European Payment Report: Die Zahlungsmoral von Kunden

Eine Umfrage unter 240 heimischen Unternehmen gewährt tiefe Einblicke über die Zahlungsmoral von Kunden. Österreichische Unternehmen sind laut European Payment Report im europäischen Vergleich, was verspätete Zahlungen und Kreditausfälle betrifft, von den Auswirkungen der Covid-Krise besonders betroffen. Wie Unternehmen auf die Krise reagieren.

European Payment Report: Die Zahlungsmoral von Kunden

Covid-19 führt bei vielen Unternehmen zu einer angespannten Lage der Liquidität. Lieferketten sind mitunter gerissen, Waren bis heute zum Teil noch verspätet geliefert. Hinzu kommt, dass Kunden später als vereinbart, wie nun der European Payment Report vom Forderungsmanagement-Spezialisten Intrum durch die Befragung von 9.980 europäischen Unternehmen in elf verschiedener Industriesektoren befragt, davon 240 in Österreich, herausfand. "Die überwiegende Mehrheit der KMUs und der Großunternehmen gaben an, in den letzten zwölf Monaten gebeten worden zu sein, längere Zahlungsfristen zu akzeptieren, als ihnen eigentlich lieb gewesen wäre", so eines der zentralen Ergebnisse der Studie. Von den in Österreich befragten Unternehmen waren 43 Prozent mit bis zu 50 Mitarbeiter, 25 Prozent mit 50 bis 249 Mitarbeiter und 32 Prozent mit mehr als 250 Mitarbeiter.

Multinationale Unternehmen verlangen längere Zahlungsfristen
Die "Sünder" Nummer eins in diesem Bereich sind multinationale Unternehmen: So erklärten 70 Prozent der KMUs, dass sie von einem multinationalen Unternehmen um eine längere Zahlungsfrist gebeten worden seien. 63 Prozent aller Befragten stimmten außerdem der Aussage zu, dass sie längere Zahlungsfristen tatsächlich akzeptierten, um der Beziehung mit dem Klienten nicht zu schaden. 38 Prozent gaben an, im vergangenen Jahr längere Zahlungsbedingungen deshalb akzeptiert zu haben, weil damit das Risiko eines Bankrotts vermieden werden sollte.

Multinationale Konzerne lassen sich derzeit bei der Zahlung ihrer offenen Rechnungen am öftesten Zeit.

Verspätete oder uneinbringliche Außenstände als große Bedrohung eingestuft
Fast 60 Prozent der befragten österreichischen Unternehmen fürchten dass verspätete Zahlungen und uneinbringliche Forderungen massiven Einfluss auf den Cashflow des Unternehmens haben. Damit liegen österreichische Firmen mit dieser Einschätzung deutlich über dem EU-Durchschnitt. Österreichische Unternehmer gehen zudem laut dem Zahlungsreport gegenüber dem Vorjahr von einem um 25 Prozent gestiegenen Risiko hinsichtlich der Zahlungsausfälle aus. 34 Prozent der österreichischen Unternehmen fürchten, dass die Konsumenten finanzielle Schwierigkeiten haben und damit eine Herausforderung für ihr Unternehmen darstellt. In der EU ist der Pessimismus diesbezüglich noch größer. Am meisten plagt die österreichischen Unternehmen das unsichere Umfeld für ihren Handel (siehe Grafik).

Austro-Firmen fürchten meist keine Rezession für Gesamteuropa - andere Länder pessimistischer
Deutlich optimistischer als der EU-Durchschnitt sind Österreichs Unternehmer dagegen in einem anderen zentralen Punkt: Nur 36 Prozent der heimischen Betriebe fürchten eine gesamteuropäische Rezession, während diese Sorge europaweit 57 Prozent der Betriebe plagt. Fragt man allerdings nach der Gefahr einer Rezession in Österreich, trübt sich das Bild rasch ein. Ganze 76 Prozent der Befragten sehen das Land entweder bereits in der Rezession oder erwarten eine solche innerhalb der kommenden fünf Jahre. Und 30 Prozent aus dieser Gruppe rechnen damit, dass eine solche Rezession schwerwiegende negative Auswirkungen auf das eigene Unternehmen haben wird.

Die Angst durch Zahlungsausfälle selbst in die Pleite zu schlittern, ist derzeit die größte Sorge heimischer Unternehmen.

