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Konrad Paul Liessmann: Wie viel Hoffnung braucht der Mensch?

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10 min

Konrad Paul Liessmann

©News / Ricardo Herrgott
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"Alles wird gut." Ob dieser Satz Berechtigung hat oder ironisch verstanden werden muss, darüber wurde beim Philosophicum "Zur Dialektik der Hoffnung" in Lech diskutiert. Dazu der Essay von Konrad Paul Liessmann, dem wissenschaftlichen Leiter der Veranstaltung.

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Der Mensch, so sagt man gerne, ist das einzige Wesen, das hoffen kann. Und das stimmt wohl. Eigentlich hoffen wir ständig. Wir hoffen auf gutes Wetter. Wir hoffen, dass ein Unternehmen gelingt. Wir hoffen, dass die Verhandlungen gut laufen. Wir hoffen auf niedrigere oder höhere Zinsen - je nachdem. Wir hoffen auf bessere Zeiten. Und wenn alles zusammenbricht, stirbt die Hoffnung zuletzt.

Hoffnungen sind aber nicht einfach mit Wünschen gleichzusetzen, die in Erfüllung gehen können. Zur Hoffnung gehört ein gewisses Maß an Unwahrscheinlichkeit. Ein exzellenter Schüler muss nicht hoffen, eine Prüfung zu bestehen, er kann damit rechnen. Für den, der wenig gelernt und damit schlechte Karten hat, bleibt nur die Hoffnung, es doch noch zu schaffen.

In der Hoffnung ist stets ein großes "Trotzdem" versteckt. Wir hoffen immer gegen plausible Entwicklungen, hohe Wahrscheinlichkeiten, absehbare Trends. Wir hoffen mitunter auch gegen Vernunft und Einsicht. Das hat die Hoffnung mit einem gewissen Recht in Verruf gebracht. Der unbeirrt Hoffende ist mitunter auch der Verstockte, der die Zeichen der Zeit nicht erkennen will.

Hoffnung, ein zweischneidiges Schwert

Dürfen wir überhaupt noch hoffen? Angesichts einer krisengeschüttelten Welt, in der sich Nachrichten über Klimakatastrophen, Kriege, zusammenbrechende Versorgungssysteme und Pandemien überbieten, scheint kein Platz mehr zu sein für jene Hoffnungen, die sich in optimistischen Erwartungen, lichtvollen Utopien und Visionen vom ewigen Frieden zeigten. Natürlich hoffen wir, dass sich letzten Endes alles zum Guten wenden wird, auch wenn wir glauben, dazu wenig bis nichts beitragen zu können. Liegt in dieser Hoffnung nicht auch schon eine Art Kapitulation? Der Philosoph Günther Anders formulierte es bissig: Hoffnung sei nur ein anderes Wort für Feigheit. Wer sich etwas zutraut, wer mutig ist, verzagt nicht, hofft nicht, sondern handelt.

Hoffnung, ernst genommen, war so immer schon ein zweischneidiges Schwert. Hoffnung ist das, was bleibt, wenn nichts mehr getan werden kann. Hoffnung ist das Eingeständnis eines Scheiterns, das nur noch auf das Unverfügbare setzen kann: auf ein Wunder. Hoffnung kann zur Untätigkeit verurteilen, Hoffnung kann die Fügsamkeit befördern, zur Passivität führen. Hoffnung kann ein letzter schwacher Trost für Menschen sein, die man eigentlich schon aufgegeben hat. Ein Grund für diese Art von Hoffnung liegt dann auch darin, dass wir immer wieder die Erfahrung machen, dass das Unwahrscheinliche, das außerhalb unseres Erfahrungs-und Erwartungshorizont liegt, selten, aber doch eintreten kann: der schwarze Schwan.

Hoffnung ist aber auch das, was uns in finsteren Zeiten aufrecht hält und an eine Zukunft glauben lässt. Hoffnung kann dem Kraftlosen den Mut zum Weiterleben ermöglichen, Hoffnung kann zur Aktivität anstacheln, sie kann den Willen zum Widerstand entfachen. Menschen, die unter despotischen Verhältnissen für die Freiheit kämpfen und trotz aller Rückschläge auch noch nach Jahren und Jahrzehnten daran festhalten, leben von solch einer Hoffnung.

Für Anhänger des Christentums ist die Hoffnung neben dem Glauben und der Liebe sogar eine göttliche Tugend. Sie lässt den Gläubigen letztlich hoffen, dass das, was ist, nicht alles ist und ein gütiger Gott für eine ausgleichende Gerechtigkeit sorgen wird. Doch dort, wo wirklich alles verspielt ist, gilt der Imperativ, mit dem Dantes Hölle die Neuankömmlinge empfing: Lasst alle Hoffnung fahren!

Nur ein frommer Wunsch?

Aber auch das diesseitsorientierte Leben des modernen Menschen ist grundiert von Hoffnungen, die mitunter von frommen Wünschen kaum zu unterscheiden sind. Dass es einen Fortschritt gäbe, dass neue Technologien wie die künstliche Intelligenz eine bessere Welt ermöglichen werden, dass die Klimaziele erreicht werden können, dass soziale Ungleichheiten beseitigt, gerechtere Verhältnisse geschaffen sowie Rassismus und Sexismus besiegt, unheilbare Krankheiten eliminiert werden und die Lebenserwartung des Menschen bis zur Unsterblichkeit steigen wird - all das sind angesichts der Wirklichkeit mehr oder weniger vage Hoffnungen auch dann, wenn sie sich im Gewand der wissenschaftlichen Prognose zeigen.

