Nachlese: VW-Konzernchef Matthias Müller im trend-Interview
Im November 2016 gab VW-Konzernchef Matthias Müller dem trend als erstem österreichischen Medium ein ausführliches Interview. Ein offenes Gespräch über Fehler beim Abgasskandal, die Zukunft von VW und des Autofahrens. Anlässlich des voraussichtlichen Ausscheidens von Müller aus dem Volkswagen-Konzern das Interview zur Nachlese.
Volkswagen Konzernchef Matthias Müller
trend:
Herr Müller, Sie haben vor Kurzem gesagt: "Wir haben die ganze Welt am Hals." Gerade sind in Kalifornien neue Vorwürfe gegen Audi wegen Manipulation der Abgassoftware bekannt geworden. Endet diese Affäre nie?
Matthias Müller:
Mit diesem Satz wollte ich zum Ausdruck bringen, dass die selbstverschuldete Krise bei Volkswagen in ihrer Tragweite und Globalität wohl beispiellos ist. Wir arbeiten jetzt seit mehr als einem Jahr daran, das Ganze auf-und abzuarbeiten. Dass es auf diesem Weg Hürden und Rückschläge geben würde, liegt in der Natur der Sache. Aber wir kommen Schritt für Schritt voran: bei den technischen Lösungen für unsere Kunden, bei der Aufklärung der Hintergründe und in der Reform unseres Unternehmens.
trend:
Noch einmal: Wann glauben Sie, ist diese Affäre für den VW-Konzern ausgestanden?
Müller:
Wir hoffen, dass wir die wichtigsten Schritte in Bälde gemacht haben. Wir kooperieren mit den Behörden, haben unsere Auffassungen mitgeteilt. Und wir hoffen, dass die ermittelnden Behörden bald Entscheidungen treffen. Wir brauchen Planungssicherheit, um zielgerichtet arbeiten und investieren zu können. Darüber hinaus ist es für unsere Mitarbeiter sehr belastend, ständig mit diesen Unsicherheiten konfrontiert zu werden und lesen zu müssen, dass sie in einem Unternehmen arbeiten, wo nichts passt. Wir setzen alles daran, dass Volkswagen wieder in ein positives Fahrwasser kommt.
trend:
Der VW-Konzern hatte über all die Jahre ein perfektes, vielleicht allzu perfektes Image. Ist das mit ein Grund, warum diese Affäre mit einer derartigen Wucht über Sie hereinbrach?
Müller:
Natürlich ist die Story des ewigen Siegers, der dann ins Straucheln gerät, für die Öffentlichkeit sehr spannend. Aber es ist doch schon schräg, dass ein Unternehmen bis zum 25. September des vergangenen Jahres unzählige Preise, Anerkennungen und so weiter eingeheimst hat, mit Martin Winterkorn einen allseits anerkannten und gefeierten Unternehmenslenker hatte - und am nächsten Tag soll alles ganz anders sein? Der Volkswagen-Konzern hat schwere Fehler gemacht. Dazu stehen wir. Aber er ist nach wie vor ein erfolgreiches Unternehmen, baut tolle Autos, ist für seine Mitarbeiter da, richtet sich auf die Zukunft und den Wandel Richtung Digitalisierung aus. Ich selbst bin fünf Jahre lang bei Porsche über den grünen Klee gelobt worden. Jetzt soll ich ein ganz anderer sein? Ehrlich, da passen die Enden nicht zusammen...
Der Volkswagen-Konzern ist nach wie vor ein erfolgreiches Unternehmen.
trend:
Wie sehr ist das Vertrauen der Kunden in Ihre Produkte beschädigt?
Müller:
Das Kundenvertrauen ist beschädigt, klar. Eine unserer und meiner wichtigsten Aufgaben ist es, dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Dazu brauchen wir schnellstmöglich Klarheit bezüglich der externen Aufklärung der Verfehlungen. Leider dauert das deutlich länger, als wir erwartet und gehofft hatten. Jeder neue Vorwurf und jedes Gerücht, die zwischenzeitlich auftauchen, beschädigen unsere Bemühungen, Vertrauen aufzubauen. Erst wenn alles auf dem Tisch liegt, werden wir wirklich nach vorne schauen können.
trend:
Mercedes-Chef Dieter Zetsche hat gemeint, er habe zehn Jahre gebraucht, den Stern wieder zum Strahlen zu bringen. Wie lange werden Sie brauchen?
