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FRAUEN. EU-Parlaments-Vizepräsidentin Evelyn Regner feierte erst kürzlich die Einführung verpflichtender Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten auf EU-Ebene.
FRAUEN. EU-Parlaments-Vizepräsidentin Evelyn Regner feierte erst kürzlich die Einführung verpflichtender Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten auf EU-Ebene.©2020 Thierry Monasse
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Die seit 2020 geltende EU-Taxonomie soll die Wirtschaft in Bezug auf Umwelt, Soziales und Governance nachhaltiger machen. Sie wird bis 2028 viele Rahmenbedingungen für Unternehmen gänzlich neu definieren. Eine aktuelle PwC-Studie zeigt: Österreich hat einiges an Aufholbedarf.

Das Klimaschutzministerium unter der grünen Ministerin Leonore Gewessler frohlockte vor rund einem Jahr per Aussendung, man starte ab sofort mit der Initiative „Green Finance Alliance“. Möglichst viele heimische Unternehmen aus der Finanzwirtschaft sollten der Einladung folgen, ihr Geschäft an den Pariser Klimazielen auszurichten. Das bedeutet vor allem: Investitionen sollen in grüne Projekte gelenkt werden. Dafür müssten Kredite an nicht nachhaltig agierende Unternehmen mit Aufschlägen belegt werden. Die Veranlagung der Kundengelder in Fonds und anderen Assets soll sich daran orientieren, inwieweit die neuen ESG-Vorschriften der EU eingehalten werden. Das Ministerium stellte dafür die Verleihung einer Art Gütesiegel in Aussicht, das Wettbewerbsvorteile verspricht.

AGATHA KALANDRA, PwC Österreich© Trend Michael Rausch-Schott Die EU-Taxonomie zu ESG wird das Trendthema der nächsten zehn Jahre sein.

Um es kurz zu machen: Die Initiative war ein Flop. Während allein die WKO-Sparte „Bank und Versicherung“, in der sich die Kernunternehmen der Branche tummeln, rund 900 Mitglieder zählt, machten bei der Gewessler-Initiative lediglich ganze neun mit. Also gerade einmal ein Prozent. Kein Wunder, dass aus dem Klimaschutzministerium in dieser Angelegenheit seither wenig Neues zu vernehmen war. Nur im vergangenen Oktober ließ man verlauten, dass es „eine zweite Bewerbungsphase“ gebe. Bis 28. Februar kommenden Jahres hat die Branche nun Zeit, noch auf den nicht gerade rasant rollenden Zug der Ministerin aufzuspringen.

Die Sache strahlt eine gewisse Symbolkraft aus. Um Österreichs Wirtschaft ist es in Sachen ESG – also „Environmental, Social Governance and Sustainability“ – derzeit noch nicht so gut bestellt wie gerne erzählt. Man hinkt nach.

HOLPRIG.  Klimaschutzministerin Gewessler will mit ihrem Projekt „Green Finance Alliance“ eine nachhaltige Finanzwirtschaft. Bisher machen aber kaum Unternehmen mit.

© Trend Lukas Ilgner

Fakt ist: Die EU hat ihre Taxonomie für nachhaltige Investitionen im Juni 2020 beschlossen, seit 2021 gelten die Regularien für Unternehmen ab 250 Mitarbeitern. Und ab 2028 werden sie unter Androhung von Sanktionen auch kontrolliert. Diese Taxonomie regelt ziemlich umfassend, was die Unternehmen dazu beitragen müssen, die Klimanneutralität der EU bis 2050 zu erreichen. Entsprechend groß sind die Konsequenzen für die Wirtschaft. „Die EU-Taxonomie wird das Trendthema der nächsten zehn Jahre sein“, ist Agatha Kalandra überzeugt. Sie ist die ESG-Expertin beim Unternehmensberater PricewaterhouseCoopers (PwC) in Österreich (siehe Interview).

© Trend© Trend

Eine brandneue PwC-Untersuchung bescheinigt der heimischen Wirtschaft zwar durchaus Bemühen, ortet aber auch erhebliche Rückstände. PwC erstellte ein Ranking unter den nach Nettoumsatz 100 größten heimischen Unternehmen, unterteilt in zehn Branchen. Dabei wird beurteilt, wie weit diese Unternehmen in Sachen EU-Taxonomie schon sind. Das recht deutliche Gesamturteil der PwC-Fachleute: „dringender Aufholbedarf“.

