weltwirtschaft: die Deglobalisierung.

Umgekehrt kommen die Amerikaner nach Europa, um den European Chips Act auszuschöpfen. Zum Beispiel Wolfspeed, jener Spezialist für Elektrofahrzeug-Halbleiter, den Infineon vor fünf Jahren noch übernehmen wollte, ehe die Trump-Administration den ausverhandelten Kauf aus Gründen der nationalen Sicherheit brüsk blockierte. So wie nun ein Einstieg Chinas in Deutschland tosend platzte. Der Übernahme der Dortmunder Chipfabrik Elmos Semiconductor SE durch ein chinesisches Unternehmen stellte sich die deutsche Bundesregierung in den Weg. Das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium in Berlin sah im drohenden Zugriff der Chinesen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Vizekanzler Robert Habeck beteuerte, Deutschland bleibe ein offener Industriestandort, man sei "aber eben auch nicht naiv".

Der globale Chipmarkt hat sich zu einem strategischen Großkampffeld entwickelt, die jüngsten US-Restriktionen gegen Halbleitertechnologie für China sind eine unverhohlene Kampfansage - auf welche die Europäer differenziert blicken, weil sie mit ihren Produkten auch die chinesische Wirtschaft dekarbonisieren würden. Eine grüne Ökonomie in China, sagt etwa Infineon-Chef Hanebeck, sei im Interesse der Menschheit. Das Klima kennt keine Grenzen.

Steigender Bedarf

Halbleiter werden inzwischen als kritische Infrastruktur angesehen. Der European Chips Act ist Ergebnis des Bedarfs nach Resilienz.

Die Dotierung reicht aber nicht. STMicroelectronics-Boss Chery berichtet von Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Euro schon bis 2025, aktuell baut der aus der Schweiz agierende französisch-italienische Konzern ein Werk um 730 Millionen Euro in Catania.

Allein Infineon investiert fünf Milliarden Euro in den Bau einer neuen Halbleiterfabrik am bestehenden Standort Dresden. Mit Rekordergebnis im Rücken - einem 2021/22 um drei Milliarden auf 14,2 Milliarden Euro gewachsenen Umsatz und einem von zwei auf 3,4 Millionen Euro gestiegenen Segmentergebnis - blickt Infineon zuversichtlich auf die größte Einzelinvestition der Konzerngeschichte. Dekarbonisierung und Digitalisierung sorgen für strukturell steigenden Halbleiterbedarf, vor allem bei Elektromobilen, erneuerbarer Energie, Industrie 4.0 und Internet of Things. Das neue Werk - Baubeginn Herbst 2023, Produktion ab 2026 - soll jährliche Umsätze von fünf Milliarden Euro bringen.

Eine angemessene Förderquote ist für Hanebeck Voraussetzung. Über 50 Prozent plus will er nicht reden. Aber sein Alarmruf ist unüberhörbar: "Ich warne davor, es nur in Milliarden Euro auszudrücken. Wir brauchen ein ganzes Ökosystem, das wachsen muss. Das geht von der Universität über das Forschungszentrum bis hin zu Frontend-Fabriken."

USA drängen nach Europa

Das Rennen um Europas Chips-Milliarden ist schon vor Beschlussfassung in vollem Gange. Der einstige US-Übernahmekandidat Wolfspeed (4.000 Mitarbeiter, 2021 0,75 Milliarden Dollar Umsatz) will für zwei Milliarden Euro eine Fabrik für Siliconkarbid-Powerchips für Automotive und erneuerbare Energie in Europa bauen. CEO Gregg Lowe verrät, man habe auch den Standort Österreich angeschaut. Wonach Wolfspeed die Entscheidung trifft: Incentives und Workforce.

Intel-Boss Pat Gelsinger hat bereits weit gediehene Baupläne für neue Werke in Europa. Bereits im ersten Halbjahr 2023 soll in Magdeburg der Bau zweier Chipfabriken um 17 Milliarden Euro starten. Bis Fertigungsstart 2027 soll dann auch in Vigasio bei Verona ein Backend- Werk um 4,5 Milliarden Euro stehen. Im Veneto freut man sich auf 1.500 Arbeitsplätze und weitere 3.000 bei Zulieferern.

Chancen für Österreich

Der European Chips Act birgt für Österreich vor allem im Bereich der Forschung und Entwicklung große Chancen, allen voran bei Infineon Technologies Austria. Das neue Werk in Dresden wird die virtuelle 300-Millimeter-Wafer-Fabrik im Verbund mit Villach noch einmal auf ein neues Niveau heben. Vor allem kann Villach als Schwerpunktstandort des Halbleiterkonzerns für die Entwicklung der Galliumnitrid-und Siliziumkarbid-Chips punkten. Mit ersteren will Infineon bis 2030 30 Prozent Weltmarktanteil, mit letzteren bereits 2025 die erste Umsatzmilliarde schaffen. 5,24 Milliarden Euro Umsatz (plus 34 Prozent) sowie ein fast verdoppeltes Rekordergebnis von 662 Millionen Euro konnte Vorstandschefin Sabine Herlitschka bereits für das zurückliegende Geschäftsjahr vorlegen.

In Premstätten bei Graz darf die ams Osram Group ihre Kernkompetenz ausspielen. Der von CEO Alexander Everke geführte steirisch-bayerische Konzern plant weitere gezielte F&E-Investitionen für Innovationen in Lichtemitter-und Lichtsensorik-Technologien.

Auch bei den auf Oberösterreich, Steiermark und Kärnten verteilten Silicon Austria Labs (SAL) will man bei Zukunftstechnologien in Europa mitmischen. Geschäftsführer Gerald Murauer blickt hoffnungsvoll, aber zeitdrängend auf den ECA. Die Asiaten und die USA seien schon weit voraus.

In Linz arbeitet man bei SAL am 6G-Testfeld, in Graz steuert man mit dem aktiven Testen mikroelektronikgesteuerter Systeme das große Wachstumsfeld der AI-Devices an.

In Villach will man mit Quantenchips im neuen von zwei Reinräumen in das Pilotlinien-Schema des ECA kommen und im Bereich Quantenchip-Pilotfertigung eine nachhaltige Vorrangstellung gemeinsam mit anderen Forschungszentren in Österreich einnehmen, wie die SAL-Divisionschefin für Mikroelektronik, Christina Hirschl, verrät.

Doch Österreich hat als kleines EU-Land mit beträchtlicher Mikroelektronik-Dichte das Handicap, relativ mehr nationale Mittel für das Abrufen der Mittel aus dem ECA auf br ingen zu müssen als Staaten wie Deutschland oder Frankreich. Im Herbst verwies Wirtschaftsminister Martin Kocher bei einem Chips-Gipfel in Wien auf 150 Millionen Euro nationaler Förderung für ein heimisches Konsortium für ein paneuropäisches IPCEI-Mikroelektronik-Projekt (IPCEI =Important Project of Common European Interest) und kündigte zwölf Millionen Euro für ein neues FFG/aws-Förderprogram "Lab2Fab" an.

Die Branche urgiert in jedem Fall neue Mittel und nicht bloß Umschichtungen bestehender Fördermittel. Es braucht jedenfalls frisches Geld, sonst bleibt der European Chips Act eine Marketingaktion.

Der Gastkommentar von Adolf Winkler ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 13. Jänner 2023 entnommen.

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