Stephan Klasmanns "querformat":
Hochkonjunktur für Propheten
"Wer weiß nun wirklich, wo es langgeht? In Wahrheit niemand."
In Zeiten, in denen die Grundfesten der Welt wanken und das Ende der Menschheit nahe scheint, hat eine Berufsgruppe Hochkonjunktur jene der Wahrsager und Propheten. Ende des ersten Jahrtausends, als viele Christen überzeugt waren, der jüngste Tag stehe bevor, zogen Wanderprediger durchs Land, prangerten das sündhafte Treiben der Menschen an und empfahlen Selbstgeißelung und Beichte für das Seelenheil. Doch am Neujahrstag des Jahres 1000 stieg die Sonne wieder über den Horizont. Es war nicht der erste und nicht der letzte Weltuntergang, der abgesagt wurde.
Auch heute scheint das Ende aller Tage zumindest wirtschaftlich nahe zu sein, und wieder häufen sich merkwürdige Analysen, Ratschläge und Bewertungen. So ließen etwa US-Ökonomen mit der interessanten These aufhorchen, das Beste für den angeschlagenen Autoriesen General Motors sei der Konkurs. Prompt folgte diese Woche die beruhigende Information aus Insiderkreisen, der Konzern arbeite bereits intensiv an der Vorbereitung seiner Insolvenz. So ein Glück!
In Zeiten, in denen ein geordneter Konkurs schon als Errungenschaft gilt, braucht man sich über die Empfehlung des IWF, marode osteuropäische Staaten in die Euro-Währungsunion aufzunehmen, gar nicht mehr zu wundern. Dass die Stärke des Euro gerade darauf beruht, dass für seine Einführung strenge Kriterien gelten, scheint den Experten des Währungsfonds glatt entgangen zu sein. Die Folge einer solchen Euro-Erweiterung wäre nicht die erhoffte Stabilisierung Osteuropas, sondern eine Destabilisierung Westeuropas.
Auch in der Ursachenforschung der Krise melden sich jetzt berufene Geister zu Wort. Etwa Alice Schwarzer. Hielte man die 40-prozentige Frauenquote in Aufsichtsräten ein, so die Doyenne der Emanzipation, hätte es den Finanzcrash erst gar nicht gegeben. Die Gleichsetzung von Macht und Geld sowie das Herumschieben virtueller Milliarden sei eben typisch männliches Gehabe. Zur Überprüfung dieser bemerkenswerten Theorie könnte man ja Maria Schaeffler sowie Medici-Bankerin Sonja Kohn in den Emma-Aufsichtsrat entsenden.
Das Problem von Krisen wie jener, der wir gerade gegenüberstehen, ist, dass es keine Erfahrungen mit deren Lösung gibt. Die USA versuchen es mit gigantischen Konjunkturpaketen, Großbritannien mit der Verstaatlichung von Banken, die Deutschen suchen ihr Heil in Verschrottungsprämien und Garantien für die Industrie, die Iren gründen eine Bad Bank, um die Gift-Papiere aus den Bilanzen der Geldinstitute zu streichen. Wer hat Recht? Was ist die wirkungsvollste Medizin gegen die globale Rezession? Manche Nobelpreisträger warnen uns derzeit vor galoppierender Inflation, andere Nobelpreisträger halten eine Deflation für unvermeidbar. US-Notenbankchef Bernanke erklärte Ende März, die ersten Erholungszeichen seien unverkennbar. Diese Woche konterte sein australischer Kollege, es gebe noch absolut keine merkbare Wirkung der billionenschweren Konjunkturspritzen. Wer weiß nun wirklich, wo es langgeht? In Wahrheit niemand. Wir erleben derzeit einen gigantischen ökonomischen Feldversuch, dessen Ausgang völlig offen ist. Aber nachdem es kein Szenario gibt, das nicht von irgendeinem Experten vorhergesagt wird, wird im Nachhinein irgendjemand Recht behalten. Freilich nicht, weil er ein besserer Prophet ist als seine Kollegen, sondern ganz simpel, weil er Glück hatte.
klasmann.stephan@format.at