German Angst Syndrom: Österreichs Unternehmen brauchen mehr Mut

Der Consulter Karl-Heinz Land hilft Unternehmen, sich den technologischen Herausforderungen zu stellen. Im Interview mit FORMAT-Redakteurin Barbara Steininger erklärt er, warum Daten der neue Dampf sind und der digitale Darwinismus gnadenlos ist.

German Angst Syndrom: Österreichs Unternehmen brauchen mehr Mut

Karl-Heinz Land: "Wir haben noch eine faire Chance. Aber wir müssen schnell sein."

FORMAT: Sie beraten Unternehmen bei Digitalisierungsstrategien und zählen die bisherigen Opfer des "Digitalen Darwinismus" auf. Gibt es Unternehmen, die weniger prädestiniert sind, Opfer zu werden?
Karl-Heinz Land: Das trifft auf zwei Gruppen zu: Inhabergeführte Unternehmen, also wo der Chef selber führt und wo auch die eigene Kohle investiert wird. Die denken nicht im Quartal, die wollen auch den Kindern noch etwas hinterlassen. Das ist eine andere Langfristigkeit und ein Riesenvorteil. Die zweite Gruppe, die ähnlich schnell agiert - aber aus anderen Motiven - ist die Private-Equity-Szene. Wer eine Firma übernimmt oder sich einkauft, will, dass die Assets richtig genutzt werden.

Wann wissen Sie als Berater, dass ein Digitalisierungsprojekt scheitert oder zu scheitern droht?
Land: Uns selbst (Anm. das Institut Neuland) gibt ja erst seit zwei Jahren. Bislang haben wir noch kein Projekt unserer bislang 60 scheitern sehen, weil wir als Erstes eine Art "Digitalen Aufsichtsrat" installieren. Da sitzen die Vorstände, Inhaber, alle Stakeholder drin. Wenn wir erkennen, dass etwas nicht stimmt, greifen wir sofort ein. Im Prinzip ist das ganze wie der "Dom-Bau", wie man bei uns in Köln sagt: Der wird auch nicht mehr fertig. Solange das Unternehmen nicht fertig ist, sollen auch die Veränderungen nicht aufhören. Das ist eine Dauer-Metamorphose.

Aus welchen Branchen kommen die Ratsuchenden, Ihre Klienten?
Land: Telekom, Maschinenbau, Automobil, Brauerei, Handel - das geht über alle Bereiche. Wir beraten etwa die Firma Viega, einen Weltmarktführer im Sanitärbereich mit 3,5 Milliarden Euro Umsatz, den kaum jemand kennt. Deren erste Frage war natürlich auch: Was hat unser Spülkasten mit Digital zu tun? Und wir haben es ihnen erklärt. Das ist der Kunde, mit dem wir jetzt nach China fahren und demnächst eine Silicon-Valley-Tour machen. Wie arbeiten Apple, Google und Nest? Denen haben wir jetzt einen Kontakt hergestellt zu Nest, denn Viega ist schon dort, wo Nest erst noch hinkommen will. Man muss Chancen nutzen und auch in Risiko denken.

So angstfrei agieren derzeit nicht viele ...
Land: Wir haben das German-Angst-Syndrom, das ist in Österreich nicht viel anders. Wir brauchen aber mehr "German Mut" und die Offenheit, auf Leute zuzugehen. Nest begrüßt uns da sehr offen.


Wir müssen eine Art Grundgesetz für Daten auflegen, aber das muss auf Augenhöhe mit den USA passieren.

Sie loben die treibende Kraft der richtigen Visionen, etwa wie Kennedy den Wettlauf zum Mond anstachelte. Die Digitalisierung und ihre Konsequenzen sind für viele Menschen aber viel schwerer fassbar, etwa die Vision vom Internet der Dinge ...
Land: Da stimme ich bedingt zu. Klar, wenn der Vorstand die digitalen Medien selbst nicht benutzt, hat er auch selten eine Vorstellungskraft dazu. Das macht es teilweise schwer. Auf der anderen Seite ist es unsere wichtigste Aufgabe, in Bildern zu sprechen, die auch jeder versteht, eben auch der 78-jährige Firmeninhaber. Das ist eine Gabe, die haben dummerweise nicht viele Menschen, wenn es um das digitale Thema geht.

