Olympische Winterspiele: Die große Xi-Ski-Show
Viel Stärke, wenig Weltoffenheit - China wird auch bei den Olympischen Winterspielen im Februar sein neues Gesicht zeigen. Langfristig dürfte dem riesigen Land die Abschottung wirtschaftlich schaden.
Perfekte Organisation, modernste Anlagen (Bild: Dafutuo Tower Power in Peking) - China will bei den Olympischen Winterspielen im Februar beeindrucken. Doch anders als bei der Sommer-Ausgabe 2008 fehlt die Aufbruchstimmung.
Haben Sie schon einmal von der Skispringerin Dong Bing oder vom Abfahrtsläufer Zhang Yangming gehört? Die chinesischen Athleten sind in ihren Sportarten Aushängeschilder der Nation, sie als Medaillenhoffnungen bei den Olympischen Spielen zu bezeichnen wäre dann doch übertrieben. Dong belegt aktuell Rang 41 im Weltcup der Skispringerinnen, Zhang fuhr bei den internationalen chinesischen Meisterschaften im Dezember, die in der Steiermark abgehalten wurden, als Bester seines Landes ebenfalls auf Rang 41.
Dass mit chinesischen Erfolgen bei den Winterspielen ab 4. Februar auch der Wintersport ein Massenphänomen wird, ist bislang fromme Hoffnung. 300 Millionen Skifahrer, Eisläufer oder Freestyler - das ist die staatliche Vision. Doch außer topmodernen Skigebieten gab es im Vorfeld eher Ernüchterung zu vermelden (siehe Kasten Seite 43). Covid und wachsende internationale Spannungen haben "den Spaß rausgehaut", wie Jörg Wuttke anmerkt, der erfahrene EU-Handelsdelegierte in der Hauptstadt Peking.
Für Staatspräsident Xi Jinping ist das Spektakel dennoch eine Gelegenheit, China wie schon bei den Sommerspielen 2008 als leistungsstarkes Land zu promoten. Der 119 Meter hohe Dafutuo Tower Power im Pekinger Bezirk Yanqing soll etwa gerade noch rechtzeitig vor dem Start der Spiele die olympischen Ringe aufgepflanzt bekommen. Organisation und Sportstätten werden tiptop sein und die Begleitfeierlichkeiten perfekt inszeniert.
Die olympische Blase
Und um Corona keine Chance zu lassen, werden die Athleten, Betreuer und Journalisten fein säuberlich vom Volk ferngehalten - in einer "olympische Blase" genannten Parallelwelt. Das hat nicht nur Vorteile in der Pandemiebekämpfung, sondern sorgt darüber hinaus dafür, dass auch der Austausch sonstiger Informationen minimiert wird, etwa über Politik oder die gesellschaftliche Entwicklung. Covid Control ist auch Message Control.
Das Blasen-Konzept passt perfekt zum China des Jahres 2022: Jahrzehntelang war der historisch beispiellose Aufstieg des Landes von der Öffnung Richtung Westen getrieben. Jetzt hat das Regime der Kommunistischen Partei (KPCh) - sinnbildlich gesprochen - eine zweite chinesische Mauer errichtet.
Zusammenarbeit mit der westlichen Staatengemeinschaft ist nur noch dann erwünscht, wenn es keine Einmischungen in innere Angelegenheiten gibt: Kritische Kommentare zur Lage der Uiguren in der Provinz Xinjiang oder die politischen Entwicklungen in der früheren britischen Kronkolonie Hongkong sind tabu. China ist im Vergleich zu 2008, als es sich als freundlicher Gastgeber der Welt inszenierte, paranoid und herrschsüchtig geworden. "Die offizielle Linie ist: China ist ein starkes Land und muss seine Stärke nicht mehr verstecken", sagt China-Expertin Mareike Ohlberg vom Berlin-Büro des Global Marshall Funds.
Wer sich solidarisch mit dem Erzrivalen USA zeigt, der Olympia diplomatisch boykottiert, droht selbst wirtschaftlich abgestraft zu werden. Die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen, die bei ihrem Amtsantritt einen härteren Kurs gegenüber China angekündigt hatte, hat ihre Nichtteilnahme deshalb vorsorglich als "persönliche Entscheidung" dargestellt. Österreichs Kanzler Karl Nehammer begründete sein Fernbleiben mit Hinweis auf die strikten Covid-Auflagen im Olympia-Gastgeberland. Eine einheitliche europäische Linie ist derzeit nicht erkennbar. EU-Mann Wuttke befürchtet dennoch, Olympia werde "ein Tanz über der Menschenrechtsfrage werden."
Ende der Diskussionen
Politisch vielstimmige Diskussionen über die Richtung, die das Land einschlagen soll, gibt es nicht mehr. "Es gilt die absolute Priorität der KPCh, deren Autorität alles andere als auf wackeligen Beinen steht", beobachtet Christoph Leitl, der als Wirtschaftskammer-Chef China mehrere Male bereist und zu Beginn der Pandemie das Buch "China am Ziel! Europa am Ende?" vorgelegt hat. Fazit: Nach Jahrzehnten der Öffnung verschließt sich China wieder, und das bekommen vor allem die Westler zu spüren.