Müller:
Über Nacht wurde, was über viele Jahre aufgebaut wurde, beschädigt. Ob wir drei, fünf oder zehn Jahre dafür brauchen, das alles wieder restlos in Ordnung zu bringen, weiß ich nicht. Jetzt ist es wichtig, überall dort, wo unser Ansehen beschädigt ist, die Dinge zu reparieren: in Deutschland, Europa, USA, aber auch in Südkorea oder Australien.
trend:
Diese Reparaturarbeiten am Image treffen Sie zu einer Zeit, in der die gesamte Branche in einem Umbruch steckt. Die Mobilität ändert sich gerade gewaltig. Sind diese Zukunftsherausforderungen mit dem Rucksack des Abgasskandals überhaupt zu bewältigen?
Müller:
Genau genommen arbeiten wir gerade parallel auf drei Baustellen: der Auf- und Abarbeitung der Dieselthematik, dem Wandel der Mobilität in Richtung Digitalisierung und E-Mobilität sowie der Reform unseres Unternehmens. Sehen Sie: In so einem großen, über viele Jahre so erfolgreichen Unternehmen schleifen sich bestimmte Dinge ein. Man wird vielleicht etwas bequem und selbstzufrieden. Wir müssen den Volkswagen-Konzern reformieren, verschlanken, restrukturieren, dezentralisieren etc. Dies gleichzeitig mit den oben genannten beiden anderen Aufgaben voranzutreiben, ist nicht einfach. Daher habe ich Riesenrespekt vor der Leistung unserer Belegschaft, wie wir das Jahr 2016 über die Bühne gebracht haben.

"Ich habe Riesenrespekt vor der Leistung unserer Belegschaft."
trend:
Wenn Sie von Verschlankung sprechen: Werden Sie sich in absehbarer Zeit von einer der zwölf Konzernmarken verabschieden?
Müller:
Im Gegenteil, wir sind gerade dabei, die 13. Marke zu gründen, die sich auf neue Mobilitätsdienste fokussieren wird. Die Marken-und Produktvielfalt unserer Gruppe war in der Vergangenheit ein prägender Teil unserer Erfolgsgeschichte. Sie wird es in Zukunft noch viel mehr sein, weil die Vielfalt an Wünschen, Bedürfnissen und Spielarten in der neuen Mobilitätswelt weiter wächst. Wer kann dieses Spektrum so bedienen wie wir? Gleichzeitig wird das Thema der Synergien und des Wissenstransfers immer erfolgskritischer. Auch da hat Volkswagen in seinem Markenverbund unheimlich große Potenziale.
In Zukunft wird es viele neue Formen der Mobilität geben.
trend:
Diese neue Mobilitätsmarke soll den Konzern Richtung "Dienstleistungsmarke" entwickeln. Was genau können wir uns darunter vorstellen?
Müller:
Neben dem klassischen Autogeschäft, das sich stark verändert, entsteht gerade eine zweite Säule: In Zukunft wird es nicht nur Car-Sharing geben, es wird selbstfahrende Taxis, Shuttle-Dienste, Ride-Hailing (Anm.: Fahrtenvermittlung) und viele andere neue Formen der Mobilität geben, von denen fast alle über das Smartphone gesteuert werden. Mit unserem Zukunftsprogramm "Together -Strategie 2025" adressieren wir diese Themen. Auch deshalb haben wir uns beim israelischen Mobilitätsdienstleister "Gett" eingekauft. Der vermittelt schon heute Fahrdienstleistungen an mehr als 50 Millionen Kunden. Außerdem haben wir Partnerschaften mit Städten wie Hamburg vereinbart, um pilotmäßig neue Lösungen für die Mobilität in den Metropolen der Zukunft zu erarbeiten. Wir sehen uns gerade sehr genau an, wie Verkehr in urbanen Räumen besser funktionieren kann. In Wien haben Sie ja ein ausgezeichnetes öffentliches Verkehrsnetz, in Los Angeles aber gibt es überhaupt kein ausreichendes öffentliches Angebot. Da ist man auf individuelle Mobilität angewiesen. Und für all diese verschiedenen Anforderungen wollen wir in Zukunft spezifische, integrierte Lösungen anbieten.

