Michael Schmid: Zähe Hochnebelfelder, nicht nur über der Konjunktur
Die Eintrübung der Wirtschaftslage ist - leider - nicht nur jahreszeitlich bedingt, sondern offenbar auch nachhaltig und großräumig.
Michael Schmid: "Wer aufhört zu investieren, setzt ein ebenso klares wie fatales Statement: Ich habe kein Vertrauen mehr in eine gute Zukunft."
Von wegen goldener Herbst. Was eine Reihe von Ökonomen und Analysten, fast unabhängig voneinander, alleine in den letzten Tagen zur wirtschaftlichen Lage Österreichs im Allgemeinen und zu deren künftiger Entwicklung im Besonderen veröffentlicht hat, klingt besorgniserregend genug, um sensiblere Gemüter bereits jetzt in eine vorgezogene tiefe Winterdepression zu stürzen.
Kurz rekapituliert: "Österreich bleibt auf der konjunkturellen Kriechspur. Das fünfte Jahr der Stagnation steht vor der Tür." Die Industriellenvereinigung interpretiert so die Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage bei ihren Mitgliedsunternehmen. "Die Investitionen sind in den letzten Jahren regelrecht eingebrochen. Das bremst den technischen Fortschritt sowie die Arbeitsproduktivität und gefährdet die Exporte." Das konstatiert eine von der Sektion Industrie der Wirtschaftskammer veröffentlichte Studie. "Österreich hat angesichts der Höhe der Staatsverschuldung keinen Spielraum mehr bei den öffentlichen Finanzen. Die Banken tragen im Ostgeschäft weiter hohe Risiken." Das befindet die Rating-Agentur Moody 's und senkt daher den Bonitätsausblick für unser Land von "stabil" auf "negativ"."Mäßiges Wachstum bei hoher Arbeitslosigkeit." So übertitelt das Wifo in seiner mittelfristigen Prognose die Aussichten.
Herbstlicher Konjunkturalarm ist zwar häufig auch eine taktische Finesse im Umfeld der zu dieser Jahreszeit anstehenden Lohnrunden. Viele der nun kumuliert angesprochenen Problemfelder sind aber tatsächlich strategisch ganz entscheidend für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts, insbesondere des Industriestandorts Österreich und damit für die materielle Basis unserer Gesellschaft.
Relativierende Beschwichtigung wäre durchaus möglich. Polemisch zum Beispiel: Wer braucht schon eine Rating-Agentur, wenn man nicht gerade faule Kredite bündeln und verscherbeln will. Staatsanleihen kauft notfalls eh die EZB. Mit Blick fürs Detail: Im Industrie-Stimmungsbarometer hat sich die Beurteilung der aktuellen Geschäftslage sogar leicht verbessert. Ökonomisch fachkundig: Die Bruttoinvestitionen sind gar nicht eingebrochen.
Und der Rückgang der Nettoinvestitionen liegt an den hohen Abschreibungen, die wiederum deshalb so hoch sind, weil vor der Finanzkrise überaus optimistisch und viel investiert wurde. Das alles ändert aber nichts am Grundbefund: Die Konjunkturdynamik ist schwächer als im Rest Europas.
Das drückt die Stimmung vielleicht stärker, als es die nackten Zahlen nahelegen würden. Was in Österreich derzeit fehlt, ist nämlich nicht nur Wachstum, sondern dessen Grundlage: Vertrauen.
Das Vertrauen in eine bessere Zukunft ebenso wie das gegenseitige Vertrauen. Diese Stimmung liegt wie eine undurchdringbar zähe Hochnebeldecke über dem Land: Wo eine Seite nach öffentlichen Investitionen gegen die Wirtschaftsflaute ruft, sieht die andere sogleich den Staatsbankrott beziehungsweise zu dessen Abwendung Wertschöpfungsabgabe, Vermögens- und Erbschaftssteuer heraufziehen. Wo die anderen Strukturreformen zur Wiedergewinnung von Bewegungsfreiheit für die öffentlichen Haushalte verlangen, klingt das für die Gegenseite nach Massenarbeitslosigkeit, Pensionsraub, institutionalisierter Altersarmut und Mehrklassenmedizin. Schlimmstenfalls behalten beide recht.
Davon hätte niemand etwas. Besser also, wir kämpfen gegen die depressive Grundstimmung an und erkennen im erfolgreichen Abschluss der Metaller-Lohnrunde den ersten Ansatz für eine Rückkehr von Vertrauen. Der Arbeitsmarktgipfel am Erscheinungstag dieser FORMAT-Ausgabe böte dafür schon die nächste Gelegenheit.
Der Knackpunkt sind jetzt die Investitionen der Unternehmen. Mit der Steuerreform und den durchaus als Konjunkturpaket wirksamen Flüchtlingskosten hat die öffentliche Hand ihre finanziellen Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft. Bloß die Investitionsrechnung der Firmen geht offenbar trotz niedrigster Zinsen derzeit nicht auf. Doch wer aufhört zu investieren, setzt ein ebenso klares wie fatales Statement: Ich habe kein Vertrauen mehr in eine gute Zukunft - nämlich eine, in der sich diese Investitionen zurückverdienen lassen.
Ganz österreichspezifisch ist dieses Problem dann doch nicht. Das Beratungsunternehmen Strategy& konstatiert, dass die Investitionen der globalen Topunternehmen in Forschung und Entwicklung vor allem in Asien, aber auch in Nordamerika um ein Vielfaches stärker wachsen als in Europa. Die trübe Großwetterlage liegt über dem gesamten Kontinent.
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