Die Digitalisierung ist die dritte industrielle Revolution: In Ihrer Diktion sind die Daten der Dampf, der die Weltmaschine treibt. Wie soll mit diesem Dampf umgegangen werden? Zuviel Regulierung kann schaden, die Daten unreguliert dem Markt zu überlassen, kann auch keine Lösung sein.
Land: Ich denke wir müssen eine Art Grundgesetz für Daten auflegen, aber das muss auf Augenhöhe mit den USA passieren. Sonst gehen die Daten in die USA. Apple, Google & Co verarbeiten sie und wir dürfen die Ergebnisse dann wieder kaufen. Die machen das Geld damit. Es muss eine Ethik geben, wie man mit den Daten umgeht. Ich denke, fünf Regeln müssten eingehalten werden. Der Kunde muss die Erlaubnis geben, es muss Transparenz herrschen, was mit den Daten passiert. Die Verhältnismäßigkeit zwischen Daten und dem dafür geleisteten Service muss passen. Bei Sicherheitsproblemen sollten Unternehmen Pönalen zahlen, und schlussendlich muss der Kunde die Freiheit haben, den Dienst zu stornieren, und das Unternehmen muss die Daten löschen. Wenn diese fünf Regeln eingehalten werden, dann können wir alle ziemlich gute Dinge machen.

Ein hehres Ziel, schwierig zu erreichen, wie die aktuellen Debatten zeigen (TTIP, Datenschutz). Wie und wo müsste die Politik denn noch regulierend eingreifen?
Land: Die muss unbedingt eingreifen. Wir müssen uns diese Visionen des digitalen Darwinismus zu Ende denken. Ich mag ja mit mancher Prognose überziehen. Vielleicht sind es nicht sieben Millionen Jobs, die in der Automobilindustrie verloren gehen, sondern nur zwei. Aber die Gefahr ist tatsächlich, dass schneller Jobs wegfallen, als neue dazukommen. 15 Millionen Krankenakten auf ein Symptom zu durchforsten, das kann der Computer schneller. Aber die Methoden, wie das behandelt werden kann, da ist der Mensch gefragt. Wir müssen mehr Methodentraining lernen, weniger das Befüllen von Formeln.


Wenn du 70.000 Mitarbeiter hast und kein Geschäftsmodell mehr, dann wird mir schummrig. Der Verfall ist extrem.

Welches Firmenschicksal, welches Opfer des digitalen Darwinismus hat Sie persönlich am meisten überrascht?
Land: Denken sie nur an die Energieversorger. Vor fünf Jahren hat jeder gesagt: Wenn du bei RWE bist, kann dir nichts passieren. Und heute - wenn du 70.000 Mitarbeiter hast und kein Geschäftsmodell mehr, dann wird mir schummrig. Der Verfall ist extrem. Das Zweite sind Unternehmen wie Kodak: 90 Prozent Marktanteil. Die hatten die Digitalfotografie erfunden, aber Angst sich selbst zu kannibalisieren. Zwischen Höhepunkt und Crash lagen nur fünf Jahre. Dasselbe passiert jetzt den Logistikern, deren Markt von Start-ups aufgemischt wird. Besser, ich kannibalisiere mich selbst, denn sonst tut es jemand anderer.


Wenn einmal in der Bild-Zeitung "Digitalisierung" steht, sollte sich wirklich jeder damit auseinandersetzen.

Sie plädieren für radikale Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt ...
Land: Ja, wenn einmal in der Bild-Zeitung "Digitalisierung" steht, sollte sich wirklich jeder damit auseinandersetzen. Das Problem derzeit ist die Ohnmacht. Was muss ich tun? Wo fange ich an, dass ich die Digitalisierung auf die Reihe kriege?

Wie sieht Ihre mittelbare Zukunftsprognose vor diesem Hintergrund für den europäischen Wirtschaftsstandort aus?
Land: Wir haben noch eine faire Chance. Der Zug fährt an, aber ist noch nicht aus dem Bahnhof. Aber wir müssen schnell sein, die Zeit ist unser größter Feind, nicht unser Freund. Wenn wir eine gute Strategie entwickeln, kann jeder etwas tun. Besser ist es jedenfalls, die zu entwickeln, solange es einem gut geht

Mahner und Ratgeber

Der deutsche Unternehmer Karl-Heinz Land erklärt Führungskräften die Herausforderungen der digitalen Welt. Als pointierter Mahner mit einem Schuss rheinländischem Optimismus skizziert er die Risiken und Chancen, die hinter Schlagworten wie Cloud, Big Data, sozialen Netzwerken, kurz: der Daten-Dienstleistungswelt, stehen.

In seine Vorträge fließen die Erkenntnisse seiner Beratertätigkeit ein: Mit dem Institut Neuland (www.neuland.digital) hilft er Unternehmen bei der Umsetzung digitaler Transformationsprozesse. In seinem neuesten Buch "Dematerialisierung"(erscheint am 10. Juni) beschreibt er die weiteren Konsequenzen des digitalen Darwinismus - wie sich Produkte und ganze Wertschöpfungsketten aufgrund radikaler Geschäftsmodelle sukzessive aufzulösen beginnen. Von physischen Datenträgern wie Papier und CD bis hin zum Verschwinden von Bankfilialen.

Buchtipp

Karl-Heinz Land, Ralf Kreutzer
"Digitaler Darwinismus. Der stille Angriff
auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke."
Verlag Springer Gabler, 275 Seiten 2013. € 46,30