"2025 könnte der Wendepunkt in der Elektromobilität erreicht sein."
trend:
Sie beschäftigen sich 30 bis 50 Prozent Ihrer Arbeitszeit damit, darüber nachzudenken, wie die Mobilität von morgen aussieht. Können Sie uns bitte sagen, wie wir in Zukunft Auto fahren werden?
Müller:
Es wird über mindestens die kommenden 20 Jahre eine Koexistenz zwischen verschiedenen Arten der Mobilität geben: Junge Leute werden die neuen Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Es wird zunehmend automatisierte Fahrzeuge geben. Und auch jene, die ganz normal in einen Vierzylinder-Diesel einsteigen und selber fahren. Dass zum Zeitpunkt x einmal 100 Prozent der Autos vom Computer gesteuert werden, ist technisch nicht das Problem. Das Problem ist vielmehr: Was passiert auf dem Weg dahin? Wenn computerbetriebene Autos auf von uns Menschen gesteuerte treffen, die aktuell rund 90 Prozent der Unfälle verursachen? Und dann ist natürlich die Frage, wie schnell entwickelt sich die Elektromobilität. Dass diese in vielen Ländern nur zögerlich angenommen wird, hat seine Gründe: Die Autos sind aktuell noch zu teuer, die Ladeinfrastruktur ist lückenhaft und die Reichweite der Batterien ist noch nicht so, wie man sich das vorstellt. Aber gegen Ende dieses Jahrzehnts wird sich das dramatisch verändern. Elektroautos werden dann über eine Reichweite von 500 bis 600 Kilometer verfügen. Nicht nur am Papier, sondern wirklich.
trend:
Wann rechnen Sie mit einem Durchbruch bei der Elektromobilität?
Müller:
Der Wendepunkt könnte um 2025 erreicht sein. Die E-Autos werden dann so viel kosten wie heutige Diesel- Fahrzeuge und die Menschen werden entdecken, dass elektrisch fahren Spaß machen kann. Sie werden Vertrauen fassen in die neue Technologie. Dann wird es relativ schnell nach oben gehen. Auch, weil Staaten und Städte dann die entsprechenden Regeln vorgeben.
Die Zahl der Arbeitsplätze in der klassischen Automobilproduktion wird sinken.
trend:
Das wird auch Ihren Konzern zur Gänze verändern. Die Produktion eines Elektroautos besteht aus viel weniger Komponenten. Wie viele Ihrer jetzt 600.000 Mitarbeiter werden dann den Job verlieren?
Müller:
Auch mit solchen Fragen beschäftigen wir uns intensiv. Die Zahl der Arbeitsplätze in der klassischen Automobilproduktion wird sinken. Auch aufgrund der weiteren Automatisierung der Industrieproduktion. Es wird eine Restrukturierung von Arbeitsplätzen stattfinden.
trend:
Wie überall.
Müller:
Es wird mehr Leute geben, die Kopfarbeit leisten. Ob unter dem Strich Jobs verloren gehen, weiß ich nicht. Wir sehen in den kommenden Jahren ja auch eine demografische Entwicklung: viele Babyboomer werden aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden. Wir müssen die Transformation unserer Industrie verantwortungsbewusst vorantreiben. Bei der Marke VW arbeitet man an einem "Zukunftspakt", in dem zum Beispiel beschrieben wird, was mit den Werken, die heute Verbrennungsmotoren produzieren, in Zukunft passiert. Das ist ein wichtiges Thema bei uns.
trend:
Bei der Elektromobilität war Tesla der "Game Changer". Was kann ein Konzern wie VW von Elon Musk lernen?