Dies hat einfach damit zu tun, dass uns die Zukunft trotz aller gut fundierten Modellrechnungen unverfügbar bleibt. Es gibt keine Gewissheiten darüber, welche Annahmen über zukünftige Entwicklungen sich als zutreffend erweisen werden. Da Menschen immer auch anders handeln können, als erwartet wird, sind alle Zukünfte, in denen Menschen noch eine Rolle spielen, relativ offen und deshalb auch von Hoffnungen durchzogen.

Die Hoffnung gehört zu den entscheidenden Faktoren der Imaginations- und Innovationskraft. Nur mit dieser Hoffnung im Hintergrund können wir versuchen, Neues zu denken und alternative Welten zu entwerfen.

Konrad Paul LiessmannPhilosoph

In diesem Sinn kann die Hoffnung durchaus kritisch eingesetzt werden. Sie verweist auf die Unzulänglichkeit des Menschen und seiner Möglichkeiten. Wie schön und ehrlich wäre es doch, wenn Wirtschafts-oder Klimaforscher ihre Prognosen mit dem Satz präsentieren würden: So sehen unsere Berechnungen aus, und wir hoffen, dass sich die Zukunft daran halten wird und wir, durch die Vorhersagen beeinflusst, nicht die falschen Entscheidungen treffen werden.

Wie begründet unsere Hoffnungen sind oder ob sie uns in die Irre leiten und zu einem falschen, getrübten Blick auf die Welt führen, ist deshalb Gegenstand heftiger Debatten. Es kann auch fatal sein, sich falsche Hoffnungen zu machen und dann mit Enttäuschungen weiterleben zu müssen. Frustration und Wut sind die Folge. Seit der Antike wird deshalb darüber gerätselt, ob die Hoffnung ein Segen oder ein Fluch für die Menschen sei.

Hoffen auf die Zukunft

Zukunft und Hoffnung gehören jedenfalls zusammen. Hoffnung ist eine Form, sich emotional an der Zukunft zu orientieren. Wer hofft, hofft immer auf etwas, das erst kommt. Alles wird gut. Das bedeutet eben nicht, dass alles schon gut sei - aber es hält die Erwartung aufrecht, dass sich, wenn nicht alles, so doch einiges in naher oder ferner Zukunft zum Besseren wenden könnte. Hoffnung gehört so wesentlich zum Emanzipations- und Fortschrittsdenken der Aufklärung. Friedrich Schiller hat dies in seinem kleinen Gedicht "Hoffnung" wunderbar auf den Punkt gebracht: "Es reden und träumen die Menschen viel /von bessern künftigen Tagen Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn, / erzeugt im Gehirne des Toren, / im Herzen kündet es laut sich an: / Zu was Besserm sind wir geboren."

Bei dem deutschen Dichter zeigt sich, wie die menschenrechtliche Idee der Freiheit direkt aus der Hoffnung erwächst. Es gehört nicht zum Menschsein, in Abhängigkeiten dahinzuvegetieren, wir sind, von Natur aus, gleich an Freiheit und Würde und deshalb zu etwas Besserem geboren. Das hoffen wir zumindest im Innersten unseres politischen Herzens. Von da ist es nur ein kleiner Schritt zu jenem "Prinzip Hoffnung", das nach dem Philosophen Ernst Bloch alle gesellschaftlichen Utopien antreibt. In diesem Sinne gehört die Hoffnung auch zu den entscheidenden Faktoren der Imaginations- und Innovationskraft. Nur mit dieser Hoffnung im Hintergrund können wir versuchen, Neues zu denken und alternative Welten zu entwerfen. Hoffnung ist deshalb auch kein unbedingter Optimismus. Die Hoffnung weiß nicht, was werden wird. Genau deshalb muss sie ja hoffen. Aber sie gibt nicht auf.

Die andere Form, der Zukunft zu begegnen, ist die Befürchtung. Anstelle der Hoffnung tritt die Angst. Wir rechnen dann mit dem Schlimmsten, kritisieren Hoffende als Realitätsverweigerer oder Verharmloser. Dass die Welt dem Untergang geweiht sei, gehört nicht nur zu den Dystopien der Moderne, es gibt auch in manchen Religionen die paradoxe Hoffnung auf die Apokalypse. Oft wird diese jedoch beschworen in der Hoffnung, dass drastische Warnungen und Aufrufe zur Umkehr im letzten Moment das Schlimmste noch verhindern können. In manchen Argumenten von Klimaschützern taucht diese Denkfigur wieder auf: Die Erde ist dem Hitzetod geweiht - wenn wir nichts unternehmen und weiter sündigen wie bisher. Die Überlegung geht dahin, dass Demonstrationen und spektakuläre Aktionen die Menschen zur Einsicht und zu entsprechenden Verhaltensänderungen bringen können. Doch auch dies bleibt letztlich nicht mehr und nicht weniger als eine Hoffnung.

Essay von Konrad Paul Liessmann aus trend. PREMIUM vom 8.9.2023

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