Ausländer wie Wuttke, der seit über 30 Jahren in Peking lebt, registrieren ein ihnen gegenüber permanent feindlicher werdendes Klima. Die Zahl der Expats hat sich seit 2019 ungefähr halbiert, vor allem wegen der strikten Covid-Reisebestimmungen. Manager von Niederlassungen österreichischer Firmen berichten aber auch von kulturellen Eingriffen in ihre Communitys: Ein "Weihnachtsmarkt" muss jetzt "Wintermarkt" heißen, das aus dem angloamerikanischen Raum stammende "Halloween" musste ebenfalls umbenannt werden.
Es regieren identitäre Politik und Ideologie: Beim Recruiting an chinesischen Unis wurde festgestellt, dass Studierende freitags kaum verfügbar sind, weil sie an diesem Tag vergattert sind, Xis politischen Weisheiten zu lauschen.
Crackdown
Trotz dieses Abschottungskurses ist das 1,4-Milliarden-Einwohner-Land wirtschaftlich bisher gut durch die Covid-Krise gekommen. Die Industrie wächst, der Energiehunger ist kaum zu stillen. Für 2022 erwarten die meisten westlichen Experten ein Wachstum zwischen fünf und 5,5 Prozent - deutlich weniger als in den Boom-Jahrzehnten, aber im internationalen Vergleich gut.
Die Abhängigkeit der coronageschwächten westlichen Volkswirtschaften wird damit nur noch größer: Mercedes-Benz hat 2021 760.000 Autos in China verkauft und damit erstmals mehr als in ganz Europa. Die Münchner Konkurrenz von BMW hielt schon nach drei Quartalen bei 670.000 verkauften Fahrzeugen im Land der Mitte, ein Plus von fast 20 Prozent gegenüber 2020.
Leichte Entwarnung gibt es auch beim größten Sorgenkind des letzten Jahres, dem heillos überschuldeten Immobiliensektor mit einem befürchteten Kollaps des Immobilienkonzerns Evergrande im Zentrum der Ängste. Den befürchteten "Lehman-Effekt", also einem Zusammenbruch ähnlich der US-Investmentbank 2008 samt nachfolgender Finanzkrise, erwarten China-Insider wie Wuttke und Leitl nicht - das autoritäre System habe die Instrumente, um kontrolliert Luft abzulassen.
Deutlich größere Sorgen bereitet der Umstand, dass die führenden Technologiekonzerne Chinas und ihre lange als Stars gefeierten Gründer an die politischen Kandare genommen wurden. So bekam Jack Mas Alibaba eine Kartellstrafe von 2,8 Milliarden Dollar aufgebrummt. Auch der private E-Commerce-Riese Meituan ist ins Visier des Regimes geraten. "Die Botschaft, dass zu viel Eigenleben bestraft wird, ist in Corporate China angekommen", sagt China-Expertin-Ohlberg. Das bedeute jedoch nicht, dass die Kampagne gegen die Tech-Konzerne schon zu Ende ist.
Dieses Kappen vieler offensiver Ost-West-Verbindungen werde auch für die Innovationskraft des Landes negative Folgen haben, fürchtet Hannes Androsch, als Kernaktionär des Leiterplattenherstellers AT&S größter österreichischer Investor in China.
Mittelfristig drohe im Hightech-Bereich jedenfalls ein enormer Braindrain. Androschs nüchterner Befund: "China wird immer maoistischer." Die Volksrepublik kehrt unter Xi also in die Denkmuster der von Ideologie geprägten Jahrzehnte unter Staatsgründer Mao Zedong, 1976 verstorben, zurück.
Noch viel Aufholpotenzial
Dabei braucht China nicht nur bei Rohstoffen, sondern gerade in den Schlüsselindustrien die Anbindung an ausländische Technologien nach wie vor.
Beispiel Chip-Industrie: Der chinesische Chiphersteller Semiconductor Manufacturing International Corporation (SMIC) hat gegenüber der Konkurrenz aus Taiwan derzeit einen Technologierückstand von acht Jahren, schätzt Androsch. US-Präsident Joe Biden hat im Dezember schärfere Sanktionen gegen SMIC angekündigt.
Mit der Abschottung beraubt sich das Land auch der Möglichkeiten, die eigenen Technolgogieinnovationen zu exportieren. So gelten die bargeldlosen Zahlungslösungen von Alibaba, Tencent & Co. auch global als höchst innovativ. Durch den Crackdown hämmert das Regime die potenziellen Exportkaiser aber klein.
Dennoch hat der EU-Handelsdelegierte Wuttke seine Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das Pendel auch wieder einmal in die andere Richtung schwingen könnte. Der Blick auf die nackten Zahlen hilft: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt in China, in Kaufkraftparitäten gemessen, 16.500 Dollar, in Deutschland sind es rund 51.000 Dollar.
"Es gibt also noch viel Aufwärtspotenzial", schlussfolgert Wuttke, der internationale Kooperation ohnehin für unverzichtbar hält: "Wir müssen zusammenarbeiten, vor allem im Kampf gegen den Klimawandel." Bitterer Nachsatz: "Aber natürlich deprimiert es mich, wie sich das Land von der Welt abwendet."
Daran werden auch die Olympischen Spiele ab 4. Februar wenig ändern.
Artikel aus trend. PREMIUM vom 14. Jänner 2022