Bei den Finanzdienstleistern etwa erreichten die 23 untersuchten Unternehmen im Schnitt lediglich 28 Prozent der theoretisch erreichbaren Punkte. Die topgereihte UniCredit Bank Austria kam auf 61 Prozent. Dabei liegt die Finanzbranche im Vergleich zu anderen Sparten noch gar nicht einmal schlecht, deutlich besser schneidet nur die Telekombranche mit einem Durchschnitt von 34 Prozent des erzielbaren Maximums ab. Abgeschlagen mit lediglich 15 Prozent: die Nahrungs- und Genussmittelindustrie.

Den branchenübergreifenden Spitzenrang teilen sich die heimische Post AG und der Gummiproduzent Semperit mit jeweils 64 Prozent. Interessant auch: Gar nicht so wenige Unternehmen – verteilt über alle zehn untersuchten Brachen ­ kamen sogar nur auf null Punkte. Auch weil einige von ihnen nicht einmal Daten zur Verfügung gestellt haben.

Die EU macht Ernst. 

Die EU jedenfalls, sonst oft Protagonist langatmiger Diskussionen und verzögerter Beschlüsse, macht mit ihren Vorgaben in Sachen Nachhaltigkeit schön langsam Ernst. Nach einer Eingewöhungsphase will man dann ab 2028 die Einhaltung der ESG-Verordnung nun auch kontrollieren. Wie, ist jedoch noch offen. Wahrscheinlich wird es eine Art Zertifikat geben, ohne das Unternehmen mit erheblichen Nachteilen vor allem in der Finanzierung konfrontiert sein werden. Das werden „eine Schlüsselrolle“ in der Neuausrichtung der Kapitalströme spielen, sagt EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius.

Die Taxonomie soll Unternehmen vor allem zur Planung und Offenlegung klarer Strategien und Roadmaps in Sachen Umwelt, Klima, soziale Verantwortung und Menschenrechte zwingen. Investoren sollen sich, so ist es zumindest gedacht, künftig daran orientieren und ihre finanziellen Engagements unter diesem Gesichtspunkt abwägen. Die EU-Vorgaben sind dabei weit gefasst und gehen deutlich über den Klimaschutz hinaus.

Sie umfassen Fragen wie die Gleichstellung von Männern und Frauen ebenso wie die Themen Kinderarbeit, Klimaschutz oder Korruption. Unternehmen werden verpflichtet sein, transparente und komplexe Antworten darauf zu geben – und zwar über die gesamte Lieferkette hinweg, was schwierig, aber unumgänglich ist. Denn: „Nach der Prüfung dann womöglich keinen Stempel zu bekommen, das wird keiner wollen“, meint PwC-Expertin Kalandra.

KARL HAIDER, CEO Semperit AG© Trend Michael Rausch-SchottESG und Nachhaltigkeit sind in der Semperit-Gruppe angekommen. Wir treiben das voran und folgen einer Roadmap. ALFRED STERN, CEO OMV AG© OMV AGWenn wir den Lebensstandard überall auf der Welt erhalten wollen, müssen wir zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise übergehen. ROBERT ZADRAZIL, CEO Unicredit Bank Austria© Trend Wolfgang WolakWir wollen Treiber und Vermittler des Wandels sein, um unsere Gesellschaft besser zu machen. Das ist unsere Überzeugung. SIGRID STAGL, Aufsichtsrätin Post AG© Lukas PelzDie Taxonomie-Herausforderung anzunehmen lohnt sich für jedes Unternehmen, das auf zukunftsfähiges Wirtschaften setzt. HARTWIG HUFNAGL, Vorstand ASFINAG© Trend Sebastian ReichNachhaltigkeit ist Bestandteil unseres Kerngeschäfts, das beginnt beim Ausschreiben von Bauaufträgen und reicht bis zur Umsetzung.

Mühsames Unterfangen.

Was mit Einführung der Taxonomie auf Unternehmen zukommt, ist ein zweifellos mühsames Unterfangen – ein echtes Monsterprojekt, eben weil die Auswirkungen auf die Wirtschaft so weitreichend sein werden. Die Europäische Union begibt sich damit in ein Minenfeld aus verschiedenen Interessen und Widersprüchlichkeiten, in dem sich ihre Institutionen oft selbst nur schwer zurechtfinden. So benötigte man gute zehn Jahre, um sich endlich zur längst überfälligen Gleichstellung von Männern und Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten durchzuringen. Erst kürzlich beschloss das EU-Parlament schließlich nach endlosem Hin und Her eine Frauenquote von entweder mindestens 40 Prozent in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen oder alternativ eine Quote von 33 Prozent im Mix zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Bis 2026 müssen diese Vorgaben, ein wesentlicher Bestandteil von ESG-Richtlinien, umgesetzt sein.