Müller:
Wir haben großen Respekt vor Tesla, auch wenn wir zehn Millionen Autos im Jahr bauen beziehungsweise verkaufen und Tesla im vergangenen Jahr ungefähr 50.000. Zudem hat Tesla bislang kaum Geld verdient. Aber Tesla ist das Thema Elektromobilität sehr mutig angegangen. Und nutzt den strukturellen Vorteil, sich voll auf die eine Technologie fokussieren zu können, während wir parallel an Diesel-, Benzin-, Gas-, Hybrid- und E-Antrieben arbeiten. Was wir von Tesla lernen können, ist auch klar: Wir müssen schneller werden, mehr darauf hören, was die Kunden wirklich wollen. Da hat der Volkswagen-Konzern in den vergangenen Jahren sicher Fehler gemacht. Wir haben unsere Produkte zu sehr von unserem eigenen Ingenieurskönnen und - denken her entwickelt. Aus meiner Sicht ist das ein Grund für die Probleme von VW in den USA - ganz unabhängig von der Diesel-Thematik. Interessanterweise ist es uns in China geglückt, den Kundengeschmack zu treffen.
Wir müssen den Mut haben, Dinge anders zu tun. Und akzeptieren, dass Fehler passieren können.
trend:
Können wir Europäer uns den berühmten Silicon-Valley-Spirit überhaupt noch aneignen?
Müller:
Ich halte nichts davon, die Dinge eins zu eins zu kopieren. Das ist nicht authentisch und geht am Ende schief. Aber wir sollten uns herausfordern und inspirieren lassen. Das ist eine Frage der Haltung und letztlich auch der Kultur. Wir waren, zumindest vor meiner Zeit, ein sehr zentral organisiertes Unternehmen. Unheimlich viel ist hier in Wolfsburg entschieden worden, oft in ewigen Abstimmungsschleifen. Wir müssen den Mut haben, zu dezentralisieren, unseren Marken und Regionen auf der Welt mehr Verantwortung zuzugestehen und viele Dinge anders, vielleicht auch einfacher zu tun. Und - ja auch das - akzeptieren, dass dabei auch Fehler passieren können.
trend:
Weltweit ist ein Kampf um die besten Köpfe entbrannt. Ist der VW-Konzern noch - Pardon - sexy genug, um diese zu bekommen?
Müller:
Wir haben kein Defizit, gute Leute zu gewinnen, sowohl im Spitzenmanagement als auch auf den Ebenen darunter. Es gibt nur wenige große Unternehmen, die so global und vielfältig sind wie unseres. Und wir haben einen Veränderungsprozess auf den Weg gebracht, den mitzugestalten faszinierend ist.

"Es gibt nur wenige Unternehmen, die so global und vielfältig sind wie unseres."
trend:
Hat das Auto als Statussymbol eigentlich ausgedient?
Müller:
Die Einstellungen haben sich wirklich geändert. Unsere Generation denkt da vielleicht noch anders als die jüngere. Was die junge Generation sucht, ist Mobilität -individuell, digital vernetzt, nachhaltig. Manche halten den Führerschein ja schon für ein Auslaufmodell. Da würde ich widersprechen. Aber der Wandel ist da. Wir müssen jetzt sehen, wie sich die Dinge in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln. Was wir immer brauchen werden, sind differenzierte Angebote, von der unterschiedlichen Leistungsstärke der Fahrzeuge bis hin zur Connectivity.
Ich mache mir große Sorgen um Europa.
trend:
Zum Politischen: Hat der Industriestandort Europa eigentlich noch Zukunft?
Müller:
Ich mache mir große Sorgen um Europa als Ganzes. Ich bin bekennender Europäer und ich kann mir nicht vorstellen, wie einzelne Länder wie Deutschland, Österreich oder Belgien in der globalisierten Welt mit ihren eigenen begrenzten Möglichkeiten noch wettbewerbsfähig sein sollen. Das geht nur über ein starkes und geeintes Europa. Ich habe Angst, dass wir das, was unsere Eltern nach dem Krieg aufgebaut haben, leichtfertig aufs Spiel setzen.
trend:
Wie kann man Abschottungstendenzen und dem wieder auflebenden Nationalismus entgegenwirken?
