Wiens Zahlenfuchs: Klemens Himpele
Klemens Himpele, Chefstatistiker der Stadt Wien, räumt im Buch "Statistisch gesehen" mit vielen Vorurteilen auf. Rechtzeitig zum Wahlkampfstart will er Wiens Stärken mit "echten Zahlen statt halben Wahrheiten" belegen.
HERR DER ZAHLEN. Klemens Himpele ist gebürtiger Deutscher und leitet seit 2012 die Magistratsabteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.
Klemens Himpele ist Chefstatistiker der Stadt Wien, leitet die Magistratsabteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik. Das klingt fürs Erste einmal ganz schön trocken. Der leitende Beamte hat nun ein Buch geschrieben. Das hört sich auch nicht gerade ultralustig an. Doch siehe da: Es ist ein sehr kurzweiliger Text geworden, den der Rechner und Tüftler da verfasst hat. "Ich habe mich einfach geärgert", erklärt Himpele seine Motivation, unter die Sachbuchautoren zu gehen. Geärgert hat er sich unter anderem über das "Wien-Bashing" landauf, landab. Und: Er wehrt sich gegen permanentes Schlechtreden der heimischen ökonomischen "Performance", zieht launig gegen Nörgelei und Unterlegenheitsgefühle in die Schlacht.
Dass der Autor gebürtiger Deutscher ist, macht die Sache pikant: Da schreibt einer, der zwischen den Fronten steht. Mit der Rolle spielt, sich über den hierzulande weit verbreiteten "Kleiner-Bruder- Komplex" lustig macht und im Gegenzug bemerkt, dass die Deutschen "den Nachbarn vor allem als Urlaubsziel mit etwas provinziellen Einwohnerinnen und Einwohnern, aber schönen Landschaften, steilen Skipisten und einer wunderschönen Hauptstadt" wahrnehmen.
Himpele vergleicht Wien mit anderen deutschsprachigen Millionenstädten, durchkreuzt statistisch betrachtet die österreichischen Länder und stellt sie zueinander in Relation, ständig im Bemühen, "echte Zahlen statt halber Wahrheiten" so der Untertitel des Buches -zu präsentieren. Das Leitl-Diktum vom "abgesandelten Wirtschaftsstandort" hat es ihm besonders angetan. Die Folge dieser Aussage sei gewesen, dass die "Lust am Motschkern und Meckern" ausgelebt werden konnte. Der Wirtschaftsstandort Österreich sei beweint, der deutsche gelobpreist worden. Das völlig zu Unrecht, wie Himpele nachzuweisen versucht.
"Österreich ist nicht nur in einzelnen Jahren erfolgreicher als Deutschland, sondern kann seit 20 Jahren darauf verweisen, ein höheres BIP pro Kopf auszuweisen. Im allgemeinen Bewusstsein dürfte das noch nicht verankert sein", glaubt der Zahlenexperte. Und belegt, dass Österreich beim BIP pro Kopf in Kaufkraftstandards 27,2 Prozent über dem EU-Durchschnitt liegt, der deutsche Wert dagegen nur um 23,3 Prozent. Das Arbeitsstundenvolumen habe sich in Österreich von 1995 bis 2017 um zwölf Prozent vermehrt, in Deutschland nur um magere vier Prozent. Trotzdem wurde das "deutsche Jobwunder" immer wieder als Vorbild genannt, während Österreich in Summe doch "deutlich erfolgreicher als der große Nachbar im Norden" war.
Österreich vs Deutschland
Dass Österreich eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit als Deutschland aufweist, liege im rasanten, migrationsbedingten Bevölkerungswachstum Österreichs. "Dieser Geschwindigkeit konnte die Nachfrage nach Arbeitskraft in Form von Arbeitsplätzen nicht in Gänze folgen."
Wie viel Prozent der Bevölkerung würden erraten, dass die Arbeitsproduktivität hier deutlich höher ist als jene in Deutschland? Beide Länder liegen weit über EU-Schnitt (= 100), Deutschland bei 106,3, jedoch Österreich zehn Punkte höher, bei 116,3. Das ist ein klarer Sieg nach Punkten, mit einer kleinen Einschränkung: Von Eisenstadt bis Bregenz wird länger gearbeitet als zwischen Freilassing und Kiel, die durchschnittliche Arbeitszeit liegt im angeblich so bequemen Österreich über jener Deutschlands, was die deutsche "Produktivität je Arbeitsstunde" jedoch über der österreichischen liegen lässt.

Himpele erklärt en passant das österreichische Pensionssystem als "deutlich besser ausgestattet als das deutsche, es ermöglicht einen erheblich höheren Lebensstandard im Alter und ist vergleichsweise armutsfest".
Den oft zitierten Staatsschulden ist ein längerer Absatz gewidmet. Für Himpele ist der niedrigere deutsche Wert noch lange nicht "besser", denn er stellt dem höheren (aber stark sinkenden) Schuldenstand Österreichs auch vergleichsweise höhere nachhaltige Investitionen gegenüber. "Seit 1995 lagen die Bruttoinvestitionen des Staates in Relation zum BIP in Österreich in jedem Jahr höher als in Deutschland, zuletzt bei 3,1 versus 2,2 Prozent des BIP."
Die Konsequenz daraus, dass Deutschland seit 23 Jahren pro Jahr 19,3 Milliarden Euro zu wenig investiere, um das Niveau des kleinen Nachbarn zu erreichen: Die Österreicher sind mit der vorhandenen Infrastruktur deutlich zufriedener als die Deutschen. Die "moralisierende Bewertung von Schulden", so Himpele, sei "jedenfalls unsinnig".
Seine Vergleiche zeigen: Wien ist nicht fauler als Vorarlberg, nicht weniger fleißig als deutsche Metropolen. Sogar in Forschung und Entwicklung ist die Walzerstadt weit vorne. Wien hatte schon 2015 eine Forschungsquote von 3,66 Prozent, München 3,52 Prozent, Berlin 3,49 Prozent, Hamburg 2,22 Prozent.
Fest steht, dass Wien kein kranker Riese ist - eher im Gegenteil. Himpele erinnert daran, dass beim Länderranking des Bruttoregionalprodukts je Einwohner 2018 Wien und Salzburg um den ersten Platz raufen. Neben einer Fülle an immer wieder überraschenden Daten werden in "Statisch gesehen" auch Schmankerl aufbereitet. Die Themen Geburt, Hochzeit, Scheidung und Tod bleiben ebenso wenig ausgespart wie Wintersport oder Treibhausgasemissionen.
Das Buch wird wohl im herbstlichen Wien-Wahlkampf des Öfteren zitiert und kontroversiell diskutiert werden. Auch deshalb, weil die politische Kaste immer wieder trocken vorgeführt wird. So weist Himpele Ex-Infrastrukturminister Norbert Hofer nach, einst mit falschen Zahlen Stimmungsmache betrieben zu haben. Dessen Behauptung, dass 30.000 Tschetschenen in Wien Mindestsicherung beziehen würden, sei nicht zu halten, da zum behaupteten Zeitpunkt "überhaupt nur 15.872 Menschen mit einem Pass der Russischen Föderation" in Wien gelebt hätten. Zitat: "Selbst wenn alle Tschetschenen in der Mindestsicherung sind (was nicht anzunehmen ist) und alle russischen Staatsbürger in Wien aus Tschetschenien stammen (was sicher nicht stimmt), ist die Zahl Hofers viel zu hoch gegriffen und damit falsch."