„Wien kann auch Wirtschaft“

GERHARD HIRCZI, Chef der Wirtschaftsagentur, und JOHANNES HÖHRHAN, Chef der Industriellenvereinigung Wien, über die Stabilität des Wirtschaftsstandorts und die Vision für Wien als Technologiemetropole von Weltrang.

LINKS: Johannes Höhrhan, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Wien, erkennt für den Standort vor allem Zukunftschancen im Bereich der Life Sciences und der Digitalisierung. RECHTS: Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien, sieht den Bund in der Pflicht, wenn es um die schon lange diskutierten zusätzlichen Anreize für Start-ups geht.

LINKS: Johannes Höhrhan, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Wien, erkennt für den Standort vor allem Zukunftschancen im Bereich der Life Sciences und der Digitalisierung. RECHTS: Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien, sieht den Bund in der Pflicht, wenn es um die schon lange diskutierten zusätzlichen Anreize für Start-ups geht.

TREND: Die Wiener Wirtschaft hat die verschiedenen Krisen der letzten Zeit vergleichsweise gut überstanden. Worauf führen Sie das zurück?
GERHARD HIRCZI: Aus meiner Sicht ist diese Diagnose jedenfalls zutreffend. Wien ist als Wirtschaftsstandort sehr stabil, resilient und gut gemanagt. Die Stadt und ihre Player haben Ressourcen und sind handlungsfähig. Stabilität – manchmal ein bisschen belächelt – ist gerade in Zeiten des Umbruchs ein herausragendes Asset – nach innen und nach außen.
JOHANNES HÖHRHAN: Wien hat das große Glück, über ein sehr robustes wirtschaftliches Fundament zu verfügen. So ist gerade auch der Anteil des produzierenden Bereichs in Wien mit rund 15 Prozent für eine Großstadt sehr hoch. Die Wiener Industrie sichert damit direkt und indirekt über 300.000 Jobs und ist zugleich einer der größten Innovationstreiber. In Kombination mit einer exzellenten Wissenschaftscommunity sowie einer wachsenden Start-up­Szene bildet dies ein starkes wirtschaftliches Rückgrat, das Wien bisher sehr gut durch die vielen Krisen der vergangenen Jahre getragen hat. Damit wir
als Standort weiter erfolgreich bleiben können, müssen wir aber noch mehr auf Innovation, Forschung und Entwicklung setzen. Uns und die Stadt Wien eint hier die gemeinsame Vision, Wien noch stärker als Technologiemetropole von Weltrang zu positionieren.

Die Start-up-Szene ist fragiler als andere Sektoren. Wie hat sich die Innovationslust in dieser schwierigen Zeit entwickelt?
Hirczi: Unsere eigenen Zahlen zeigen, dass die Innovationslust nach wie vor sehr groß ist, im letzten Jahr hatten wir sogar einen Ausreißer nach oben. Wurden zwischen 2018 und 2021 rund 60 Start-ups – jünger als fünf Jahre – bei der Umsetzung ihrer Projekte gefördert, waren es im letzten Jahr 82. Das ist signifikant mehr. Aber naturgemäß ist die Start-up-Szene derzeit aufgrund der rückläufigen Investments beunruhigt – auf der ganzen Welt, nicht nur in Österreich. Wir können mit unseren Förderungen allerdings nur Impulse setzen. An den weiteren Schrauben müssen andere drehen – das kann Wien allein nicht stemmen.
Höhrhan: Krisenzeiten sind immer auch Zeiten besonderer Chancen. Gerade bei Start-ups entsteht Innovation oft auch aus Disruption – ich denke daher, dass Start-ups vielfach sogar leichter mit schwierigen Zeiten klarkommen können. Start-ups sind also auch weiterhin ein wesentlicher Garant für Innovation. Im Start-up-Bereich sind derzeit vor allem aber auch Finanzierungsfragen von besonderem Interesse. Hohe Zinsen sind für alle ein Problem. Welche Auswirkungen die Geschehnisse um die Silicon Valley Bank speziell für die Start-up-Welt noch haben werden, bleibt abzuwarten.

Im Sommer findet mit der ViennaUp das größte Start-up-Festival des Landes statt. Wie wichtig ist das Event für den Standort?
Hirczi: Wir sehen die ViennaUp als schöne Ergänzung der europäischen Festivallandkarte. Denn eines muss allen europäischen Städten klar sein: Wir müssen gemeinsam Stärke entwickeln, um global als Standort Europa zu bestehen. Es ist aber auch enorm wichtig, Wien mit einem derart außergewöhnlichen Signature-Event als Wirtschaftsstandort zu positionieren. Weil Wien eben nicht nur Kunst und Kultur ist, sondern auch Wirtschaft kann.
Höhrhan: Die ViennaUp ist mittlerweile zu einer der wichtigsten Visitenkarten für unsere Stadt geworden. Jeder kennt Wien als Stadt der Kunst und Kultur – wir wollen aber auch zeigen, dass Wien mehr ist. Das ist einer der Hauptgründe, warum wir als IV-Wien die ViennaUp unterstützen.