Müller:
Indem man sich öffnet und indem man das, was Deutschland und Mitteleuropa stark gemacht hat, wieder fördert: Zusammenarbeit, Produktion und Handel. Und auch, indem man mittelständischen Unternehmen bessere Rahmenbedingungen gibt. In Europa ist vieles zu schwerfällig, zu kompliziert, zu verzagt. Die Politik müsste den Reformstau beseitigen.
trend:
Wie? Mit institutionellen EU-Reformen?
Müller:
Ich bin kein Politiker. Aber ich habe schon den Eindruck, dass viele zu sehr mit sich selber und den nächsten Wahlen beschäftigt sind.
trend:
Der VW-Konzern ist kein ganz unpolitischer Konzern. Werden Sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört?
Müller:
Wir haben regelmäßigen Austausch mit der Bundeskanzlerin, mit dem Wirtschaftsminister, allen relevanten Ministern. Wir werden auch gehört. Aber wenn ich mir die öffentliche Diskussion anschaue, habe ich mitunter den Eindruck, dass man vergessen hat, dass am Volkswagen-Konzern nicht nur 620.000 Arbeitsplätze, sondern auch deren Familien und viele Zuliefer- und Handelsbetriebe hängen. Es gibt das schöne Wort "Systemrelevanz". Ich glaube schon, dass Volkswagen für Deutschland und Europa ein systemrelevantes Unternehmen ist. Umso mehr verwundert mich die Art und Weise, wie damit teilweise in der Öffentlichkeit umgegangen wird. Die Kritik an uns ist - nach allem, was passiert ist - nachvollziehbar, berechtigt und okay. Damit müssen und damit können wir leben. Schmähungen oder Versuche, unser Unternehmen in seiner Existenz zu gefährden, müssen wir aber nicht hinnehmen.
Es ist wichtig, miteinander zu reden statt übereinander.
trend:
Sollten Sie nicht einmal politisch auf den Tisch hauen?
Müller:
Was würde das denn genau heißen? Ich bin grundsätzlich ein Freund des Mittelweges. Ich habe die politischen Kontakte jetzt intensiviert, von Berlin bis Brüssel. Es ist wichtig, miteinander zu reden statt übereinander.
trend:
Die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, die 52 Prozent der Konzernanteile halten, stammen ja aus Österreich. Kommen Sie gut mit den Ösis zurecht?
Müller:
Und unser Aufsichtsratsvorsitzender Hans Dieter Pötsch ist ein Oberösterreicher...
trend:
Sie sind praktisch Gastarbeiter in einem österreichischen Konzern.
Müller:
Kann man so sehen. Aber Spaß beiseite: Als in Sachsen geborener bekennender Bayer, der lange in Niedersachsen gearbeitet hat, komme ich mit den Eigentümerfamilien gut zurecht.
trend:
Mischt Patriarch Ferdinand Piëch nach seinem Ausscheiden aus den VW-Funktionen im Hintergrund noch mit?
Müller:
Seit Herr Piëch aus dem Aufsichtsrat der VW AG ausgeschieden ist, ist er auch nicht mehr aktiv ins Geschäft eingebunden. Er sitzt im Aufsichtsrat der PSE (Porsche Automobil Holding SE, sie hält die 52 Prozent VW-Stammaktien der Familien Porsche und Piëch, Anm.). Diese Sitzungen besucht er. Sonst hat er sich zurückgezogen.
trend:
Ist das nun gut oder schlecht?