„Endlich geschafft“, freute sich Parlaments-Vizepräsidentin Evelyn Regner kurz nach der Abstimmung fast ungläubig auf ihrem Facebook-Account. Österreich hat, wenig überraschend, auch hier einiges zu tun. Frauen in der Führung von Börsenunternehmen gibt es noch nicht allzu viele.

Wie sperrig die generelle Thematik manchmal sein kann, zeigt auch die umstrittene Festlegung der EU, Atomkraft als nachhaltige Technologie zu betrachten. Die UniCredit Bank Austria, nach eigener Einschätzung „eines der nachhaltigsten Unternehmen der Welt“, will hingegen Atomkraft mit dem Hinweis auf eigene ESG-Grundsätze nicht finanzieren. Ebenso wenig wie Rüstung, Gentechnik oder die Förderung von Kohle, Erdöl und Erdgas. „Wir wollen Vermittler des Wandels sein, um die Gesellschaft besser zu machen“, erklärt CEO Robert Zadrazil.

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k.A © Trend

Heimische Stärken.

Obwohl österreichische Unternehmen insgesamt deutlich hinter den europäischen ESG-Vorgaben nachhinken, gibt es auch durchaus Stärken. Beim Klimaschutz sind wir durchaus vorne mit dabei. Nicht selten wird nämlich ESG gleichgesetzt mit grüner Transformation. Bei der Kontrolle der Lieferketten allerdings, wesentlicher Bestandteil der Taxonomie, herrschen noch viele Unklarheiten. Sehr oft ist auch die Datenlage lückenhaft, was die Messbarkeit der Fortschritte erschwert. Gefragt sind mehr Transparenz und verbesserte Kommunikation nach außen.

Dennoch: Ein gewisses Bewusstsein hat sich jedenfalls in den Managementetagen international agierender Konzernen angekommen. „ESG und Nachhaltigkeit sind bei uns angekommen“, sagt etwa Semperit-CEO Karl Haider. Man treibe das so zügig wie möglich voran.

Wie nahe Wollen und Tun beisammen liegen bzw. wie groß die dazwischen noch klaffende Lücken ist, ist oft schwer zu sagen. „International ist man vielfach weiter, etwa in Holland, Deutschland oder Großbritannien“ glaubt PwC-Expertin Agatha Kalandra. Mit recht klaren Bekenntnissen sind heimische Unternehmenschefs aber inzwischen zur Stelle. Man müsse zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise übergehen, das sei „die Überzeugung des Unternehmens“, sagt zum Beispiel Alfred Stern, Vorstandsvorsitzender der OMV AG. Hartwig Hufnagl, Vorstand bei der Asfinag, schlägt in eine ähnliche Kerbe: „Nachhaltigkeit ist inzwischen Bestandteil unseres Kerngeschäfts.“

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Chance auf Erfolg.

Tatsächlich dürfte mit der Zeit, so will es ja auch die EU, nachhaltiges unternehmerisches Verhalten zunehmend einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringen. Davon ist etwa die Forscherin Sigrid Stangl vom Department für Sozialökonomie der Wiener Wirtschaftsuniversität, gleichzeitig Aufsichtsrätin der Post AG, überzeugt: „Die Taxonomie-Herausforderungen anzunehmen, lohnt sich für jedes Unternehmen“, sagt sie im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht der Post. Auch PwC betont eindringlich, ESG-Konformität nicht als lästige Pflicht, sondern als Erfolgsfaktor zu sehen.

Wer die strengen EU-Regulatorien in ein paar Jahren nicht erfüllen kann, dem drohen durchaus ernsthafte Folgen. Abgesehen davon, dass Konsumenten immer mehr Druck in Sachen Klimaschutz,Frauen- und Menschenrechte ausüben – für Investoren wird das Einhalten der Taxonomie entscheidend sein. Kann man kein Zertifikat vorweisen, wird es empfindlich teurer, die Wettbewerbsfähigkeit sinkt. Selbst Pönalezahlungen stehen im Raum. Zwar ist Letzteres noch offen, doch klar ist: Ab 2028 soll auf EU-Ebene es kein Pardon mehr geben. Vielleicht funktioniert ja bis dahin auch Leonore Gewesslers Green Finance Alliance.

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