Mercedes-Stern geht in China auf
Made in China: In Peking wird ein neues Mercedes- Forschungs- und Entwicklungszentrum eröffnet. Auch die Produktion soll massiv ausgeweitet werden. Im Reich der Mitte werden bald mehr Mercedes produziert als im größten Werk im deutschen Sindelfingen.

Stuttgart/Peking. Daimler Benz will im Reich der Mitte das Tempo offenbar forcieren. Maßgeschneiderte Mercedes-Modelle für die chinesische Kundschaft sollen dem deutschen Automobilhersteller den Weg an die Spitze ebnen. "Wir müssen uns tiefer in China verwurzeln, um Autos zu bauen, die bestens zu China passen", sagte China-Vorstand Hubertus Troska der Nachrichtenagentur Reuters in Peking.
Die Schwaben haben erst kürzlich in Peking ein Forschungs- und Entwicklungszentrum eröffnet. Damit wolle Mercedes-Benz die Bedürfnisse der Chinesen schon früh bei der Entwicklung neuer Modell-Generationen berücksichtigen, erklärte Troska. Neben bis zu 500 Ingenieuren sollen 40 Designer an den Modellen von übermorgen arbeiten.
Der Mercedes-Baukasten
Doch das ist nur eine Hälfte der China-Strategie der Schwaben. Der Stuttgarter Konzern will auch die Produktion forcieren. "In China wird die Produktionskapazität erweitert und bald größer sein als am Stammsitz in Sindelfingen", sagen informierte Personen, die über die Ausbaupläne von Daimler informiert sind, im Gespräch mit Format.at. Im größten deutschen Werk Sindelfingen, rund 15 Kilometer südöstlich von Stuttgart, werden auf einem Fabrikgelände von rund drei Millionen Quadratmeter und einer Produktionsfläche von 1,3 Millionen Quadratmeter Autos der S- und E-Klasse produziert. 1,5 Milliarden Euro für Investitionen wurden erst im September vom Vorstand alleine für Sindelfingen bis zum Jahr 2020 bewilligt, das zweitgrößte Werk in Stuttgart-Untertürkheim erhält ebenso 1,5 Milliarden Euro. Das Werk in Bremen bekommt 750 Millionen Euro.
Was sich großzügig auf den ersten Blick ausnimmt, ist jedoch mit massiven Kostensenkungen auch beim Personal verbunden. Dem mächtigen Betriebsrat hat der Autogigant gleichzeitig ein Sparprogramm abgerungen: ein dreistelliger Millionenbetrag soll alleine in Sindelfingen eingespart werden. Im Jahr 2013 wurde die Produktion im größten Daimler-Werk bereits um fünf Prozent auf 400.000 Autos herabgefahren. "Jobs werden sich verlagern", heißt es im Daimler-Sprech. Daimler wird dabei nicht müde zu betonen, dass die neuen Sparmaßnahmen nicht zu einem Jobabbau an den deutschen Werken - vor allem in Sindelfingen und Untertürkheim - führen.
Nicht rein zufällig: Denn Daimler will seine Produktionskapazitäten auf alle Werke austarieren. Soll heißen: Künftig soll es keine großen und kleinen Werke mehr geben. 300.000 bis 400.000 Autos sollen pro Werk vom Band gehen. Die Produktion in Peking soll von derzeit 120.000 auf rasch 350.000 Autos fast verdreifacht werden. Bis 2020 sollen außerdem zwölf neue Automodelle mit dem Mercedes-Stern auf den Markt gebracht werden, die bisher noch keinen Vorgänger haben.
Der Kniff der Stuttgarter Autobauer: Die Produktion soll standardisiert und effizienter werden, womit vor allem teure Produktionsanlagen eingespart werden. In einem globalen Verbund aller Werke sowie der Schaffung von Baukasten der Produktarchitekturen für Heckantrieb (MRA), Frontantrieb (MFA), SUV (MHA) und Sportwagen (MSA) sowie den Powertrain-Bereich (MPA) sollen massive Kosteneinsparungen erzielt werden. Das Auto soll somit pro Stück weniger Produktionskosten verschlingen - so die Pläne der Schwaben.
China als neues Maß für den Stern
Der Erfolg in China in entscheidend dafür, ob Daimler das Ziel erreicht, bis 2020 wieder größter Premiumhersteller weltweit zu werden. Derzeit ist das BMW, gefolgt von der Volkswagen-Tochter Audi. In China ist Audi der Platzhirsch. Nach Schätzung von LMC Automotive wird die Marke mit dem Stern in diesem Jahr 291.000 Fahrzeuge in China absetzen - noch immer weit abgeschlagen hinter Audi (581.000) und BMW (448.000). Troska bekräftigte, die Verkaufszahlen sollen im kommenden Jahr weiter kräftig steigen und stellte "deutlich mehr" als 300.000 Stück in Aussicht. LMC Automotive prognostiziert 386.000. In ein bis zwei Jahren werde China die USA als größten Einzelmarkt von Mercedes-Benz ablösen, sagte Troska.
Angesichts des großen Wachstumspotenzials in China, wo nach Schätzungen der Hersteller von 2013 bis 2020 die Zahl der Neuzulassungen von 22 auf 35 Millionen Fahrzeuge steigen soll, seien die Investitionen von zuletzt 110 Mio. Euro in Forschung und Entwicklung angemessen, sagte Troska. In Kürze werde ein neues Modell noch oberhalb der Luxuslimousine S-Klasse vorgestellt. Ein Insider hatte Reuters im Frühjahr gesagt, es sei eine Neuauflage des Traditions-Nobelwagens Maybach geplant, die in November in Guangzhou präsentiert werde. Mercedes-Benz hatte die Produktion des Maybach 2012 eingestellt, da die Verkaufszahlen mit einem Jahresabsatz von 200 zu niedrig waren. Ganz nach dem Geschmack reicher Chinesen mit Chauffeur soll der Wagen größer sein als die Langversion der S-Klasse.
Daimler lehnt sich in China weit aus dem Fenster und ist noch immer nicht davor gefeit, das sogenannten chinesische Konkurrenten einfach Bauteile oder gar ganze Automodelle samt Motor und Design 1:1 nachbauen. Derzeit haben die Deutschen noch Klagen gegen chinesische Unternehmen laufen.
Daimler hat im dritten Quartal bereits spürbar von seinem laufenden Sparprogramm und neuen Modellen profitiert. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) stieg im Vergleich zum Vorjahr um 67 Prozent auf 3,7 Mrd. Euro, wie der Dax-Konzern Ende Okotber mitteilte. Die Erlöse wuchsen um 10 Prozent auf 33,1 Milliarden Euro.