Müller:
Ich sage jetzt einmal: Jein. Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn sind geniale Automenschen. Ihren Rat habe ich während meiner Zeit bei Porsche regelmäßig eingeholt. Von daher ist es ein Verlust. Piëch und Winterkorn haben in ihrer Zeit vieles richtig gemacht. Aber jetzt sind wir bei der Planung der Zukunft. Wir bauen den Konzern grundlegend um. Ich nehme an, dass sie das, was ich mache, mit einer gewissen Skepsis betrachten. Aber jeder agiert zu seiner Zeit und tut das, was er für richtig erachtet.
Wir werden wieder ein Volkswagen sein, das nur noch positiv gesehen wird.
trend:
Kurz zur Porsche Holding in Salzburg, der erfolgreichsten Vertriebs- und Serviceorganisation in Europa. Sie sind, nehmen wir an, sehr zufrieden mit dieser ertragreichen Säule des Konzerns?
Müller:
Die Vorstände Alain Favey und Hans Peter Schützinger machen das toll, das ist eine wirklich hervorragende Truppe.
trend:
Wolfgang Porsche hat kürzlich in einem "Spiegel"-Interview den Satz gesagt: "Also die Zeit bei Porsche war schon schön." Sie sind jetzt etwas mehr als ein Jahr an der Spitze des Volkswagen-Konzerns und müssen seine schwierigste Krise managen. Haben Sie das jemals bereut?
Müller:
Nein, noch nie. Aber es ist schon so: Vor drei Monaten bin ich zum ersten Mal Opa geworden, vor zwei Wochen zum zweiten Mal. Da würde man manchmal doch gerne mehr Zeit mit den Enkeln und der Familie verbringen. Familienleben war immer wichtig für mich. Andererseits: Wer in der Welt hat schon so einen Job wie ich? Da gibt es wahrscheinlich nur noch zehn vergleichbare. Ich arbeite gerne, auch wenn die Bedingungen gerade schwierig sind. Aber mir macht es Spaß, die automobile Zukunft mitzugestalten. Und ich bin überzeugt, dass wir in fünf bis zehn Jahren wieder ein Volkswagen sind, das nur noch positiv gesehen wird.
trend:
Wolfgang Porsche hat kürzlich in einem "Spiegel"-Interview den Satz gesagt: "Also die Zeit bei Porsche war schon schön." Sie sind jetzt etwas mehr als ein Jahr an der Spitze des Volkswagen-Konzerns und müssen seine schwierigste Krise managen. Haben Sie das jemals bereut?
Müller:
Nein, noch nie. Aber es ist schon so: Vor drei Monaten bin ich zum ersten Mal Opa geworden, vor zwei Wochen zum zweiten Mal. Da würde man manchmal doch gerne mehr Zeit mit den Enkeln und der Familie verbringen. Familienleben war immer wichtig für mich. Andererseits: Wer in der Welt hat schon so einen Job wie ich? Da gibt es wahrscheinlich nur noch zehn vergleichbare. Ich arbeite gerne, auch wenn die Bedingungen gerade schwierig sind. Aber mir macht es Spaß, die automobile Zukunft mitzugestalten. Und ich bin überzeugt, dass wir in fünf bis zehn Jahren wieder ein Volkswagen sind, das nur noch positiv gesehen wird.
trend: Herr Müller, wir danken für das Gespräch.
Zur Person
Matthias Müller, geb. 1953, wurde in Limbach-Oberfrohna in Sachsen in der früheren DDR geboren. Der Vater war Rennsportleiter eines Motorradwerkes. 1956 übersiedelt die Familie nach Ingolstadt, dem Sitz von Audi. Müller absolviert eine Werkzeuglehre, nach der Matura ein Informatikstudium. Beständiger Aufstieg im Konzern. Er leitet 1993 die Markeneinführung des Erfolgsmodells Audi A3, Als Audi-Chef Martin Winterkorn den Gesamtkonzern übernimmt, geht Müller 2007 mit nach Wolfsburg, wird Generalbevollmächtigter der Volkswagen AG. 2010 Vorstandschef von Porsche, löste im September 2015 Martin Winterkorn Spitze des Volkswagen-Konzerns ab.
Das Interview ist ursprünglich in der trend.PREMIUM Ausgabe 47/2016 vom 25. November 2016 erschienen.