Und bei welchen Themen sehen Sie das größte Potenzial für den Start-up-Standort Wien?
Hirczi: Wien ist thematisch sehr breit aufgestellt, und wir wollen auch nicht als Start-up-Monokultur wahrgenommen werden. Ein riesiges Potenzial liegt jedenfalls in neuen Technologien, die das Leben der Menschen verbessern. Ob in Sachen Klimaschutz, Zusammenleben, Digitalisierung oder Bildung. Die Stadt hat mit ihrer sozialen Tradition hier eine große Glaubwürdigkeit, die international jedenfalls gut wahrgenommen wird.
Höhrhan: Nicht nur im Start-up-Bereich sollten wir uns noch mehr auf bestimmte Stärkefelder konzentrieren. So haben wir vor allem im Bereich der Life Sciences sowie der Digitalisierung viele Zukunftschancen. Hier wäre es aber entscheidend, unser Standortprofil weiter zu schärfen. Wir sind als Standort gut unterwegs, etwa im Bereich der Forschung. Allerdings sind wir nicht immer die Besten, wenn es darum geht, Grundlagenforschung auch in verwertbare Produkte oder Dienstleistungen am Standort überzuführen.

Das Wachstumskapital gilt in Wien als Flaschenhals. Wie stellt sich die Situation aktuell dar und was gilt es hier noch zu tun?
Hirczi: Wir haben vor dem russischen Angriffskrieg sehr gute Kapitalisierungsrunden gehabt und im Vergleich mit anderen Standorten stark aufgeholt. In den letzten Monaten hat sich das leider eingetrübt, bei uns und in allen anderen Start-up-Hubs. Über zusätzliche Anreize diskutieren wir ja schon lange, hier ist meiner Meinung nach der Bund wirklich in der Pflicht.

Unicorns sind für die Bekanntheit einer Tech-Community enorm wichtig. Besorgt es Sie, dass Experten in den nächsten 18 Monaten keine neuen Einhörner aus der Wiener Szene heraus entstehen sehen?
Hirczi: Unicorns sind weithin sichtbare Leuchtkörper. Ein Start-up­Hub strahlt mit, aber nicht nur wegen ihnen. Wir haben sehr spannende, stabile und nachhaltige Start-ups, die möglicherweise nie Unicorns werden und trotzdem viel zu einer guten Start-up­Location beitragen. Und gerade in der letzten Zeit hat die Welt gesehen, wie schnell gehypte Unicorns wieder zu Ponys werden, wenn sie nicht nachhaltig aufgestellt sind.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Wiener Wirtschaft?
Hirczi: Aktuell hat die EU-Kommission ihre Wachstumsprognose für Österreich leicht nach oben revidiert, auch das spricht für die schon genannte Resilienz unserer Unternehmen. Zusätzlich wird die Stadt mit riesigen Infrastrukturprojekten wie der Vervielfachung der Photovoltaikproduktion oder der „Raus aus Gas“-Initiative für wirtschaftliche Dynamik sorgen. Bis 2040 sollen rund 600.000 Gasthermen ausgetauscht werden. Die große Herausforderung liegt jetzt vor allem darin, genug Arbeitskräfte für diejenigen Tätigkeiten heranzubilden, die in Zukunft die Wirtschaft am Laufen halten sollen. Hier werden wir noch ziemlich viel Energie und Umsetzungswillen benötigen. Aber ich gehe davon aus, dass wir beides haben werden.
Höhrhan: Ich bin sehr zuversichtlich, was den Standort Wien angeht. Zumal in Wien Wirtschaft und Politik an einem Strang ziehen. Wir haben als IV Wien vor Kurzem ein neues Standortabkommen mit der Stadt unterzeichnet. Dieses fokussiert auf die Vision, Wien noch stärker als Technologiemetropole von Weltrang zu positionieren. Daran werden wir gemeinsam arbeiten.

ViennaUP’23

FESTIVAL. Vom 30. Mai bis 7. Juni wird Wien zum Treffpunkt der europäischen Start-up-­Community. Zahlreiche Programmpartner veranstalten mehr als 50 Events, die sich an verschiedenen Orten mit Themen wie Smart Cities, Life Sciences, Creative Industries, Tech und Manufacturing befassen. Mehr zum Programm auf viennaup.com. Für viele Events können schon Tickets gebucht werden.




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