Die Hälfte fürchtet durch gesunkene Zahlungsmoral die Pleite
52 Prozent der befragten österreichischen Unternehmen sehen durch den Zahlungsverzug ihrer Kunden sogar den Fortbestand ihres Unternehmens gefährdet. Im EU-Durchschnitt wird dieses Risiko mit 53 Prozent ähnlich hoch bewertet. Dass Zahlungsverzug auch die Entlassung von Mitarbeitern notwendig machen kann, befürchten in Österreich 37 Prozent der Unternehmer, während es in Europa insgesamt weniger sind, nämlich 31 Prozent.

Der Zahlungsverzug kann viele Bereiche eines Unternehmens beeinflussen. Gefährdung des Fortbestandes des Unternehmens, Verlust des Einkommens und Kündigung bereiten derzeit jedoch großen Unternehmen derzeit in diesem Zusammenhang die größten Sorgen. Mitarbeiter kündigen zu müssen, bereitet wiederum die Geschäftsleitung kleinerer Unternehmen größere Kopfzerbrechen.

Drohende Pleiten und Kündigungen: Die großen Sorgen der Unternehmen in Europa.

Austro-Firmen mit Kreditversicherung und Betrugsprävention gesichert
Laut dem Report haben jedoch inländische Betriebe mehr Vorkehrungen zum Schutz vor verspäteten Zahlungen getroffen als im EU-Schnitt. In den Bereichen Betrugsprävention, Kreditversicherung und vor allem dem Factoring rangiert Österreich deutlich über den gesamteuropäischen Zahlen. Und das zahlt sich aus: So meinten 62 Prozent der österreichischen Unternehmer (EU-Schnitt: 49 Prozent), dass schnellere Zahlungen ihrer Konsumenten es ihnen ermöglichen würden, weitere Mitarbeiter einzustellen und so neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Das sind die Strategien gegen die Krise: Weniger Schulden, Kosten senken
Durch Covid-19 sind Unternehmen bei der Neuverschuldung besonders vorsichtig geworden. Durch den so hervorgerufene massive wirtschaftliche Abschwung, wollen 38 Prozent der befragten österreichischen Unternehmen in Zukunft der Aufnahme von Schulden vorsichtiger gegenüber zu stehen. Im EU-Schnitt ist der Anteil mit 33 Prozent geringer. 40 Prozent der österreichischen Unternehmen planen Kosten zu senken. In anderen Ländern ist man da progressiver. In der EU wollen im Schnitt 47 Prozent ihre Kosten reduzieren.

KMUs sind beim Schuldenmachen deutlich vorsichtiger geworden als große, ergab die Intrum-Umfrage. Beim Kosten sind dafür große Unternehmen radikaler. Maßnahmen, um dem wirtschaftlichen Abschwung durch Covid-19 entgegenzuwirken: Weniger Personal einstellen, zählt ebenfalls zu den beliebtesten Anti-Krisenstategien.


Cashflow und Arbeitsplätze hängen auch von fristgerechter Zahlung ab

"Österreichs Unternehmen stehen in Folge der Covid-19-Pandemie stark unter Druck. Gerade in dieser Situation zeigt sich, wie wichtig für die Unternehmen die Verbesserung der Zahlungsmoral ihrer Kunden ist, weil Cashflow und Arbeitsplätze auch von der fristgerechten Begleichung von Rechnungen abhängen", resümiert Wolfgang Teller, Geschäftsführer von Intrum Austria,

Optimistischer als der Rest Europas sind Österreichs Unternehmer bei einem Zukunftsthema: Während 49 Prozent der Befragten damit rechnen, dass das Land in fünf Jahren komplett bargeldlos funktionieren werde (ein Plus von acht Prozent im Vergleich zu 2019), befürchten nur 46 Prozent ein dadurch steigendes Risiko von Cyberangriffen auf ihr Unternehmen. Das sind elf Prozent weniger als im EU-weiten Durchschnitt.


Zu den Personen:
Gudrun Meierschitz ist Mitglied des Vorstands der ACREDIA Versicherung AG. Die Ökonomin und Risikoexpertin arbeitet seit vielen Jahren für Österreichs größte Kreditversicherung.
Michael Kolb ist seit Oktober 2021 Mitglied des Vorstands der ACREDIA Versicherung AG. Kolb hat das Acredia Innovation Lab initiiert, wo neue digitale Lösungen für KMU und Start-ups entwickelt werden.
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Martin Schiefer ist Gründer der auf Vergaberecht spezialisierten Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte mit rund 50 Mitarbeitenden an insgesamt sieben Standorten in Österreich.
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ZUR PERSON: Reto Pazderka ist seit 2018 Geschäftsführer der adesso Austria GmbH. Der Informatiker war die Jahrzehnte davor vor allem für IT-Unternehmen im Finanzsektor tätig, zuletzt für CPB Software.
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